Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 27.05.2019 – RO 5 S 19.780
Titel:

Vorläufiger Rechtsschutz wegen Informationszugang nach Verbraucherinformationsgesetz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VIG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7, § 5 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Unter § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG fallen konkrete Kontrollmaßnahmen und mögliche Verstöße einzelner Betriebe, während Maßnahmen der Marktüberwachung nach § 26 ProdSG und behördliche Informationskampagnen und die Förderung von Verbraucherorganisationen von § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 VIG abgedeckt werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Informationszugang im Rahmen des Verbraucherinformationsgesetzes über eine Internet-Plattform, die nach aller Voraussicht die Veröffentlichung der weitergegebenen Informationen plant, stellt sich die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend klärbare Frage, ob die staatliche Informationsweitergabe in ihren Auswirkungen nicht einer unmittelbaren staatlichen Information sehr nahe kommt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Interesse an einer vorläufigen Nichtherausgabe von Kontrollberichten überwiegt bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache, da eine Herausgabe nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte und der Informationszugang für die betroffenen Antragsteller zu erheblichen Nachteilen führen kann. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gesundheitsgefahr, Informationsanspruch, Informationszugang, Kontrollbericht, staatliches Informationshandeln, "Topf secret", Kontrollmaßnahme, Marktüberwachung, Erfolgsaussichten in der Hauptsache, nicht rückgängig machbare Nachteile
Fundstelle:
BeckRS 2019, 12098

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 15.04.2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Eilantrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.04.2019, in dem einem Antrag des Beigeladenen auf Gewährung von Verbraucherinformationen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) stattgegeben wurde.
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Die Antragstellerin ist ein Unternehmen der … …, die in Deutschland und Europa in Selbstbedienungsmärkten Lebensmittel und andere Waren vertreibt. Die Antragstellerin betreibt einen …-Markt in der … Mit E-Mail vom 25.02.2019 beantragte der Beigeladene über die von foodwatch e.V. und FragDenStaat betriebene Plattform „Topf Secret“ die Herausgabe von folgenden Informationen über die Antragstellerin bei dem Antragsgegner:
1. Wann haben die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen im folgenden Betrieb stattgefunden:
2. Kam es hierbei zu Beanstandungen? Falls ja, beantrage ich hiermit die Herausgabe des entsprechenden Kontrollberichts an mich.
3
Ich stütze meinen Antrag auf Informationszugang auf § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz - VIG). Bei den von mir begehrten Informationen handelt es sich um solche nach § 2 Abs. 1 VIG. […] Unter Beanstandungen verstehe ich unzulässige Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFBG) oder anderen geltenden Hygienevorschriften. Sollte es zu einer oder mehreren solchen Beanstandungen gekommen sein, beantrage ich die Herausgabe des entsprechenden, vollständigen Kontrollberichts - unabhängig davon, wie Ihre Behörde die Beanstandungen eingestuft hat (bspw. als „geringfügig“ oder „schwerwiegend“).
4
Um eine Anfrage über die Plattform „Topf Secret“ einzureichen, kann man im Rahmen des Internetauftritts von foodwatch bzw. FragDenStaat auf ein Restaurant oder einen Lebensmittelbetrieb in einer Straßenkarte klicken oder nach einem konkreten Betrieb suchen. Im nächsten Schritt muss der Antragstellende nur noch seinen Namen und seine E-Mail- und Postadresse eingeben. Die vorformulierte Anfrage wird dann automatisch per E-Mail an die zuständige Behörde geschickt.
5
Mit Schreiben vom 06.03.2019 wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass dem Antragsgegner ein Antrag auf Informationsgewährung nach dem Verbraucherinformationsgesetz betreffend ihren Betrieb vorliege. Der Antragstellerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zur geplanten Informationsgewährung bis spätestens 14.03.2019 gewährt. Mit Schreiben vom 29.03.2019 ging beim Antragsgegner eine Stellungnahme der Antragstellerin ein, mit der sie die Herausgabe der angeforderten Kontrollberichte an den Beigeladenen ablehnte.
6
Mit dem an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 15.04.2019 teilte der Antragsgegner dem Beigeladenen mit, dass dem Antrag auf Informationsgewährung stattgegeben werde (Ziffer 1). Die Informationsgewährung erfolge in folgender Form: Bekanntgabe der Daten der letzten beiden Betriebsüberprüfungen (a). Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte, wenn Beanstandungen im Sinne von unzulässigen Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), der auf Grund des LFGB erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des LFGB vorliegen (b). Die Information werde 10 Tage nach Zustellung dieses Bescheids an den betroffenen Dritten in Schriftform bekannt gegeben, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei (Ziffer 2). Die Ziffern 1 und 2 dieses Bescheids seien kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Ziffer 3). Im Übrigen wird auf den Bescheid und seinen Inhalt Bezug genommen.
7
Mit Schreiben vom 15.04.2019 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin unter Beifügung einer Kopie des an den Beigeladenen adressierten Bescheids vom 15.04.2019 mit, dass dem Antrag auf Informationsgewährung stattgegeben werde und die beantragten Daten durch die Übermittlung des beiliegenden Informationsblattes und der beiliegenden Kontrollberichte 10 Tage nach Zustellung an den Beigeladenen schriftlich bekannt gegeben werden, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei.
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Mit Schriftsatz vom 29.04.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben (Az. RO 5 K 19.781) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen.
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Zur Begründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen, dass bereits der Anwendungsbereich des VIG nicht eröffnet sei. Der Wortlaut des § 1 VIG besage eindeutig, dass es bei VIG-Anfragen immer nur um Informationen über Erzeugnisse gehen könne. Verbraucher sollen vor gesundheitsschädlichen und sonst sicheren Erzeugnissen und vor Täuschungen beim Verkehr mit Erzeugnissen geschützt werden. Hingegen gehe es im VIG nicht um Informationen zu allgemeinen Betriebsprüfungen ohne konkreten Produktbezug. Weiterhin sei das VIG auch deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei der Herausgabe von Daten um einen Fall des speziellen § 40 Abs. 1 und Abs. 1a) LFGB handele. Die Veröffentlichung behördlicher Information im Internet sei abschließend in § 40 LFGB, insbesondere in Abs. 1a) geregelt. Die entsprechenden Vorschriften seien daher vorrangig anzuwenden und versperrten letztlich den Zugriff auf das VIG. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018 zeige, dass Veröffentlichungen von Informationen durch Behörden im Internet nur unter sehr engen Voraussetzungen und nach eingehender Interessenabwägung erfolgen dürften. Überdies müssten Behörden eine Mitteilung über Beanstandungen befristen und mit der Information verbinden, wann die Verstoße behoben worden seien. Diese gesetzgeberische und richterliche Wertung sei vollständig konterkariert, wenn Behörden den Anträgen, die über das Portal „Topf Secret“ eingegangen sind, stattgeben würden. Die Behörde veröffentliche die Informationen zwar nicht selbst, gestatte aber Dritten eine Veröffentlichung, die sie selbst nie vornehmen dürften. Davon abgesehen sei auch die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hier nicht einschlägig. Lebensmittelrechtliche Betriebsüberprüfungen und Kontrollberichte seien keine „nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“. Weiterhin handele es sich auch nicht um Maßnahmen, die im Zusammenhang mit Abweichungen getroffen worden seien. Vielmehr frage „Topf Secret“ die Ergebnisse ganz normaler Routinekontrollen ab. Der Antrag hätte überdies auch gem. § 4 Abs. 4 VIG wegen Rechtsmissbräuchlichkeit abgelehnt werden müssen. Durch die Flut von Auskunftsersuchen bei den Behörden werde die ordnungsgemäße Erfüllung der eigentlichen Aufgaben der Behörden beeinträchtigt. Auch sei eine Vielzahl der über das Portal gestellten Anträge nicht von real existierenden Personen, sondern von sog. „Fake Accounts“ gestellt worden. Antragsberechtigt seien nach dem VIG jedoch nur natürliche oder juristische Personen, also real existierende Antragsteller. Zudem bestehen gegen das VIG auch insgesamt erhebliche europarechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken. Eine staatliche Informationstätigkeit dürfe nach europarechtlichen Vorgaben nur erfolgen, wenn entweder eine Gesundheitsgefahr vorliege oder das Lebensmittel aus anderen Gründen unsicher, also nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sei. Die Vorschriften des VIG gehen weit über den europarechtlichen Rahmen hinaus. Der deutsche Gesetzgeber sei daher nicht befugt, eine derart weitgehende Regelung zu erlassen. Weiter stelle jegliche Informationstätigkeit der Behörden einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Unternehmen dar. Außerdem liege ein Eingriff in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG vor. Ein Eingriff sei daher nur zulässig, wenn eine hinreichend normenklare und bestimmte Ermächtigungsgrundlage vorliege. Das Bundesverfassungsgericht habe schließlich im vergangenen Jahr zu § 40 Abs. 1a) LFGB entschieden, dass eine Information der Öffentlichkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei, insbesondere dürfen entsprechende Veröffentlichungen lediglich zeitlich befristet erfolgen. Entsprechendes müsse für die weitreichenden Rechtsgrundlagen des VIG gelten.
10
Die Antragstellerin ließ beantragen,
gem. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.04.2019 - Az. VerbrS-5142.2019.14 - anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
12
Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Bescheid rechtmäßig sei und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze. Die von der Antragstellerin im Rahmen des Eilverfahrens vorgebrachte Begründung entspreche inhaltlich der Stellungnahme, die im Anhörungsverfahren abgegeben worden sei. Weitere Gesichtspunkte seien im Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht vorgebracht worden. Die Stellungnahme der Antragstellerin sei im Bescheid berücksichtigt worden. Es werde auf die Begründung des Bescheids an den Beigeladenen und auf das Schreiben an die Antragstellerin vom 15.04.2019 verwiesen.
13
Mit Beschluss vom 22.05.2019 wurde … gem. § 65 Abs. 2 VwGO zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene stellte keinen Antrag und äußerte sich nicht.
14
Mit Schreiben vom 30.04.2019 teilte der Antragsgegner mit, dass aufgrund des eingelegten Eilantrags einstweilen bis zum Abschluss des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutzes von einer Übersendung der Informationen an den Beigeladenen abgesehen werde.
15
Mit gerichtlichem Schreiben vom 30.04.2019 wurde der Antragsgegner gebeten, die Informationen, die dem Beigeladenen erteilt werden sollen, abstrakt zu beschreiben und von einer Vorlage der Kontrollberichte derzeit abzusehen. Mit Schriftsatz vom 07.05.2019 teilte der Antragsgegner mit, dass es sich bei dem Bericht aus der Kontrolle vom 22.01.2019 um einen formblattmäßig abgefassten Bericht handele, welcher die nicht zulässigen Abweichungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG benenne und die Vorgabe enthalte, wie diese zu behandeln seien. Bei dem Bericht aus der Kontrolle vom 11.10.2017 handele es sich um einen als Anschreiben an die Antragstellerin abgefassten Bericht, der lediglich die Mängel im Sinne von nicht zulässigen Abweichungen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG darstelle und die Vorgabe enthalte, wie diese zu behandeln seien. Diese Berichte seien aber keine förmlichen Bescheide.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
17
Der zulässige Antrag nach den §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.
18
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
19
a) Statthaft ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, § 80 Abs. 5, VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, da die in der Hauptsache statthafte Drittanfechtungsklage in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Vorliegend geht es um den Fall der festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, des Produktsicherheitsgesetzes, der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen und unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG (a.A. VG Stade, Beschluss vom 01.04.2019, Az. 6 B 380/19).
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Dies ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst bereits aus dem Auskunftsantrag des Beigeladenen. So begehrt der Beigeladene Auskunft darüber, wann die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen im Betrieb der Antragstellerin stattgefunden haben und ob es hierbei zu Beanstandungen gekommen ist. Weiter führt der Beigeladene in seinem Antrag vom 25.02.2019 explizit aus, dass er unter „Beanstandungen“ unzulässige Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFBG) oder anderen geltenden Hygienevorschriften verstehe (vgl. Blatt 1 der Behördenakte). Damit hat der Beigeladene seinen Informationsanspruch ausdrücklich auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gestützt.
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Zudem regelt der Auskunftsanspruch zu Überwachungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG - in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG - Informationen über allgemeine, vom Einzelfall losgelöste Sachverhalte, die unmittelbar auf den Schutz der Interessen der Verbraucher gerichtet sind, wie beispielsweise Auswertungen, Jahresberichte oder Statistiken (vgl. VG Wiesbaden, LMRR 2012, 63; VG Frankfurt, Urteil vom 25.1.2012 - 7 K 2119/11.F; Borchert, in: Beyerlein/Borchert, VIG, § 1 Rn. 56 ff.). Der Begriff der „Überwachungsmaßnahme“ ist dabei ein Oberbegriff, unter den - zunächst betreffend Erzeugnisse - die Maßnahmen nach Art. 54 VO (EG) 178/2002 und § 39 LFGB fallen. Im Hinblick auf Verbraucherprodukte sind die Maßnahmen der Marktüberwachung nach § 26 ProdSG als Hauptquelle von Informationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG zu nennen. Unter den Begriff „andere behördliche Tätigkeiten oder Maßnahmen“ fallen behördliche Informationskampagnen und die Förderung von Verbraucherorganisationen (BeckOK, InfoMedienR/Rossi, 23. Ed. 01.05.2018, VIG § 2 Rn. 32). Konkrete Kontrollmaßnahmen und mögliche Verstöße einzelner Betriebe („Verstoß-Daten“) hingegen sollen über § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG erfragbar bleiben (Zipfel/Rathke, LebensmittelR/Heinicke, 172. EL November 2018, VIG § 2 Rn. 56 und BeckOK, InfoMedienR/Rossi, 23. Ed. 01.05.2018, VIG § 2 Rn. 32).
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Dies deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung zu § 5 VIG. Nach den dortigen Ausführungen schien es dem Gesetzgeber nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen sachgerecht, in § 5 Absatz 4 Satz 1 VIG lediglich bei Informationen über Rechtsverstöße die sofortige Vollziehbarkeit gesetzlich anzuordnen, da hier regelmäßig ein überragendes Interesse der Öffentlichkeit an einer schnellen Information bestehen werde (vgl. BT Drucksache 17/7374, S. 18). Der Antrag des Beigeladenen zielt jedoch nach Sinn und Zweck und ausweislich seines Wortlauts genau darauf ab, Informationen über etwaige Rechtsverstöße zu erhalten. Ob in dem betroffenen Betrieb dann tatsächlich unzulässige Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFBG) festgestellt wurden und der Beigeladene einen Anspruch auf Information nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat, ist dagegen nicht im Rahmen der Statthaftigkeit des Antrags, sondern in der Begründetheit zu klären.
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b) Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt. Adressat des angegriffenen Bescheids ist zwar nur der Beigeladene und nicht die Antragstellerin, jedoch kann die Antragstellerin auf der Grundlage ihres Antragsvorbringens die Verletzung einer drittschützenden Norm geltend machen. § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG sieht nach seinem ausdrücklichen Wortlaut auch den Schutz privater Belange vor. Hiernach entfällt der Anspruch auf Informationsgewährung, wenn die dort abschließend aufgezählten Belange berührt werden. Die Veröffentlichung von Informationen über (inzwischen beseitigte) Mängel im Betrieb der Antragstellerin kann möglicherweise auch zu einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG führen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris und VG Würzburg, Beschluss vom 08. Januar 2018 - W 8 S 17.1396 -, juris).
24
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 15.04.2019 ist zudem begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt auf Antrag eines Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Hauptsacheklage dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
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Vorliegend ist zu beachten, dass es sich in der konkreten Fallkonstellation zum einen um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt und darüber hinaus eine Ablehnung des Antrags die Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte zur Folge hätte, was dazu führt, dass es sich bei der Ablehnung des Antrags um eine Regelung handelt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, auch wenn die Entscheidung in der Hauptsache anders ausfällt. Regelungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die praktisch die Hauptsache vorwegnehmen, sind im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch nur dann zulässig, wenn sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG schlechterdings notwendig sind und wenn außerdem ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit auch für einen Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht. Die Rechtmäßigkeit allein genügt deshalb noch nicht, um eine Vorwegnahme der Hauptsache zu rechtfertigen (vgl. Kopp/Schenke, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 156, Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 80 Rn. 92 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2014 - OVG 12 S 124.13 -, juris).
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Da der vorliegende Fall mehrere Sach- und Rechtsfragen aufwirft, kann im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung weder von einer (offensichtlichen) Rechtswidrigkeit noch von einer (offensichtlichen) Rechtmäßigkeit des an den Beigeladenen adressierten Bescheids vom 15.04.2019 ausgegangen werden, sodass die Erfolgsaussichten als offen zu bewerten sind und insbesondere kein für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlicher „hoher Grad an Wahrscheinlichkeit“ für einen Erfolg des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren angenommen werden kann (a). Ebenso wenig ist ersichtlich, dass eine sofortige Zugänglichmachung der Informationen nach dem VIG an den Beigeladenen aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes notwendig wäre. Die vorzunehmende Interessenabwägung fällt damit zugunsten der Antragstellerin aus (b).
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a) Auf tatsächlicher Ebene ist in einem Hauptsacheverfahren zu klären, ob die streitgegenständlichen Kontrollberichte lediglich beschreibender Natur sind oder - wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof fordert - auch eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Vollzugsbehörde beinhalten (BayVGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - 20 BV 15.2208 -, Rn. 47, juris und VG Regensburg, Urteil vom 9. Juli 2015, RN 5 K 14.1110). Insbesondere beim streitgegenständlichen Kontrollbericht vom 11.10.2017 scheint dies aufgrund der Beschreibung des Antragsgegners, nach der es sich beim Kontrollbericht vom 11.10.2017 um ein Anschreiben an die Antragstellerin handelt, in dem Mängel dargestellt werden (vgl. Blatt 74 der Gerichtsakte) fraglich. Eine bloße Darstellung von Mängeln ist indes nicht mit einer rechtlichen Subsumtion im Sinne einer Unterordnung eines Sachverhalts unter einen (einschlägigen) Rechtssatz gleichzusetzen (vgl. dazu auch VG Würzburg, Beschluss vom 03. April 2019 - W 8 S 19.239 -, Rn. 47, juris).
29
Darüber hinaus wirft der vorliegende Fall auch mehrere Rechtsfragen auf, insbesondere hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit eines über die von foodwatch/FragDenStaat betriebenen Plattform „Topf Secret“ gestellten Antrags, einer unzulässigen Umgehung des § 40 Abs. 1a LFGB und der Verfassungsmäßigkeit des Verbraucherinformationsgesetzes im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2018, 1 BvF 1/13. Zwar handelt es sich vorliegend um kein staatliches Informationshandeln im Sinne einer unmittelbaren Veröffentlichung. Staatliches Handeln liegt grundsätzlich aber auch bereits in der behördlichen Herausgabe der Informationen an die antragstellenden Privatpersonen. Amtliche Informationen kommen einem Eingriff in die Berufsfreiheit aber jedenfalls dann gleich, wenn sie direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielen, indem sie die Grundlagen von Konsumentscheidungen zweckgerichtet beeinflussen und die Markt- und Wettbewerbssituation zum Nachteil der betroffenen Unternehmen verändern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris). Zwar ist das Schutzbedürfnis des Unternehmens vor einer aktiven staatlichen Veröffentlichung unrichtiger Informationen ungleich größer als in den Fällen der antragsveranlassten individuellen Einsichtsgewährung. Denn die Öffentlichkeitsinformation, die - wie etwa eine produktbezogene Warnung - auf Initiative des Staates erfolgt, ist ihrer Intention nach auf eine unmittelbare Unterrichtung des Marktes gerichtet. Der Staat nimmt in diesem Fall selbst am öffentlichen Kommunikationsprozess teil und wirkt unmittelbar auf ihn ein. Er selbst wählt dabei die Informationen aus, die er bekannt geben will. Die Informationen sollen für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich dargestellt werden, § 6 Abs. 1 Satz 4 VIG. Informationen, die der Staat in einem solchen Sinne direkt an alle Markteilnehmer richtet, finden eine breite Beachtung. Sie wirken sich auf die Wettbewerbsposition eines am Markt tätigen Unternehmens grundsätzlich mit einer deutlich größeren Intensität aus als die Informationsgewährung an einen einzelnen Antragsteller (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 - 7 B 22.14 - juris Rn. 12 und BayVGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - 20 BV 15.2208 -, Rn. 54, juris).
30
Es stellt sich aber gerade in vorliegender Fallgestaltung die Frage, ob die staatliche Informationsweitergabe an einen Antragsteller, der seinen Antrag über die Plattform „Topf Secret“ stellt, aufgrund der zu erwartenden Veröffentlichung auf der Plattform in ihren Auswirkungen nicht einer unmittelbaren staatlichen Information sehr nahe kommt, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass der Staat - im Gegensatz zu einer eigenen Veröffentlichung der Informationen im Internet, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG - nach Herausgabe der Informationen an den Antragsteller auf den öffentlichen Kommunikationsprozess auf der von foodwatch/FragDenStaat betriebenen Plattform gerade nicht mehr einwirken kann und durch die Veröffentlichung der behördlichen Schreiben bzw. Bescheide beim Leser der Eindruck eines behördlichen Informationshandelns entstehen kann. Insofern müsste geprüft werden, ob in vorliegender Konstellation nicht ein wichtiger Grund i.S.d § 6 Abs. 1 Satz 2 VIG gegeben ist, der dazu führt, dass man den Antragstellern, die ihren Antrag erkennbar über die Plattform „Topf Secret“ stellen, die streitgegenständlichen Informationen gerade nicht durch Übersendung der Kontrollberichte, sondern im Rahmen von Akteneinsicht oder durch Auskunftserteilung, die schon dem Wortlaut nach gerade nicht auf die bloße Übersendung der Kontrollberichte beschränkt ist, zugänglich macht.
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b) Eine Abwägung der gegenläufigen Interessen der Antragstellerin und des Beigeladenen fällt vorliegend zugunsten der Antragstellerin aus.
32
Nach Auffassung der erkennenden Kammer überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Nichtherausgabe der streitgegenständlichen Informationen bis über das Hauptsacheverfahren entschieden worden ist, insbesondere da eine Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte an den Beigeladenen und damit die entsprechende Kenntnisnahme des Beigeladenen von den Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte und der Informationszugang für die betroffene Antragstellerin zu erheblichen Nachteilen führen kann. Eine Herausgabe würde vollendete Tatsachen schaffen und damit zur Vorwegnahme der Hauptsache führen. Demgegenüber ist kein gesteigertes Interesse des Antragsgegners oder des Beigeladenen an der sofortigen Übermittlung der beantragten Informationen ersichtlich, noch wurde ein solches von Seiten des Antragsgegners oder des Beigeladenen geltend gemacht. Schwere und unzumutbare Nachteile aufgrund der vorläufigen Nicht-Zugänglichmachung der Informationen drohen für den Beigeladenen damit gerade nicht.
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Nach alledem war dem Antrag statt zu geben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, da der Antragsgegner unterlegen ist. Der Beigeladene hat im Verfahren keinen Antrag gestellt, § 154 Abs. 3 VwGO.
35
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, dessen Empfehlungen die Kammer folgt. Gemäß Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist für sonstige Maßnahmen im Lebensmittelrecht der Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkung, sonst der Auffangwert anzusetzen. Da keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Höhe der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen im Falle einer Herausgabe der streitgegenständlichen Informationen bestehen, war der Auffangwert anzusetzen. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung hat das Gericht diesen Wert für die Streitwertfestsetzung halbiert (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).