Inhalt

Text gilt ab: 01.07.2008
Fassung: 20.06.2008
5.
Ausschluss von der Leistungsgewährung
(1) Soziale Ausgleichsleistungen nach dem StrRehaG werden nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat (§ 16 Abs. 2 StrRehaG). Gleiches gilt, wenn Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG gegeben oder gem. § 2 Abs. 4 HHG noch wirksam sind.
(2) Nach § 25 Abs. 1 StrRehaG ist das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG von der Landesjustizverwaltung zu prüfen, in deren Geschäftsbereich die Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist und die für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 17, 17a und 19 StrRehaG zuständig ist. Für Personen, die eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erhalten haben, ist nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 2 StrRehaG für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 17, 17a und 19 StrRehaG keine nochmalige Prüfung von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG vorgesehen, da eine vergleichbare Prüfung von Ausschlussgründen gemäß § 2 HHG bereits erfolgt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.Oktober 2002, 3 C 7.02). Solange daher die Häftlingshilfebescheinigung Bestand hat, kann der Antrag auf Gewährung einer besonderen Zuwendung nicht unter Hinweis auf das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG abgelehnt werden, da sich das Verneinen von Ausschlussgründen nach § 2 HHG bei der Ausstellung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG sowie das Bejahen von Ausschlussgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG bei der Leistungsgewährung nach § 17 Abs. 1 bzw. 17 a StrRehaG gegenseitig ausschließen. Werden im Verfahren der Leistungsgewährung der besonderen Zuwendung nunmehr wegen der inzwischen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zur Verfügung stehenden neuen umfangreichen Beweismaterialien Ausschließungsgründe nach § 16 Abs. 2 StrRehaG bzw. § 2 HHG bekannt, muss von der Ausstellungsbehörde zunächst die bindende Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG zurückgenommen werden, bevor ein Rückgriff auf den Versagungsgrund des § 16 Abs. 2 StrRehaG erfolgen kann. Im Rahmen der ihr obliegenden umfassenden Würdigung bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen kann die Behörde berücksichtigen, dass zwar § 16 Abs. 2 StrRehaG nicht unmittelbar herangezogen werden kann, dass aber die diese Norm verdrängende Häftlingshilfebescheinigung aus demselben Grund rechtswidrig ist und mithin die Versagung der Leistung nach § 17 Abs. 1 StrRehaG und damit daher auch einer besonderen Zuwendung nach § 17a StrRehaG materiell den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht. Selbst wenn im Rahmen einer Vertrauensschutzprüfung eine schon gewährte Eingliederungshilfe belassen wird, besteht im Rahmen der erforderlichen Ermessensbetätigung bei der Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung wegen nunmehrigen Vorliegens von Ausschlussgründen kein Zwang, dem Antragsteller auch zukünftig den Zugang zu Leistungen zu schaffen, die ihm der Gesetzgeber nicht zubilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2006, 3 C 11.05).
(3) Wegen der Prüfung von Ausschlussgründen wird ergänzend auf die Verfahrensregelungen in Teil II Nr. 4 verwiesen.

5.1

Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
(1) Zur Begriffsbestimmung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit beruft sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl II 1952 S. 686) sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 (GAOR III, Res. p. 71 – UN-Doc. A/810). Danach sind als Menschenrechte u. a. anerkannt, das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, gerichtliches Gehör, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinsfreiheit. Im Hinblick auf diese in der Konvention aufgezählten einzelnen Menschenrechte, die zugleich auch den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit entsprechen, wird als ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit etwa das Handeln eines Berechtigten angesehen werden müssen, der sich als Denunziant oder Spitzel betätigt hat, einen politischen Gegner seiner andersartigen Gesinnung wegen in strafrechtlich zu ahndender Weise verfolgt oder an seiner Verfolgung mitgewirkt hat oder der einen anderen an der Ausübung seiner politischen Rechte gewaltsam oder aus moralisch verwerflicher Gesinnung gehindert hat (s. BVerwG, Urteil vom 23. September 1957 – V C 488/56, NJW 1958, 35).
(2) Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gehen aus von der Vorstellung, dass der Zweck des Staates auf die Schaffung und Erhaltung einer materiell gerechten Ordnung gerichtet sein muss und demzufolge alle Zweige der Staatsgewalt, also Legislative, Exekutive und rechtsprechende Gewalt der Herrschaft des Rechts im materiellen Sinne unterworfen sind. Danach ist jeder freiheitlichen Rechtsordnung ein Bestand an unabdingbaren Rechten, insbesondere solchen der Einzelpersönlichkeit, vorgegeben, die materiell niemals beseitigt oder in ihrem Wesensgehalt beschränkt werden können. Zu solchen immanenten natürlichen Rechten der Einzelperson gehört ihr Recht auf Leben, dem die Aufgabe der Rechtsordnung entspricht, das menschliche Leben zu schützen und in seinen natürlichen Grenzen zu gewährleisten (s. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1964 – VIII C 60/62, NJW 1964, 2220, 2221).
(3) Das Vorliegen des Ausschlussgrundes „Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit “ erfordert einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand. Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn der Schutzbereich „Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit “ durch einen Eingriff oder Angriff verletzt wird, der im Zusammenhang mit einer Gewalt- oder Willkürherrschaft steht (z.B. der Aufrechterhaltung der SED-Herrschaft in der DDR). Subjektiv ist der Tatbestand erfüllt, wenn ein zurechenbares, vorwerfbares schuldhaftes Verhalten im Sinne einer vorwerfbaren Verantwortlichkeit (wissentlich oder willentliche Mitwirkung an der Verletzung der Grundsätze) zu der gegebenen objektiven Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit hinzukommt.
(4) Am Grundsatz der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit hat sich vergangen, wer zur Stützung des repressiven Systems der ehemaligen DDR freiwillig und gezielt, insbesondere durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt, an die in der DDR für ihre repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannte Stasi weitergegeben und dabei in Kauf genommen hat, dass diese Informationen zum Nachteil der denunzierten Personen, namentlich zur Unterdrückung ihrer Menschen- und Freiheitsrechte benützt würden (vgl. BGH-Beschluss vom 14. März 1994 – AnwZ (B) 6/93, NJW 1994, 1730 f.). Der Denunziant behandelt sein Opfer nicht unmittelbar selbst rechtsstaatswidrig oder unmenschlich, sondern beteiligt sich als Zuträger für ein politisches System, in welchem unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit missachtet werden (s. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1963 – VIII C 67.62, BVerwGE 15, 336 ff.). Die Annahme einer Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit setzt nicht den Nachweis voraus, dass gelieferte IM-Berichte konkrete Repressionen und Sanktionen gegenüber Dritten, etwa durch Schäden an Leib und Leben zur Folge hatten. Es reicht der Nachweis, dass die gelieferten Informationen geeignet waren, den Denunzierten ernsthaft in Gefahr zu bringen (s. BVerwG, Urteil vom 19. Januar.2006 – 3 C 11/05).
(5) Keine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit liegt vor, wenn jemand lediglich eine Verpflichtungserklärung zum Leisten von Spitzeldiensten für den Staatssicherheitsdienst unterschrieben hat, jedoch keine Informationen geliefert worden sind, die für den Bespitzelten zu Nachteilen führen oder eine beachtliche Gefahrenlage hätten schaffen können (s. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1987 – 3 C 12.87, ROW 1989, 61, 63 und BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1969 – VIII C 80.65, Buchholz 412.6). Wurde die Akte des Staatssicherheitsdienstes vor der Wiedervereinigung Deutschlands „gesäubert “, kommt die Behörde in Beweisschwierigkeiten für das Vorliegen von Ausschlussgründen. Kann hier die BStU keine weiteren Beweisangaben liefern, ist der Antragsteller zu der abgegebenen Verpflichtungserklärung zu hören und zu befragen, welche Informationen er über Mithäftlinge oder Mitbürger geliefert hat. Ergänzend ist zu prüfen, ob er eventuell eigene Vorteile durch seine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst erlangt hat.

5.2

Missbrauch der Stellung in schwerwiegendem Maße zum eigenen Vorteil oder Nachteil anderer
In schwerwiegendem Maße missbraucht derjenige seine Stellung, der sich über die rein rechtlichen Erwägungen hinaus von Verfolgungs- oder Selbstbegünstigungsabsichten leiten lässt und dem ein alternatives Verhalten zugemutet werden konnte. Ein alternatives Verhalten war dann zumutbar, wenn es dem Handelnden ohne schwerwiegende Gefahr für Leib, Leben, persönliche Freiheit oder seine wirtschaftliche Existenzgrundlage möglich gewesen wäre, die Missbrauchshandlung zu vermeiden. Seine Stellung missbraucht derjenige, der bewusst oder gewollt die ihm verliehenen Machtbefugnisse dazu verwendet, sich selbst zu bevorzugen oder anderen zu schaden. Der Missbrauch der eigenen Stellung muss zurechenbar und vorwerfbar, d.h. schuldhaft in Kenntnis aller Tatumstände begangen sein (subjektives Verhalten). Die „Stellung “ kann auf einem Amt im Staats- oder Parteiapparat (SED oder Blockparteien) oder in einem Wirtschaftsbetrieb beruhen, aber auch auf einer sonstigen Position, durch die ein bestimmender Einfluss auf eine entscheidende Stelle ausgeübt werden konnte. Zum „Nachteil anderer “ handelt, wer durch den Missbrauch seiner Stellung anderen Schaden an Leib, Leben, Ehre, Freiheit oder Vermögen zufügt oder hätte zufügen können.

5.3

Erhebliches Vorschubleisten
(1) Der Tatbestand „erhebliches Vorschubleisten “ im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG setzt die Entfaltung einer persönlichen Initiative und Tätigkeit voraus, die dazu geeignet und bestimmt war, die politischen Ziele des SED-Regimes auf nicht ganz unbedeutenden Gebieten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens erkennbar zu fördern, um den Herrschaftsanspruch der SED und des von ihr getragenen Regierungssystems zu festigen bzw. auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System auszuschalten oder zu unterdrücken. Ein solches „erhebliches Vorschubleisten “ liegt z.B. dann vor, wenn ein DDR-Bürger ein Amt von besonderer politischer Bedeutung übernommen hat, das ihm die Möglichkeit gab, in seinem Amtsbereich Einfluss auf die politische Entwicklung auszuüben, zumal wenn die mit dem Amt verbundene Machtfülle es ihm ermöglichte, diese Politik auch gegen den Widerstand der freiheitlichen gesamten Bevölkerung durchzusetzen (s. BVerwG, Urteil vom 11. März 1965 – VIII C 396.63, ROW 1966, 30 f.).
(2) Für ein „erhebliches Vorschubleisten “ genügt nicht nur eine mittelbare Unterstützung oder ein lediglich beiläufiges, gelegentliches Verhalten. Vielmehr muss ein bewusstes Handeln von gewisser Stetigkeit vorliegen mit dem Ziel, ein Unrechtssystem nachhaltig zu fördern (s. BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1966 – VIII C 27.65, ROW 1967, 255 ff. und BVerwG, Urteil vom 22. Mai1969 – VIII C 8.66, ROW 1970, 173 f.). Die Innehabung eines besonderen Amtes allein erfüllt jedoch noch nicht den Tatbestand des „erheblichen Vorschubleistens “ und führt auch nicht zu einer Beweislastumkehr (s. BVerwG, Urteil vom 11. März 1965 – VII C 396.63, ROW 1966, 30 f.). „Erheblich “ ist ein Vorschubleisten insbesondere dann, wenn der Nutzen, den das Regime aus dem Verhalten gezogen hat, nicht nur ganz unbedeutend gewesen ist. Die Leistung eines Spitzeldienstes während der Haft und ein Bereiterklären zur Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst ist insbesondere dann ein Vorschubleisten, wenn dadurch eine Schädigung oder Gefährdung Dritter eingetreten ist (s. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1987 – 3 C 12.87, ROW 1989, 61 ff.). Dies gilt dann nicht, wenn bewusst vermieden wurde, einem Dritten zu schaden oder die Mitarbeit nur zum Scheine ausgeführt wurde (s. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1969 – VIII C 80.65, Buchholz 412.6).