Inhalt

VG München, Urteil v. 12.12.2019 – M 10 K 18.5034
Titel:

Verfahren wegen Aufhebung von Zweitwohnungsteuerbescheiden

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
ZwStS § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1, § 12
AO § 44, § 122 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Satzungen dürfen neu und rückwirkend in Kraft gesetzt werden, wenn eine bereits bestehende Zweitwohnungsteuersatzung vom Verwaltungsgericht als nichtig angesehen wird, ohne dass ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes vorliegt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. ISt mangels Mietausgaben eine Ermittlung oder Berechnung der Jahresnettokaltmiete nicht möglich, stellt die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweitwohnungsteuer, Echte Rückwirkung, Jahresnettokaltmiete, Selbstgenutzte Eigentumswohnung, Schätzung, Ortsübliche Höhe, Sachverständigengutachten, Mietspiegel, Steuerhöhe 12%, örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuer, Zweitwohnungsteuersatzung, Vertrauensschutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.03.2021 – 4 ZB 20.246
Fundstelle:
BeckRS 2019, 35306

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung von Zweitwohnungsteuerbescheiden der Beklagten betreffend die Jahre 2011 bis 2018 sowie die Folgejahre.
2
Die Beklagte erhebt Zweitwohnungsteuer nach ihrer Satzung für die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (Zweitwohnungsteuersatzung - ZwStS) vom 29. Mai 2018, die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist. Die Vorgängersatzung vom 19. Oktober 2010 (in Kraft ab 1.1.2011) wurde gleichzeitig außer Kraft gesetzt, da diese wegen eines unzulässigen Stufentarifs unwirksam war.
3
Nach § 4 Abs. 1 ZwStS vom 29. Mai 2018 wird die Steuer nach dem jährlichen Mietaufwand (Jahresnettokaltmiete) berechnet. Gemäß § 4 Abs. 3 ZwStS ist die Nettokaltmiete für Wohnungen, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen oder die dem Steuerpflichtigen unentgeltlich oder zu einem Entgelt unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, in der ortsüblichen Höhe anzusetzen. Sie wird von der Beklagten in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.
4
Der Kläger ist Miteigentümer einer Doppelhaushälfte im Stadtgebiet der Beklagten, die nach seinen Angaben von ihm maximal zwei Monate jährlich genutzt wird und im Übrigen leer steht. Der Kläger ist mit Hauptwohnsitz in … gemeldet. Gemäß der Zweitwohnungsteuererklärung vom 17. März 2011 beträgt die Wohnfläche der im Jahr 1985 errichteten Doppelhaushälfte 170 m²; die nicht modernisierte Wohnung verfüge insbesondere über Balkon, Wannenbad, Terrasse und Garten.
5
Mit Zweitwohnungsteuerbescheiden vom 27. Juni 2011, 16. April 2012, 26. April 2013, 28. April 2014, 6. Mai 2015, 18. Juli 2016 und 16. Juni 2017 wurde der Kläger für die Jahre 2011 bis 2017 zu einer jährlichen Zweitwohnungsteuer in Höhe von 1.800 EUR herangezogen. Der Berechnung wurde jeweils eine Jahresnettokaltmiete von 14.484 EUR, beruhend auf einem Mietpreis von 7,10 EUR/m2, zugrunde gelegt.
6
Der Kläger erhob gegen die jeweiligen Steuerbescheide Widerspruch mit Schreiben vom 23. Juli 2011 (eingegangen bei der Beklagten am 26.7.2011), „29. Juni 2012“ (eingegangen am 30.5.2012), 27. Mai 2013 (eingegangen am 28.5.2013), 30. April 2014 (eingegangen am 5.5.2014), 3. Juni 2015 (eingegangen am 8.6.2015), 24. Mai 2016 (eingegangen am 25.5.2016), 23. Juli 2016 (eingegangen am 27.7.2016) und 23. Juni 2017 (eingegangen am 29.6.2017).
7
Aufgrund des neuen Steuersatzes der Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018 (12% der Jahresnettokaltmiete anstatt des zuvor geltenden Stufentarifs) wurde die Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2018 gegenüber dem Kläger bei ansonsten gleichen Parametern mit Bescheid vom 18. Juli 2018 lediglich in Höhe von 1.738,08 EUR festgesetzt. Im Bescheid ist angeordnet, dass der Kläger bis zum Erhalt eines neuen Bescheides verpflichtet sei, für das Jahr 2019 sowie die Folgejahre zum Termin 1. Juni jeweils 1.738,08 EUR zu leisten. Zudem wurde mit Änderungsbescheid vom 19. Juli 2018 den Widersprüchen des Klägers für die Jahre 2011 bis 2017 teilweise abgeholfen, indem die Beklagte die Zweitwohnungsteuerfestsetzungen von jeweils 1.800 EUR auf 1.738,08 EUR herabsetzte.
8
Mit Schreiben vom 30. Juli 2018, eingegangen bei der Beklagten am 31. Juli 2018, erhob der Kläger Widerspruch gegen den Steuerbescheid vom 18. Juli 2018 sowie den Änderungsbescheid vom 19. Juli 2018.
9
Zur Begründung der Widersprüche wird im Wesentlichen vorgetragen, die Zweitwohnungsteuerbescheide seien der Höhe nach nicht gerechtfertigt. Die Ermittlung der maßgeblichen Jahresnettokaltmiete beruhe lediglich auf einer Schätzung ohne erkennbare Grundlagen. Es sei weder ein Mietspiegel herangezogen noch ein Sachverständigengutachten erstellt worden.
10
Nach Nichtabhilfe im Übrigen und Vorlage der Widersprüche an die Widerspruchsbehörde wies das Landratsamt … mit Bescheid vom 5. Oktober 2018, ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 8. Oktober 2018, die Widersprüche zurück. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
11
Der Kläger hat mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 11. Oktober 2018, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am 12. Oktober 2018, Klage erhoben und beantragt,
12
Die Zweitwohnungsteuerbescheide der Beklagten für die Kalenderjahre 2011 bis 2018 vom 27. Juni 2011, 16. April 2012, 26. April 2013, 28. April 2014, 6. Mai 2015, 18. Juli 2016, 16. Juni 2017, 18. Juli 2018 und 19. Juli 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 5. Oktober 2018 werden aufgehoben.
13
Zur Begründung wird vorgetragen, die streitgegenständlichen Zweitwohnungsteuerbescheide seien mangels wirksamer Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten rechtswidrig. Die ursprüngliche Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 19. Oktober 2010 sei wegen eines unzulässigen Stufentarifs nichtig gewesen. Die diese rückwirkend ersetzende Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018 sei jedoch ebenso unwirksam. Der in § 4 gewählte Steuermaßstab verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Beklagte stelle in § 4 Abs. 1 ZwStS für Steuerpflichtige, die nicht Eigentümer der Zweitwohnung seien, auf das tatsächlich gezahlte Entgelt ab und trage damit dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Zweitwohnungsteuer um eine Aufwandsteuer handle. Dem widerspreche jedoch die Regelung des § 4 Abs. 3 ZwStS, nach der bei Wohnungen, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stünden, lediglich eine Schätzung vorzunehmen sei. Eine Schätzung habe einen geringeren Sicherheitsgrad und bewege sich damit in ihrem Ergebnis regelmäßig von dem tatsächlichen Entgelt weg. Es bedürfe einer realitätsgerechteren Bewertung in Form eines Sachverständigengutachtens, das konkret die Art, Lage und Ausstattung der Zweitwohnung feststelle und auf der Grundlage dieser Feststellungen die Nettokaltmiete ermittle.
14
Selbst wenn die Zweitwohnungsteuersatzung wirksam sei, sei die jährliche Nettokaltmiete von der Beklagten im konkreten Fall jedenfalls fehlerhaft festgestellt worden. Die Feststellung der jährlichen Nettokaltmiete in Höhe von 14.484 EUR beruhe weder auf einem Mietspiegel noch einem methodisch nachvollziehbaren Sachverständigengutachten; zur Notwendigkeit von Letzterem werde auf die Rechtsprechung des Bundesfinanz- und Bundesgerichtshofs verwiesen. Es sei vorliegend lediglich eine Schätzung anhand von durchschnittlichen Mietpreisen für Wohnungen, die sich aus Inseraten in Zeitungen und im Internet ergäben, sowie anhand von Mietzusammenstellungen der städtischen Wohnungen und der Wohnungen von Wohnungsbaugenossenschaften erfolgt. Es werde daher insbesondere nicht auf die konkreten Verhältnisse der Zweitwohnung abgestellt.
15
Die Beklagte hat sich im gerichtlichen Verfahren nicht zur Sache geäußert.
16
In der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2019 ist die Beklagte nicht erschienen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
1. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entschieden werden. Die Beklagte ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 18. Oktober 2019 ordnungsgemäß zum Termin geladen und auf die Folgen eines Ausbleibens beim Termin hingewiesen worden.
19
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
20
a) Die Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Dieses wäre beispielsweise dann entfallen, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Dies ist hier nicht der Fall. Die für die Veranlagungsjahre 2011 bis 2017 begehrte Aufhebung des begünstigenden Änderungsbescheids vom 19. Juli 2018 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) würde dem Kläger trotz lediglich begünstigender Wirkung des Bescheids zum Vorteil gereichen, da die entsprechenden belastenden Ausgangsbescheide nicht bestandskräftig geworden sind.
21
Denn die Erhebung der Widersprüche gegen die Ausgangsbescheide ist als fristgerecht anzusehen. Da alle Ausgangsbescheide mit einfachem Brief versandt worden sind, beginnt die Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich mit der Bekanntgabevermutung des jeweils angegriffenen Bescheids gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) i.V.m. Art. 10 Nr. 1, 13 Abs. 1 Nr. 3b Kommunalabgabengesetz (KAG) zu laufen.
22
Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
23
Unabhängig davon, ob die Drei-Tages-Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO insoweit eingreift, haben die Widersprüche gegen die Steuerbescheide vom 27. Juni 2011, 26. April 2013, 28. April 2014, 6. Mai 2015, 18. Juli 2016 und 16. Juni 2017 jedenfalls die einmonatige Widerspruchsfrist gewahrt, selbst wenn man als Tag der Aufgabe zur Post den Tag des Bescheidserlasses sowie eine dreitägige Postlaufzeit zugrunde legt.
24
Dies gilt allerdings nicht für den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. April 2012, der erst am 30. Mai 2012 bei der Beklagten eingegangen ist. Da die Beklagte den Tag der Aufgabe dieses Bescheides zur Post jedoch nicht in der Akte vermerkt oder anderweitig, beispielsweise mittels Postausgangsbuch, nachgewiesen hat, ist die Drei-Tages-Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht ausgelöst worden. Nachdem die Beklagte auch nicht vollen Beweis für den tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs dieses Bescheids erbracht hat, geht die Unerweislichkeit des Zugangszeitpunkts gemäß der in § 122 Abs. 2 Nr. 1 HS. 2 AO vorgesehenen Beweislastregel zu Lasten der Beklagten.
25
Da angesichts dessen nicht von der Bestandskraft der (belastenden) Ausgangsbescheide für die Jahre 2011 bis 2017 auszugehen ist, sondern diese Bescheide vielmehr als rechtzeitig durch Widerspruch angegriffen anzusehen sind, kann der Kläger durch die Anfechtung des (begünstigenden) Änderungsbescheids seine Rechtslage verbessern, so dass sein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht entfallen ist.
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b) Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Zweitwohnungsteuerbescheide der Beklagten vom 27. Juni 2011, 16. April 2012, 26. April 2013, 28. April 2014, 6. Mai 2015, 18. Juli 2016 und 16. Juni 2017 in Gestalt des Änderungsbescheids der Beklagten vom 19. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 5. Oktober 2018 (für die Veranlagungsjahre 2011 bis 2017) sowie der Zweitwohnungsteuerbescheid der Beklagten vom 18. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 5. Oktober 2018 (für das Veranlagungsjahr 2018 sowie die Folgejahre) sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27
aa) Rechtsgrundlage für die Erhebung der Zweitwohnungsteuer durch die Beklagte ist deren Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018.
28
Nach Art. 3 Abs. 1 KAG können Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte mit der Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018 wirksam Gebrauch gemacht. Die inhaltlichen Regelungen verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere ist der Steuermaßstab in § 4 Abs. 3 ZwStS rechtlich nicht zu beanstanden.
29
(1) Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern zulässig (ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 4.4.2006 - 4 N 04.2798 - NJOZ 2006, 2473). Die von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung erhobenen finanzpolitischen Einwände gegen die Erhebung der Zweitwohnungsteuer betreffen Überlegungen, die die (bayerische) Politik anzustellen und zu bewerten hätte, die aber einer gerichtlichen Kontrolle entzogen sind. Insbesondere liegt entgegen der Auffassung des Klägers eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG nicht darin, dass die Beklagte Zweitwohnungsteuer erhebt, andere Gemeinden hingegen nicht. Ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, wird immer nur im Hinblick auf die jeweils abgabenerhebungsberechtigte Körperschaft beurteilt.
30
(2) Das in § 12 ZwStS angeordnete rückwirkende Inkrafttreten der Satzung zum 1. Januar 2011 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Im vorliegenden Fall ist eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig, da die Vorgängersatzung der Beklagten vom 19. Oktober 2010 vom Verwaltungsgericht München für unwirksam gehalten worden ist (VG München, B.v. 14.12.2015 - M 10 S 15.3698; vgl. auch zu einer Satzung einer anderen Gemeinde mit identischen Steuersätzen und der gleichen Staffelung wie in der Satzung der Beklagten: BVerwG, U.v. 14.12.2017 - 9 C 3.17 - BeckRS 2017, 142398).
31
Der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen steht in diesem Fall der Rückwirkung nicht entgegen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Satzungen neu und rückwirkend in Kraft gesetzt werden dürfen, wenn eine bereits bestehende Zweitwohnungsteuersatzung vom Verwaltungsgericht als nichtig angesehen wird, ohne dass ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes vorliegt. In diesen Fällen müssen die Inhaber von Zweitwohnungen im betreffenden Gemeindegebiet nämlich von Anfang an damit rechnen, zur Zweitwohnungsteuer herangezogen zu werden. Sie dürfen nicht berechtigt darauf vertrauen, wegen der vom Verwaltungsgericht festgestellten Nichtigkeit dieser Satzung künftig von der Zweitwohnungsteuer verschont zu werden (vgl. BayVGH, U.v. 23.2.2010 - 4 N 09.1960 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 30.4.2009 - 4 ZB 08.2317 - juris Rn. 10 m.w.N.).
32
(3) Der Steuermaßstab des § 4 Abs. 3 ZwStS ist wirksam; insbesondere verstößt er nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
33
Gemäß § 4 Abs. 3 ZwStS ist die Nettokaltmiete für Wohnungen, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen oder die dem Steuerpflichtigen unentgeltlich oder zu einem Entgelt unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, in der ortsüblichen Höhe anzusetzen. Sie wird von der Beklagten in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.
34
Nach der bayerischen Rechtsprechung ist eine derartige Regelung zulässig (explizit zu einer wortgleichen Regelung: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Es liegt im Ermessen der rechtsetzenden Gemeinde, auf welche Weise sie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen den jährlichen Mietaufwand ermittelt. Da für diese Wohnungen tatsächlich keine Mietausgaben anfallen und damit ein konkreter Anhaltspunkt für den jährlichen Mietaufwand nicht besteht, stellt die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar (s. im Ergebnis auch: VG München, B.v. 28.5.2019 - M 10 S 19.539 - juris; B.v. 22.1.2019 - M 10 S 18.1924; U.v. 26.1.2017 - M 10 K 16.1328 - juris; vgl. auch BayVGH, 7.5.2009 - 4 ZB 08.1342 - BeckRS 2009, 43257; BVerwG, U.v. 14.12.2017, a.a.O.).
35
Nach Auffassung des Gerichts sind im konkreten Fall andere geeignete und ebenso praktikable Maßstäbe nicht erkennbar. Die von der Klagepartei geforderte Einholung eines Sachverständigengutachtens in jedem Einzelfall würde - gerade auch für kleinere Gemeinden - zuviel Verwaltungsaufwand bedeuten (BVerwG, U.v. 14.12.2017, a.a.O., Rn. 27). Das Gleiche gilt für die Erstellung eines Mietspiegels; gerade kleineren Gemeinden mangelt es zudem häufig an der ausreichenden Datenbasis. Angesichts dessen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass zwar ein Mietspiegel erstellt werden kann; eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht (BayVGH, B.v. 21.8.2006 - 4 BV 06.331 - BeckRS 2006, 16122 Rn. 18; BayVGH, B.v. 15.5.2007 - 4 ZB 06.3415 - BeckRS 2007, 29791; BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.).
36
Der Wirksamkeit des Steuermaßstabs in § 4 Abs. 3 ZwStS steht auch nicht der Einwand des Klägerbevollmächtigten entgegen, dass nach den Grundsätzen der Abgabenordnung (§ 162 AO) die Schätzung ultima ratio sein sollte. Denn die Regelung in § 162 Abs. 1 Satz 1 AO, die eine Schätzung ermöglicht, erfordert auf Tatbestandsseite, dass eine Ermittlung oder Berechnung der Besteuerungsgrundlagen nicht möglich ist. Im Fall des § 4 Abs. 3 ZwStS liegt der Fall aber gerade so, dass mangels Mietausgaben eine Ermittlung oder Berechnung der Jahresnettokaltmiete im Sinne des § 4 Abs. 1 ZwStS nicht möglich ist, so dass auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 162 Abs. 1 Satz 1 AO für die konkrete Sachlage eine Schätzung zulässig ist.
37
Auch war die Beklagte rechtlich nicht verpflichtet, in ihrer Satzung zur Bestimmung der Ortsüblichkeit auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur ortsüblichen Vergleichsmiete zu verweisen. Es liegt vielmehr im Ermessen der rechtsetzenden Gemeinde, auf welche Weise sie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen den jährlichen Mietaufwand ermittelt (vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.).
38
(4) Die Höhe des Steuersatzes von 12% in § 5 Abs. 1 ZwStS ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist nicht unverhältnismäßig und hat keine erdrosselnde Wirkung, weil wegen der steuerlichen Belastung das Halten einer Zweitwohnung nicht wirtschaftlich unmöglich gemacht wird. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich Zweitwohnungsteuersätze, die sich in einem Bereich zwischen 10% und 20% des jährlichen Mietaufwands bewegen, keinen rechtlichen Bedenken unterliegen (BayVGH, B.v. 28.10.2009 - 4 ZB 08.1893 - juris Rn. 9; B.v. 30.4.2009, a.a.O., Rn. 12; VG München, U.v. 14.1.2010 - M 10 K 09.1827 - juris Rn. 28). Insoweit wurden seitens der Klagepartei auch keine Rügen erhoben.
39
(5) Im Übrigen werden Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 29. Mai 2018 weder geltend gemacht noch sind Rechtsfehler ersichtlich.
40
bb) Die Beklagte hat die Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018 auf den konkreten Fall auch zutreffend angewandt.
41
(1) Da die Veranlagungen für die Jahre 2011 bis 2017 nach dem oben Ausgeführten nicht bestandskräftig geworden sind, war die Beklagte gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 ZwStS ermächtigt, die Steuer auf der Grundlage der neuen Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Mai 2018 für diese Jahre neu zu berechnen.
42
(2) Der Kläger hat die Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten zur persönlichen Lebensführung im Sinne der §§ 2, 3 Abs. 1 ZwStS inne; insbesondere hat er sie nicht vermietet.
43
(3) Die Beklagte war berechtigt, trotz fehlenden Alleineigentums nur den Kläger zur Zahlung der Zweitwohnungsteuer heranzuziehen, da nach § 3 Abs. 2 ZwStS Miteigentümer als Gesamtschuldner nach § 44 AO haften.
44
(4) Die Berechnung der Steuer nach §§ 4 und 5 ZwStS begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
45
Insbesondere hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts durch die Festlegung des Quadratmeterpreises in Höhe von 7,10 EUR als Berechnungsgrundlage ihren Schätzungsspielraum, der sich aus § 4 Abs. 3 ZwStS ergibt, nicht überschritten. Die Schätzung der Nettokaltmiete der klägerischen Zweitwohnung ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
46
Die Beklagte hat vorliegend anhand der Mietpreise, die sich, soweit angegeben, aus Inseraten vor allem aus den Jahren 2011 und 2012, vereinzelt aber auch aus 2018, für Wohnungen mit einer Größe von 20 bis 195 m² im Durchschnitt ergaben (durchschnittlicher Mietpreis von 8,21 EUR), sowie aus dem durchschnittlichen Mietpreis für städtische Wohnungen und Genossenschaftswohnungen mit Baujahr bis 1991 (durchschnittlicher Mietpreis von 5,97 EUR) für die Zweitwohnung des Klägers einen durchschnittlichen Mietpreis von 7,10 EUR pro Quadratmeter ermittelt.
47
Zwar hat die Beklagte nicht für jedes Veranlagungsjahr eine gesonderte Schätzung vorgenommen. Sie hat ferner bei den Inseraten neben dem Jahr 2011 auch auf die Jahre 2012 und 2018 zurückgegriffen, obwohl die Festsetzung eines Quadratmeterpreises von 7,10 EUR (erstmalig) bereits im Jahr 2011 erfolgt ist. Allerdings ist es wohl dem Umstand geschuldet, dass wegen der Rückwirkung der Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 29. Mai 2018 auf einen Datenpool der Jahre 2011, 2012 und 2018 zurückgegriffen worden ist. Da, soweit ersichtlich, weit überwiegend Quadratmeterpreise der Jahre 2011 und 2012, die schon nach allgemeiner Erfahrung niedriger sein dürften als die des Jahres 2018, herangezogen worden sind, die Zweitwohnungsteuerfestsetzungen im Zeitraum zwischen 2011 und 2018 aber nicht angestiegen sind, ist zudem davon auszugehen, dass sich dies jedenfalls über die Jahre betrachtet nicht belastend für den Kläger ausgewirkt hat. Ein Mietpreisanstieg im Zeitraum 2011 bis 2018 ergibt sich auch unmittelbar aus der Inseratliste der Beklagten, wenn man die Mietpreise für vergleichbar große Wohnungen der Jahre 2011 und 2018, soweit angegeben, vergleicht (z.B. Bl. 80 der Behördenakte: Quadratmeterpreis von 7,38 EUR für eine 80 m² große Wohnung im Jahr 2011, dagegen 10 EUR und 11,73 EUR jeweils für 81 m² große Wohnungen im Jahr 2018).
48
Darüber hinaus hat die Beklagte zwar bei den Inseraten nicht im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der herangezogenen Wohnungen mit der Zweitwohnung des Klägers nach Art, Lage und Ausstattung differenziert. Allerdings wirkt sich dies im Ergebnis nicht negativ für den Kläger aus. Wenn man nämlich aus der Inseratliste nur die von der Größe her vergleichbaren Wohnungen ab 120 m² betrachtet, ergibt sich ein durchschnittlicher Mietpreis von 8,44 EUR pro Quadratmeter, der deutlich über dem hier zugrunde gelegten Preis von 7,10 EUR liegt. Hinzu kommt, dass die klägerische Zweitwohnung eine im Jahr 1985 errichtete Doppelhaushälfte ist, die zwar nicht modernisiert, aber mit Garten, Balkon, Terrasse und Doppelgarage ausgestattet ist. Diese Merkmale dürften sich deutlich wertsteigernd auswirken, sind aber nicht in dieser Weise von der Beklagten in die Steuerberechnung eingestellt worden. Zudem hat die Beklagte den durchschnittlichen Mietpreis für städtische und Genossenschaftswohnungen in die Steuerberechnung mit einbezogen, was sich erheblich mietpreissenkend ausgewirkt hat, aus Sicht des Gerichts mangels Vergleichbarkeit dieser Wohnungen mit der klägerischen Zweitwohnung aber nicht hätte herangezogen werden müssen.
49
Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist auch die konkrete Berechnung nicht deshalb zu beanstanden, weil es an der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Heranziehung eines konkreten Mietspiegels fehlt. Insoweit wird auf die bereits oben gemachten Ausführungen verwiesen.
50
(5) Die Steuer ist gemäß § 6 Abs. 2 ZwStS entstanden. Auch die Festsetzung für die Folgejahre im Bescheid vom 18. Juli 2018 begegnet nach § 7 Abs. 1 Satz 2 ZwStS, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 KAG keinen rechtlichen Bedenken. Die Fälligkeitsregelungen in § 7 Abs. 3 ZwStS und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 KAG wurden beachtet.
51
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.