LG München I, Beschluss v. 10.09.2019 – 5 HK O 11537/19
Titel:

Auskunftsrecht des Sonderprüfers aus § 145 Abs. 2 AktG nicht mittels einstweiliger Verfügung durchsetzbar

Normenkette:
AktG § 145 Abs. 2
Leitsatz:
Das Auskunftsrecht des Sonderprüfers aus § 145 Abs. 2 AktG gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats ist nicht mittels einstweiliger Verfügung durchsetzbar. (Rn. 5 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aktiengesellschaft, Sonderprüfer, Auskunftsrecht, Aufsichtsrat, einstweilige Verfügung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 04.11.2019 – 7 W 1118/19
OLG München, Beschluss vom 02.01.2020 – 7 W 1118/19
Fundstellen:
AG 2019, 848
BeckRS 2019, 23086
ZIP 2019, 2010
LSK 2019, 23086
NZG 2019, 1421
NJW-RR 2020, 27
WM 2020, 142

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird auf € 20.000,- festgesetzt.

Gründe

I. 
1
1. Die Hauptversammlung der P4. AG fasste am 7.6.2019 den Beschluss, den Antragsteller zum Sonderprüfer zur Untersuchung näher beschriebener Vorgänge im Zusammenhang mit der Wandlung von Optionsrechten („Warrants“) in Namensaktien der P4. AG einschließlich der Gewährung einer sog. Kompensation an AVIV Investments Pty Ltd. Gegen diesen Beschluss wurde Anfechtungsklage zum Landgericht München I erhoben. Mit Schreiben vom 19.7.2019 an den Vorstand der P4. AG, Herrn ..., verlangte der Antragsteller Auskünfte und Nachweise in Form von konkret benannten Unterlagen und kündigte an, er wolle gem. § 145 Abs. 1 AktG die Geschäftsunterlagen prüfen, wofür er um Bestätigung eines der vorgenannten Termine bat. Herr Triguboff verweigerte mit Schreiben vom 24.7.2019 (Anlage ASt 4) die Auskunft. Mit Schreiben seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 2.8.2019 regte der Antragsteller beim Amtsgericht München an, gegen Herrn ... wegen der Verletzung seiner bzw. der Gesellschaft Pflichten aus § 145 Abs. 1 und Abs. 2 AktG ein Zwangsgeld nach § 407 Abs. 1 Satz 1 AktG festzusetzen. Der Antragsteller forderte darüber hinaus mit Schreiben vom 24.7.2019 (Anlage ASt 6) den Antragsgegner als Mitglied des Aufsichtsrates der P4. AG auf, ihm näher beschriebene Unterlagen zur Verfügung zu stellen und für eine Befragung durch den Sonderprüfer zur Verfügung zu stehen und dafür Termine vorzuschlagen.
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2. Mit seinem Antrag vom 19.8.2019 (Bl. 1713 d.A.), beim Landgericht München I eingegangen am selben Tag, beantragt der Antragsteller, dem Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufzuerlegen, ihm selbst oder einem von ihm beauftragten zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Dritter den Optionsvertrag vom 17.12.2015 nebst Nachtragsvereinbarung vom 6.12.2016, die Wandlungserklärung der AVIV Investments Pty Ltd zur Wandlung von 916.690 Optionsrechten in ebenso viele Namensaktien der P4. AG, die Rechtsgutachten zweier Anwaltskanzleien zur Wirksamkeit der Vereinbarung, die Darstellung der Organbesetzung seit 2015 bis heute einschließlich der jeweiligen Bestellungsbeschlüsse des Aufsichtsrats bzw. Der Hauptversammlung sowie die Vereinbarung zwischen der P4. AG und der AVIV Investments Pty Ltd. +aber die Gewährung einer Kompensation in Höhe von €760.000,- und die diesbezügliche Korrespondenz einschließlich etwaiger Stellungnahmen externer Berater zur Zahlung der vorgenannten Kompensation zugänglich zu machen einschließlich der Ermöglichung der Anfertigung von Kopien oder der Aushändigung von Kopien der Unterlagen. Weiterhin beantragt er, dem Antragsgegner mittels einstweiliger Verfügung aufzuerlegen, ihm eine Darstellung in geschlossenerweise zu übergeben über die Informationen, die für den Sonderprüfer im Hinblick auf den Sonderprüfungsauftrag aufgrund des Beschlusses der Hauptversammlung von Bedeutung sind, insbesondere eine Darstellung des Sachverhalts im Zusammenhang mit dem Abschluss der Optionsvereinbarung vom 17.12.2015 samt Nachtragsvereinbarung vom 6.12.2016 sowie zur Ausübung der dadurch begründeten Optionsrechte sowie dem Antragsteller drei Termine zu einen Zeitpunkt zu nennen, zu dem er dem Sonderprüfer nebst von ihm beauftragter zur Berufsverschwiegenheit verpflichteter Dritte zur Befragung zur Verfügung stehe sowie tatsächlich an dem vom Sonderprüfer genannten Datum zur Verfügung zu stehen.
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3. Der Antragsgegner hat über seine Prozessbevollmächtigten eine Schutzschrift hinterlegt.
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4. Der Vorsitzende hat der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 19.8.2019 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung übermittelt. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.
II.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller gewünschte Einsicht in die Unterlagen kann nicht mittels einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden. Dabei ist bereits davon auszugehen, dass der Antrag aus den nachstehenden Gründen nicht statthaft ist, weil der geltend gemachte Anspruch aus § 145 Abs. 2 AktG nicht mittels einstweiliger Verfügung durchsetzbar ist. Nach dieser Vorschrift kann der Sonderprüfer von den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, welche die sorgfältige Prüfung der Vorgänge notwendig macht. Die Systematik des Aktienrechts im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten des Sonderprüfers aus § 145 AktG zeigt aber, dass der sich gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats richtende Anspruch nicht mittels einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden kann; gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats gibt es keine unmittelbare Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung dieses Anspruchs (so die h.M.; vgl. Rieckers/Vetter in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 145 Rdn. 76; Wilsing/von der Linden in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., § 145 Rdn. 5; K. Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, 3. Auf., § 145 Rdn. 19; Zwissler in: Wächter, AktG, 3. Aufl., § 145 Rdn. 7; Mock in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 145 Rdn. 14; Slavik WM 2017, 1684, 192 f.). Der Gegenansicht, die einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auch gegen Mitglieder des Aufsichtsrats annimmt (so der zur Veröffentlichung beigefügte Beitrag von Mock), vermag die Kammer nicht zu folgen. Der gesetzessystematische Zusammenhang spricht gegen diese nunmehr von Mock vertretene Auffassung.
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a. Aufgrund von § 407 Abs. 1 AktG sind Vorstandsmitglieder, nicht aber die Mitglieder des Aufsichtsrates, die § 145 AktG nicht befolgen, hierzu vom Registergericht durch Festsetzung von Zwangsgeld anzuhalten. Somit sieht das Gesetz ein besonderes Verfahren vor, mit dem ein Organ der Gesellschaft zur Kooperation gezwungen werden kann. Dabei gewährt die Regelung in § 145 Abs. 1 AktG, wonach der Vorstand den Sonderprüfern zu gestatten hat, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, zu prüfen, ein umfassendes Prüfungsrecht
(vgl. Arnold in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 145 Rdn. 16; RieckersA/etter in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 145 Rdn. 36; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 145 Rdn. 9)
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Die Vorschrift des § 145 Abs. 2 AktG mit dem darin enthaltenen Auskunftsrecht ergänzt aber ihrem Wesen nach nur die Regelung in § 145 Abs. 1 AktG (vgl. Arnold in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 145 Rdn. 18; Rieckers/Vetter in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 145 Rdn. 51). Dann aber würde es einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn dieses bei weitem nicht so umfangreiche Recht aus § 145 Abs. 2 AktG mit einem Rechtsbehelf durchgesetzt werden könnte, der in Richtung auf die erlangten Informationen sehr viel direkter einen Zugriff ermöglicht als das Zwangsgeldverfahren aus § 407 Abs. 1 AktG.
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b. Der Hinweis auf den besonderen Vertreter im Sinne des § 147 AktG, dem ein eigenes, auch mittels einstweiliger Verfügung durchsetzbares Auskunftsrecht zugestanden wird
(so OLG München NZG 2008, 230, 233 ff. = AG 2008, 172, 174 f. = ZIP 2008, 73, 76 f.; OLG Köln NZG 2016, 147, 148 = AG 2016, 254, 255 f. = ZIP 2015, 2470, 2471; LG München I NZG 2007, 916, f. = AG 2007, 756, 757 = ZIP 2007, 1809, 1812; Mock in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., § 147 Rdn. 135; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 147 Rdn. 28),
verfängt gleichfalls nicht. Dies ergibt sich aus dem Unterschied der Rechtsstellung und Funktionen. Es ist Aufgabe des besonderen Vertreters, bestimmte Ersatzansprüche geltend zu machen und gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen. Dazu bedarf er gerade bestimmter Informationen, wobei er als Organ an die Stelle von Vorstand und Aufsichtsrat tritt. Allerdings wird auch dies nur als Annex zu der eigentlichen Aufgabe des besonderen Vertreters gesehen. Eine § 407 Abs. 1 AktG vergleichbare Sanktionierung gibt es im Rahmen des Anwendungsbereichs von § 147 AktG aber nicht. Auch sieht § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Frist zur Geltendmachung von sechs Monaten vor. Insoweit unterscheidet sich die Figur des besonderen Vertreters deutlich von der des Sonderprüfers, dessen Tätigkeit mit einem schriftlichen Bericht an die Hauptversammlung endet, wie sich aus § 145 Abs. 6 Satz 1 AktG ergibt. Auch ist er im Gegensatz zum besonderen Vertreter kein Organ der Gesellschaft. Ein Vergleich mit der Berichtspflicht des Vorstands im Sinne der §§ 90, 111 Abs. 2 AktG rechtfertigt kein anderes Ergebnis, auch wenn dort angenommen wird, die Gesellschaft oder der Aufsichtsrat könne die Berichtspflicht des Vorstands unabhängig von § 407 Abs. 1 AktG im Klagewege durchsetzen (vgl. Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., § 90 Rdn. 67; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 90 Rdn. 16; Kort in: Großkommentar zum AktG,5. Aufl., § 90 Rdn. 192). Der wesentliche Unterschied liegt nämlich darin, dass es hier im die Einhaltung von Pflichten gegenüber einem anderen Organ der Aktiengesellschaft geht, das die Vorstandstätigkeit insgesamt zu überwachen hat. Zu der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats gehört auch die Rechtmäßigkeitskontrolle des Verwaltungshandelns und damit die Möglichkeit, das Vorstandshandeln gerichtlich überprüfen zu können und gegebenenfalls zu müssen. Daher ist die Exklusivität von § 407 Abs. 1 AktG bei § 90 AktG gerade nicht gerechtfertigt.
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c. Der Hinweis auf die zum Teil in der Literatur angenommene Möglichkeit eines eigenen Klagerechts des Abschlussprüfers (so Habersack/Schürnbrand in: Großkommentar zum HGB, 5. Aufl., § 320 Rdn. 32) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Rechtsstellung des Sonderprüfers ist zwar durchaus mit der des Abschlussprüfers vergleichbar, wie sich aus dem Verweis in § 144 AktG auf die Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers nach § 323 HGB ergibt. Hinsichtlich der Durchsetzung der Rechte unterscheiden sich die beiden Prüfer indes entscheidend voneinander. Der Gesetzgeber hat nämlich mit dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz - BilMoG) vom 25.5.2019, BGBl IS. 1102 die Vorschrift des § 324 HGB über die Möglichkeit der Zwangsgeldfestsetzung aufgehoben und mit einem vollständig anderen Inhalt neu gefasst.
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Angesichts dessen konnte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung keinen Erfolg haben, was auch für die Anträge unter Ziffern II. und III. des Antrags gelten muss, nachdem diese eine entsprechende auf dem Rechtsweg durchsetzbare Pflicht aus § 145 Abs. 2 AktG voraussetzen, die aber aus den genannten Gründen zu verneinen ist.
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2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; als Unterlegener hat der Antragsteller die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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3. Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in §§ 48 Abs. 1GKG, 3 ZPO.