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BayStVollzG
Text gilt ab: 01.01.2023
Fassung: 10.12.2007
Art. 108
Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
(1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind auch gegen den natürlichen Willen der Gefangenen zulässig, um
1.
eine konkrete Gefahr für das Leben oder eine konkrete schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der betroffenen Gefangenen oder
2.
eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer dritten Person
abzuwenden.
(2) Maßnahmen nach Abs. 1 dürfen nur angeordnet werden, wenn
1.
ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der beabsichtigten Maßnahmen aufgeklärt wurde,
2.
zuvor frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht wurde, die Zustimmung der Gefangenen zu erhalten,
3.
die Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr geeignet sind,
4.
mildere Mittel keinen Erfolg versprechen,
5.
der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt,
6.
Art und Dauer auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt werden und
7.
in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 zusätzlich
a)
die betroffenen Gefangenen krankheitsbedingt nicht zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht fähig sind und
b)
der nach § 1827 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu beachtende Wille der Gefangenen nicht entgegensteht.
(3) 1Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes oder einer Ärztin durchgeführt werden. 2Die Anordnung bedarf der Zustimmung des Anstaltsleiters oder der Anstaltsleiterin. 3Sie gilt höchstens für die Dauer von zwölf Wochen und kann wiederholt getroffen werden. 4Das Recht zur Leistung erster Hilfe für den Fall, dass ein Arzt oder eine Ärztin nicht rechtzeitig erreichbar und mit dem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist, bleibt unbeschadet. 5Die Maßnahmen sind zu dokumentieren; dabei werden festgehalten:
1.
die Gründe für ihre Anordnung,
2.
ihr Zwangscharakter,
3.
die Art und Weise ihrer Durchführung,
4.
die vorgenommenen Kontrollen,
5.
die ärztliche Überwachung der Wirksamkeit,
6.
die Aufklärung nach Abs. 2 Nr. 1 und der Versuch, die Zustimmung des Gefangenen zu erhalten, nach Abs. 2 Nr. 2,
7.
Erklärungen des oder der Gefangenen, die im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen von Bedeutung sein können.
(4) 1Die Anordnung der Maßnahme ist vor ihrer Durchführung schriftlich bekannt zu geben
1.
dem oder der Gefangenen und
2.
einem Betreuer oder einem Bevollmächtigten im Sinn des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB; soweit eine solche Person nicht bekannt ist, regt die Justizvollzugsanstalt unverzüglich die Bestellung eines Betreuers bei Gericht an.
2Die Bekanntgabe ist mit der Belehrung zu verbinden, dass gegen die Anordnung bei Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden kann. 3Die Maßnahme darf erst dann vollzogen werden, wenn der oder die Gefangene und eine Person nach Satz 1 Nr. 2 die Gelegenheit hatten, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.
(5) 1Bei Gefahr in Verzug kann von den Vorgaben gemäß Abs. 2 Nr. 1, 2, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 abgewichen werden. 2Unterbliebene Mitteilungen nach Abs. 2 Nr. 1 sowie Abs. 4 Satz 1 sind unverzüglich nachzuholen.
(6) Die zwangsweise körperliche Untersuchung zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist über die Abs. 1 bis 5 hinaus zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist.