Inhalt

Text gilt ab: 20.10.2014

3. Mitwirkung von Schulleiterinnen, Schulleitern und Lehrkräften bei strafrechtlichen Ermittlungen

3.1. 

Im Jugendstrafverfahren sollen nach Verfahrenseinleitung so bald wie möglich die Lebens- und Familienverhältnisse, der Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände ermittelt werden, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können. Die Schule soll, soweit möglich, gehört werden (§ 43 Abs. 1 JGG).

3.2. 

Für Schulleiterinnen, Schulleiter und Lehrkräfte bestehen hinsichtlich der Mitwirkung folgende Regelungen:

3.2.1. 

Nach § 37 Abs. 3 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) dürfen Beamtinnen oder Beamte ohne Genehmigung über Angelegenheiten, über die sie Verschwiegenheit zu bewahren haben (§ 37 Abs. 1 BeamtStG), weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben.
Soweit die Amtsverschwiegenheit reicht, entfallen Aussagepflicht und Aussagebefugnis. Eine Belehrung hierüber durch die vernehmende Stelle ist nicht vorgeschrieben. Ob die Aussage Umstände betrifft, auf die sich die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, entscheidet zunächst der Zeuge selbst. Schon im Zweifelsfalle ist er berechtigt und verpflichtet, zunächst die Aussage zu verweigern. Mit der Erteilung der Aussagegenehmigung tritt die allgemeine Zeugenpflicht wieder in Kraft.
Soll ein Beamter oder eine andere Person des öffentlichen Dienstes als Zeuge vernommen werden und erstreckt sich die Vernehmung auf Umstände, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, so holt die Stelle, die den Zeugen vernehmen will, die Aussagegenehmigung von Amts wegen ein (Nr. 66 Abs. 1 Satz 1 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)). Es steht der betroffenen Schulleiterin, dem betroffenen Schulleiter oder der betroffenen Lehrkraft frei, den Antrag auf Erteilung der Aussagegenehmigung unter Vorlage der Ladung selber zu stellen.
Die Genehmigung erteilt der oder die Dienstvorgesetzte oder, wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, der oder die letzte Dienstvorgesetzte (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG)). Hat sich der Vorgang, den die Äußerung betrifft, bei einem früheren Dienstherrn ereignet, so darf die Genehmigung nur mit dessen Zustimmung erteilt werden.
Die Genehmigung, als Zeugin oder Zeuge auszusagen, darf nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes erhebliche Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG). Die Genehmigung, ein Gutachten zu erstatten, kann versagt werden, wenn die Erstattung den dienstlichen Interessen Nachteile bereiten würde (§ 37 Abs. 4 Satz 3 BeamtStG). Über die Versagung der Aussagegenehmigung entscheidet bei staatlichen Lehrkräften das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst als oberste Dienstbehörde (Art. 6 Abs. 3 Satz 3 BayBG).
Für angestellte Lehrkräfte gilt Entsprechendes.
Für den Umfang der Verschwiegenheitspflicht ist § 14 Abs. 1 Lehrerdienstordnung (LDO) maßgebend.

3.2.2. 

Schulleiterinnen, Schulleiter und Lehrkräfte sind verpflichtet, als Zeugen oder Sachverständige auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und (im Rahmen der Aussagegenehmigung) zur Sache auszusagen oder ihr Gutachten zu erstatten (§ 161a Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO)). Dabei stehen ihnen gegebenenfalls die allgemeinen Rechte zur Verweigerung des Zeugnisses und der Auskunft zu, über die sie von den Ermittlungsbehörden zu belehren sind. Ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht für Schulleiterinnen, Schulleiter oder Lehrkräfte sieht das Gesetz nicht vor.
Es besteht keine Rechtspflicht, vor der Polizei auf Ladung zu erscheinen und zur Sache auszusagen oder ein Gutachten zu erstatten. Doch wird sich dies (nach erteilter Aussagegenehmigung) im Interesse der sachgerechten Verfahrensabwicklung und zur Vermeidung einer Ladung vor die Staatsanwaltschaft regelmäßig empfehlen.

3.2.3. 

Nach § 161 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Schule Auskünfte verlangen und in der Schule sonstige Ermittlungen jeder Art entweder selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen lassen. Die Schule ist insbesondere verpflichtet, Gegenstände, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, vorzulegen und auszuliefern. Der Herausgabepflicht unterliegen grundsätzlich auch alle amtlichen Schriftstücke, z.B. auch Schülerbogen, Schülerakt; etwas anderes gilt nur, wenn das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst erklärt hat, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde (Sperrerklärung gemäß § 96 StPO).
Nach § 163 StPO sind die Behörden und Beamten des Polizeidienstes befugt, die Schule um Auskunft zu ersuchen, bei Gefahr im Verzug auch die Auskunft zu verlangen, sowie Ermittlungen jeder Art vorzunehmen. In den Fällen des polizeilichen Fragerechts wird sich die Erteilung der Auskunft im Interesse der sachgerechten Verfahrensabwicklung regelmäßig empfehlen.
Auskünfte oder Herausgaben der Schule nach §§ 161, 163 StPO erfolgen grundsätzlich durch die Schulleiterin oder den Schulleiter. Die Einholung einer Aussagegenehmigung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen für eine Sperrerklärung nach § 96 StPO vorliegen, so soll die Schulleiterin bzw. der Schulleiter Rücksprache mit der oder dem Dienstvorgesetzten halten.
Lehrkräfte dürfen Auskünfte gegenüber den Ermittlungsbehörden oder -beamten nur nach vorheriger Ermächtigung durch die Schulleiterin oder den Schulleiter geben.

3.3. 

Die Mitwirkung von Schulleiterinnen, Schulleitern und Lehrkräften ist auch im Rahmen einer Glaubwürdigkeitsprüfung von Kindern und Jugendlichen als Zeugen in Ermittlungs- und Strafverfahren erforderlich.
Schulleiterinnen, Schulleiter und Lehrkräfte können zur Persönlichkeit einer Schülerin oder eines Schülers als Zeugen vernommen werden. Insoweit gelten die Hinweise unter den Nrn. 3.2.1 und 3.2.2.
Es kann aber auch eine gutachtliche Auskunft der Schule über die Persönlichkeit der Schülerin oder des Schülers angefordert werden; es gelten hierfür die Ausführungen unter Nr. 3.2.3. Die Strafverfolgungsbehörden haben bei der Anforderung von Auskünften den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Strafverfolgungsbehörden werden solche Gutachten grundsätzlich nur bei Ermittlungen wegen schwerwiegender Straftaten einholen und nur solche Fragen stellen, auf deren Beantwortung es für das Ermittlungsverfahren wesentlich ankommt. Bei ernsthaften Zweifeln an der Einhaltung dieser Grundsätze ist die Schulaufsichtsbehörde unverzüglich zu verständigen.

3.4. 

Bei allen Zeugen- oder gutachtlichen Aussagen oder Erklärungen ist darauf zu achten, dass Behauptungen auf Tatsachen beruhen müssen und Wertungen als solche zu kennzeichnen sind.

3.5. 

Polizeiliche Vernehmungen von Minderjährigen und Heranwachsenden in Schulen werden mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, z.B. wenn eine richterliche Anordnung vorliegt, wegen der besonderen Tatumstände dort ermittelt werden muss, die Ermittlungen sonst erheblich erschwert würden oder der Ermittlungserfolg gefährdet wäre. Auf die Belange der Schule ist Rücksicht zu nehmen; die Schule ist zu verständigen (vgl. Nr. 3.6.19 der Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 „Bearbeitung von Jugendsachen “ (Ausgabe 1995)).
Die Schülerinnen und Schüler sind von der Schule darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich vor der Polizei zur Sache zu äußern. Die Beachtung der Vorschriften über das Recht zur Aussageverweigerung, Zeugnisverweigerung oder Auskunftsverweigerung ist Sache der vernehmenden Polizeibeamten. Ist jedoch die Schule der Auffassung, dass eine minderjährige Schülerin oder ein minderjähriger Schüler wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Verweigerungsrechts keine zutreffende Vorstellung hat, so hat sie die vernehmenden Polizeibeamten unbeschadet deren eigener Prüfungspflicht und unbeschadet deren Verantwortung darauf hinzuweisen.
Weitere Einzelheiten zum Vorgehen der Polizei bei der Belehrung und Vernehmung von minderjährigen Tatverdächtigen oder Zeugen sind Nr. 3.4 bis 3.6 der Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 „Bearbeitung von Jugendsachen “ (Ausgabe 1995) zu entnehmen.