Inhalt

Text gilt ab: 01.09.2021
Gesamtvorschrift gilt bis: 31.12.2026

2. Verfahren

2.1 Zuständigkeit

2.1.1 

1Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 37 OWiG. 2Auf die Zuständigkeit verschiedener Verwaltungsbehörden bei zusammenhängenden Ordnungswidrigkeiten wird hingewiesen (§ 38 OWiG).

2.1.2 

Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG in Verbindung mit §§ 87 ff. ZustV.

2.1.3 Zuständige Behörde

1Bei Zuständigkeit mehrerer Verwaltungsbehörden (§ 39 OWiG) ist die vorzuziehende Verfolgungsbehörde unverzüglich festzulegen. 2Dabei erscheint ebenso wie bei einer Vereinbarung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 OWiG wegen § 19 Abs. 2 OWiG eine Übertragung an die Behörde sachdienlich, die für die mit der höchsten Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit zuständig ist. 3Ansonsten sollte der Schwerpunkt der Ordnungswidrigkeiten entscheidend sein. 4Sind innerhalb einer Verwaltungsbehörde mehrere Sachbereiche zuständig, soll auf die Übernahme durch eine Stelle unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze hingewirkt werden. 5Diese führt mit Unterstützung der anderen betroffenen Stellen das Verfahren durch und unterrichtet diese auch über den weiteren Verlauf des Verfahrens.

2.2 Allgemeines

2.2.1 Definitionen

1Eine Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes (förmliches Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung) verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt (§ 1 Abs. 1 OWiG). 2Eine Straftat ist eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe) zulässt.

2.2.2 Abgabe an die Staatsanwaltschaft

1Die Verwaltungsbehörde hat die Sache an die zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die zu verfolgende Tat eine Straftat ist (§ 41 Abs. 1 OWiG). 2Eine Sache ist im Hinblick auf § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG auch dann als Straftat zu behandeln und damit an die Staatsanwaltschaft abzugeben, wenn durch dieselbe Handlung (Tateinheit) oder durch mehrere Handlungen innerhalb eines einheitlichen Ereignisses (Verknüpfung mehrerer Handlungen in einem einheitlichen Lebensvorgang) sowohl der Tatbestand einer Straftat als auch einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht wird. 3Wird jedoch in diesen Fällen eine Strafe nicht verhängt, ist eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit möglich (§ 21 Abs. 2 OWiG). 4Bei Handlungen, die je nach den Umständen des Einzelfalles (insbesondere im Hinblick auf die Tatbegehung oder den subjektiven Tatbestand) als Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden können (Mischtatbestände), ist für die Abgabe regelmäßig ausreichend, wenn der objektive Tatbestand erfüllt ist und keine offensichtlichen sonstigen Gründe gegen eine Strafbarkeit sprechen. 5Der Umstand, inwieweit der Betroffene auf der subjektiven Ebene vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, unterliegt der vorrangigen Beurteilung durch die für die Verfolgung der Straftat zuständigen Staatsanwaltschaft. 6Typische Mischtatbestände finden sich zum Beispiel im Bereich des Lebensmittel- und Futtermittelrechts in den in § 60 Abs. 1 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) genannten Fällen, die bei vorsätzlicher Begehungsweise als Straftat und im Falle von Fahrlässigkeit gemäß § 60 Abs. 1 LFGB als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können. 7Sieht die Staatsanwaltschaft davon ab, ein Strafverfahren einzuleiten, so gibt sie die Sache an die Verwaltungsbehörde zurück (§ 41 Abs. 2 OWiG).

2.2.3 Fahrlässige Begehung

Eine Ahndung von Ordnungswidrigkeiten erfolgt bei Vorsatz, bei Fahrlässigkeit nur, wenn die fahrlässige Begehung ausdrücklich bewehrt ist.

2.2.4 Tateinheit oder Tatmehrheit

1Verletzt dieselbe Handlung mehrere Gesetze, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, oder ein solches Gesetz mehrmals (Tateinheit), so wird nur eine einzige Geldbuße festgesetzt. 2Sind mehrere Gesetze verletzt, so wird die Geldbuße nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Geldbuße androht (§ 19 OWiG). 3Werden durch mehrere rechtlich selbstständige Handlungen mehrere Ordnungswidrigkeiten begangen (Tatmehrheit), so wird für jede eine Geldbuße gesondert festgesetzt (§ 20 OWiG).

2.2.5 Besondere Personengruppen

1Handelt jemand für einen anderen (als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, als gesetzlicher Vertreter eines anderen oder als Beauftragter in einem Betrieb), sind die besonderen Bestimmungen des § 9 OWiG zu beachten. 2Gegen juristische Personen und Personenvereinigungen kann unter den Voraussetzungen des § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden. 3Hinsichtlich des Tatbestands der Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen durch den Inhaber oder diesem gleichstehende Personen wird auf § 130 OWiG hingewiesen.

2.3 Opportunitätsermessen

1Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde (§ 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG). 2Im Rahmen der Ermessenausübung sind stets sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wie zum Beispiel
Bedeutung und Auswirkung der Tat
Grad der Vorwerfbarkeit
Wiederholungsgefahr (auch durch andere)
Häufigkeit gleichartiger Verstöße
Tätereinstellung zur Rechtsordnung
Folgen der Tat für den Betroffen
Nachtatverhalten.
3Ein Bußgeldverfahren soll eingeleitet werden, wenn aufgrund von behördlichen Feststellungen, insbesondere durch amtliche Kontrollen, Anhaltspunkte für eine nicht geringfügige Ordnungswidrigkeit vorliegen und der Verfolgung keine Hindernisse (zum Beispiel Verjährung) entgegenstehen. 4Dies gilt unabhängig von etwaigen präventiven Anordnungen zur Beseitigung festgestellter oder zur Vermeidung zukünftiger Verstöße. 5Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens abgesehen werden. 6Für die Einstufung einer Ordnungswidrigkeit als geringfügig sind vor allem das Maß der Gefährdung oder Schädigung der geschützten Güter sowie das Täterverhalten (Notwendigkeit einer spürbaren Sanktion zur Beeinflussung künftigen Verhaltens) zu berücksichtigen. 7Wird bereits der objektive Verstoß gegen Rechtsvorschriften des Lebensmittel- und Veterinärrechts als nicht geringfügig beurteilt, ist jedenfalls auch die Ordnungswidrigkeit als nicht geringfügig einzustufen. 8Der Rechtsgedanke der §§ 153b StPO und 60 StGB findet auch im Rahmen des OWiG Anwendung. 9Unmittelbare und mittelbare Folgen der Tat, die den Täter so schwer treffen, dass eine Ahndung offensichtlich verfehlt wäre, sind zu Gunsten des Täters zu berücksichtigen und können dazu führen, dass von einem Verfahren abgesehen wird. 10Aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift fallen jedoch anderweitig rechtlich vorgeschriebene Maßnahmen der Behörden, wie zum Beispiel, die Anordnung eines Tierhaltungsverbotes oder eine Veröffentlichung von Rechtsverstößen nach § 40 Abs. 1a LFGB nicht hierunter. 11Liegt ein Verstoß gegen Cross Compliance(CC)-Verpflichtungen vor, kann auch bei nicht geringfügigen Ordnungswidrigkeiten von einer Bußgelderhebung abgesehen werden, wenn zu erwarten ist, dass mit der Kürzung von CC-relevanten Zahlungen (wie zum Beispiel Direktzahlungen) eine dem Bußgeld vergleichbare Sanktionswirkung erreicht wird (vergleiche Punkt 4.7.1 der übergeordneten Verfahrensanweisung zu CC-Kontrollen, Ü-VA-CC-K03-08). 12Wird im konkreten Einzelfall kein Bußgeldverfahren eingeleitet, sind die hierfür maßgeblichen Gründe in den Akten nachvollziehbar zu dokumentieren.

2.4 Verwarnung

1Ist eine Ordnungswidrigkeit als geringfügig zu beurteilen, kann von der Durchführung eines Bußgeldverfahrens abgesehen und eine Verwarnung erteilt werden (§ 56 Abs. 1 OWiG). 2Dabei soll ein Verwarnungsgeld vorgesehen werden, wenn die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld unzureichend ist. 3Die Erfordernisse des § 56 Abs. 2 OWiG sind zu beachten (Einverständnis des Täters nach Belehrung; Zahlung des Verwarnungsgeldes sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist, die eine Woche betragen soll).

2.5 Bußgeldbemessung

2.5.1 Höhe der Geldbuße

1Gemäß § 17 Abs. 1 OWiG beträgt die Höhe der Geldbuße bei vorsätzlichem Handeln mindestens fünf Euro und höchstens 1 000 Euro, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt. 2Das Lebensmittel- und Veterinärrecht enthält jedoch regelmäßig spezielle Bestimmungen zur Höhe der Geldbuße (vergleiche zum Beispiel § 60 Abs. 5 LFGB, Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung, § 32 Abs. 3 Tiergesundheitsgesetz und andere). 3Die dort vorgesehenen Bußgeldrahmen sind im Regelfall deutlich höher als § 17 Abs. 1 OWiG. 4Gemäß § 17 Abs. 2 OWiG kann fahrlässiges Handeln im Höchstmaß nur mit der Hälfte des angedrohten Höchstbetrages der Geldbuße geahndet werden, wenn das Gesetz für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln Geldbuße androht, ohne im Höchstmaß zu unterscheiden (zum Beispiel § 60 Abs. 5 LFGB). 5Bei nicht geringfügigen, fahrlässigen Ordnungswidrigkeiten ist bei erstmaliger Begehung in der Regel eine Bußgeldhöhe von mindestens 100 Euro vorzusehen. 6Wird eine solche Ordnungswidrigkeit vorsätzlich begangen, ist in der Regel eine Bußgeldhöhe von mindestens 200 Euro vorzusehen. 7Der wirtschaftliche Vorteil aus der Tat ist jedoch mindestens abzuschöpfen, er bildet die Untergrenze der zu verhängenden Geldbuße (vergleiche unten Nr. 2.5.2.4). 8Wird im Rahmen der nächsten Regel- oder Anlasskontrolle ein gleichartiger Verstoß festgestellt, so ist von einer Wiederholungstat auszugehen. 9Hierfür ist das zuletzt festgesetzte Bußgeld deutlich zu erhöhen, in der Regel mindestens zu verdoppeln (bis zur Ausschöpfung des Bußgeldrahmens). 10Sofern die vorangehende Tat fahrlässig begangen wurde, ist im Rahmen der Wiederholung insbesondere der Vorsatz und damit gegebenenfalls das Vorliegen einer Straftat zu prüfen. 11Rechtskräftige Bußgeldentscheidungen, bei denen die Geldbuße mehr als 200 Euro beträgt, sind dem Bundesamt für Justiz als Registerbehörde im Hinblick auf die Eintragung in das Gewerbezentralregister gemäß § 149 Abs. 3 Satz 1 GewO mitzuteilen.

2.5.2 Kriterien

2.5.2.1 Bedeutung der Ordnungswidrigkeit (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG)

1Im Vordergrund stehen hier die konkrete Tathandlung und die Auswirkungen der Tat. 2An dieser Stelle sind Umstände wie die Ausführung durch Unterlassen, Beteiligung und Versuch zu werten. 3Bußgelderhöhend wirkt beispielweise, wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsgutes nach den Umständen des Einzelfalles überdurchschnittlich hoch ist. 4Umgekehrt wirkt eine geringe Beeinträchtigung bußgeldermäßigend. 5Des Weiteren wirkt es bußgelderhöhend, wenn die Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs oder eines Gewerbes begangen wurde, sofern der Tatbestand auch ohne diesen Zusammenhang verwirklicht werden kann. 6Ebenfalls bußgelderhöhend wirkt es, wenn der rechtwidrige Zustand für einen gewissen Zeitraum vorwerfbar herbeigeführt wurde.

2.5.2.2 Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG)

1Hierbei ist innerhalb der jeweiligen Schuldform abzustufen, in welchem Maße ein Verschulden vorliegt. 2Bei Vorsatz ist somit nach Absicht, Vorsatz oder bedingtem Vorsatz zu differenzieren. 3Hierbei sind Motiv und Ziel des Täters zu berücksichtigen. 4Bei Fahrlässigkeit ist zwischen grober Fahrlässigkeit, Fahrlässigkeit und leichter Fahrlässigkeit zu differenzieren. 5Weitere Aspekte sind zum Beispiel:
Verhalten nach der Tat, insbesondere unverzügliche Beseitigung der Rechtsverstöße
Reue
Geständnis
Vorliegen einer Zwangslage.
6Bußgelderhöhend wirkt es beispielsweise, wenn sich der Täter uneinsichtig zeigt. 7Umgekehrt wirkt es bußgeldermäßigend, wenn sich der Täter einsichtig zeigt und daher eine Wiederholung nicht zu befürchten ist.

2.5.2.3 Wirtschaftliche Verhältnisse des Täters (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG)

1Im Rahmen der Bemessung der Höhe der Geldbuße kommen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters lediglich „in Betracht“, das heißt, sie sind gegenüber den Grundlagen für die Zumessung der Geldbuße (vergleiche Nr. 2.5.2.1 und 2.5.2.2) nur nachrangig zu berücksichtigen. 2Mit Blick auf die spezialpräventive Funktion der Geldbuße ist es geboten, diese so zu bemessen, dass sie den Täter spürbar trifft. 3So wirkt es bußgelderhöhend, wenn der Täter ersichtlich in überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.

2.5.2.4 Übersteigen des wirtschaftlichen Vorteils (§ 17 Abs. 4 OWiG)

1 § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG sieht als weiteres, eigenständiges Zumessungskriterium vor, dass die Geldbuße so zu bemessen ist, dass sie den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigt. 2Hierfür kann gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG das gesetzliche Höchstmaß, das der jeweilige Bußgeldrahmen vorsieht, überschritten werden (Rechtsgedanke der Einziehung). 3Neben den ahndenden Teil der Geldbuße tritt also ein eigenständiger, abschöpfender Teil, dessen Höhe sich allein nach dem vom Täter gezogenen wirtschaftlichen Vorteil bestimmt. 4Dieses Zumessungskriterium bestimmt zugleich die Mindesthöhe des Bußgeldes (vergleiche Nr. 2.5.1).