Titel:
Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Einstweilige Verfügung, Identifizierende Berichterstattung, Wahre Tatsachenbehauptung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Glaubhaftmachung, Social Media, Bildberichterstattung, Antrag auf Erlaß, Prozeßbevollmächtigter, Unwahre Tatsachenbehauptung, Personenbezogenheit, Anlagen zum Protokoll, Anknüpfungstatsachen, Unternehmenspersönlichkeitsrecht, Bedürfnisprüfung, Öffentliches Interesse, Meinungsfreiheit, mündlich Verhandlung, Erhebliches öffentliches Interesse
Schlagwort:
Persönlichkeitsrecht
Fundstellen:
GRUR-RS 2024, 43332
LSK 2024, 43332
ZUM-RD 2025, 140
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Verfügungskläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Verfügungskläger begehrt von der Verfügungsbeklagten Unterlassung im Zusammenhang mit Wort- und Bildberichterstattungen.
2
Der Verfügungsklägler befand sich am 18.05.2024 im „…“ auf S., wo Besucher zu dem Lied „L'Amour toujours“ tanzten und in Teilen auch sangen, wobei wiederum machen von ihnen den Originaltext durch die Zeilen „Deutschland den Deutschen Ausländer raus“ ersetzten. Videoaufnahmen davon wurden in der Öffentlichkeit als sog. „S.-Video“ bekannt. Nach Bekanntwerden veröffentlichte der Verfügungskläger auf seinem Social-Media-Account unter „…“ bzw. „…“ eine Entschuldigung und erklärte zugleich, zum Schutz von Freunden und Verwandten, die nicht an den Geschehnissen im … beteiligt gewesen seien, aber jetzt beleidigt und bedroht würden, alle sozialen Kanäle zu verlassen. Für die Einzelheiten wird auf die Anlage zum Protokoll vom 18.07.2024 Bezug genommen.
3
Die Verfügungsbeklagte betreibt das Nachrichtenportal „…“ und berichtete über das Geschehen in mehreren Beiträgen, die z.T. – auch – mit Abbildungen des Verfügungsklägers bebildert sind.
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So verbreitete die Verfügungsbeklagte am 27.05.2024 einen Artikel unter der Überschrift „Staatsanwalt ermittelt gegen drei S.-Schnösel“, welches mit einem Foto des Verfügungsklägers mit ausgestreckter, nach oben zeigender rechter Hand und zwei unter der Nase über die Oberlippe gehaltenen Fingern zeigt; für die Einzelheiten wird auf die Anlage AST 1 Bezug genommen.
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Gleichfalls am 27.05.2024 veröffentlichte sie einen Artikel unter der Überschrift „Kein S.-Problem, sondern ein Deutschland-Problem“, wiederum bebildert mit einem Foto, das den Verfügungskläger in der vorbeschriebenen Weise zeigt. Zudem heißt es darin u.a. „… aus … hebt den rechten Arm zum Hitlergruß und deutet mit seinen Fingern ein Hitler-Bärtchen an (…).“ Für den Inhalt des Artikels wird im Übrigen auf die Anlage AST 2 Bezug genommen.
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Zudem veröffentlichte die Verfügungsbeklagte Ausschnitte des „S.-Videos“ unter …. Auch darin ist der Verfügungskläger zu sehen.
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Am 11.06.2024 veröffentlichte die Verfügungsbeklagte schließlich einen Artikel unter der Überschrift „AfD will Debatte über S.-Video“, welcher wiederum mit einem Video-Standbild bebildert war, das den Verfügungskläger in der oben beschriebenen Pose zeigt.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.06.2024 ließ der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Dem kam die Verfügungsbeklagte nicht nach.
5
Der Verfügungskläger trägt vor, er habe zu keinem Zeitpunkt einen Hitlergruß gezeigt, sondern in alkoholisiertem Zustand in Partylaune zur Musik getanzt und dabei auch Bewegungen mit den Armen gemacht. Was auf den Video-Standbildern als „Hitlergruß“ beschrieben werde, sei tatsächlich eine fließende Tanzbewegung mit Winkbewegung nach vorne und zur Seite gewesen. Auch habe er die Textzeilen „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ nicht mitgesungen.
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Die Berichterstattung enthalte somit, soweit ihm ein Hitlergruß zugeschrieben werde, eine unwahre Tatsachenbehauptung, die durch die Auswahl der Video-Standbilder noch verstärkt werde. Vor allem aber werde er sowohl durch die Angabe seines abgekürzten Namens als auch durch die Bilder in identifizierender Weise dargestellt und in Verbindung gebracht mit einem angeblichen Hitlergruß und den inkriminierten Textzeilen. Tatsächlich habe er sich im Zeitpunkt der Video-Aufnahme etwas abseits der Menschenmenge befunden und sei daher eher zufällig in dieser gut sichtbaren Weise auf die Video-Aufnahme gelangt; umso weniger könne sich die Verfügungsbeklagte in dieser Situation dann allerdings darauf berufen, dass es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handele. Der Verfügungskläger sei auch weder eine Person des öffentlichen Lebens noch sei seine Identität für die Berichterstattung von Bedeutung; das gelte umso mehr, als die Verfügungsbeklagte selbst berichtet habe, dass es eine Vielzahl vergleichbarer Vorfälle gebe, bei denen die inkriminierten Textzeilen gesungen worden seien. Gleichwohl habe sie gerade den Verfügungskläger in herausgehobener Art und Weise in die Öffentlichkeit gezogen und die öffentliche Diskussion so auf den Antragsteller zugespitzt. Diese Prangerwirkung verletze ihn in erheblicher Weise in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
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Der Verfügungskläger beantragt,
es der Antragsgegnerin bei Meidung eines Ordnungsgelds in Höhe von bis zu 250.000,00 €, an deren Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit Ordnungshaft tritt, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu untersagen
- 1.
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in identifizierender Art und Weise über die Geschehnisse auf dem sog. S.-Video (Ereignis im „…“ Club vom 18.5.2024) zu berichten, insbesondere unter Verwendung von Fotos und Videos, auf denen der Antragsteller zu erkennen ist und unter Verwendung des Namenskürzels „…“
- 2.2.
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die nachfolgend wiedergegebene Abbildung, wie unter der URL … geschehen, zu veröffentlichen,
FOTO
- 3.
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über den Unterlassungsgläubiger zu behaupten, „hebt den rechten Arm zum Hitlergruß“, wie geschehen unter der URL ...und/oder
- 4.
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das über die URL … abrufbare Video zu veröffentlichen, soweit der Unterlassungsgläubiger dort erkennbar wiedergegeben wird,
- 5.5.
-
die nachfolgend wiedergegebene Abbildung, wie unter der URL … 0 geschehen, zu veröffentlichen
FOTO
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Die Verfügungsklägerin beantragt,
den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
9
Die Verfügungsbeklagte trägt vor, das S.-Video sei in der Außenbar des „…“ entstanden, die unmittelbar an eine öffentliche Straße angrenze und von dort gut einsehbar sei. An der fraglichen Party hätten rund 500 Gäste teilgenommen; die Party sei öffentlich gewesen und der Eintritt habe 150,00 €gekostet. Es seien auch Party-Fotografen vor Ort gewesen, die die Gäste fotografiert und einen Kurzfilm produziert hätten, der auf I. und F. veröffentlicht worden seil.
10
Bei der Äußerung, der Verfügungskläger habe den rechten Arm zum Hitlergruß gehoben, handele es sich um eine Bewertung, welche auf zahlreichen Anknüpfungstatsachen beruhe und zulässig sei. Dass es sich nicht um eine „fließende Tanzbewegung“ gehandelt habe, zeige insbesondere die angedeutete Nachahmung des „Hitlerbartes“. Insoweit handele es sich um eine Straftat nach § 86a StGB. Dies sei bei der Frage des Berichterstattungsinteresses im Hinblick auf eine identifizierende Berichterstattung maßgeblich zu berücksichtigen.
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Die Parole „Deutschland den Deutschen“ sei schon seit vielen Jahrzehnten in rechtsradikalen Kontexten verwendet worden und auch das Lied „L'Amour toujours“ sei in der jüngsten Vergangenheit wiederholt von Rechtsextremen zweckentfremdet worden, so dass der eigentlich harmlose Partyhit inzwischen als rechtsextreme Chiffre diene. Daher sei es auch kein Zufall gewesen, dass zu diesem Lied dieser Text in der Bar „…“ gegrölt worden sei.
12
Die Vorkommnisse im „…“ hätten breites Entsetzen und eine Rassismus-Debatte ausgelöst, gerade weil hier junge Menschen aus augenscheinlich wohlhabendem, bürgerlichem Milieu im Mittelpunkt stünden, was ein Beleg dafür sei, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht lediglich Phänomene abgehängter Gesellschaftsgruppen aus strukturschwachen Regionen seien, sondern alle Gesellschaftsschichten durchzögen. Das „S.-Video“ belege damit eine zunehmende Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts, nicht zuletzt, weil sich auch die umstehenden Gäste augenscheinlich selbst am Zeigen des Hitlergrußes gestört hätten. Daher bestehe an der Veröffentlichung ein enormes öffentliches Berichterstattungsinteresse, zumal nur ein unverpixeltes Video zeige, dass die Gruppe um den Verfügungskläger aus offensichtlich gutsituierten jungen Erwachsenen bestanden habe und auf keinen Widerspruch durch andere Gäste gestoßen sei. Entsprechend sei nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch in der Presse – selbst der ausländischen – über die Geschehnisse unter Verbreitung zum Teil auch der Bilder berichtet und eine Debatte geführt worden.
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Vor diesem Hintergrund müsse das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers hinter dem Berichterstattungsinteresse zurücktreten, zumal er selbst sich durch sein Verhalten zum Gegenstand der Debatte gemacht habe.
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Davon unabhängig sei der Antrag zu 1 zudem zu weit gefasst, weil er auf ein generelles Verbot einer identifizierenden Berichterstattung über den „S.-Skandal“ gerichtet sei und dies zu unbestimmt sei.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sachstandes und des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der zulässige Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung erweist sich als unbegründet. Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gem. §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bzw. aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 22 KunstUrhG, weil die identifizierende Berichterstattung durch Wort und Bild zwar sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt, er dies jedoch in Abwägung mit dem durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten, im konkreten Fall überwiegenden Berichterstattungsinteresse der Verfügungsbeklagten hinnehmen muss.
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1. Der Verfügungskläger hat keinen Anspruch gem. §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bzw. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 186 f. StGB auf Unterlassung der Äußerung, der Verfügungskläger „hebt den rechten Arm zum Hitlergruß“, weil es sich nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt (Antrag zu 3).
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1.1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt zwar nicht vor personenbezogenen Berichten schlechthin, sondern vielmehr ist eine Wortberichterstattung grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfG v. 08.12.2011 – Az. 1 BvR 927/08 – Rz. 19; alle Zitate im Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Denn der gleichfalls grundgesetzlich – nämlich durch Art. 5 Abs. 1 GG – garantierte Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt es der Presse, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (BGH v. 11.03.2009 – Az. I ZR 8/07 – Rz. 14). Aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt jedenfalls vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen einer Person, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (BVerfG v. 25.10.2005 – Az. 1 BvR 1696/98 – Rz. 25).
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Ausgangspunkt für die Prüfung einer Verletzung des allgemeinen wie auch des Unternehmenspersönlichkeitsrechts ist, wie das BVerfG u.a. in seiner Entscheidung vom 09.11.2022 (Az. 1 BvR 523/21 – Rz. 15) klargestellt hat, „die Erfassung des Inhalts der beanstandeten Äußerung, insbesondere die Klärung, in welcher Hinsicht sie ihrem objektiven Sinn nach das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren.“
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Ausgehend davon ist zunächst der Inhalt der einzelnen Aussagen zu deuten, um daran anknüpfend den Äußerungstyp als Tataschenbehauptung oder Meinungsäußerung bestimmen zu können (Korte, Praxis des Presserechts, 2. Auflage, München 2019, § 2 Rz. 161).
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1.1.1. Tatsachenbehauptungen sind durch eine objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität gekennzeichnet, sie beziehen sich entweder auf konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehen oder Zustände der Außenwelt (äußere Tatsachen) oder des menschlichen Seelenlebens (innere Tatsachen), während Meinungsäußerungen von der subjektiven Beziehung des Äußernden zu dem Inhalt des Geäußerten geprägt sind. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist es, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BVerfG v. 09.11.2022 – Az. 1 BvR 523/21 – Rz. 17).
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Stellt sich die angegriffene Äußerung als eine Tatsachenbehauptung dar, so verletzt sie regelmäßig dann das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person, wenn diese Behauptung unwahr ist; denn für die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen gibt es in der Regel keinen rechtfertigenden Grund (BVerfG v. 09.11.2022 – Az. 1 BvR 523/21 – Rz. 17). Handelt es sich demgegenüber um eine wahre Tatsachenbehauptung, so erfordert dies eine entsprechend vertiefte Abwägung entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen, denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht grundsätzlich vor personenbezogenen Äußerungen und Berichten, wohl aber vor einer Beeinträchtigung der Privat- oder Intimsphäre, vor herabsetzenden, vor allem ehrverletzenden Äußerungen, oder davor, dass einem Betroffenen Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat (BVerfG v. 08.12.2011 – Az. 1 BvR 927/08 – Rz. 19) – kurz vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (BVerfG v. 25.10.2005 – Az. 1 BvR 1696/98 – Rz. 25).
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1.1.2. Meinungsäußerungen sind demgegenüber von der subjektiven Beziehung des Äußernden zu dem Inhalt des Geäußerten geprägt (BGH v. 16.12.2014 – Az. VI ZR 39/14 – Rz. 8) und können dementsprechend nicht „wahr“ oder „unwahr“, „richtig“ oder „falsch“ sein. Sie können allenfalls nachvollziehbar oder unverständlich sein, geteilt, verstanden oder abgelehnt werden. Ihr durch Art. 5 Abs. 1 GG vermittelter Schutz reicht daher weiter und findet seine Grenzen nur in dem oben dargelegten allgemeinen Persönlichkeitsrecht desjenigen, über den die Meinung geäußert wird. Daher ist hier stets eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem gleichfalls in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Recht auf Meinungsfreiheit des Äußernden andererseits vorzunehmen (BVerfG v. 14.02.1973 – Az. 1 BvR 112/65 – Rz. 28; BVerfG v. 08.12.2011 – Az. 1 BvR 927/08 – Rz. 18; BGH v. 15.11.1994 – Az. VI ZR 56/94 – Rz. 64).
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1.1.3. Kann sich eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird, so ist sie andererseits dann, wenn sie in nicht trennbarer Weise sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente enthält, insgesamt als Meinungsäußerung zu behandeln, wenn sie durch diese wertenden Elemente geprägt ist (BVerfG v. 21.03.2007 – Az. 1 BvR 2231/03 – Rz. 21) oder die Voraussetzung für die Bildung der Meinung ist (BVerfG v. 25.10.2012 – Az. 1 BvR 901/11, Rz. 20). Denn dort, wo tatsächliche und wertende Elemente miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen, ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: „Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden“ (BVerfG v. 09.11.2022 – Az. 1 BvR 523/21 – Rz. 17).
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1.2. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, stellt sich die Äußerung, der Verfügungskläger „hebt den rechten Arm zum Hitlergruß“ als eine Tatsachenbehauptung dar, die auch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt, von ihm jedoch hinzunehmen ist, weil sie wahr ist.
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1.2.1. Die Aussage, der Verfügungskläger hebe den rechten Arm zum Hitlergruß, stellt eine Tatsachenbehauptung dar. Zwar wohnt der Einordnung als „Hitlergruß“ ein wertendes Element inne, weil sie der Körperbewegung selbst einen über den reinen Bewegungsablauf hinausgehenden Bedeutungsgehalt zuschreibt. Gleichwohl ist die Armbewegung eine im allgemeinen Verständnis so eindeutige, dass die Verwendung des Begriffes ein konkretes Bild bei den Rezipienten hervorruft, das mit dem tatsächlichen Sachverhalt abgeglichen werden kann und dessen Aussagegehalt daher dem Beweis zugänglich ist. Das wertende Element stellt sich damit als eine zusammenfassende Beschreibung für einen tatsächlichen Sachverhalt dar, so dass der Tatsachengehalt der Aussage im Vordergrund steht. Entsprechend ist die Äußerung, der Betroffene hebe den Arm zum Hitlergruß als eine Tatsachenbehauptung zu werten (vgl. auch OLG Stuttgart v. 02.10.2013 – Az. 4 U 78/13 – Rz. 118).
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1.2.2. Die Aussage ist auch durchaus geeignet, das Bild des Verfügungsklägers in der öffentlichen Wahrnehmung zu beeinträchtigen, und berührt daher sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.
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1.2.3. Gleichwohl stellt sich die Aussage als eine wahre Tatsachenbehauptung dar, die der Verfügungskläger daher hinnehmen muss.
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1.2.3.1. Der Verfügungskläger hat zwar mit der als Anlage ASt 9 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung erklärt, er habe zu keinem Zeitpunkt des Videos – oder jemals zuvor in seinem Leben – einen Hitlergruß gezeigt, sondern in alkoholisiertem Zustand und in Partylaune zum Takt der Musik mitgetanzt und mitgewippt und dazu auch Arme und Hände benutzt, wobei die Bewegung, die in der öffentlichen Darstellung als Hitlergruß aufgefasst worden sei, nicht in diesem Sinne gemeint gewesen sei, ebenso wenig habe er den Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ mitgesungen. In der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2024 hat er durch seinen Prozessbevollmächtigten die mit dem linken Arm ausgeführte Geste – zwei Finger über der Oberlippe – zudem als rein zufällig bewerten lassen und ein „parodistisches Moment“ in dem Geschehen vortragen lassen.
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1.2.3.2. Diesen Vortrag und diesen Versuch der Glaubhaftmachung erachtet die Kammer indessen als nicht ausreichend, sondern sieht bereits in dem vorliegenden Bildmaterial das Gegenteil – nämlich das Zeigen des Hitlergrußes – als wahr erkennbar an. Denn auf dem Video ist erkennbar, dass der Verfügungskläger den rechten Arm in der allgemein bekannten Geste hebt und gleichzeitig zwei Finger der linken Hand vor die Oberlippe führt, was erkennbar nach dem allgemeinen Verständnis einen sog. „Hitlerbart“ imitieren soll. Der Annahme einer zufälligen Gleichzeitigkeit beider Bewegungen steht schon entgegen, dass der Verfügungskläger beide Gesten gleichzeitig über mehrere Sekunden beibehält, so dass sie erkennbar in einem Zusammenhang stehen. Auch ist die Bewegung des rechten Arms keineswegs eine allgemein wippende oder fließende Tanzbewegung, sondern die Position des rechten Arms bleibt unverändert, wohingegen nur die rechte Hand von oben nach unten wippende Bewegungen vollzieht, was der Ungeheuerlichkeit der Geste allenfalls ihre Schärfe mildert, den prägenden Charakter aber nicht verändert.
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1.2.3.3. Hinzu kommen weitere Umstände, die den Vortrag des Verfügungsklägers seinerseits als unglaubhaft erscheinen lassen.
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So steht die in der mündlichen Verhandlung unternommene Einordnung als „parodistisch“ bereits der Behauptung entgegen, es habe sich um eine fließende oder wippende Tanzbewegung gehandelt, denn „parodistisch“ könnte die Bewegung allenfalls dann sein, wenn eben doch die Geste als („parodistischer“) Hitlergruß intendiert war – auch wenn in der konkreten Situation der „parodistische“ Charakter verborgen bleibt.
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Hinzu kommt die in der mündlichen Verhandlung von der Verfügungsbeklagten vorgelegte und als Anlage zu Protokoll genommene Erklärung des Verfügungsklägers selbst auf seinem Social-Media-Account, in der er erklärt, er habe sich „wie in den Medien richtig berichtet, leider katastrophal verhalten“ und solle sich „öffentlich und aufrichtig entschuldigen für das, was da passiert ist“. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2024 die Entschuldigung nicht auf die Geste verstanden wissen will, sondern als Entschuldigung dafür, insgesamt der Situation nicht ausgewichen zu sein, steht dieser Deutung bereits die weitere Erklärung des Verfügungsklägers in der übergebenen Stellungnahme (Anlage zum Protokoll) entgegen, er könne sich vorstellen, „dass viele Menschen, die das jetzt lesen, mir nicht abnehmen, dass es mir unendlich leidtut. Und dass sie glauben, dass wir doch nur unter Alkohol ausgedrückt haben, was wir insgeheim auch denken. Das ist nicht so! (…)“ Der Verfügungskläger selbst nimmt also Bezug auf das, was er – und seine Begleitung – „ausgedrückt“ haben, sieht sich also als Teil der „sich ausdrückenden“ Personen auf dem Video und beschränkt darin gerade nicht seinen Anteil auf ein „Nicht-Ausweichen“.
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1.2.3.4. Auf Grund all dieser Erwägungen vermag die Kammer der Glaubhaftmachung des Verfügungsklägers nicht nur nicht zu folgen, sondern erachtet die streitgegenständliche Äußerung vielmehr als zutreffend. Eine wahre Tatsachenbehauptung muss der Verfügungskläger jedoch hinnehmen, insbesondere wenn sie – wie im konkreten Fall – nicht seine Privat- oder Intimsphäre betrifft, sondern ein Verhalten, das in der Sozialsphäre gezeigt wurde.
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1.2.4. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn man – abweichend von den oben angestellten Erwägungen – die streitgegenständliche Äußerung auf Grund des wertenden Elements als Meinungsäußerung auffassen wollte, auch diese vom Verfügungskläger hingenommen werden müsste, weil Meinungsäußerungen, zumal wenn ihnen – wie hier – ausreichende zutreffende Anknüpfungstatsachen zugrunde liegen, regelmäßig von dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst sind.
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2. Der Verfügungskläger hat auch keinen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der streitgegenständlichen, unverpixelten Fotos sowie des unverpixelten, von der Verfügungsbeklagten zumindest auszugsweise wiedergegebenen sog. „S.-Videos“ gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 22 KunstUrhG (Anträge zu 2, 4 und 5). Denn in der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 KunstUrhG gebotenen Abwägung mit den geschützten Rechtspositionen überwiegt vorliegend das Berichterstattungsinteresse der Verfügungsbeklagten.
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2.1. Die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung richtet sich nicht nach denselben Maßstäben wie die einer Textberichterstattung, sondern beurteilt sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG (OLG München v. 18.05.2021 – Az. 18 U 144/21 – Nr. 2a lit. aa; BGH v. 18.06.2019 – Az.: VI ZR 80/18 – Rz. 30; BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – Rz. 39). Bildnisse einer Person dürfen gem. § 22 Abs. 1 KunstUrhG grundsätzlich nur mit deren – hier nicht vorliegender – Einwilligung verbreitet werden; eine Ausnahme hiervon sieht § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG vor, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme ihrerseits gilt aber nach § 23 Abs. 2 KunstUrhG nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden.
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2.1.1. Schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG zuzuordnen ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens, der nicht zu eng verstanden werden darf, sondern all Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse umfasst. Insoweit gehört es zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit, dass die Presse im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht; dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird, so dass eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, nicht stattfindet (vgl. OLG München v. 18.05.2021 – Az. 18 U 144/21 – Nr. 2a lit. aa; OLG München v. 07.06.2022 – Az. 18 U 2993/22 – Nr. 2 lit. a; BGH v. 06.02.2018 – Az.: VI ZR 76/17 – Rz. 10 m.w.N.; BGH v. 18.06.2019 – Az.: VI ZR 80/18 – Rz. 31; BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – Rz. 40 f.). Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos, sondern der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt der Bildberichterstattung unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung zu ermitteln ist und ebenso, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt (vgl. OLG München v. 18.05.2021 – Az. 18 U 144/21 – Nr. 2a lit. aa; OLG München v. 07.06.2022 – Az. 18 U 2993/22 – Nr. 2a lit. bb; BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – Rz. 42 f.). Diese Erwägungen gelten nicht nur bei der strafverfahrensbegleitenden Bildberichterstattung, bei der in der Abwägung der widerstreitenden Interessen – bereits bei der Prüfung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG vorliegt – gerade im Lichte der Unschuldsvermutung entsprechende Zurückhaltung geboten und eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen ist (OLG München v. 18.05.2021 – Az. 18 U 144/21 – Nr. 2a lit. aa; vgl. auch BGH v. 06.02.2018 – VI ZR 76/17 – Rz. 46 m.w.N.; BGH v. 18.06.2019 – Az. VI ZR 80/18 – Rz. 32 f.). Sondern sie gelten auch für sonstige gesellschaftlich relevante Fehlverhalten bzw. Verfehlungen, wobei auch hier eine Abwägung zwischen dem Berichterstattungsinteresse und der Schwere des berichteten Verhaltens einerseits und der durch die Berichterstattung bewirkten Beeinträchtigung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht andererseits vorzunehmen ist (BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 504/18 – Rz. 15).
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2.1.2. Auch wenn es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG handelt, erfordert darüber hinaus § 23 Abs. 2 KunstUrhG zusätzlich eine Würdigung dahingehend, ob durch die konkret gewählte Abbildung eine über die Identifizierung hinausgehende Beeinträchtigung bewirkt wird und ob auch im Hinblick darauf ein besonderes Interesse gerade an der konkreten Veröffentlichung dieser Abbildung bejaht werden kann (BGH v. 19.06.2019 – VI ZR 80/18 – Rz. 37; BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – Rz. 41; OLG München v. 07.06.2022 – 18 U 2993/22 – Nr. 2 lit. a).
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2.2. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, handelt es sich vorliegend um Abbildungen eines Ereignisses aus dem Bereich der Zeitgeschichte, bei denen das Berichterstattungsinteresse in der konkreten Abwägung auch mit den Auswirkungen auf den Verfügungskläger sein allgemeines Persönlichkeitsrecht überwiegen.
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2.2.1. Ausgangspunkt dafür ist zunächst, dass es sich bei dem durch das sog. „S.-Video“ dokumentierten Geschehen um ein Ereignis von erheblicher gesellschaftspolitischer Bedeutung handelt. Bereits das Absingen des Liedes „L'Amour toujours“ mit dem abgeänderten Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ steht in einem in der Öffentlichkeit breit diskutierten Kontext der Äußerung ausgrenzender bzw. ausländerfeindlicher Positionen und die Vielzahl ähnlich gelagerter – und jeweils auch medial diskutierter – Geschehen im nämlichen Zeitraum in verschiedenen Gegenden Deutschlands verdeutlicht die Aktualität der Thematik. Ihr besonderes Gewicht erhält das Geschehen im „…“ auf S. allerdings dadurch, dass hier deutlich wird, dass das Singen und Verbreiten ausgrenzender und ausländerfeindlicher Parolen alle Schichten der Gesellschaft durchzieht und sich als Vorkommnis nicht auf bestimmte wirtschaftlich oder sozial benachteiligte Gruppierungen reduzieren lässt. Denn die auf dem „S.-Video“ erkennbaren Teilnehmenden stammen aus wirtschaftlich begünstigten oder zumindest stabilen Verhältnissen – sie sind, wie der Verfügungskläger, beruflich tätig und können sich auch Eintrittspreise von 150,00 € leisten – und haben Zugang zu Hochschulbildung; zudem haben sie ein aktives soziales Leben, was nicht zuletzt die Teilnahme an der Party im Freundeskreis zeigt.
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Gerade in Bezug auf die Person des Verfügungsklägers gewinnt die Abbildung allerdings noch eine darüber hinaus greifende gesellschaftspolitische und zeitgeschichtliche Bedeutung, indem nämlich der Verfügungskläger – insoweit als einziger in der gezeigten Filmsequenz – den rechten Arm zum sog. „Hitlergruß“ hebt und mit der linken Hand zugleich einen „Hitlerbart“ andeutet; dies ist auf dem Video wie auch den daraus entnommenen Bildern zwanglos erkennbar. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen (unter 1.2.3) Bezug genommen werden. Das Zeigen des „Hitlergrußes“ im Rahmen einer öffentlich wahrnehmbaren Party in einem öffentlich zugänglichen und – unstreitig – von der Straße gut einsehbaren Raum wie dem Außenbereich des „…“ stellt ein Verhalten von erheblichem öffentlichen Interesse dar, weil es Ausdruck nicht nur einer abnehmenden Abscheu vor den Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist, sondern dadurch auch zum Ausdruck kommt, das was einst als Zeichen einer Verbrechensherrschaft konnotiert war, nun zum Ausdruck einer „Partylaune“ (Eidesstattliche Versicherung vom 27.06.2024 – Anlage ASt 9) verharmlost wird. Und auch hier gewinnt die Abbildung zusätzliche gesellschaftspolitische Bedeutung dadurch, dass es sich um ein Geschehen innerhalb eines Kreises wirtschaftlich und sozial begünstigter junger Menschen handelt.
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Hinzu kommt, dass gerade durch die unverpixelte Berichterstattung für die Leserinnen und Leser auch bildlich erkennbar und nachvollziehbar wird, dass die Thematik nicht auf einzelne, gesellschaftlich oder wirtschaftlich benachteiligte Gruppierungen beschränkt ist, sondern das Verhalten auch in wirtschaftlich und sozial gefestigten Kreisen verbreitet ist.
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Die an die unmittelbare Veröffentlichung des „S.-Videos“ – zunächst in den Sozialen Medien und noch keineswegs in den Publikationen der Verfügungsbeklagten – anschließende breite Diskussion, die dann von den Pressemedien aufgegriffen wurde, belegt das erhebliche öffentliche Interesse an dem Geschehen und seiner Einordnung als zeitgeschichtliches Ereignis.
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2.2.2. Dem steht das Recht des Verfügungsklägers auf Privatheit und Anonymität gegenüber.
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Der Verfügungskläger steht – insoweit unstreitig – selbst nicht in der Öffentlichkeit und auch wenn er ein Social-Media-Account betrieb, ist weder vorgetragen noch daraus alleine zu schließen, dass er – jenseits der Geschehnisse, die auf dem „S.-Video“ zu sehen sind – in die Öffentlichkeit gedrängt oder zumindest erkennbar in eine Öffentlichkeit gestellt hätte. Zu berücksichtigen ist ferner, dass keineswegs alle Teilnehmenden von Veranstaltungen, bei denen das Lied „L'Amour toujours‘ mit der abgewandelten, ausländerfeindlichen Textzeile gesungen wurde, in derart herausgehobener Weise abgebildet werden, wie dies in dem „S.-Video“ für den Verfügungskläger der Fall ist. Zutreffend hat der Verfügungskläger darauf hinweisen lassen, dass in einer Vielzahl von Berichterstattungen über vergleichbare Ereignisse an anderen Orten gerade keine unverpixelten Bilder gezeigt wurden. Die Kammer verkennt daher nicht die erhebliche Prangerwirkung, die gerade von dem Herausstellen des Verfügungsklägers durch die Veröffentlichung des Videos und der daraus entnommenen Abbildungen ausgeht. Damit gehen für den Verfügungskläger erhebliche Konsequenzen einher, namentlich der Verlust seines Arbeitsplatzes (Anlage ASt 17), das Hausverbot an seiner Hochschule (Anlage ASt 19) und der Verlust seiner Wohnung (Anlage ASt 16), und er – wie auch Verwandte und Freunde – sehen sich sozialer Anfeindung ausgesetzt; dabei kann auch dahingestellt bleiben, dass diese Konsequenzen nicht an dem Umstand der Veröffentlichung von Video und Fotos anknüpfen, sondern an dem darauf gezeigten Verhalten, denn jedenfalls war die Veröffentlichung der unmittelbare Auslöser dafür. Der Verfügungskläger wird durch die streitgegenständlichen Bildveröffentlichungen somit in besonderer Weise in das Licht der Öffentlichkeit gezogen und massiven wirtschaftlichen wie sozialen Konsequenzen ausgesetzt.
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2.2.3. Und doch überwiegt in der konkreten Situation und im Hinblick auf die konkreten Umstände gerade in Bezug auf den Verfügungskläger im vorliegenden Fall das Berichterstattungsinteresse der Verfügungsbeklagten.
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Anders als etwa die zunächst auf dem sog. „S.-Video“ erkennbare junge Frau, die unverpixelt zu zeigen diese Kammer im Wege einer einstweiligen Verfügung bereits untersagt hat (LG München I v. 12.06.2024 – Az. 26 O 6325/24), tritt der Verfügungskläger – über das Mitsingen der veränderten Liedzeile hinaus – dadurch in besonderer Weise aus dem Kreis der an der Party Teilnehmenden hervor, dass er den durch Heben des rechten Armes und Andeuten eines „Hitlerbartes“ mit der linken Hand den sog. „Hitlergruß“ zeigt, was zumindest den objektiven Tatbestand des § 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) erfüllt (vgl. nur BGH v. 19.08.2014 – Az. 3 StR 88/14 – Rz. 17). Diese Handlung gewinnt ihre besondere Bedeutung auch dadurch, dass sie auf die Wahrnehmbarkeit und Wahrnehmung durch Dritte abzielt – der „Hitlergruß“ ist eine nach außen sichtbare und nach außen gerichtete Geste und die in § 86a StGB vorgesehene Strafbarkeit dieser Geste knüpft auch gerade daran an, dass sie optisch wahrnehmbar gemacht wird (BGH v. 19.08.2014 – Az. 3 StR 88/14 – Rz. 17 m.w.N.).
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Insoweit kommt es auch nicht auf die Grundsätze der „Verdachtsberichterstattung“ an, weil diese für ungeklärte Tatsachen einschlägig sind, nicht aber für unstreitig wahre Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen (OLG München v. 05.03.2024 – Az. 18 U 2827/23 – Rz. 64 ff.). Dass der Verfügungskläger aber die Hand zum Hitlergruß gehoben hat, erachtet die Kammer – insoweit kann auf die obigen Ausführungen (unter Ziff. 1.2.3) verwiesen werden – als wahr; unklar ist hier allenfalls die rechtliche Gewichtung im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens.
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Es handelt sich bei dem Zeigen des „Hitlergrußes“ auch – trotz des in § 86a StGB vorgesehenen Strafrahmens – nicht um ein geringfügiges Fehlverhalten, sondern um ein Verhalten, das verfassungswidriges Kennzeichen zumindest durch die Verwendung im Rahmen einer Feier banalisiert und damit das Symbol wie auch die dahinter stehende Verfassungsfeindlichkeit normalisiert und in alltägliche Umfelder Einzug halten lässt.
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Berücksichtigt man in dieser Konstellation, dass der Verfügungskläger sich mit einer gezielt auf Wahrnehmung gerichteten Geste in dem – unstreitig – von der Straße einsehbaren Außenbereich des „…“ in einem Umfeld von ca. 500 Teilnehmenden, von denen nur eine geringe Anzahl zu seinem unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis zählte, bewegte, so sucht er damit in aktiver Weise die Aufmerksamkeit eines selbst im Zeitpunkt der Bildaufnahme unabsehbar großen Kreises von Personen. Anders als etwa die junge Frau zu Beginn der Videoaufnahme singt er auch nicht gezielt nur in die private Aufnahme einer einzelnen Person, sondern zeigt die Geste in einem großen Raum und in einer dadurch umso sichtbareren Situation, als der ihn umgebende Freiraum größer und seine Bewegungen entsprechend sichtbarer sind als bei vielen anderen, auf dem „S.-Video“ erkennbaren Personen.
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Bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen streitet dieser Umstand – ein auf Wahrnehmung durch eine nicht absehbare Anzahl Dritter angelegtes Verhalten – gegen die besondere Schutzwürdigkeit seines Rechtes auf Privatheit. Das gilt umso mehr, als der Verfügungskläger auch selbst – und noch vor den hier streitgegenständlichen Veröffentlichungen – durch die als Anlage zum Protokoll der Verhandlung vom 18.07.2024 vorgelegte Stellungnahme auf seinem Social-Media-Account sich unter Verwendung jedenfalls seines Vornamens und unter Bezugnahme auf die zu dem Zeitpunkt bereits in den Sozialen Medien kursierenden Veröffentlichungen des „S.-Videos“ an ein nicht näher eingegrenztes Publikum wandte und sich auch insoweit im streitgegenständlichen Kontext selbst identifizierbar machte.
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Wägt man all diese Aspekte mit dem – bereits dargelegten – herausragenden öffentlichen Interesse an der Berichterstattung und der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung der Diskussion um Ausländerfeindlichkeit und die Verharmlosung nationalsozialistischer Symbole ab, so überwiegt vorliegend das Berichterstattungsinteresse und die durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Presse- und Meinungsfreiheit auf Seiten der Verfügungsbeklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers.
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2.3. Sind somit das streitgegenständliche Video und die daraus entnommenen, streitgegenständlichen Bilder als Abbildungen von Ereignissen der Zeitgeschichte anzusehen, bei denen das öffentliche Interesse an der Berichterstattung das Recht des Verfügungsklägers am eigenen Bild und das Recht auf Privatheit überwiegt, so kommt den veröffentlichten Abbildungen vorliegend über die Identifizierbarkeit hinaus auch keine Beeinträchtigung durch die konkrete Form der Abbildung zu. Denn der Verfügungskläger wird durch die Art der Abbildung nicht in besonderer Weise herabgewürdigt oder der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern er wird eben mit der Geste gezeigt, die ihrerseits erst das überwiegende Berichterstattungsinteresse begründet. Daher ist die Veröffentlichung auch im Lichte der nach § 23 Abs. 2 KunstUrhG vorzunehmenden Abwägung zulässig.
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3. Schließlich erweist sich auch der Antrag zu 1 – Untersagung, in identifizierender Art und Weise über die Geschehnisse auf dem sog. S.-Video zu berichten, insbesondere unter Verwendung von Fotos und Videos, auf denen der Verfügungskläger zu erkennen ist und unter Verwendung des Namenskürzels „….“ – als unbegründet.
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3.1. Soweit der Antrag die Verwendung von Fotos und Videos, auf denen der Verfügungskläger zu erkennen ist, betrifft, kann auf die oben (unter 2.2) gemachten Ausführungen Bezug genommen werden. Dass die Veröffentlichung weiterer, anderer Fotos und Videos drohen würde, ist weder dargetan noch ersichtlich.
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3.2. Doch auch soweit der Verfügungskläger die Unterlassung der Verwendung seines Namenskürzels „…“ begehrt, besteht ein solcher Anspruch gem. §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Denn zum einen handelt es sich bei der Berichterstattung um eine solche über wahre Tatsachenbehauptungen (s.o. Ziff. 1.2.3) und wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (BGH v. 18.06.2019 – Az.: VI ZR 80/18 – Rz. 21 m.w.N.). Zum andern hat der Verfügungskläger selbst jedenfalls seinen Vornamen durch die Stellungnahme auf seinem Social-Media-Account vom 25.05.2024 (Anlage zum Protokoll vom 18.07.2024) selbst in den Zusammenhang mit dem sog. „S.-Video“ gestellt und insoweit der Öffentlichkeit preisgegeben. Und schließlich wird eine über die bereits durch die (zulässige, s.o.) Bildberichterstattung bewirkte Identifizierbarkeit hinausgehende Identifizierung durch die Angabe dieses Namenskürzels – und hier insoweit insbesondere noch zusätzlich hinzutretenden Anfangsbuchstaben des Nachnamens – nicht vermittelt.
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4. Auf Grund all dessen hat der Verfügungskläger keinen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Veröffentlichungen, so dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.