Inhalt

LG München I, Endurteil v. 05.08.2022 – 21 O 8879/21
Titel:

Verhältnismäßigkeit der Geltendmachung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs durch einen Patentverwerter

Normenketten:
PatG § 9, § 139, § 140a, § 140b, § 143
EPÜ Art. 64
AEUV Art. 102
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Der Umstand allein, dass der patentrechtliche Unterlassungsanspruch von einem Patentverwerter geltend gemacht wird, ist für sich genommen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Patentverwerter aufgrund seiner FRAND-Erklärung und aus kartellrechtlichen Gründen gehalten, die Lizenzierung eines Patents zu ermöglichen und hierzu in Lizenzverhandlungen einzutreten, darf ihm im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 139 Abs. 1 Satz 3 PatG) nicht entgegengehalten werden, dass er diesen vertraglichen und kartellrechtlichen Verpflichtungen nachkommt; er ist auch nicht gehalten, bis zum Abschluss der Lizenzverhandlungen von der Einleitung eines Gerichtsverfahrens abzusehen, um dem Vorwurf einer Unverhältnismäßigkeit zu entgehen.  (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umstand, dass es sich bei den Verletzungsformen um komplexe Produkte handelt, führt nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Geltendmachung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruches. (Rn. 89 – 91) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Umstand, dass die Art und Weise der Berechnung der geforderten Lizenzgebühr im Rahmen eines Angebotes zu FRAND-Bedingungen nicht detailliert erläutert wird, bedeutet nicht, dass das Angebot schlechterdings untragbar ist; vernünftigen Parteien geht es nicht um die hinter dem Angebot liegende Kalkulation oder darum, den Endbetrag in Teilsummen oder Leistungen aufzuteilen. (Rn. 111 – 117) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Patent, Erfindung, Schadensersatzanspruch, Klagepatent, Unterlassungsanspruch, Patentanspruch, Werbung, Leistungen, Patentverletzung, Anspruch, Unterlassung, Auslegung, Patentinhaber, Auskunft, Stand der Technik, Vorbringen der Parteien, Bundesrepublik Deutschland
Fundstelle:
GRUR-RS 2022, 34498

Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Benutzerausrüstungen umfassend:
Mittel zum Empfangen einer Wachhaltenachricht, die die Verlängerung des Einschaltzeitraums des unterbrochenen Kommunikationsmechanismus anzeigt, auf einer Benutzerausrüstung, für die eine Wachhaltenachricht eines unterbrochenen Kommunikationsmechanismus aktiviert ist, wobei die Wachhaltenachricht durch ein einzelnes Bit angezeigt wird, das über einen dedizierten Steuerkanal an die Benutzerausrüstung gesendet wird; und
Mittel zum Aufrechterhalten des aktiven Zustands der Benutzerausrüstung während der Verlängerung des Einschaltzeitraums;
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
(Patentanspruch 8)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten)
die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem begangen ha
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zulegen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1.
bezeichneten Handlungen seit dem begangen haben, und zwar unter
Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und - preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten
und des erzielten Gewinns;
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist
und wobei die Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihnen zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;
5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den von der Kammer festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
III. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
- 500.000,00 € einheitlich für Ziffer I.1., I.4. und I.5.,
- 30.000,00 € einheitlich für Ziffern I.2. und I.3. sowie
- 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags für Ziffer III.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents 2 3 557 917 (Anlage K 1, nachfolgend: Klagepatent) und nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung in Anspruch.
2
Das Klagepatent wurde am 06.02.2008 angemeldet und nimmt eine Priorität vom 06.02.2007 (US 888514 P) in Anspruch. Die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung erfolgten am 13.05.2020. Das Klagepatent wurde mit Wirkung für Deutschland erteilt. Patentanspruch 8 des Klagepatents lautet im englischen Original wie folgt:
„A user equipment apparatus comprising:
means for receiving (701), at a user equipment for which a keepawake message of a discontinuous communication mechanism is enabled, a keepawake message indicating extension of the onperiod of the discontinuous communication mechanism, wherein the keepawake message is indicated by a single bit sent to the user equipment over a dedicated control channel; and means for keeping the user equipment in an active state during said extension of the onperiod.“
3
Die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen der Klagepatentschrift (Figuren 3, 6 und 8) erläutern Ausführungsbeispiele der Erfindung:
4
Wegen der weiteren Details wird auf die Patentschrift verwiesen.
5
Die Beklagte zu 1) die deutsche Tochtergesellschaft der in China ansässigen Muttergesellschaft, der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 2) bietet in Deutschland für private und gewerbliche Endkunden Smartphones an, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere Smartphones mit den Modellbezeichnungen (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), vertreibt diese und führt diese aus dem Ausland nach Deutschland ein. Sie werden beispielsweise auf der Webseite beworben. Für die Webseite ist laut Impressum die Beklagte zu 2) verantwortlich, für die Dienste auf der Webseite ist die Beklagte zu 1) verantwortlich. Die Beklagte zu 1) unterstützt die Beklagte zu 2) u. a. in Deutschland beim Marketing und bei der Markenwerbung für deren Produkte und die angegriffenen Ausführungsformen.
6
Die Klägerin trägt vor, dass die von den Beklagten vertriebenen Smartphones, die mit dem LTE (4G)-Mobilfunkstandard kompatibel sind, insbesondere die technischen Vorgaben gemäß den ETSI-Spezifikationen ETSI TS 136.300 v 8.12.0 („LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA) and Evolved Universal Terrestrial Radio Access Network (EUTRAN); Overall description; Stage 2 (3GPP TS 36.300 version 8.12.0 Release 8)“, nachfolgend: ETSI TS 136.300), ETSI TS 136.212 v 8.8.0 („LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA); Multiplexing and channel coding (3GPP TS 36.212 version 8.8.0 Release 8)“, nachfolgend: ETSI TS 136.212), ETSI TS 136.321 v 8.12.0 („LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA); Medium Access Control (MAC) protocol specification (3GPP TS 36.321 version 8.12.0 Release 8)“, nachfolgend: ETSI TS 136.321) sowie ETSI TS 136.331 v 8.8.0 („LTE; Evolved Universal Terrestrial Radio Access (E-UTRA); Radio Resource Control (RRC); Protocol specification (3GPP TS 36.331 version 8.8.0 Release 8)“, nachfolgend: ETSI TS 136.331) umsetzen, das Klagepatent unmittelbar wortsinngemäß verletzen. Der FRAND-Einwand der Beklagten habe keinen Erfolg, so dass der begehrte Unterlassungsanspruch auszusprechen sei. Er sei auch nicht aus anderen Gründen unverhältnismäßig.
7
Die Klägerin beantragt zuletzt,
I. die Beklagte zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Benutzerausrüstungen umfassend:
Mittel zum Empfangen einer Wachhaltenachricht, die die Verlängerung des Einschaltzeitraums des unterbrochenen Kommunikationsmechanismus anzeigt, auf einer Benutzerausrüstung, für die eine Wachhaltenachricht eines unterbrochenen Kommunikationsmechanismus aktiviert ist, wobei die Wachhaltenachricht durch ein einzelnes Bit angezeigt wird, das über einen dedizierten Steuerkanal an die Benutzerausrüstung gesendet wird; und
Mittel zum Aufrechterhalten des aktiven Zustands der Benutzerausrüstung während der Verlängerung des Einschaltzeitraums.
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
(Patentanspruch 8)
insbesondere, wenn
die Wachhaltenachricht eine Verlängerung um ein Übertragungszeitintervall anzeigt,
(Patentanspruch 12)
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zulegen, in welchem Umfang sie die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem begangen haben, und zwar unter An gabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von InternetWerbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
und wobei die Rechnungslegungsdaten zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln sind;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihnen zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre - der Beklagten - Kosten herauszugeben;
5. die unter I.1. bezeichneten, seit in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den von der Kammer festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr durch die zu I.1. bezeichneten und seit dem begangenen Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
8
Die Beklagte beantragen,
1. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise: den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren über den Rechtsbestand des deutschen Teils …36.5 des Europäischen Patents EP 3 557 917 B1 auszusetzen;
3. weiter hilfsweise: anzuordnen, dass der Unterlassungsanspruch der Klägerin gegenüber den Beklagten ausgeschlossen ist, wobei die Beklagten an die Klägerin eine angemessene Entschädigung bis zum Ende der Laufzeit des Klagepatents zu zahlen haben.
9
Die Klägerin wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens.
10
Die Beklagte sind im Wesentlichen der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Jedenfalls sei das Verfahren im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage vom 18.02.2022 (Anlage HL 2a) auszusetzen. Den Beklagten stünde gegen die Klägerin der FRAND-Einwand zu, ferner sei die Aussprache eines Unterlassungsanspruchs hier unverhältnismäßig.
11
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 16.03.2022 (Bl. 260/262 d.A.), 23.03.2022 (Bl. 280/284 d.A.) und 15.06.2022 (Bl. 548/551 und 552/557 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12
Die Klage ist zulässig (A.). Sie ist auch begründet. Die Beklagten benutzen den Gegenstand des Klagepatents (B.). Der Klägerin stehen gegen die Beklagte daher die verfolgten Ansprüche zu. Der FRAND-Einwand der Beklagten hat keinen Erfolg (C.). Das Verfahren ist nicht nach § 148 ZPO auszusetzen (D.).
A.
13
Die Klage ist zulässig.
14
I. Das Landgericht München I ist zuständig (§ 143 PatG, § 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO).
15
II. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist vor Erteilung der Auskunft noch nicht bezifferbar.
B.
16
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadensersatzfeststellung gemäß §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3, 9 S. 2 Nr. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB i.V. mit Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ zu.
17
I. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung für effiziente unterbrochene (diskontinuierliche) Kommunikation.
18
1. In seiner Beschreibung führt die Klagepatentschrift aus, dass im Stand der Technik bekannt sei, dass es z.B. in einem LTE-Netzwerk im Laufe der Zeit zu starken Schwankungen des für einen bestimmten Benutzer eingeplanten Datenaufkommens bzw. für eine bestimmte Benutzerausrüstung (User equipment, bei der es sich auch um eine enhanced UE (eUE) handeln kann; nachfolgend: UE) kommen könne. Dabei könnten „Aus“-Perioden (auch als „DRX“-Perioden bezeichnet) genutzt werden, um den Eintritt in einen inaktiven oder „Schlaf“-Zustand des UE zu initiieren und dadurch den Energieverbrauch zu senken. Dazu müsse eine klare Vereinbarung bezüglich der „An“- und „Aus/DRX“-Perioden zwischen der Basisstation (enhanced Node B, nachfolgend: eNB) und der UE bestehen, vgl. [0013].
19
Daneben sei aus dem Stand der Technik bekannt, dass die DRX-Periode, um eine erhebliche Stromeinsparung durch die UE zu erzielen, so lang wie möglich sein sollte. Da die DRX-Periode jedoch auch das Reaktionsverhalten des Systems festlege (z.B. die Zeitspanne vom Anklicken eines Web-Links durch die UE bis zum Beginn des Herunterladens der Webseite), sei ein Kompromiss zwischen der Höhe der Energieeinsparungen und der Reaktionsfähigkeit erforderlich (vgl. [0017]).
20
Ein bekannter Ansatz bestehe darin, dass eNB und UE die DRX-Parameter semistatisch über RRC-Nachrichten (Radio Resource Control, d.h. Funk-Ressourcensteuerung) entsprechend den Datenverkehrsbedingungen aktualisierten, vgl. [0020] Nachteile der Verwendung von RRC-Nachrichten (hierzu sogleich) könnten durch eine schnelle L1- (Layer 1) Konfiguration überwunden werden, um die aktuelle DRX-Periode an die Puffer-Informationen und anderen Systeminput anzupassen, vgl. [0020].
21
2. Als nachteilig an der aus dem Stand der Technik bekannten semistatischen Aktualisierung über RRC-Nachrichten kritisiert das Klagepatent, dass es sich um einen relativ langsamen Prozess handele und die RRC-Nachrichten einen erheblichen Overhead hätten, der minimiert werden sollte, vgl. [0020].
22
Demgegenüber sei an dem Ansatz einer schnellen L1-Konfiguration nachteilig, dass dieser in bestimmten Ausführungsformen eine dedizierte L1-Signalisierung erfordere, bei der relativ hohe Fehlerraten und Möglichkeiten für Missverständnisse zwischen UE und eNB bestünden, vgl. [0020].
23
3. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, einen verbesserten Ansatz für den Empfang und die Übertragung von Daten über ein drahtloses Netzwerk bei gleichzeitiger Minimierung des Stromverbrauchs bereitzustellen, vgl. [0002].
24
4. Hierfür schlägt das Klagepatent eine Benutzerausrüstung nach Maßgabe des erteilten Anspruchs 8 vor, der sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lässt:
1. a user equipment apparatus comprising:
2. means for receiving a keepawake message at a user equipment,
2.1 for the user equipment a keepawake message of a discontinuous communication mechanism is enabled;
2.2 a keepawake message indicating extension of the onperiod of the discontinuous communication mechanism;
2.3 the keepawake message is indicated by a single bit sent to the user equipment over a dedicated control channel;
3. means for keeping the user equipment in an active state during said extension of the onperiod.
25
5. Diese Lehre bedarf hinsichtlich der Merkmale 2., 2.1., 2.2. und 2.3. näherer Erläuterung.
26
a) Die durch das Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre ist aus der Sicht der angesprochenen Durchschnittsfachperson, einer Person mit einem Universitätsabschluss als Master of Science oder Diplomingenieur/in der Fachrichtung Informations- und Telekommunikationstechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Konzeption und Entwicklung von Lösungen für die diskontinuierliche Kommunikation in Funknetzen, zu ermitteln (Bl. 262 d.A.).
27
b) Die Benutzerausrüstung umfasst nach Merkmal 2. Mittel zum Empfangen einer Wachhaltenachricht auf einer Benutzerausrüstung („means for receiving a keepawake message at a user equipment“), d.h. die Empfangsmittel der UE müssen geeignet sein, eine Wachhaltenachricht zu empfangen.
28
aa) Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Duplik, S. 7/8) ergibt sich aus der Zusammenschau von Merkmal 2. mit Merkmal 2.2. nicht, dass es sich „bei der zu empfangenden (und zu verarbeitenden) keepawake message um eine Nachricht handelt, die zielgerichtet auf das Wachhalten der UE gerichtet ist“ (Hervorhebung dort). Nach Auffassung der Beklagten dürfe das Wachhalten der UE nicht vom Zufall bzw. weiteren Umständen abhängen. Die UE müsse auf Basis der im Klagepatent beschriebenen Schritte wachgehalten werden. Sie müsse anspruchsgemäß ein Mittel aufweisen, das in dem vom Klagepatent definierten Funktions- und Wirkungszusammenhang beim Durchführen der patentgemäß vorausgesetzten Verfahrensschritte dazu geeignet sei, eine Nachricht zu empfangen, um die UE wachzuhalten.
29
Eine derartige Beschränkung auf eine Nachricht, die „zielgerichtet auf das Wachhalten der UE gerichtet ist“, ist im Wortlaut von Merkmal 2. nicht angelegt. Merkmal 2. setzt lediglich voraus, dass die UE Mittel umfasst, um eine Wachhaltenachricht um oben genannten Sinne zu empfangen. Die weitere Ausgestaltung der Wachhaltenachricht ist Gegenstand der Merkmale 2.1. bis 2.3., wie auch aus der Bezugnahme der Beklagten auf Merkmal 2.2. deutlich wird.
30
bb) Merkmal 2. enthält - entgegen der Auffassung der Beklagten (Klageerwiderung, S. 13/14) - auch keine Einschränkung dahingehend, dass die Wachhaltenachricht erst dann von der Basisstation an die UE gesendet wird, nachdem eine Ressourcenzuweisung erteilt wurde.
31
Eine derartige Einschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Anspruch 8 nicht angelegt. Zudem handelt es sich bei Anspruch 8 um einen Vorrichtungsanspruch, der keine Verfahrenselemente enthält und somit per se keine bestimmte chronologische Reihenfolge irgendwelcher Verfahrensschritte vorgibt. Eine solche Abhängigkeit würde auch vorliegend keinen Sinn ergeben, da Anspruch 8 eine UE betrifft, jedoch nur die Basisstation wissen kann, ob eine Ressourcenzuweisung erfolgt ist, um die Wachhaltenachricht zu erzeugen und zu senden (siehe auch den Wortlaut der Ansprüche 1 und 7). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine chronologische Reihenfolge mit zwei separaten Nachrichten (wobei die Wachhaltenachricht erst nach einer separaten Nachricht betreffend die Ressourcenallokation versandt bzw. empfangen würde) auch in technischer Hinsicht keine besonderen Vorteile gegenüber einem gleichzeitigen Versand bzw. Empfang beider Informationen in ein- und derselben Nachricht bietet.
32
Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt eine derartige Einschränkung auch weder aus Beschreibungsstelle [0033] noch aus der Figur 8. Diese betreffen zum einen nur Ausführungsbeispiele, die den Anspruch nicht beschränken, und zum anderen ohnehin lediglich die Netzwerkseite und können daher nicht zur Auslegung von Anspruch 8 herangezogen werden, der die UE-Seite betrifft. Darüber hinaus kann von der Kammer aus der Formulierung in [0033] „upon detecting that a resource allocation has been granted“ schon keine zeitliche Abfolge herausgelesen werden.
33
Auch aus dem Vergleich des „no overhead“-Ansatzes mit dem „minimal overhead“- Ansatz in der Beschreibung (vgl. [0023]) folgt - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 8/11, 13/14; Duplik, S. 7) - keine Beschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts des Empfangs der Wachhaltenachricht, weil schon weder dem Anspruch 8 noch der Beschreibung die von den Beklagten behauptete Abgrenzung des „no overhead“-Ansatzes vom „minimal overhead“-Ansatz mit einer entsprechenden Festlegung des Klagepatents auf letzteren entnommen werden kann.
34
c) Nach Merkmal 2.1. ist für die Benutzerausrüstung eine Wachhaltenachricht eines diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus aktiviert („for the user equipment a keepawake message of a discontinuous communication mechanism is enabled“).
35
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 12) ist dabei keine eindeutige Zuordnung der Wachhaltenachricht zum diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus in dem Sinne erforderlich, dass damit ausgeschlossen wäre, dass ihr neben ihrer Funktion als solcher noch andere Funktionen zukommen. Eine besonders geartete Beziehung der Wachhaltenachricht zum DRX-Mechanismus ist Merkmal 2.1. nicht zu entnehmen und in Anspruch 8 allgemein nicht angelegt. Merkmal 2.1. verlangt lediglich, dass die Wachhaltenachricht die vorgesehene Funktion im Rahmen des diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus wahrnimmt und die UE geeignet ist, mit der Wachhaltenachricht umzugehen. Die Funktion der Wachhaltenachricht ist in Merkmal 2.2. definiert und liegt demgemäß darin, dass sie die Verlängerung des Einschaltzeitraums des unterbrochenen Kommunikationsmechanismus indiziert (siehe hierzu sogleich). Merkmal 2.2. definiert somit die erforderliche, aber auch hinreichende Verbindung zwischen Wachhaltenachricht und DRXMechanismus.
36
d) Die Wachhaltenachricht indiziert nach Merkmal 2.2. die Verlängerung des Einschaltzeitraums des diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus („a keepawake message indicating extension of the onperiod of the discontinuous communication mechanism“).
37
aa) Dies bedeutet - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 15, 23; Duplik, S. 9/10) - nicht, dass die Wachhaltenachricht eine unmittelbare Anweisung an die UE darstellen muss, wach zu bleiben. Eine derartige Beschränkung ist im Wortlaut und Wortsinn von Merkmal 2.2. nicht angelegt. Dabei ist auch zu beachten, dass Anspruch 8 einen Vorrichtungsanspruch darstellt, keinen Verfahrensanspruch, und offenlässt, ob eine Verlängerung des Einschaltzeitraums eintritt. Die Vorrichtung muss hierzu nur geeignet sein.
38
bb) Der Empfang einer Wachhaltenachricht durch die Benutzerausrüstung muss - entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Klageerwiderung, S. 24/25; Duplik, S. 9/10) - auch nicht ausnahmslos und zwingend zu einer Verlängerung des Einschaltzeitraums führen. Merkmal 2.2. definiert lediglich, dass die Wachhaltenachricht die Verlängerung des Einschaltzeitraums des diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus indiziert. Im Zusammenhang dazu verlangt Merkmal 3. Mittel zum Aufrechterhalten des aktiven Zustands der Benutzerausrüstung während der Verlängerung des Einschaltzeitraums. Anspruch 8 stellt jedoch einen Vorrichtungsanspruch dar, keinen Verfahrensanspruch. Ob eine Verlängerung des Einschaltzeitraums eintritt, lässt der Anspruch offen. Die Vorrichtung muss hierzu nur geeignet sein. Anspruch 8 verlangt nicht den Einsatz dieser Mittel in jedem Einzelfall und setzt somit nicht voraus, dass der aktive Zustand der Benutzerausrüstung sich im Ergebnis durch die Wachhaltenachricht stets und zwingend verlängert. Eine Verlängerung in bestimmten Anwendungsfällen reicht aus. Auch die Verwendung des Begriffs der „Wachhaltenachricht“ (keepawake message) führt - entgegen der Ansicht der Beklagten (Duplik, S. 7, 10) - zu keinem abweichenden Ergebnis. Wie eine anspruchsgemäße Wachhaltenachricht ausgestaltet ist, wird gerade durch die Merkmal 2.1. bis 2.3. festgelegt. Die Patentschrift stellt insoweit ihr eigenes Lexikon dar.
39
cc) Schließlich muss erst recht - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 25) - die Verlängerung aufgrund der Wachhaltenachricht nicht zwingend stets genau ein TTI („Transmission Time Interval“) betragen. Eine solche Vorgabe kann Anspruch 8 nicht entnommen werden. Vielmehr ist die Anzeige einer Verlängerung des Einschaltzeitraums um ein TTI durch die Wachhaltenachricht Gegenstand des auf Anspruch 8 rückbezogenen Anspruchs 12. Im Umkehrschluss muss der unabhängige Anspruch 8 diesbezüglich also weiter sein und umfasst die Anzeige einer Verlängerung des Einschaltzeitraums durch die Wachhaltenachricht um jeden beliebigen Zeitraum.
40
d) Die Wachhaltenachricht wird nach Merkmal 2.3. durch ein einzelnes Bit gekennzeichnet, das über einen dedizierten Steuerkanal an die UE gesendet wird („the keepawake message is indicated by a single bit sent to the user equipment over a dedicated control channel“).
41
aa) Wie aus dem Wortlaut von Merkmal 2.3. hervorgeht („a single bit sent“), setzt es lediglich voraus, dass die Wachhaltenachricht durch ein einzelnes Bit gekennzeichnet ist, das an die UE gesendet wird. Dass verlängert wird, ergibt sich also aus dem übertragenen (gesendeten) Bit. Dies bedeutet aber - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 15; Duplik, S. 11/12) - nicht, dass sich in diesem einzelnen (gesendeten) Bit alle notwendigen Informationen befinden müssen und keine weiteren Bits von Bedeutung sein dürfen, d.h. die Heranziehung weiterer, in der UE bereits vorhandener Informationen wird hierdurch nicht ausgeschlossen. Eine derartige Beschränkung ist weder im Anspruch angelegt noch in funktionaler Hinsicht zwingend. Zudem wurde bereits dargelegt (s.o.), dass die Wachhaltenachricht gerade keine unmittelbare Anweisung an die UE sein muss.
42
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten (Duplik, S. 12/13) führt auch die Verwendung des Begriffs „direct bit“ in [0033] und der Umstand, dass in der Klagepatentschrift keine Ausführungsform beschrieben sei, in der weitere Bits (also mehr Informationen) benötigt würden als diejenigen, die in dem einzelnen Bit enthalten seien, zu keinem anderen Ergebnis, weil diese Ausführungsbeispiele den Anspruch nicht beschränken.
43
Auch aus dem Vergleich des „no overhead“-Ansatzes mit dem „minimal overhead“- Ansatz in der Beschreibung folgt - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, Duplik, S. 12/13) - keine entsprechende Beschränkung, weil der Gegenstand des Klagepatents nicht auf den „minimal overhead“-Ansatz beschränkt ist (s.o.).
44
bb) Das die Wachhaltenachricht kennzeichnende einzelne Bit wird nach Merkmal 2.3. über einen dedizierten Steuerkanal übersendet.
45
(1) Unter einem „Steuerkanal“ (engl. control channel) versteht die Fachperson einen Kanal, über den Steuerinformationen (engl. control information) gesendet werden. Dediziert ist ein solcher Kanal, wenn er Informationen enthält, die nur für einen Adressaten, also etwa eine UE, gedacht sind - im Gegensatz zum Beispiel zu Broadcasting-Kanälen, die für alle UEs gedacht sind. Es kommt also maßgeblich auf die übertragenen Informationen an. Eine „Pointto-Point“-Verbindung ist demgegenüber - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht erforderlich. Dies geht auch aus [0012] hervor, weil danach ein Ausführungsbeispiel ein LTENetz betrifft, das ein paketbasiertes System ist, bei dem es keine sogenannte „dedizierte“ Verbindung (wie bei 2G und 3G) gibt, die für die Kommunikation zwischen der UE und dem Netzwerk (d.h. der Basisstation) reserviert ist („Because the LTE system 100 is a packetbased system, there is no socalled ‚dedicated‘ connection (as known from 2G and 3G) reserved for communication between the UE 101 and the network (i.e., the base station 103).“). Danach wäre dieses Ausführungsbeispiel bei einer Beschränkung des Begriffs des „dedizierten Steuerkanals“ auf „Pointto-Point“-Verbindungen also gerade nicht anspruchsgemäß, was angesichts der besonderen Hervorhebung von LTE-Systemen in der Beschreibung des Hintergrunds des Klagepatents in [0001] besonders fernliegend erscheint. Das Erfordernis einer „Pointto-Point“-Verbindung folgt auch nicht aus den von der Beklagten in Bezug genommenen [0034], [0035] und [0020] (vgl. Bl. 550 d.A.). Insbesondere beschreibt [0020] die L1-Signalisierung - entgegen dem Vorbringen der Beklagten - nicht generell als negativ. Eine generelle Abkehr oder ein „Weglehren“ des Klagepatents von diesem Ansatz kann [0020] nicht entnommen werden. [0034] und [0035] beschreiben Ausführungsbeispiele, die den Anspruch nicht beschränken.
46
Anzumerken ist auch, dass in den von der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2022 als Anlagen HL 6 und HL 7 vorgelegten Übersichten (vgl. Bl. 550 d.A.) ebenfalls die Maßgeblichkeit der übertragenen Informationen für die Definition der einzelnen Kanäle hervorgeht, weil danach der Physical Downlink Control Channel (PDCCH) dahingehend beschrieben wird, dass er der Übertragung der Kontrollinformation für eine bestimmte UE (Anlage HL 6, S. 3: „It carries control information for a particular UE or group of UEs.“) dient. Es kann daher hier dahinstehen, ob es sich bei der Vorlage dieser Übersichten um neuen Tatsachenvortrag der Beklagten handelt (wofür spricht, dass die in den Übersichten verwendeten Formulierungen sich jedenfalls nicht wörtlich und vollständig in den von den Beklagtenvertretern in der mündlichen Verhandlung zitierten Seiten 24 und 30-34 wiederfinden, vgl. Bl. 550 d.A.), der nicht zu berücksichtigen wäre. Dahinstehen kann auch, ob diese Informationen dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt überhaupt zur Verfügung standen, was von den Beklagten nicht vorgetragen wurde.
47
(2) Der Anspruch lässt dabei offen, wo sich dieser dedizierte Steuerkanal befindet. Eine Einschränkung auf bestimmte Schichten lässt sich dem Wortlaut und Wortsinn von Merkmal 2.3. nicht entnehmen. Insbesondere kann die Wachhaltenachricht anspruchsgemäß - entgegen der Ansicht der Beklagten (Klageerwiderung, S. 26) - auch über die physikalische Schicht übertragen werden. Dem steht nicht entgegen, dass in [0020] (auch) Nachteile der L1-Signalisierung beschrieben werden, weil [0020] schon nicht den patentgemäßen Gegenstand betrifft. Zudem beschreibt [0020] die L1-Signalisierung nicht generell als negativ, sondern gerade auch deren Vorteile im Vergleich zu der Verwendung von RRC-Nachrichten. Eine generelle Abkehr oder ein „Weglehren“ des Klagepatents von einer L1-Signalisierung kann dem von der Kammer nicht entnommen werden.
48
II. Die Beklagten verletzen das Klagepatent unmittelbar gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, weil sie die angegriffene Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland anbieten und vertreiben und die angegriffene Ausführungsformen durch die Umsetzung des LTEStandards von Anspruch 8 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch machen.
49
a) Die Parteien streiten über die Benutzung der Merkmale 2., 2.1., 2.2. und 2.3.Gegen die Benutzung der übrigen Merkmale wenden sich die Beklagten zu Recht nicht. Denn diese werden nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin von den angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
50
b) Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen Merkmal 2.
51
Als Wachhaltenachricht identifiziert die Klägerin den New Data Indicator (NDI), dessen Übertragung als Teil des DCI (Downlink Control Information) Formats in Abschnitt 5.3.3.1.3. von ETSI TS 36.212 (Anlage K 7) beschrieben ist (Klageschrift, S. 16; Replik, S. 12/13):
„The following information is transmitted by means of the DCI format 1A: (…)
- New data indicator - 1 bit“
52
Die angegriffenen Ausführungsformen verfügen unstreitig über Mittel zum Empfangen des NDI.
53
Weitere Anforderungen ergeben sich aus Merkmal 2. nicht. Ob es sich bei dem NDI tatsächlich um eine anspruchsgemäße Wachhaltenachricht handelt, bestimmt sich nach den Merkmalen 2.1. bis 2.3. (hierzu sogleich). Wie im Rahmen der Auslegung dargelegt (s.o.), setzt Merkmal 2. darüber hinaus weder voraus, dass die Wachhaltenachricht zielgerichtet auf das Wachhalten der UE gerichtet ist, noch, dass sie erst dann von der Basisstation an die UE gesendet wird, nachdem eine Ressourcenzuweisung erteilt.
54
c) Die angegriffenen Ausführungsformen machen auch von Merkmal 2.1. Gebrauch.
55
Die angegriffenen Ausführungsformen unterstützen unstreitig den DRX-Mechanismus, der unter anderem in Abschnitt 5.7 von ETSI TS 36.321 und Abschnitt 12 von ETSI TS 36.300 (Anlage K 7) beschrieben ist. Der DRX-Mechanismus stellt einen diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus gemäß Merkmal 2.2. dar, wie aus Abschnitt 5.7 von ETSI TS 36.321 („Discontinuous Reception (DRX): The UE may be configured by RRC with a DRX functionality that controls the UE’s PDCCH monitoring activity …“) sowie den nachfolgenden Definitionen in Abschnitt 12 von ETSI TS 36.300 hervorgeht:
„The following definitions apply to DRX in E-UTRAN:
- onduration: duration in downlink subframes that the UE waits for, after waking up from DRX, to receive PDCCHs. If the UE successfully decodes a PDCCH, the UE stays awake and starts the inactivity timer;
- inactivitytimer: duration in downlink subframes that the UE waits to successfully decode a PDCCH, from the last successful decoding of a PDCCH, failing which it reenters DRX. The UE shall restart the inactivity timer following a single successful decoding of a PDCCH for a first transmission only (i.e. not for retransmissions).
- activetime: total duration that the UE is awake. This includes the “onduration” of the DRX cycle, the time UE is performing continuous reception while the inactivity timer has not expired and the time UE is performing continuous reception while waiting for a DL retransmission after one HARQ RTT. Based on the above the minimum active time is of length equal to onduration, and the maximum is undefined (infinite); “
(Hervorhebungen dort)
56
Der NDI stellt auch eine Wachhaltenachricht des diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus dar, weil er sich - jedenfalls unter bestimmten Umständen (hierzu sogleich unten zu Merkmal 2.2.) - unstreitig im Rahmen des DRX-Mechanismus dergestalt auswirken kann, dass er zu einer Verlängerung des Einschaltzeitraums führt.
57
Dass der NDI gemäß Abschnitt 3.1 von ETSI 36.321 einen Teil des HARQ-Prozesses bildet („HARQ information: HARQ information consists of New Data Indicator (NDI), (…).“) - wie von den Beklagten vorgetragen (Duplik, S. 16) und sich im Ergebnis auch aus den Ausführungen der Klägerin (vgl. Klageschrift, S. 17, Replik, S. 15) ergibt - ist für die Verwirklichung von Merkmal 2.2. unerheblich, weil hiernach - bei Auslegung der Kammer (s.o.) - keine eindeutige Zuordnung der Wachhaltenachricht zum diskontinuierlichen Kommunikationsmechanismus in dem Sinne erforderlich ist, dass damit ausgeschlossen wäre, dass ihr neben ihrer Funktion als solcher noch andere Funktionen zukommen.
58
d) Merkmal 2.2. wird durch die angegriffenen Ausführungsformen ebenfalls verwirklicht.
59
Der NDI indiziert eine Verlängerung des Einschaltzeitraums des DRX-Mechanismus.
60
Nach den insoweit unstreitigen Ausführungen der Klägerin (Klageschrift, S. 14/21; Replik, S. 12/19) kann sich der NDI nach den Vorgaben des LTE-Standard folgendermaßen auf den DRX-Mechanismus auswirken:
61
Das Umschalten des NDI zeigt dem UE im Rahmen des HARQ-Prozesses an, dass die aktuelle Übertragung eine neue Übertragung ist, vgl. ETSI TS 36.321, Abschnitt 5.3.2.2. (Anlage K 7):
„5.3.2.2 HARQ process For each subframe where a transmission takes place for the HARQ process, one or two (in case of spatial multiplexing) TBs and the associated HARQ information are received from the HARQ entity.
For each received TB and associated HARQ information, the HARQ process shall:
- if the NDI, when provided, has been toggled compared to the value of the previous received transmission corresponding to this TB; or
- if the HARQ process is equal to the broadcast process and if this is the first received transmission for the TB according to the system information schedule indicated by RRC; or
- if this is the very first received transmission for this TB (i.e. there is no previous NDI for this TB):
- consider this transmission to be a new transmission.“
62
Gemäß Abschnitt 5.7 von ETSI TS 36.321 führt eine neue Übertragung dazu, dass der „drx-Inactivitiy timer“ gestartet oder neu gestartet wird:
„- if the PDCCH indicates a new transmission (DL or UL):
- start or restart drx-InactivityTimer.“
63
Das (Wieder-)Starten des „drx-Inactivitiy timer“ führt gemäß Abschnitt 5.7 von ETSI TS 36.321 (Anlage K 7) zu einer Verlängerung der „Active Time“ der UE, wenn der „drxInactivitiy timer“ länger läuft als der „onDurationTimer“:
„When a DRX cycle is configured, the Active Time includes the time while:
- onDurationTimer or drx-InactivityTimer or drx-RetransmissionTimer or macContentionResolutionTimer (as described in subclause 5.1.5) is running; or (…)“
64
Ob der drx-Inactivitiy-Timer über den onDurationTimer hinaus läuft, hängt von den jeweils konfigurierten Längen der beiden Timer ab, die gemäß nachfolgender Übersicht in Abschnitt 6.3.2 von TS 36.331 (dort, S. 116) unterschiedliche Werte annehmen können, sowie von den jeweiligen Startzeiten der Timer.
65
Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, gibt es demnach Fälle, in denen das Starten des „drx-Inactivitiy timer“ zu einer Verlängerung der „Active Time“ der UE führt (z.B. immer wenn onDurationTimer = psf1 oder drx_InactivityTimer ≥ psf200). Wie im Rahmen der Auslegung der Kammer dargelegt (s.o.) reicht dies für eine Verwirklichung von Merkmal 2.2. aus. Merkmal 2.2. setzt weder eine zielgerichtete oder unmittelbare Anweisung an die UE voraus, wach zu bleiben, noch, dass der Empfang einer Wachhaltenachricht in jedem Einzelfall zur Verlängerung des Einschaltzeitraums führt. Erst recht ist keine Verlängerung um stets genau ein TTI verlangt (s.o.).
66
e) Schließlich machen die angegriffenen Ausführungsformen auch von Merkmal 2.3. Gebrauch.
67
aa) Der die Wachhaltenachricht darstellende NDI (s.o.) besteht ausweislich (Abschnitt 5.3.3.1.3 von ETSI TS 36.212 (Anlage K 7) aus einem einzelnen Bit (s.o.).
„The following information is transmitted by means of the DCI format 1A: (…)
- New data indicator - 1 bit“
68
Dass zur Interpretation des NDI als Wachhaltenachricht die oben dargelegten zusätzlichen Informationen herangezogen werden, nämlich der NDI des vorhergehenden Übertragungszeitraums (vgl. ETSI TS 36.321, Abschnitt 5.3.2.2.), ändert daran - wie im Rahmen der Auslegung ausgeführt - nichts. Dies führt auch nicht zu einem zusätzlichen SignalisierungsOverhead, da der Wert des NDI des vorhergehenden Übertragungszeitraums dem UE ohnehin vorliegt und daher nicht erneut gesendet werden muss.
69
bb) Der NDI als anspruchsgemäße Wachhaltenachricht wird als Teil der Steuerinformation DCI (s.o.) über den Kanal PDCCH (Physical Downlink Control Channel) übersandt, wie aus nachfolgender Tabelle 4.2-2 von ETSI TS 36.212 hervorgeht:
70
Der PDCCH ist ein dedizierter Steuerkanal i. S. von Merkmal 2.3. Er ist ein Steuerkanal, weil über ihn Steuerinformationen übersendet werden. Mit Blick auf den NDI ist er auch ein dedizierter Kanal, weil die in ihm enthaltenen Informationen jeweils insoweit unstreitig nur für ein spezifisches UE bestimmt sind. Auch in den von den Beklagten selbst als Anlage HL 6, S. 3, vorgelegten Erläuterungen wird zum PDCCH ausgeführt, dass dieser der Übertragung der Kontrollinformation für eine bestimmte UE (Anlage HL 6, S. 3: „It carries control information for a particular UE or group of UEs.“) dient - auch insoweit kann daher dahinstehen, ob es sich hierbei um verspäteten Tatsachenvortrag handelt (s.o.)
71
Dass die Signalisierung dabei über die physikalische Schicht erfolgt, ist - wie im Rahmen der Auslegung erläutert (s.o.) - mit Blick auf Merkmal 2.3 unerheblich.
72
III. Auf die Verwirklichung von Unteranspruch 12 kommt es nicht an, da er insoweit nur hilfsweise geltend gemacht wird.
73
IV. Die Beklagtenseite ist passivlegitimiert.
74
V. Damit stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zu.
75
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Die Wiederholungsgefahr wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert.
76
a) Ein Schlechthinverbot ist hinsichtlich Klage Ziffer I.1. gerechtfertigt. Die angegriffenen Verletzungsformen können technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Als 4G/5G-kompatibel beworbene Smartphones durch ein Software-Update nur mit 2G-Kompabilität anzubieten und zu liefern, scheidet in aller Regel aus.
77
b) Der Unterlassungsanspruch ist nicht aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG. Er ist verhältnismäßig, § 139 Abs. 1 S. 3 PatG.
78
aa) Die Beklagtenseite meint, ein Totalverbot wäre unverhältnismäßig, da die Interessen der Klägerin vornehmlich in der Monetarisierung des Klagepatents, nicht in der Vermarktung ihrer technischen Errungenschaften lägen und gegenüber den Interessen der Beklagtenseite zurückstehen müssten. Ein Totalverbot hätte für die Beklagtenseite wirtschaftliche Auswirkungen, die völlig außer Verhältnis zum Anteil des Klagepatents an den technisch komplexen Produkten der angegriffenen Ausführungsformen stünden. Dies gelte insbesondere aufgrund des Umstands, dass die Produkte der Beklagtenseite komplexe Produkte seien, und das Klagepatent nur einen verschwindend geringen Teil an dem Gesamtprodukt betreffe, gleichzeitig aber wegen dessen - unterstellter - Standardessentialität ein Unterlassungsausspruch einen faktischen Vertriebsstopp der Verletzungsformen bedeuten würde.
79
bb) Die Klägerin unterstreicht, sie sei keine Patentverwerterin, sondern forschendes Unternehmen und Netzwerkausrüsterin, sowie als Markenlizenzgeberin auch indirekt am Smartphonemarkt beteiligt.
80
cc) Hiernach liegt keine Unverhältnismäßigkeit vor.
81
(1) Gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.
82
Der Unverhältnismäßigkeitseinwand des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG ist auf besondere Ausnahmefälle begrenzt. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Unterlassungsanspruch die logische Folge des Ausschließlichkeitsrechts ist. Mit der Erteilung des Patents entstehen an der patentierten Erfindung absolute Rechte, die neben ihrem Zuweisungsgehalt einen Ausschlussgehalt besitzen, so dass der Inhaber des Rechts grundsätzlich jedermann von der Nutzung der patentierten Lehre ausschließen kann. So erlauben sie insbesondere - im Rahmen der übrigen gesetzlichen, insbesondere der patent- und kartellrechtlichen Vorgaben - den Ausschluss Dritter von der Nutzung der patentierten Lehre. Um sein Ausschließlichkeitsrecht durchzusetzen, ist der Patentinhaber in aller Regel auf den Unterlassungsanspruch angewiesen.
83
Der Gesetzgeber hat in der Begründung des 2. PatModG klargestellt, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Der Unterlassungsanspruch ist die regelmäßige Sanktion der Patentrechtsordnung bei einer Patentverletzung. Darlegungs- und beweisbelastet für eine Unverhältnismäßigkeit ist die Beklagtenseite. Eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
84
Wenn der Patentverletzer besondere Umstände darlegt, die im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Härte begründen können, kann es im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und bei einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise darauf ankommen, ob der Verletzte selbst Produkte oder Komponenten herstellt, die mit dem patentverletzenden Produkt in Wettbewerb stehen, oder ob primär eine Monetarisierung seiner Rechte das Ziel des Patentinhabers ist (BT-Drs. 19/25821, S. 53). Im Übrigen können wirtschaftliche Auswirkungen der Unterlassungsverfügung, die Komplexität von Produkten, subjektive Gesichtspunkte auf beiden Seiten und Drittinteressen zu berücksichtigen sein. So kann etwa zu Lasten des Verpflichteten eine fehlende Lizenzwilligkeit gesehen werden (BTDrs. 19/25821, S. 54).
85
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe greift der von der Beklagtenseite erhobene Einwand der Unverhältnismäßigkeit nicht durch. Unter Berücksichtigung aller Umstände des zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits und ihrer maßgeblichen Interessen hat die Beklagtenseite eine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs nicht dargetan.
86
(a) Soweit die Beklagtenseite argumentiert, die Klägerin sei reine Patentverwerterin, kommt es hierauf für sich gesehen schon nicht an.
87
Denn nach der bisherigen Rechtslage (vgl. Werner, in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl. 2020, § 139 Rn. 92 m.w.N.), der die Gesetzesbegründung zustimmt (s.o.), ist der Umstand allein, dass ein Patentverwerter einen Unterlassungsanspruch geltend macht, für sich gesehen nicht geeignet, diesen als unverhältnismäßig einzustufen. Unabhängig davon ist die Klägerin unstreitig mit eigenen Produkten am Netzwerkausrüstungs-Markt und als Markenlizenzgeberin indirekt auf dem Smartphone-Markt aktiv, wenngleich nicht im direkten Wettbewerb mit der Beklagtenseite im Bereich der Smartphones.
88
(b) Irrelevant ist auch, dass die Klägerin an dem Abschluss eines Lizenzvertrages interessiert ist. Zutreffend ist zwar, dass der Gesichtspunkt eines vorrangigen Interesses an der Monetarisierung von Patenten als ein Aspekt bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein kann, wie oben dargetan. Dieser Aspekt steht im Zusammenhang mit der eigenen Marktteilnahme (oder deren Fehlen) von Patentinhabern. Da die Klägerin aufgrund ihrer FRAND-Erklärung und aus kartellrechtlichen Gründen gehalten ist, die Lizenzierung des Klagepatents zu ermöglichen und hierzu in Lizenzverhandlungen einzutreten sowie diese zielgerichtet zu führen, wie unter C. erläutert, darf ihr im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht entgegengehalten werden, dass sie ebendiesen vertraglichen und kartellrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Sie ist auch nicht gehalten, bis zum Abschluss der Lizenzverhandlungen von der Einleitung eines Gerichtsverfahrens abzusehen, um dem Vorwurf einer Unverhältnismäßigkeit zu entgehen. Dann würde das Regel-Ausnahmeverhältnis, das § 139 Abs. 1 S. 3 PatG aufstellt, gerade in sein Gegenteil verkehrt, und das gesetzgeberische Ziel verkannt.
89
(c) Auch der Umstand, dass es sich bei den Verletzungsformen um komplexe Produkte handelt, führt nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit.
90
Jedenfalls bei der Geltendmachung von standardessenziellen Patenten kommt insoweit eine Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht. Denn der Nutzer eines SEPs hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRANDBedingungen. Dass der Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen ist, ist - wie sogleich unter C. gezeigt wird - der Beklagtenseite anzulasten. Wie oben erläutert, kann auch die Lizenzunwilligkeit bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der Argumentation der Beklagtenseite, der FRAND-Einwand und der Unverhältnismäßigkeitseinwand beruhten auf unterschiedlichen dogmatischen Grundlagen. Der Umstand, dass die Beklagtenseite mehrere - nicht schlechterdings untragbare (s.u.) - Angebote von der Klägerin erhalten und diese nicht angenommen hat, weil sie lizenzunwillig gewesen ist (hierzu unter C.), vermag die Rechte der Klägerin wegen der Komplexität des Verletzerprodukts nicht beschränken. Denn die Unternehmensgruppe der Beklagtenseite hatte und hat die Möglichkeit, ihr patentverletzendes Handeln zu legitimieren. Sie hat (bislang) von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Dass die Klägerin ihre Patentrechte gegen einen lizenzunwilligen Patentverletzer durchsetzen muss und hierzu auf ein gerichtliches Verfahren angewiesen ist, ist dann logische Folge. Dies begründet im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung keine Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs.
91
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der herrschenden Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur: Kommt der Patentinhaber seinen FRAND-Verpflichtungen nach, so eröffnet § 139 Abs. 1 S. 3 PatG dem Patentverletzer bei Fehlen weiterer, die Unverhältnismäßigkeit begründender Umstände keine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit (vgl. Ohly, GRUR 2021, 1229, 1236).
92
(d) Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Beklagtenseite führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Sie nutzt das Klagepatent der Klägerin seit einem Jahr ohne Zahlung eines Entgelts und hat die Möglichkeit, einen Lizenzvertrag abzuschließen, der dem Unterlassungsanspruch entgegenstehen würde. Besondere Härten durch den Unterlassungsanspruch, die angesichts dieser Umstände zu einer Unverhältnismäßigkeit führen würden, hat die Beklagtenseite nicht dargelegt.
93
(e) Auch bei einer Gesamtschau der gegen die Verhältnismäßigkeit vorgebrachten Aspekte ergibt sich keine andere Wertung.
94
dd) Den Unterlassungsansprüchen steht daher die geltend gemachte Unverhältnismäßigkeit nicht entgegen. Ein angemessener Ausgleich in Geld nach § 139 Abs. 1 S. 4 PatG steht der Klägerin angesichts dessen nicht zu.
95
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
96
Soweit die Beklagtenseite geltend macht, sie stellten die angegriffenen Smartphones nicht im Inland her, was für sich gesehen unstreitig ist, kann der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung über die festgestellten Verletzungshandlungen hinausgehen, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, Angaben der Beteiligten auch untereinander zu plausibilisieren. Sofern die Beklagten im Inland keine Verletzungsgegenstände hergestellt hat, kann sie dies mittels „Nullauskunft“ angeben.
97
Die Auskunftserteilung in elektronischer Form ist allgemein üblich, so dass sich der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch hierauf erstreckt (dazu Zigann, in: Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Aufl. 2020, § 15 Rn. 163).
98
3. Der Anspruch auf Rückruf und Vernichtung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG. Der Anspruch auf Rückruf besteht auch gegen eine im Ausland ansässige Verpflichtete (BGH GRUR 2017, 785, 787, Rn. 33 - Abdichtsystem). Daher besteht der Anspruch auch hier gegen die Beklagtenseite. Ebenso besteht der Anspruch auf Vernichtung: Zwar liegt der Sitz der Beklagten zu 2) im Ausland, sie liefert aber unstreitig Verletzungsgegenstände ins Inland und hat daher im Inland jedenfalls (mittelbaren) Besitz. Soweit die Beklagtenseite unterstreicht, eine Lieferung ins Inland bedeute keine Angaben zu Eigentums- und Besitzverhältnissen, hat sie eine reine Direktlieferung an Endkunden nicht dargetan. Wie eine Belieferung von Endkunden aber ohne ein zumindest bestehendes mittelbares Besitzverhältnis erfolgen soll, hat die Beklagtenseite nicht konkret dargetan.
99
Der Anspruch ist auch nicht unverhältnismäßig, § 140a Abs. 4 PatG. Auch der Unverhältnismäßigkeitseinwand nach § 140a Abs. 4 PatG ist auf enge Ausnahmen beschränkt (zum Vernichtungsanspruch siehe BeckOK PatR/Rinken PatG § 140a Rn. 28, zum Rückrufanspruch BeckOK PatR/Rinken PatG § 140a Rn. 46). Hier gilt das unter V.1.b) Gesagte entsprechend.
100
4. Der Schadensersatzanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner.
C.
101
Der erhobene kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand steht der Durchsetzbarkeit der klägerischen Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung nicht entgegen. Er greift mangels Lizenzwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagtenseite nicht durch. Hierbei kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass die Klägerin eine marktbeherrschende Stellung auf dem relevanten Markt besitzt, so dass sie Normadressatin des Art. 102 AEUV ist.
102
Den sich aus dieser besonderen Stellung ergebenden Pflichten und Obliegenheiten ist die Klägerin hinreichend nachgekommen. Sie hat insbesondere die Unternehmensgruppe der Beklagtenseite auf die Verletzung des Klagepatents hingewiesen. Entgegen der Annahme der Beklagtenseite liegt indes kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung vor. Denn nach den Umständen des konkreten Einzelfalls ist die Unternehmensgruppe der Beklagtenseite nicht (hinreichend) lizenzwillig gewesen.
103
I. Ein Patentinhaber, welcher sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, Lizenzen an einem standardessenziellen Patent (SEP) zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, kann seine durch das standardessenzielle Patent vermittelte marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Verletzungsklage missbrauchen, wenn und soweit diese geeignet ist zu verhindern, dass dem Standard entsprechende Produkte auf den Markt gelangen oder auf dem Markt erhältlich bleiben (vgl. EuGH GRUR 2015, 764 - Huawei Technologies/ZTE; BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 - FRAND-Einwand I). Als missbräuchlich können insoweit grundsätzlich Klageanträge in Betracht kommen, die auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung von Produkten oder auf Vernichtung gerichtet sind (vgl. BGH GRUR 2020, 961 Rn. 68 - FRAND-Einwand I m. w. N.).
104
Der Unionsgerichtshof hat zur FRAND-Lizenz entschieden, dass der Inhaber eines von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, er dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird (vgl. EuGH aaO). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es dem Inhaber eines standardessenziellen Patents mit FRAND-Erklärung grundsätzlich nicht verboten ist, gegen den Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadensersatz wegen dieser Handlungen zu erheben (EuGH aaO).
105
Die klageweise Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung sowie Vernichtung durch den Patentinhaber kann sich als missbräuchlich darstellen, wenn sich der Verletzer zwar (noch) nicht rechtsverbindlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags zu bestimmten angemessenen Bedingungen bereiterklärt hat, dem Patentinhaber aber anzulasten ist, dass er sich seinerseits nicht hinreichend bemüht hat, der mit der marktbeherrschenden Stellung verbundenen besonderen Verantwortung gerecht zu werden und einem grundsätzlich lizenzwilligen Verletzer den Abschluss eines Lizenzvertrags zu ermöglichen (BGH - FRAND-Einwand I aaO). Der Missbrauch der Marktmacht folgt aus der Ablehnung eines nachgefragten Zugangs zu der Erfindung schlechthin oder aus unangemessenen Bedingungen für einen nachgefragten Zugang, von denen der Patentinhaber auch am Ende von Verhandlungen nicht abzurücken bereit ist, mithin der Weigerung, dem den Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen anstrebenden Lizenznehmer als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses diejenigen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen anzubieten, die dieser beanspruchen kann und zu denen er seinerseits bereit ist, mit dem Patentinhaber abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 59 - FRAND-Einwand II). Aus einem nicht FRAND-Bedingungen entsprechenden Angebot als solchem ergibt sich noch kein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Patentinhabers: Ein Missbrauch liegt erst darin, dem Patentverletzer die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der im Verhandlungsprozess artikulierten Interessen interessengerechten FRAND-Lizenzvertrags zu verweigern oder unmöglich zu machen und stattdessen das Patent oder eines der zu lizenzierenden Patente klageweise durchzusetzen (BGH aaO Rn. 78 - FRAND-Einwand II).
106
Derjenige, der das Patent benutzen will oder bereits benutzt und patentgemäße Produkte auf den Markt gebracht hat, obwohl er über keine Lizenz verfügt, muss bereit sein, eine Lizenz an diesem Patent zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu nehmen (BGH aaO Rn. 70 - FRAND-Einwand I). Denn auch der marktmächtige Patentinhaber kann die Lizenznahme niemandem aufdrängen; zwar kann der potenzielle Lizenznehmer von ihm den Abschluss eines Lizenzvertrags verlangen, der Patentinhaber ist aber darauf angewiesen, Ansprüche wegen Patentverletzung gegen denjenigen durchzusetzen, der die patentgemäße Lehre benutzen, einen Lizenzvertrag hierüber aber nicht abschließen will (vgl. BGH aaO Rn. 82 - FRAND-Einwand I). Der Verletzer muss sich daher klar und eindeutig bereiterklären, mit dem Patentinhaber einen Lizenzvertrag zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abzuschließen, und muss auch in der Folge zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken, weil „a willing licensee must be one willing to take a FRAND licence on whatever terms are in fact FRAND” (BGH aaO Rn. 83 - FRANDEinwand I). Unter welchen Umständen eine fehlende Lizenzbereitschaft des Patentverletzers vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH aaO Rn. 78 - FRAND-Einwand II).
107
Eine missbräuchliche Verweigerung durch den marktbeherrschenden Patentinhaber setzt zwingend ein fortdauerndes Verlangen des Verletzers nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und dessen Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus, ohne die eine „Verweigerung“ des Patentinhabers ins Leere ginge (BGH aaO Rn. 66 - FRAND-Einwand II). Die Lizenzbereitschaft ist unentbehrlich, weil sich ein die gegenläufigen beiderseitigen Interessen ausbalancierendes, angemessenes Ergebnis in der Regel erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses erfassen lässt, in dem diese Interessen artikuliert und diskutiert werden, um auf diese Weise zu einem beiderseits gewünschten fairen und angemessenen Interessenausgleich zu gelangen. Die Anforderungen an das Verhalten des Patentinhabers und an das Verhalten des Nutzers der Erfindung bedingen sich dabei wechselseitig. Maßstab der Prüfung ist dasjenige, was eine vernünftige Partei, die an dem erfolgreichen und dem beiderseits interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, zur Förderung dieses Ziels in einem bestimmten Verhandlungsstadium jeweils tun würde (BGH aaO Rn. 59 - FRAND-Einwand II). Eine objektive Bereitschaft zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags zeigt sich regelmäßig in der an dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen Abschlusses orientierten aktiven Förderung der Verhandlungen. Dabei bauen die Verhandlungsschritte von an einem Vertragsschluss interessierten Parteien aufeinander auf. Eine Förderpflicht besteht deshalb stets, wenn und insoweit nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben mit dem nächsten Verhandlungsschritt zu rechnen ist (BGH aaO Rn. 68 - FRAND-Einwand II).
108
Der Patentverletzer darf die Verhandlungen insbesondere nicht verzögern (EuGH aaO Rn. 66, 71). Denn anders als bei Vertragsverhandlungen, die ein lizenzwilliges Unternehmen vor Benutzungsaufnahme anstrebt, kann das Interesse des Verletzers auch - allein oder jedenfalls in erster Linie - darauf gerichtet sein, den Patentinhaber möglichst bis zum Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents hinzuhalten, weil ihm dann keine Verurteilung zur Unterlassung mehr droht (BGH aaO Rn. 82 - FRAND-Einwand I). Eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben (BGH aaO Rn. 67 - FRAND-Einwand II). Die auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte vorzunehmende Beurteilung, ob eine Verzögerungstaktik verfolgt wird, soll auch das weitere Verhalten des Verletzers auf eine Verletzungsanzeige oder ein Angebot des Patentinhabers in den Blick nehmen (BGH aaO Rn. 77 - FRAND-Einwand II).
109
Fehlt es an der Lizenzwilligkeit des Patentverletzers, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offengelassen werden, ob das Angebot des Patentinhabers (inhaltlich) FRAND-Bedingungen entspricht (BGH aaO Rn. 82, 101). Gänzlich entbunden von Reaktionspflichten und daher ebenfalls von der Pflicht, alle Einwände zugleich zu benennen, ist der Lizenzsucher allein in dem Fall, dass ein Angebot in einem Ausmaß FRANDwidrig ist, dass es bei objektiver Wertung als schlechterdings untragbar erscheint, daher als nicht ernst gemeint zu bewerten ist und in der Sache nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Weigerung darstellt, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen (vgl. BGH aaO Rn. 71 - FRAND-Einwand II).
110
II. Nach diesen Maßstäben ist die Unternehmensgruppe der Beklagtenseite unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des einschlägigen Gesamtverhaltens der Parteien, insbesondere angesichts des zielgerichteten Verhandelns der Klägerin, nicht hinreichend lizenzwillig.
111
1. Die von der Klägerin unterbreiteten Angebote, insbesondere das Angebot vom und vom, sind nicht schlechterdings untragbar. Die Kammer bewertet diese Angebote als ernst gemeint und auf den interessengerechten Abschluss der Verhandlungen gerichtet. In der Sache bedeuten sie keine Weigerung, mit der Unternehmensgruppe der Beklagtenseite einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Vor allem die zwei Haupteinwände der Beklagtenseite gegen die Klägerin verfangen nicht.
der Beklagten nicht zu reagieren gebraucht hätte.
112
aa) Denn aus der Verhandlungshistorie der Parteien ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, die Klägerin hat Insofern hat es nach Überzeugung der Kammer zwischen den Parteien bei der zunächst ein Missverständnis gegeben. Die Unterneh mensgruppe der Beklagten hat auf das entsprechende Angebot der Klägerin vorgebracht,
113
Die Klägerin hat hierzu entgegnet, dieses Verständnis treffe so nicht zu:
114
Dieses Verständnis hat die Klägerin später durch die geänderte Formulierung im Angebot vom klargestellt.
115
bb) Dass die Klägerin die Art und Weise der Berechnung der geforderten Lizenzgebühr nicht detailliert erläutert und insbesondere, bewirkt nicht, dass ihr Angebot schlechterdings untragbar ist.
116
Dass die Klägerin mag die Beklagten zwar stören, bewirkt aber nicht die Unangemessenheit des klägerischen Angebots.
117
Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es im Einzelfall keiner detaillierten Erläuterung der Art und Weise der Berechnung. Denn die Parteien streben. Entscheidend ist hierbei in aller Regel, was bei der Lizenzgebühr „unterm Strich rauskommt“. Vernünftigen Parteien geht es nicht um die dahinterliegende Kalkulation oder darum, den Endbetrag in Teilsummen oder Leistungen aufzuteilen.
118
Der Weg zum Ergebnis ist jedenfalls vorliegend auch deswegen nachrangig, weil die Unternehmensgruppe der Beklagten in Kenntnis des Inhalts weiterer Lizenzverträge der Klägerin mit anderen Unternehmen zu Recht den Einwand nicht erhebt, ihre direkten Mitbewerber hätten günstigere Bedingungen erhalten als sie selbst.
119
Beklagten, dies betreffe ihre direkten Mitbewerber. Vielmehr bestreiten sie - insoweit unwirksam - mit Nichtwissen, dass Noch ergibt sich aus den genannten Stücklizenzen ein zwingender Rückschluss auf die hier (s.o.).
120
Mithin bedarf es entgegen der Auffassung der Beklagten ebenfalls Dies ist entgegen der Annahme der Beklagten auch nicht notwendig, um mit der Klägerin über den Wert ihrer Patente in Verhandlung zu kommen. Denn entscheidend ist im Verhältnis der Parteien nicht sondern die Gesamtsumme, die die Klägerin für ihr Patentportfolio fordert und die von der Unternehmensgruppe der Beklagten bezahlt werden soll.
121
cc) Dass begründet gleichfalls kein anderes Ergebnis. Denn die Klägerin bietet im Gegenzug an.
122
Jedenfalls hat die Unternehmensgruppe der Beklagten hier keine konkreten Anhaltspunkte dargetan, die diese Annahme entkräften würden.
123
b) Wenn die Unternehmensgruppe der Beklagten außerdem rügt, folgt hieraus ebenfalls kein schlechterdings untragbares Angebot.
124
Es mag zutreffen, dass die Klägerin zunächst und in den jeweiligen Angeboten damit fehlte. Hieraus folgt aber nicht, dass die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten nur ein Angebot unterbreitet habe, das nicht ernst gemeint sei und in der Sache eine Weigerung bedeute, mit der Unternehmensgruppe der Beklagten einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Im Übrigen hat die Klägerin noch vor der letzten mündlichen Verhandlung (Anlage K60/K 60a im Verfahren 21 O 8890/21).
125
aa) Aus den im Rahmen des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands zu berücksichtigenden Regeln des Kartellrechts ergibt sich keine Verpflichtung der Klägerin, der Beklagten anzubieten, auch wenn andere Wettbewerber Verträge mit dieser Klausel erhalten hätten. Ein solcher Anspruch auf das Angebot steht den Beklag ten im konkreten Einzelfall nicht zu.
126
So gibt es bereits keine kartellrechtliche Pflicht der Klägerin, sämtliche Konflikte mit der Unternehmensgruppe der Beklagten hinsichtlich Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund des konkreten Streits der Parteien, in dem die Klägerin gegen die Unternehmensgruppe der Beklagten Patentverletzungsklagen erhoben hat. Bei der Kammer sind beide Arten von Verfahren anhängig. Zudem ist das Angebot eines Portfoliolizenzvertrags durch einen marktbeherrschenden Inhaber eines standardessenziellen Patents jedenfalls insoweit grundsätzlich kartellrechtlich unbedenklich, (BGH aaO Rn. 78 - FRAND-Einwand I).
127
Aus dem Einwand der Unternehmensgruppe der Beklagten, die Klägerin habe Wettbewerbern angeboten und er sei Teil der Lizenzverträge geworden, ergibt sich keine kartellrechtswidrige Diskriminierung. Dieser Einwand bezieht sich im Wesentlichen auf geschlossene Lizenzverträge. Von einem Lizenzvertragsschluss sind die Parteien im vorliegenden Streit jedoch (derzeit) weit entfernt, so dass die Verhandlungen über den Lizenzvertrag noch nicht abgeschlossen sind und es daher auch nicht ausgeschlossen ist, dass die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten ebenfalls anbieten könnte. Unter den gegebenen Umständen - die Parteien streiten insbesondere nicht allein um, sondern ebenso um weitere Klauseln und Bedingungen - ist ein Angebot der Klägerin ohne jedenfalls kein schlechterdings untragbares Angebot.
128
bb) Wenn die Beklagten geltend machen, diese Angebote würden sich vom im Fehlen einer solchen Klausel zu ihren Lasten unterscheiden, so trifft dieser Einwand sachlich zu, lässt das Angebot der Klägerin aber nicht als schlechterdings untragbar erscheinen. Denn der geltend gemachte Einwand hat seinen Ursprung so dass insofern in der Sache allenfalls (nach-) vertragliche, aber jedenfalls keine kartellrechtlichen Ansprüche betroffen sein könnten.
129
cc) Im Übrigen hat die Klägerin der Beklagten noch vor der letzten mündlichen Verhandlung (Anlage K60/K 60a im Verfahren 21 O 8890/21), das die Beklagtenseite gleichwohl nicht angenommen hat.
130
c) Auch aus den weiteren Rügen der Beklagten ergibt sich nicht, dass das klägerische Lizenzangebot schlechterdings untragbar gewesen ist.
131
Diese Rügen (s.u.) wiegen bereits sachlich weniger schwer als die beiden Hauptrügen der Beklagten () und vermögen daher die Ungeeignetheit der klägerischen Angebote erst recht nicht zu begründen.
132
2. Die Lizenzunwilligkeit der Beklagten ergibt sich aus ihrem zögerlichen Verhandeln der Lizenzbedingungen und daraus, dass sie die Verhandlungen nicht zielführend zum Abschluss des angeblich angestrebten Lizenzvertrags führte. Die Unternehmensgruppe der Beklagten ist während der langwierigen Verhandlungen nicht hinreichend lizenzwillig gewesen. Für die Kammer zeigt das Gesamtverhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten ihr fehlendes Interesse, mit der Klägerin zügig zum erneuten Abschluss des Lizenzvertrags zu gelangen. Die Unternehmensgruppe der Beklagten hat ihre Beanstandungen an den klägerischen Angeboten nicht hinreichend frühzeitig formuliert und zahlreiche Gründe gegen die Erfüllung der FRAND-Bedingungen erst im gerichtlichen Verfahren mitgeteilt. Die Unternehmensgruppe der Beklagten verfolgt zur Überzeugung der Kammer das Ziel, ihre eigenen (finanziellen) Lizenzbedingungen gegen die Klägerin durchsetzen zu wollen. Sie wendet hierfür eine Verzögerungstaktik an. So ist sie bereit, als Druckmittel eine möglichst lange Zeit das Klagepatent (und andere Patente aus dem Portfolio der Klägerin) unberechtigt und ohne Bezahlung der Klägerin zu nutzen. Ihre Lizenzunwilligkeit ergibt sich ebenso daraus, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten in den Verhandlungen mit der Klägerin nicht den nächsten Schritt gegangen ist, obwohl er objektiv an der Zeit gewesen wäre. Auch bedeuten die von der Unternehmensgruppe der Beklagten erhobenen weiteren Rügen aus rechtlichen Gründen keinen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Hingegen verweigerte die Klägerin der Unternehmensgruppe der Beklagten zur Überzeugung der Kammer weder die Verhandlung und den Abschluss eines in Ansehung der artikulierten Interessen angemessenen FRAND-Lizenzvertrags, noch machte sie diesen unmöglich.
133
a) Die Lizenzunwilligkeit ergibt sich objektiv im Wesentlichen aus dem im Folgenden dargestellten zögerlichen und nicht hinreichend förderlichen Verhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten während der Verhandlungen mit der Klägerin.
134
Nachdem die Parteien am einen weltweiten Lizenzvertrag an dem ZellularPortfolio der Klägerin bis zum geschlossen haben, sprach die Klägerin die Un ternehmensgruppe der Beklagten mehr als rechtzeitig vor Ablauf des Vertrags, an. Die Klägerin schlug Am fand zwischen den ehemaligen Vertragsparteien statt. In der Folgezeit tauschten sie Die Unternehmensgruppe der Beklagten erklärte in einem Gespräch mit der Klägerin am ihre Lizenzbereitschaft.
135
Im Anschluss hieran fand zwischen den ehemaligen Vertragsparteien ... statt. Die Unternehmensgruppe der Beklagten erklärte in einem Gespräch mit der Klägerin am ... ihre Lizenzbereitschaft.
136
Mit E-Mail vom erklärte die Unternehmensgruppe der Beklagten (erneut) ihre Lizenzbereitschaft.
137
b) Dieses Verhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten widerspricht der mehrfach erklärten Lizenzbereitschaft und belegt zur Überzeugung der Kammer ihre Lizenzunwilligkeit. Diesem Verhalten der Unternehmensgruppe der Beklagten kann die Kammer - trotz der mehrmals ausgesprochenen (angeblichen) Lizenzbereitschaft - nicht entnehmen, dass es ihr Vielmehr ging es der Unternehmensgruppe der Beklagten um die Durchsetzung ihrer Interessen - besonders was anbelangte. Hierzu zählte, die Verhandlungen so lange wie möglich in der Schwebe zu lassen und der Klägerin somit Lizenzeinnahmen vorzuenthalten.
138
Zwar verhandelte die Unternehmensgruppe der Beklagten mit der Klägerin und tauschte mit ihr diverse Angebote aus. Dies diente nach Überzeugung der Kammer aber nicht dazu, vernünftige, angemessene und interessengerechte Bedingungen eines angestrebten Lizenzvertrags mit der Klägerin zu erarbeiten, sondern war auf Grundlage objektiver Gesichtspunkte in erster Linie auf Verzögerung der Verhandlungen angelegt. Denn eine Verzögerungstaktik besteht typischerweise darin, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen nicht schlichtweg abzulehnen, sondern ihn vorgeblich anzustreben, aber die Findung einer angemessenen Lösung im Einzelnen zu hintertreiben oder zumindest so lange wie möglich hinauszuschieben. Insbesondere hat die Unternehmensgruppe der Beklagten ihre Interessen und Zweifel hinsichtlich der Angebote der Klägerin nicht unverzüglich und hinreichend konkret an diese übermittelt. Während im (vorgerichtlichen) Verhandlungsprozess der Parteien insbesondere umstritten war, verlegten sich die Rügen der Beklagten während des Gerichtsprozesses zudem darauf, dass die klägerischen Lizenzangebote FRANDwidrig seien, weil
139
c) Diese Lizenzunwilligkeit der Unternehmensgruppe der Beklagten ergibt sich ebenfalls daraus, dass die Unternehmensgruppe der Beklagten in den Verhandlungen nicht den nächsten Schritt gemacht hat, obwohl er an der Zeit gewesen wäre.
140
Nach dem sowie unter Berücksichtigung des fast wäre es nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und Grundsätzen von Treu und Glauben an der Zeit gewesen, nicht mehr nur zu verhandeln und Interessen zu formulieren (also Gespräche zu führen und E-Mails auszutauschen), sondern den Abschluss des - angeblich angestrebten - Vertrags nicht nur zu suchen, sondern alles zu unternehmen, den Lizenzvertrag auch erfolgreich abzuschließen. Dieses Verhalten folgt aus der Pflicht, dass der Lizenzsucher nicht nur zielgerichtet an den Lizenzvertragsverhandlungen mitwirken muss, sondern nach den geschäftlichen Gepflogenheiten und den Grundsätzen von Treu und Glauben auch den nächsten Verhandlungsschritt durchzuführen hat (vgl. BGH aaO Rn. 68 - FRAND-Einwand II).
141
Nach diesen Maßstäben wäre es im vorliegenden Fall bei den Verhandlungen an der Unternehmensgruppe der Beklagten gewesen, das ersichtlich nicht konstruktive Hin und Her aufzugeben und ausgehend vom Vorschlag der Klägerin unverzüglich, konkret und umfassend mitzuteilen, welche der vorgeschlagenen Bedingungen die Unternehmensgruppe der Beklagten bereit gewesen ist zu akzeptieren und welche sie aus welchen Gründen ablehne. Um einen Konsens zu erzielen, würde eine vernünftige Partei, die am erfolgreichen und interessengerechten Abschluss der Verhandlungen interessiert ist, in diesem Stadium konkrete Vorschläge unterbreiten, wie trotz der verschiedenen Vorstellungen der Parteien an einzelnen Stellen ihr Bemühen in eine vernünftige, interessengerechte und angemessene Lösung münden könnte. Hierfür genügt es aber jedenfalls nicht, sein eigenes Angebot schrittweise zu verbessern, sondern ein konkretes Zugehen auf den Patentinhaber ist in diesem Verhandlungsstadium erforderlich. Denn schließlich benötigt der Patentverletzer den Abschluss des Lizenzvertrags, um sein in aller Regel mittlerweile vorsätzliches und rechtswidriges (patentverletzendes) Handeln zu rechtfertigen. Erst dann, wenn ihm der Patentinhaber unter Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung die Verhandlung und den Abschluss eines fairen und interessengerechten Vertrags verweigerte oder unmöglich machte, ist der Patentverletzer dieser Schuld entledigt. Denn die beklagtenseits behauptete missbräuchliche Verweigerung der Klägerin setzt zwingend das fortdauernde Verlangen der Beklagten nach Abschluss eines Vertrags zu FRAND-Bedingungen und ihre Bereitschaft zur Mitwirkung am Zustandekommen eines solchen Vertrags voraus.
142
d) Nichts anderes ergibt sich aus der Beklagtenseite.
143
Denn es geht ab dem hier erreichten Stadium der Verhandlungen nicht ums Angeboteschreiben, sondern es muss vielmehr alles unternommen werden, was eine vernünftige Partei im privatautonomen Bereich tun würde, um sich objektiv zu FRAND-Bedingungen einigen zu können. Hierfür muss insbesondere die tatsächliche Bereitschaft der Beklagten erkennbar werden, Bedingungen zu „whatever it takes“ zu akzeptieren. Dies ist aus den dargelegten Gründen hier aber nicht der Fall gewesen.
144
e) Dass begründet für sich keine hinreichende Lizenzwilligkeit, sondern betrifft eine Mindestvoraussetzung für eine erfolgreiche Verteidigung mit dem kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand.
145
Dieser Einwand belegt stattdessen die Feststellungen der Kammer.
146
Die Unternehmensgruppe der Beklagten ist nicht hinreichend lizenzwillig. Denn anderenfalls Stattdessen wird mit dem Nichterzielen einer Lösung die Findung einer zügigen Verhandlungslösung hintertrieben und jedenfalls hinausgezögert. Grundsätzlich hätte eine Lösung durch Verhandlungen zwischen den Parteien erzielt werden können. Aus Sicht der Kammer erscheint hierfür besonders geeignet. Die langjährige Erfahrung von zwei Mitgliedern der Kammer, zeigt, dass grundsätzlich und in aller Regel zuverlässig und schnell eine einvernehmliche, interessengerechte und vernünftige Lösung für den Konflikt von Parteien gefunden werden kann, wenn die Parteien eine solche Lösung tatsächlich anstreben.
147
Ein erscheint hin gegen als nicht unbedenklich. An einer einvernehmlichen Konfliktlösung durch Verhandlung interessierte Parteien würden in aller Regel ein solches Verfahren nicht wählen, weil die andere Seite hiergegen denknotwendigerweise Vorbehalte haben und vorbringen wird, was die Lösung des Konflikts jedenfalls verzögern dürfte.
148
g) Sofern die Unternehmensgruppe der Beklagten weitere Rügen gegen das klägerische Verhandeln und Vertragsangebot erhebt, zeichnen sie kein anderes Bild.
149
aa) Wenn die Unternehmensgruppe der Beklagten anführt, ohne dass hierfür rechtfertigende Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich seien, greift diese Rüge nicht durch.
150
Denn die Klägerin hat Gründe vorgetragen, die nach Überzeugung der Kammer zu-
151
Ob die genannten Gründe tatsächlich den Mehrpreis rechtfertigen können, hat die Kammer nach den eingangs genannten Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu beurteilen. Denn hieraus ergibt sich nach dem Vorbringen der Parteien keine Zugangsbehinderung, sondern allenfalls stünde ein Preismissbrauch zur Diskussion. Ein Preismissbrauch kann aber hier nicht mittels des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands der festgestellten Patentverletzung entgegengehalten werden, solange kein unangemessenes Angebot vorliegt.
152
Ein solches ist nicht gegeben. Die Preisabweichung von einem früheren zwischen den Parteien bestehenden Vertrag ist nicht per se geeignet, die Unangemessenheit zu belegen. Eine Unangemessenheit könnte sich bei Abweichung von einem Referenzvertrag zunächst nur ergeben, wenn die Partei, die von dem Inhalt dieses Vertrags abweichen will, hierfür keine Begründung gegeben hätte. Da die Klägerin aber ihrerseits erläutert hat, warum s.o., kann die Kritik der Unternehmensgruppe der Beklagten nicht verfangen. Denn diese erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass die Gründe der Klägerin nicht plausibel seien und ohnehin die begehrte Änderung nicht rechtfertigen würden, sondern die Konditionen aus maßgeblich bleiben müssten, weil dieser der ohnehin maßgebliche Vergleichslizenzvertrag sei. Eine Unangemessenheit könnte sich zudem dann ergeben, wenn eine Diskriminierung vorläge. Auf diese stützt sich die Unternehmensgruppe der Beklagten aber nicht. Insbesondere macht sie nicht geltend, was der Kammer aus anderen Verfahren bekannt ist, ihren direkten Mitbewerbern wären günstigere Konditionen als ihr angeboten worden, s.o.
153
Denn hierbei geht es wieder um die Preisbildung und nicht um den Vorwurf einer Vereitlung eines nachgefragten (und angeblich gewollten, s.o.) Zugangs.
154
cc) Gleiches gilt für die Rüge der Unternehmensgruppe der Beklagten, weil es hier in erster Linie um Details der Preisfrage und nicht um Zugangsprobleme geht.
155
Denn dieser Einwand ist nach Auffassung der Kammer für dieses Verfahren nicht entscheidungserheblich.
156
Hieraus folgt bereits nicht für die Zwecke dieses Verfahrens, dass die Klägerin ihrerseits nicht hinreichend lizenzwillig wäre. Denn die Parteien wollen zur Überzeugung der Kammer nach ihrem erklärten Willen und vor dem Hintergrund eine Gesamtlösung erreichen, ist daher im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens weder sachgerecht, noch führt es zu einer Einigung der Parteien. Stattdessen würde diese Forderung der Unternehmensgruppe der Beklagten die eigentlichen Verhandlungen über nur noch weiter verzögern und den Abschluss eines Lizenzvertrags noch weiter hinausschieben.
157
III. Mit dem vorprozessual vorgebrachten Einwand, die Beklagtenseite sei nach französischem Recht bereits lizenziert, muss sich die Kammer nicht auseinandersetzen. Zu Recht hat sich die Beklagtenseite hierauf im Prozess nicht schriftsätzlich berufen.
D.
158
Eine Aussetzung mit Blick auf die Nichtigkeitsklage vom 18.02.2022 (Anlage HL 2a) nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
159
I. Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; Cepl in: Cepl/Voß, ZPO, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 m.w.N.). Daher ist eine Aussetzung eines Patentverletzungsprozesses nur dann geboten, wenn die Nichtigkeitsklage bzw. der Einspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; OLG Düsseldorf GRUR 2009, 53 (Ls.) - Brandschutzvorrichtung; GRUR-RR 2007, 259 - Thermocycler; GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe; 1979, 636 - Ventilanbohrvorrichtung; OLG München InstGE 6, 57, Rn. 15 - Kassieranlage; OLG München GRUR 1990, 352, 353 - Regal-Ordnungssysteme). Dies kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn neuheitsschädlicher Stand der Technik geltend gemacht wird, der im Prüfungsverfahren bisher noch nicht beurteilt wurde (LG München I InstGE 9, 27 - Antibakterielle Versiegelung).
160
II. Nach diesen Maßstäben ist der Rechtsstreit nicht auszusetzen. Die von den Beklagten geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch.
161
1. Das Klagepatent nimmt die Priorität der US 888514 P (Anlage HLNK 6, nachfolgend: US‘514) vom 06.02.2007 materiell wirksam in Anspruch. Bei der Entgegenhaltung R2- 080432 (Anlage HLNK 12) handelt es sich daher um nachveröffentlichten Stand der Technik (Veröffentlichung laut Klageerwiderung, S. 58, auf einer Konferenz vom 14. bis 18.01.2008), der nicht neuheitsschädlich ist.
162
Die Beklagten haben diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung am 15.06.2022 vorgetragen, das Klagepatent nehme die US‘514 nicht wirksam in Anspruch, da die US‘514 in den entsprechenden Abschnitten [0046] und [0047] nicht die Kombination von „single bit“ und „dedicated control channel“ offenbare, wie sie in Anspruch 8 des Klagepatents Eingang gefunden habe.
163
Diese Auffassung trifft nicht zu.
164
Für die Frage der wirksamen Inanspruchnahme der Priorität kommt es auf den gesamten Offenbarungsgehalt der Prioritätsschrift an und nicht nur auf den Wortlaut der Ansprüche. Eine materielle Unwirksamkeit der Inanspruchnahme der Priorität kann folglich nicht allein damit begründet werden, dass in der Prioritätsschrift Merkmale anders als im später erteilten Patent beschrieben oder benannt werden, deren Sinngehalt für den Fachmann aber unverändert dem erteilten Patent zu entnehmen ist.
165
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Kombination von „single bit“ und „dedicated control channel“ in der Prioritätsschrift hinreichend offenbart in [0047], wonach eine dedizierter Downlink-Steuerkanal für das Senden des keepawake Bits verfügbar sein muss („a dedicated downlink control channel must be available for sending the KEEP-AWAKE bit“). Die Verwendung des bestimmten Artikels „the“ verdeutlicht dabei, dass es sich hierbei - wie in Merkmal 2.3. vorgesehen - um ein einzelnes Bit handelt.
166
Es kann daher hier dahinstehen, ob der diesbezügliche Tatsachenvortrag - wie von der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung am 15.06.2022 gerügt wurde - verspätet war, weil die Beklagtenseite in der Klageerwiderung (S. 42/43) und der Duplik (S. 18/19) lediglich eine materiell unwirksame Inanspruchnahme der Priorität aufgrund anderer Aspekte geltend gemacht hatte.
167
2. Der Gegenstand der Entgegenhaltung US 6,018,642 (Anlage HLNK 10, nachfolgend: US‘642) steht der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 8 des Klagepatents nicht entgegen.
168
a) Die US‘642 befasst sich mit der Kommunikation zwischen einer Basisstation und einer Mobilstation in einem Funkkommunikationssystem, insbesondere im LAN („Local Area Network“). Zur näheren Erläuterung der US‘642 verweisen die Beklagten unter anderem auf die folgenden Figuren der US‘642:
169
b) Der Gegenstand des Anspruchs 8 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
170
So offenbart die US‘642 jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass das die Wachhaltenachricht indizierende Bit über einen dedizierten Steuerkanal gesendet wird (Merkmal 2.3.). In der US'642 wird lediglich beschrieben, dass die Zeitverlängerungsinformationen - wenn sie nicht zu einem Datenpaket hinzugefügt werden, was per se schon nicht über einen Steuerkanal gesendet werden kann - über das Beacon-Signal versendet werden. Das Beacon-Signal ist jedoch ein Broadcast-Signal und enthält Informationen für alle Mobilgeräte, die den kompletten Broadcast-Kanal auslesen müssen, d.h. auch die Informationen, die andere Mobilgeräte betreffen. Etwas anderes geht auch nicht aus der von den Beklagten zitierten (Klageerwiderung, S. 49/50) Offenbarungsstelle Spalte 20, Zeile 32-37 hervor, die als eine Alternative der Übertragung der Zeitverlängerungsinformation lediglich ausführt, diese in ein Beacon-Signal aufzunehmen („The time extension information can be reported by including the same into transmission data to be transmitted from the data processing unit 42 in the base station 11 to the intermittent poweron mobile station 13 or including the same into a beacon signal transmitted from the beacon transmission processing unit 41.“). Eine Übertragung von Kontrollinformationen speziell für eine UE ist in dieser Alternative nicht angesprochen. Die US‘642 offenbart somit jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig einen dedizierten Steuerkanal.
171
2. Auch der Gegenstand der Entgegenhaltung R2-063081 (Anlage HLNK 16, nachfolgend: HLNK 16) steht der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 8 nicht entgegen.
172
a) Die HLNK 16 ist ein Dokument aus dem LTE-Standardisierungsverfahren, welches Diskussionsgrundlage des 3GPP TSG-RAN WG2 Meetings #56 vom 6.-10. November 2006 in Riga war. Zur näheren Erläuterung der HLNK 16 verweisen die Beklagten unter anderem auf die folgenden Figuren der HLNK 16 (jeweils mit Markierungen der Beklagten:
173
b) Der Gegenstand des Anspruchs 8 wird durch diese Entgegenhaltung nicht offenbart. Es werden nicht sämtliche beanspruchte Merkmale gezeigt.
174
So offenbart die HLNK 16 jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig, dass die Wachhaltenachricht durch ein einzelnes gesendetes Bit gekennzeichnet ist (Merkmal 2.3.). Die Verwendung eines einzelnen Bits wird in der HLNK 16 an keiner Stelle erwähnt. Der Ansatz der HLNK 16 besteht vielmehr darin, dem UE die Parameter des jeweilig zu verwendenden Interim-DRX-Schemas durch MAC-Signalisierung mitzuteilen (HLNK 16, S. 2: „UE will know which interim DRX parameters to apply through MAC signalling.“). Die Signalisierung umfasst danach aber immer Informationen zu den Interim-DRX-Parametern und ist somit in jedem Fall größer als ein Bit. Insoweit besteht ein Unterschied zu Merkmal 2.3., das die Kennzeichnung der Wachhaltenachricht durch ein einzelnes gesendetes Bit verlangt und lediglich die Heranziehung bereits vorhandener Informationen nicht ausschließt (s.o.).
175
4. Schließlich übt die Kammer - unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls - ihr Ermessen so aus, das Verfahren weder wegen unwirksamer Inanspruchnahme der Priorität der US‘514 aus formellen und/oder weiteren materiellen Gründen noch wegen der behaupteten unzulässigen Erweiterung noch wegen der behaupteten mangelnden Ausführbarkeit noch wegen der behaupteten neuheitsschädlichen Vorwegnahme der klagepatentgemäßen technischen Lehre durch die Entgegenhaltung HLNK 11 (EP 2 050 291 B1) noch aufgrund fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Entgegenhaltung US‘642 oder der Entgegenhaltung HLNK 16, jeweils in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, auszusetzen ist.
E.
176
I. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
177
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Festsetzung von Teilstreitwerten entspricht gängiger Übung der Verletzungskammern am Landgericht München I, wobei hinsichtlich Unterlassung, Rückruf und Vernichtung eine einheitliche Sicherheit zu bilden ist. Die Kammer schätzt die entsprechenden Teilstreitwerte dem klägerischen Interesse entsprechend wie im Tenor angegeben.
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§ 712 ZPO ist nicht anzuwenden, weil die Beklagtenseite einen über die üblichen Nachteile einer Vollstreckung hinausgehenden, nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Vollstreckung nicht dargetan hat.