Titel:
Begründeter Unterlassunganspruch wegen der Verletzung von Sortenschutzrechten
Normenkette:
VO (EG) 1239/95 Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 lit. d, Abs. 3, Art. 94 Abs. 1
Leitsätze:
1. Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d VO (EG) 1239/95 ordnet an, dass das Anbieten zum Verkauf, der Verkauf oder sonstiges Inverkehrbringen von Sortenbestandteilen geschützter Sorten der Zustimmung des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes bedarf. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich ist somit, ob die Sortenschutzinhaberin zum Zeitpunkt der unerlaubten Verwendung der Sortenbestandteile hinreichend Gelegenheit hatte, ihr in Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 VO (EG) 1239/95 verankertes Primärrecht in Bezug auf die Sortenbestandteile geltend zu machen. Nicht entscheidend ist, ob der Sortenschutzinhaberin Sekundäransprüche (auch) gegenüber den auf der Vermehrungsstufe tätigen Landwirten zustehen und sie diese bereits durchgesetzt hat. (Rn. 52 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gewillkürte Prozessstandschaft, sortenschutzrechtlicher Unterlassungsanspruch, Sommergerste, Erntegut, Sortenbestandteile, Sortenschutzinhaber
Fundstelle:
GRUR-RS 2021, 55643
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise zu Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
ohne Zustimmung der … GmbH Erntegut der Sommergerstensorte … zum Verkauf anzubieten, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen oder zu einem der vorstehend genannten Zwecke aufzubewahren, wenn zur Erzeugung des Ernteguts Sortenbestandteile ohne Zustimmung der … GmbH verwendet wurden und diese keine Gelegenheit hatte, ihre Sortenschutzrechte hinsichtlich der Verwendung dieser Sortenbestandteile geltend zu machen;
es sei denn die vorgenannten Handlungen mit dem Erntegut der genannten Pflanzensorten
- im privaten Bereich zu nicht gewerblichen Zwecken (Art. 15 lit. a GemSortV), oder
- zu Versuchszwecken (Art. 15 lt. b GemSortV), oder
- zur Züchtung, Entdeckung und Entwicklung anderer Sorten (Art. 15 lt. c GemSortV); oder
- stellen eine Handlung gemäß Art. 13 Abs. 2, 3 und 4 GemSortV mit gemäß Art. 15 lit. c) GemSortV gezüchteten neuen Sorten dar; oder
- stellen eine Handlung dar, deren Verbot gegen Art. 13 Abs. 8, Art. 14 oder Art. 29 GemSortV verstoßen würden; oder
- erstrecken sich auf Material, für das der Sortenschutz erschöpft ist (Art. 16 GemSortV).
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Streitverkündete trägt die durch den Streitbeitritt verursachten Kosten selbst.
III. Das Urteil ist in Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 EUR und im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft einen sortenschutzrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte geltend.
2
Die Klägerin verfolgt für verschiedene Sortenschutzinhaber und Inhaber von ausschließlichen Nutzungsrechten an Sortenschutzrechten die diesen nach dem Sortenschutzgesetz („SortG“) und der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.07.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz („GemSortV“) zustehenden Ansprüche im Zusammenhang mit durchgeführtem Nachbau und Sortenschutzverletzungen.
3
Die Klägerin ist u.a. von der … GmbH (im Folgenden: … GmbH) zur Wahrnehmung von deren Rechten gegenüber Landwirten, landwirtschaftlichen Betrieben und Unternehmen im Zusammenhang mit der Vermehrung, dem Vertrieb und der Aufbereitung von Pflanzenmaterial der für diese geschützten Sorten beauftragt und ermächtigt worden, diese Rechte im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. Anlage K 4). Die Ermächtigung umfasst auch eine Einziehungsermächtigung. Die … GmbH ist Gesellschafterin der Klägerin (vgl. Anlage K 5).
4
Die … GmbH war im streitgegenständlichen Wirtschaftsjahr 2019/2020 und ist auch heute noch u.a. Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechts an der nach Unionsrecht geschützten Sommergerstensorte … (vgl. Anlage K 6).
5
Die Beklagte ist ein landwirtschaftlich orientiertes Handelsunternehmen. Im Oktober 2019 erwarb sie 47,5 t Sommergerste (vgl. Anlage K 1). Diese Gerste wurde von der Beklagten ohne Sortenbezug als Konsumware gekauft und zu Konsumzwecken, d.h. zur Verwendung als Lebens- und Futtermittel weiterveräußert. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Sommergerste zuvor durch die Zeugen … und … unter Verstoß gegen das der … GmbH zustehende Sortenschutzrecht aus Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteilen) der Sorte … erzeugt worden ist.
6
Die Zeugen … und … haben am 21.04.2020 bzw. 08.04.2020 jeweils Unterlassungserklärungen gegenüber der … GmbH abgegeben (vgl. Anlage K 7).
7
Mit Schreiben vom 13.05.2020 forderte die Klägerin die Beklagte wegen der Verletzung von Sortenschutzrechten unter Fristsetzung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (vgl. Anlage K 2). Die Beklagte ließ die Ansprüche zurückweisen (vgl. Anlage K 3).
8
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte habe im Wirtschaftsjahr 2019/2020 widerrechtlich Erntegut als Konsumware weiterveräußert, welches zuvor unter Verstoß gegen das der … GmbH zustehende Sortenschutzrecht aus Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteilen) erzeugt worden sei. Die Berechtigte habe keine Gelegenheit gehabt, die Sortenschutzrechte an dem hierfür verwendeten Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteilen) geltend zu machen.
9
Im Januar 2020 habe die Klägerin landwirtschaftliche Betriebe auf die Einhaltung der sortenschutzrechtlichen Bedingungen überprüft. Im Rahmen dieser Überprüfung sei festgestellt worden, dass die landwirtschaftlichen Betriebe … in 9 … R… und … in 9… R… nicht lizenziertes Vermehrungsmaterial der streitgegenständlichen Sorte im Rahmen eines so genannten Schwarzhandels, d.h. ohne Zustimmung des Rechteinhabers der geschützten Sorte, veräußert bzw. erworben hätten, hieraus Konsumware erzeugt und sodann an die Beklagte veräußert hätten:
10
Die Zeugin … habe im Frühjahr 2019 sämtliches von ihr zur Aussaat in ihrem Betrieb verwendete Saatgut der geschützten Sorte „…“ - nämlich 10,0 dt - vom Zeugen … erhalten, der dieses ohne Zustimmung der Berechtigten vermehrt und dann als Saatgut abgegeben habe (vgl. Prüfbericht des Zeugen … und Unterlassungserklärungen, Anlage K 7). Die Zeugin … habe das schwarz erworbene Saatgut bei sich im Betrieb ausgesät und hieraus Erntegut erzeugt (vgl. Prüfbericht des Zeugen … und Unterlassungserklärungen, Anlage K 7). Sodann habe die Beklagte der Zeugin … die aus dem widerrechtlich eingesetzten Vermehrungsmaterial erzeugte Menge von 47.500,00 kg Erntegut als Konsumware abgekauft (vgl. Rechnung, K 1). Die Beklagte habe die so erworbene Konsumware als solche weitergehandelt. Eine Erlaubnis der …. GmbH, Vermehrungsmaterial für diese geschützten Sorten zu erzeugen und/oder zum Verkauf anzubieten, zu verkaufen oder in sonstiger Weise in den Verkehr zu bringen, habe der Zeuge … nicht gehabt. Auch die Zeugin … habe eine Erlaubnis der … GmbH, das so erworbene Vermehrungsmaterial wiederum auszusähen und daraus Erntegut zu erzeugen, nicht besessen.
11
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe die Sortenschutzrechte der … GmbH, deren Ansprüche die Klägerin im Rahmen gewillkürter Prozessstandschaft zulässig im eigenen Namen geltend mache, verletzt. Der Klägerin stehe daher der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu.
12
Gemäß Art. 13 Abs. 2 und 3 GemSortV begehe derjenige eine Sortenschutzverletzung, der ohne Zustimmung des Sortenschutzberechtigten Erntegut einer geschützten Sorte zum Verkauf anbiete, verkaufe oder zu diesem Zweck aufbewahre, wenn das Erntegut dadurch gewonnen worden sei, dass Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteile) ohne Zustimmung des Berechtigten verwendet worden seien und der Berechtigte nicht hinreichend Gelegenheit gehabt habe, sein Recht im Zusammenhang mit dem genannten Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteilen) geltend zu machen. Die … GmbH habe keine Gelegenheit gehabt, ihr Recht auf Zustimmung (gegen Zahlung von Lizenzgebühren) oder Verweigerung der Zustimmung geltend zu machen, da ihr das Wissen um die rechtswidrigen Handlungen mit dem streitgegenständlichen Vermehrungsmaterial schlicht vorenthalten worden sei.
13
„Sein Recht“ im Zusammenhang mit dem Vermehrungsmaterial sei das Primärrecht des Sortenschutzinhabers, einen Eingriff in seine ihm nach Art. 13 Abs. 2 GemSortV gewährten Rechte verhindern zu dürfen. Die Geltendmachung von Sekundärrechten aus Art. 94 ff. GemSortV im Verletzungsfall stelle nicht „das Recht“ des Sortenschutzinhabers auf Ausschließlichkeit in Bezug auf die Vornahme der in Art. 13 Abs. 2 genannten Handlungen mit Vermehrungsmaterial dar. Der maßgebliche Zeitpunkt, auf den bei der Beurteilung der Frage abzustellen sei, ob der Sortenschutzinhaber Gelegenheit gehabt habe, „sein Recht“ im Zusammenhang mit dem zur Erzeugung des streitgegenständlichen Ernteguts genutzten Vermehrungsmaterials geltend zu machen, sei der der unerlaubten Verwendung des Vermehrungsmaterials, d.h. der unerlaubten Vermehrung bzw. dem unerlaubten Inverkehrbringen des Vermehrungsmaterials - nicht aber der heutige Zeitpunkt der Geltendmachung von bloßen Sekundäransprüchen gegen den Verletzer:
14
Schon der Wortlaut zeige im Hinblick auf den Zeitpunkt durch die Verwendung des Präteritums in „keine Gelegenheit hatte“, dass nicht der heutige Zeitpunkt (denn dann würde formuliert worden sein „keine Gelegenheit hat“), sondern der Zeitpunkt der unerlaubten Verwendung des Vermehrungsmaterials zur Erzeugung des jetzt streitgegenständlichen Emteguts maßgeblich sei.
15
Da mit „seinem Recht“ das aus Art. 13 Abs. 2 GemSortV folgende Sortenschutzrecht, d.h. das Primärrecht des Sortenschutzinhabers auf Ausschließlichkeit - nicht aber die Sekundäransprüche in Folge einer Verletzung dieses Rechts - gemeint seien, könne das Recht denklogisch nur vor der Vornahme der Handlungen geltend gemacht werden.
16
Insbesondere liege in der späteren Geltendmachung von Sekundärrechten gegenüber den genannten Landwirten als den zeitlich vorgelagerten Verletzern des jeweiligen Primärrechts an dem betreffenden Vermehrungsmaterials nicht etwa eine nachträgliche Zustimmung zu der ersten Verletzungshandlung.
17
Das im Sortenschutzrecht geltende „Kaskadensystem“ treffe keine Aussage zu einer Abstufung der Geltendmachung von Sekundärrechten. Zweck und Ergebnis des im Sortenschutzrecht besonderen „Kaskadensystems“ sei, dass der Sortenschutzinhaber nicht nach freiem Ermessen entscheiden könne, ob er sein Primärrecht in Bezug auf die in Art. 13 Abs. 2 GemSortV genannten Handlungen, d.h. sein Recht auf Untersagung oder Zustimmung (die er von der Zahlung von Lizenzgebühren abhängig machen könne), nach seiner Wahl entweder auf der Ebene des Vermehrungsmaterials oder aber auf Ebene des Ernteguts geltend mache. Der Sortenschutzinhaber solle sein Primärrecht, d.h. sein Recht auf Untersagung der (oder auf Zustimmung gegen Zahlung von Lizenzgebühren zu den) in Art. 13 Abs. 2 GemSortV genannten Handlungen auf der ersten ihm möglichen Stufe ausüben; er könne nicht etwa bewusst auf die Zustimmung und die Zahlung von Lizenzgebühren auf der Ebene des Vermehrungsmaterials verzichten, um diese dann auf der Ebene des Ernteguts zu verlangen.
18
Der Anspruch entfalle auch nicht etwa deshalb, weil die Klägerin auch die genannten Landwirte als weitere Verletzer in der Verletzerkette auf Unterlassung in Anspruch genommen habe. Denn dem Verletzer stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen sämtliche Verletzer in der Verletzerkette zu (vgl. BGH GRUR 2009, 856 Tz. 64, 65 - Tripp-Trapp-Stuhl).
19
Die Beklagte hat der Zeugin … mit Schriftsatz vom 20.10.2020 (Bl. 14 d.A.), ihr zugestellt am 30.10.2020 (zu Bl. 29 d.A.), den Streit verkündet. Die Zeugin … ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten mit Schriftsatz vom 20.11.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tage, beigetreten (Bl. 30 d.A.).
20
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise zu Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
ohne Zustimmung der … GmbH Erntegut der Sommergerstensorte … zum Verkauf anzubieten, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen oder zu einem der vorstehend genannten Zwecke aufzubewahren, wenn zur Erzeugung des Ernteguts Sortenbestandteile ohne Zustimmung der … GmbH verwendet wurden und diese keine Gelegenheit hatte, ihre Sortenschutzrechte hinsichtlich der Verwendung dieser Sortenbestandteile geltend zu machen;
es sei denn die vorgenannten Handlungen mit dem Erntegut der genannten Pflanzensorten
- •
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erfolgen
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stellen eine Handlung gemäß Art. 13 Abs. 2, 3 und 4 GemSortV mit gemäß Art. 15 lit. c) GemSortV gezüchteten neuen Sorten dar; oder
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stellen eine Handlung dar, deren Verbot gegen Art. 13 Abs. 8, Art. 14 oder Art. 29 GemSortV verstoßen würden; oder
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erstrecken sich auf Material, für das der Sortenschutz erschöpft ist (Art. 16 GemSortV).
21
Die Beklagte beantragt,
22
Die Streitverkündete beantragt,
23
Die Beklagte trägt vor, es werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Zeuge … im Wirtschaftsjahr 2018/2019 Saatgut der Sorte … ohne Zustimmung der … vermehrt und als Saatgut abgegeben habe. Ferner werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Zeugin … im Frühjahr 2019 von dem Zeugen … „schwarz“ Saatgut der Sorte …, das von dem zuletzt genannten Landwirt ohne Zustimmung der … erzeugt worden sei, erworben habe, dieses Saatgut in ihrem Betrieb ausgesät und hieraus Erntegut erzeugt habe. Unzutreffend sei in jedem Fall die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe im Wirtschaftsjahr 2019/2020 widerrechtlich Emtegut als Konsumware weiterveräußert, welches zuvor unter Verstoß gegen die Sortenschutzrechte der Berechtigten aus Vermehrungsmaterial (Sortenbestandteile) erzeugt worden sei. Die Beklagte habe im Rahmen ihres normalen Geschäftsbetriebes gutgläubig Erntegut ohne Sortenbezeichnung angekauft und dieses ohne Sortenbezug für reine Konsumzwecke weiterverkauft. Ihr sei weder die angeblich sortenschutzwidrige Erzeugung des von der Zeugin … angelieferten Erntegutes bekannt gewesen noch irgendeine Sortenzugehörigkeit des angelieferten Erntegutes.
24
Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin und der …. GmbH stünden gegen die Beklagten keine Unterlassungsansprüche nach Art. 94 Abs. 1 lit. a GemSortV zu.
25
Selbst wenn der Zeugin … und dem Zeugen … die von der Klägerin behaupteten Sortenschutzverletzungen zur Last fallen sollten, hätte die Beklagte durch den Erwerb und den Weiterverkauf des an sie gelieferten Ernteguts keine Sortenschutzrechte im Sinne des Art. 94 Abs. 1 lit. a GemSortV verletzt. Art. 13 Abs. 2 GemSortV finde auf das hier streitige Erntegut gemäß Art. 13 Abs. 3 GemSortV keine Anwendung, weil die von der Klägerin bezeichnete Sortenschutzinhaberin hinreichend Gelegenheit gehabt habe, ihr Recht im Zusammenhang mit den Sortenbestandteilen geltend zu machen, aus denen das Erntegut gewonnen worden sei. Es sei unstreitig, dass die Klägerin - das Vorliegen von Sortenschutzverletzungen vorausgesetzt - für die Sortenschutzinhaberin sowohl gegenüber dem auf der ersten Vermehrungsstufe tätigen Zeugen … als auch gegenüber der auf der weiteren Vermehrungsstufe tätigen Zeugin … Ansprüche auf Zahlung von Lizenzgebühren und darüber hinaus auch Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche durchgesetzt habe. Die Sortenschutzinhaberin sei daher gegenüber den genannten Landwirten im Sinne von § 249 BGB so gestellt, als wenn die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung, also die Sortenschutzverletzung, nicht eingetreten wäre und als wenn die Landwirte von vornherein lizenziertes Saatgut erworben und verwendet hätten.
26
Art. 13 Abs. 3 GemSortV sei das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Züchtung und Entwicklung neuer Pflanzensorten einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Gütern andererseits. Zweck der Vorschrift sei es, zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung Eingriffe der Sortenschutzinhaber in den Handel mit Erntegut zu beschränken. Der sachgerechten Abwägung zwischen den Interessen der Sortenschutzinhaber und dem von Art. 13 Abs. 3 GemSortV geschützten Allgemeininteresse entspreche es, diese Beschränkung eingreifen zu lassen und dem Sortenschutzinhaber in Bezug auf das Erntegut und gegenüber einem redlich handelnden Händler die Geltendmachung von Ansprüchen - bei denen es sich nach der Diktion der Klägerin auch „nur“ um „Sekundäransprüche“ aus Art. 94 GemSortV handele - zu versagen, wenn der Sortenschutzinhaber die entsprechenden Ansprüche bereits in Bezug auf das Vermehrungsgut gegenüber dem unredlich handelnden Landwirt geltend machen könne und auch geltend gemacht habe. Denn letztlich gehe es um die Durchsetzung des finanziellen Interesses der Sortenschutzinhaber zum Ausgleich für ihre Aufwendungen bei der Züchtung und dem Erhalt der für sie geschützten Sorten, Lizenzzahlungen und Nachbaugebühren für den Einsatz des Vermehrungsgutes ihrer Sorten zu erhalten. Wenn dieses finanzielle Interesse im Falle einer Sortenschutzverletzung - wie vorliegend geschehen - durch Geltendmachung des Rechtes im Zusammenhang mit den Sortenbestandteilen (Vermehrungsgut) befriedigt worden sei, dann gebe es keine Rechtfertigung für einen Eingriff in den Handel mit dem aus den Sortenbestandteilen gewonnenen Erntegut.
27
Die Auffassung der Klägerin, die Sortenschutzinhaberin hätte noch vor dem Inverkehrbringen bzw. der Verwendung des Vermehrungsmaterials Gelegenheit erhalten müssen, ihr Recht auf Zustimmung oder Verweigerung der Zustimmung zu den genannten Handlungen auszuüben, sei aus mehreren Gründen unzutreffend:
28
Rein praktisch setze die Auffassung der Klägerin voraus, dass Sortenschutzverletzungen, wie sie die Klägerin der Zeugin … und dem Zeugen … vorwerfe, jeweils „mit vorheriger Ansage“ erfolgten. Mit dieser Voraussetzung würde Art. 13 Abs. 3 GemSortV praktisch gegenstandslos, weil Sortenschutzverletzung regelmäßig verdeckt erfolgten und vom Verletzer nicht im Vorhinein bekannt gegeben würden. Der hierdurch bewirkte praktische Wegfall der „starken Einschränkung“ für die Ausübung von Sortenschutzrechten gegenüber Erntegut sei nicht mit dem besonderen Gewicht vereinbar, dass die UPOV-Mitgliedstaaten und dem Übereinkommen folgend auch der europäische Gesetzgeber und die europäische Rechtsprechung auf das Erfordernis gelegt hätten, dass Sortenschutzinhaber ihre Rechte „im frühestmöglichen Stadium“, d.h. zunächst und in erster Linie gegenüber dem Vermehrungsmaterial geltend zu machen hätten.
29
Die Klägerin übersehe mit ihrer Auffassung zudem, dass der Sortenschutzinhaber nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV keine umfassende, sondern lediglich eine „hinreichende“ Gelegenheit zur Ausübung seiner Rechte gegenüber dem Vermehrungsmaterial gehabt haben müsse, um die Ausübung der Rechte gegenüber dem Erntegut auszuschließen.
30
Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 GemSortV enthalte die von der Klägerin getroffene Unterscheidung zwischen „Primärrecht“ und „Sekundärrecht“ nicht. Im Gegenteilt sei dort einheitlich von einem „Recht“ des Sortenschutzinhabers die Rede, verbunden mit dem Tatbestandsmerkmal, dass der Sortenschutzinhaber „nicht hinreichend Gelegenheit hatte“, dieses Recht im Zusammenhang mit den zur Gewinnung des Erntegutes verwendeten Sortenbestandteilen (Vermehrungsgut) „geltend zu machen“. Ein derartiges Recht sei aber nicht isoliert dem Art. 13 Abs. 2 GemSortV zu entnehmen. Erst aus der Kombination der Art. 13 Abs. 2 und 94 GemSortV ergebe sich eine Anspruchsgrundlage, die geltend gemacht werden könne.
31
Zudem ergebe eine kumulative Anwendung beider in Art. 13 Abs. 3 GemSortV genannter Voraussetzungen nur dann einen Sinn - ja mehr noch, liege nur dann überhaupt vor -, wenn unter dem zweiten Tatbestandsmerkmal „nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht…geltend zu machen“ etwas anderes verstanden werde, als die bereits vom ersten Tatbestandsmerkmal vorausgesetzte fehlende Zustimmung des Sortenschutzinhabers zu der Verwendung von Sortenbestandteilen zur Gewinnung des Ernteguts.
32
Auch die grammatikalische Auslegung des Art. 13 Abs. 3 GemSortV führe nicht zu dem von der Klägerin behaupteten Ergebnis. Wenn es, wie von der Klägerin behauptet, für die zweite Tatbestandsvoraussetzung des Art. 13 Abs. 3 GemSortV allein auf den Zeitpunkt der Sortenschutzverletzung ankäme, dann hätte es näher gelegen, die Zeitform Perfekt („keine Gelegenheit gehabt hat“) oder sogar das Plusquamperfekt („keine Gelegenheit gehabt hatte“) zu verwenden. Letztlich handele es sich bei der deutschen Fassung des Art. 13 Abs. 3 GemSortV aber wohl ohnehin nur um die Übersetzung einer ursprünglich entweder französischen oder englischen Arbeitsfassung der Verordnung, so dass für eine aussagekräftige grammatikalische Auslegung der Vorschrift auch diese beiden Sprachfassungen heranzuziehen seien.
33
Der Rechtsauffassung der Klägerin stehe schließlich auch entgegen, dass weder die Beklagte noch sonst irgendein anderes im Erfassungshandel mit Erntegut tätiges Unternehmen in der Lage wäre, die Einhaltung von Unterlassungsverpflichtungen, wie sie die Klägerin mit der Klage begehre, zu überwachen und hierfür mit Ordnungsgeldern von bis zu Euro 250.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu haften. Bei der Beklagten seien allein im Jahr 2019 1.740.350 t Getreide mit 129.996 von Landwirten direkt vorgenommenen Anlieferungen erfasst worden. Hinzu kämen die im Großhandel von Primärgenossenschaften übernommenen Mengen. Im Jahr 2020 dürften etwa gleiche Mengen erfasst worden sein. Speziell zur Erntezeit und insbesondere bei kritischen Wetterlagen häuften sich die Anlieferungen und erfolgten im Minutentakt.
34
Die Klägerin könne ihre Rechtsauffassung auch nicht auf die von ihr zitierte Entscheidung BGH GRUR 2009, 856 Tz. 64, 65 - Tripp-Trapp-Stuhl stützen. Die genannte Entscheidung betreffe ein urheberrechtlich geschütztes Möbelstück. Bei der Produktion eines derartigen Möbelstückes bestünden nicht die speziell dem Sortenschutzrecht immanenten Probleme, die sich aus der mehrstufigen Erzeugung, Verwendung und wiederum Erzeugung von Vermehrungsmaterial und Erntegut ergäben. Die Entscheidung sei auf den vorliegenden Fall schlichtweg nicht anwendbar.
35
Die Streitverkündete trägt vor, sie habe keine Sommergerste an die Beklagte veräußert. Der Zeuge … habe im Bewirtschaftungsjahr 2017/2018 Sommergerste angebaut und das daraus gewonnene, unbearbeitete Erntegut seiner Tochter, der Streitverkündeten, zur Verfügung gestellt. Im Bewirtschaftungsjahr 2018/2019 habe die Streitverkündete das von dem Zeugen … erhaltene Erntegut auf ca. 7 ha Bewirtschaftungsfläche ausgesät. Das daraus gewonnene Erntegut habe die Streitverkündete ab Feld an den Zeugen … verkauft, der es wiederum an die Beklagte verkauft habe. Die Beklagte habe an die Streitverkündete die in Anlage K 1 vorgelegte Zwischenrechnung ausgestellt. Die Schlussrechnung sei jedoch an den Zeugen … ergangen (vgl. Schreiben, S 1).
36
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen und die Sitzungsniederschriften vom 29.04.2021 (Bl. 103/106 d.A.) und 16.09.2021 (Bl. 125/131 d.A.) Bezug genommen.
37
Mit Beschluss vom 27.10.2020 ist der Rechtsstreit gemäß § 348a Abs. 1 ZPO der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden (Bl. 28 d.A.).
38
In der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2021 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen … und …. Hinsichtlich des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.09.2021 (Bl. 125/131 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
39
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere sind die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft auf Seiten der Klägerin erfüllt.
40
B. Die Klage ist ferner begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 94 Abs. 1 lit. a), Art. 13 Abs. 2, 3 GemSortV gegen die Beklagte zu, da die Beklagte die Sortenschutzrechte der R.A.G.T. GmbH verletzt hat.
41
I. Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d) GemSortV ordnet an, dass das Anbieten zum Verkauf, der Verkauf oder sonstiges Inverkehrbringen von Sortenbestandteilen geschützter Sorten der Zustimmung des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes bedarf. Auf Emtegut findet Art. 13 Abs. 2 GemSortV gemäß Art. 13 Abs. 3 GemSortV Anwendung, „wenn es dadurch gewonnen wurde, dass Sortenbestandteile der geschützten Sorte ohne Zustimmung verwendet wurden, und wenn der Inhaber nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den genannten Sortenbestandteilen geltend zu machen“.
42
II. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass in der streitgegenständlichen Vegetationsperiode zugunsten der … GmbH Sortenschutz für die Sorte … nach den Bestimmungen der GemSortV bestand und dass die Klägerin hinsichtlich der genannten Sorte von der Sortenschutzinhaberin bzw. Nutzungsberechtigten zur Geltendmachung von deren Rechten ermächtigt worden ist.
43
III. Die Beklagte hat ferner ohne Zustimmung der … GmbH Erntegut der Sommergerstensorte … erworben und weiterveräußert, welches dadurch gewonnen wurde, dass Sortenbestandteile der Sorte … ohne Zustimmung der Sortenschutzinhaberin … GmbH vermehrt und ausgesät wurden.
44
Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest, aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen … und … welche gestützt werden durch die als Anlage K 1 und S 1 vorgelegten Unterlagen. Im Einzelnen:
45
1. Die Zeugen … und … haben glaubhaft und übereinstimmend bekundet, dass der Zeuge … im Jahr 2019 für die Zeugin … Sommergerste auf deren Betrieb ausgesät hat (Bl. 126 f., 128 d.A.). Die Zeugen … und … haben weiter ausgesagt, dass der Zeuge … hierfür Vermehrungsmaterial verwendete, welches er im Jahr zuvor in seinem Betrieb erzeugte (Bl. 127, 128 d.A.). Der Zeuge … gab weiter an, dass die im Jahr zuvor erfolgte Vermehrung ohne Zustimmung der … GmbH erfolgt sei (Bl. 128 d.A.).
46
2. Der Zeuge … hat ferner ausgesagt, dass er „davon ausfgeht]“, dass es sich um Sommergerste der Sorte „…“ gehandelt hat. Er „meine [sich] zu erinnern“, dass er diese Sorte im Jahr zuvor in seinem Betrieb ausgesät habe (Bl. 128 d.A.).
47
Das Gericht ist trotz der in der mündlichen Verhandlung (erstmalig) vorgebrachten Unsicherheit des Zeugen … in Bezug auf die verwendete Sorte, davon überzeugt, dass es sich um Sommergerste der Sorte … gehandelt hat. Die Zeugen … und … haben insoweit übereinstimmend ausgesagt, dass der Zeuge … ihnen gegenüber (bereits) im Jahr 2019 bzw. im Januar 2020 angegeben hatte, dass es sich um Sommergerste der Sorte … handele (vgl. Bl. 128, 129 d.A.). Das Geschehene lag zum damaligen Zeitpunkt noch nicht lange zurück, die Erinnerung des Zeugen … war folglich noch frisch. Obgleich der Zeuge … im Rahmen der durch den Zeugen … vorgenommenen Vermehrerprüfung sodann darauf hingewiesen wurde, dass er sich nicht rechtmäßig verhalten habe (vgl. Bl. 129 d.A.), revidierte oder relativierte der Zeuge … seine zunächst gemachten Angaben nicht. Vielmehr unterzeichnete er eine Unterlassungserklärung, welche sich ausdrücklich auf die Sommergerstensorte … bezog (vgl. Anlage K 7). Das Gericht sieht es vor diesem Hintergrund als erwiesen an, dass es sich tatsächlich um Sommergerste der Sorte „…“ gehandelt hat. Unschädlich ist insofern, dass sowohl die Zeugin …, als auch der Zeuge … angegeben haben, sich nicht durch Unterlagen davon überzeugt zu haben, dass es sich tatsächlich um Sommergerste der Sorte … gehandelt hat.
48
3. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass das Erntegut, welches aus den unberechtigt vermehrten und ausgesäten Sortenbestandteilen der Sorte … gewonnen wurde, am 04.10.2019 an die Beklagte veräußert und durch diese an den Zeugen … veräußert worden ist.
49
Zwar hat die Zeugin … zunächst ausgesagt, das gewonnene Erntegut „ab Feld“ an ihren Vater, den Zeugen … veräußert zu haben, welcher es sodann an die Beklagte veräußert habe. Auf weitere Nachfrage räumte die Zeugin … allerdings ein, nicht ausschließen zu können, das Erntegut zunächst an die Beklagte und über diese an ihren Vater verkauft zu haben (vgl. Bl. 127 d.A.). Die Zeugin bestätigte ferner, die als Anlagen K 1 und S 1 vorgelegten Unterlagen im Zusammenhang mit den geschilderten Veräußerungsgeschäften erhalten zu haben (vgl. Bl. 127 d.A.). Die von der Zeugin … als richtig anerkannten Unterlagen K 1 und S 1 stützen die Annahme, dass die Zeugin … am 04.10.2019 47,5 t Sommergerste zu einem Gesamtpreis von 8.894,38 Euro an die Beklagte veräußerte (vgl. Anlage K 1) und die Beklagte diese Sommergerste sodann zu einem Gesamtpreis von 9.046,85 Euro an den Zeugen … weiterveräußerte (vgl. Anlage S 1).
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4. Die Zeugen … und … waren glaubwürdig, ihre Aussagen glaubhaft. Sie sagten sachlich, detailliert und widerspruchsfrei aus. Der Zeuge … räumte zudem auch selbstbelastende Umstände ein.
51
IV. Die Sortenschutzinhaberin …. GmbH hatte ferner nicht hinreichend Gelegenheit, ihr Recht im Zusammenhang mit den genannten Sortenschutzbestandteilen geltend zu machen.
52
1. Maßgeblich ist insoweit, ob die Sortenschutzinhaberin zum Zeitpunkt der unerlaubten Verwendung der Sortenbestandteile hinreichend Gelegenheit hatte, ihr in Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GemSortV verankertes Primärrecht in Bezug auf die Sortenbestandteile geltend zu machen. Nicht entscheidend ist, ob der Sortenschutzinhaberin Sekundäransprüche (auch) gegenüber den auf der Vermehrungsstufe tätigen Landwirten zustehen und sie diese bereits durchgesetzt hat.
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2. Dies folgt aus nachfolgenden Erwägungen:
54
a) Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 GemSort impliziert mit der Formulierung „sein Recht“, dass es sich um „ein“ Recht handelt, nicht hingegen um mehrere Rechte, wie sie in Art. 94 GemSortV für den Fall der Sortenschutzverletzung in Form von Unterlassungs- und Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüchen vorgesehen sind.
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b) Die in Art. 13 Abs. 3 GemSortV verwendete Vergangenheitsform („Gelegenheit hatte“) legt ferner nahe, dass der Gesetzgeber einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang im Blick hatte und nicht ein Geschehen, welches - wie die Durchsetzung von Sekundäransprüchen - variabel ist.
56
Nichts anderes folgt aus den von der Beklagten herangezogenen französischen und englischen Fassungen des Art. 13 Abs. 3 GemSortV. Denn auch dort wird jeweils die Vergangenheitsform verwendet.
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c) Dafür, dass Art. 13 Abs. 3 GemSortV auf das Primärrecht des Sortenschutzinhabers abstellt, spricht ferner die systematische Stellung des Art. 13 Abs. 3 GemSortV in der Verordnung. Die dem Art. 13 Abs. 3 GemSortV unmittelbar übergeordneten Absätze 1 und 2 betreffen das Primärrecht des Sortenschutzinhabers. Zudem befindet sich die Vorschrift des Art. 13 GemSortV im zweiten Teil der Verordnung unter Kapitel III „WIRKUNGEN DES GEMEINSCHAFTLICHEN SORTENSCHUTZES“. Die Sekundärrechte sind demgegenüber - getrennt von den Primärrechten - in Art. 94 GemSortV im fünften Teil der Verordnung „ZIVILRECHTLICHE ANSPRÜCHE, RECHTSVERLETZUNGEN, GERICHTLICHE ZUSTÄNDIG-KEIT“ geregelt.
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d) Die vorgenommene Auslegung, wonach unter „sein Recht“ das Primärrecht des Sortenschutzinhabers zu verstehen ist, lässt die in Art. 13 Abs. 3 2. HS GemSortV vorgesehene Einschränkung auch nicht leer laufen. Denn dass Sortenbestandteile einer geschützten Sorte „ohne Zustimmung“ (Art. 13 Abs. 3 1. HS GemSortV) verwendet wurden, sagt noch nichts darüber aus, aus welchen Gründen die Zustimmung nicht erteilt wurde, ob mithin zum Zeitpunkt der Verwendung der Sortenbestandteile überhaupt die tatsächliche und/oder rechtliche Möglichkeiten für den Berechtigten bestand, seine Zustimmung zu erteilen.
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e) Die vorgenommene Auslegung läuft auch nicht dem im Sortenschutzrecht vorgesehenen „Kaskadensystem“ zuwider. Art. 13 Abs. 3 GemSortV untersagt dem Sortenschutzinhaber vielmehr, im Falle der Kenntniserlangung von einer der in Art. 13 Abs. 2 GemSortV genannten Handlungen nach freiem Ermessen zu wählen, ob er sein Primärrecht auf Untersagung oder Zustimmung der betreffenden Handlung bereits auf Ebene des Vermehrungsmaterials oder erst auf der Ebene des Ernteguts geltend macht.
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f) Die Abwägung zwischen dem Interesse an der Züchtung und Entwicklung neuer Pflanzensorten einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Gütern andererseits zwingt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Gütern, welche unter Verletzung sortenschutzrechtlicher Bestimmungen erzeugt wurden, verdient geringeren Schutz als das Interesse des Sortenschutzinhabers an effektiver Rechtsdurchsetzung. Eine andere Betrachtung ist erst dort gerechtfertigt, wo der Berechtigte Sortenschutzverletzungen auf der Ebene des Vermehrungsmaterials bewusst geschehen lässt, um (erst) auf der Ebene des Ernteguts Ansprüche geltend machen zu können. Die Möglichkeit des Sortenschutzinhabers alle Verletzer in einer Verletzerkette in Anspruch zu nehmen, stärkt den Schutz seines geistigen Eigentums mithin in verhältnismäßiger Weise.
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3. Unbeachtlich ist nach alledem, dass die Klägerin bzw. die Sortenschutzinhaberin Sekundäransprüche gegenüber den Zeugen F. und B. geltend gemacht hat. Ausreichend für den Verstoß gegen Art. 13 Abs. 2, 3 GemSortV ist, dass die … GmbH mangels Kenntnis von der Verwendung der Sortenbestandteile der Sorte „…“ durch die Zeugen F. und B. keine Gelegenheit hatte, ihr Recht auf Zustimmung oder Verweigerung der Zustimmung den Zeugen gegenüber geltend zu machen.
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4. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht für das erkennende Gericht nicht. Nach Art. 267 Abs. 2 AEUV ist das erkennende Gericht berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Auslegungsfragen dem Unionsgerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das Gericht hat sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass es von einer grundsätzlich möglichen Vorlage Abstand genommen hat.
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V. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht verschuldensunabhängig. Die Gutgläubigkeit der Beklagten bei Erwerb des Ernteguts vermag sie daher nicht zu entlasten.
VI. Die Beklagte haftet neben den Zeugen … und … auf Unterlassung. Durch die unbefugte Veräußerung des streitgegenständlichen Emteguts hat sie eine eigenständige Rechtsverletzung begangen. Ihrer Unterlassungspflicht ist auch nicht dadurch die Grundlage entzogen, dass die Zeugen B. und F. strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben und/oder Schadensersatz geleistet haben. Die Durchsetzung der Sekundäransprüche verschafft dem Verletzer nicht die Rechtsstellung, die ihm bei rechtmäßigem Handeln zukommen würde; seine Verletzungshandlung wird nicht nachträglich zu einer rechtmäßigen Handlung. Der Rechtsgrund für die Unterlassungspflicht der Beklagten besteht mithin fort. Sie dient dem berechtigten Interesse, eine Vertiefung der Sortenschutzverletzung zu verhindern.
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 74 Abs. 1, 91 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
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D. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.