Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 14.04.2025 – 204 VAs 19/25
Titel:

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Ordnungswidrigkeitsverfahren, Ordnungswidrigkeiten, Polizeihandeln, Ermittlungsrichter, Verwaltungsrechtsweg, Rechtsbehelf, Polizeiliche Maßnahme, Justizverwaltungsakt, Richterliche Überprüfung, Entsprechende Anwendung, Gerichtliche Überprüfung, Verweisungsbeschluß, Vorläufige Festnahme, Justizbehörde, Rechtsmittel, Ermittlungsmaßnahmen, Zuständiges Gericht, Bußgeldverfahren, Überprüfung der Rechtmäßigkeit

Normenketten:
EGGVG § 23 Abs. 1, Abs. 3
StPO § 98 Abs. 2 Satz 2, § 162, § 163b Abs. 1
OWiG § 46 Abs. 1, § 53 Abs. 1 Satz 2
BayPOG Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns, bei dem die Polizei, ohne Ahndungsbehörde zu sein, im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens einzelne Ermittlungsmaßnahmen getroffen und sich dabei auf Rechtsgrundlagen der StPO (vgl. § 53 Abs. 1 S. 2 OWiG) gestützt hat, die selbst Rechtsbehelfe regeln, stehen dem Betroffenen diese speziellen Rechtsmittel zur Verfügung.
2. Für die hier mögliche Ermächtigungsnorm des § 163b Abs. 1 StPO ist daher in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Entscheidung des nach § 162 StPO zuständigen Gerichts zu erwirken.
Schlagworte:
Rechtswidrigkeit der Festnahme, Polizeiliches Handeln, Ordnungswidrigkeitenverfahren, Bewegungsfreiheit, Zuständigkeitsprüfung, Ermittlungsmaßnahmen, Gerichtliche Überprüfung
Vorinstanz:
AG München vom -- – 1125 OWi 111 Js 204782/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 9482

Tenor

Das Verfahren wird zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit an das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – abgegeben.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 12.01.2025 stellte der Antragsteller den Antrag festzustellen, dass seine Festnahme am 01.05.2024 von 16:26 Uhr ab für mindestens 20 Minuten rechtswidrig gewesen wäre und ihn in seinen Rechten verletzt habe. Zur Begründung führt er aus, dass er nach Abschluss einer Versammlung in M. am 01.05.2024, bei der er gegen 15:10 Uhr einen Feuerwerkskörper gezündet haben solle, gegen 16:26 Uhr von Polizeibeamten in rechtswidriger Weise für einen Zeitraum von mindestens 20 Minuten festgenommen gewesen sei.
2
Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt, den Antrag als unzulässig zu verwerfen, da das Bayerische Oberste Landesgericht für die Entscheidung über den Antrag nicht zuständig sei, vielmehr gemäß Art. 12 BayPOG, Art. 97 BayPAG der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei.
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Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 12.03.2025 wies der Antragsteller darauf hin, dass die Polizei hier zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit tätig geworden sei, ein präventives Handeln nicht vorgelegen habe.
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Mit Verfügung vom 19.03.2025 wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass beabsichtigt sei, das Verfahren an das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – abzugeben, und gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 04.04.2025. Die Generalstaatsanwaltschaft M. erklärte mit Schreiben vom 24.03.2025, dass der Verweisung nicht entgegengetreten würde, der Antragsteller gab hierzu keine Stellungnahme ab.
II.
5
Das Verfahren war an das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – abzugeben, weil dieses für die Überprüfung der Rechtswidrigkeit des verfahrensgegenständlichen polizeilichen Handelns in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO berufen ist. Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts nach den §§ 23 ff. EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG ist nicht eröffnet.
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Dem Antragsteller geht es vorliegend um die nachträgliche Überprüfung der polizeilichen Maßnahme vom 01.05.2024, bei der er nach Abschluss einer Versammlung in M. am 01.05.2024, bei der er gegen 15:10 Uhr einen Feuerwerkskörper gezündet haben soll, gegen 16:26 Uhr von Polizeibeamten für einen Zeitraum von mindestens 20 Minuten in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt worden ist.
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1. Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist wegen der Subsidiarität des Rechtswegs nach den §§ 23 ff. EGGVG gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG nicht gegeben.
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a) Der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG ist zwar zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen der Justizbehörden (sogenannte Justizverwaltungsakte) eröffnet, § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG.
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Bei dem verfahrensgegenständlichen polizeilichen Handeln liegt auch eine Maßnahme einer Justizbehörde vor. Als Justizbehörden kommen nicht nur die organisatorisch und ressortmäßig dem Justizbereich zugehörigen Behörden in Betracht. Vielmehr sind Justizbehörden in dem für § 23 EGGVG maßgebenden funktionellen Sinn auch solche, die der Justiz dienstbar gemacht werden und in Wahrnehmung einer Aufgabe handeln, die der jeweiligen Behörde funktional als spezifisch justizmäßige Aufgabe auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zugewiesen ist (BeckOK GVG/Köhnlein, 26. Ed. 15.02.2025, EGGVG § 23 Rn. 4 m. w. N.). Unter dem weit auszulegenden Begriff der Strafrechtspflege sind nicht nur die Strafverfolgung im engen Sinne sowie alle damit in Zusammenhang stehenden allgemeinen und besonderen Tätigkeiten der Justizbehörden zur Ermöglichung und geordneten Durchführung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung zu verstehen, sondern auch alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (BeckOK GVG/Köhnlein, 26. Ed. 15.02.2025, EGGVG § 23 Rn. 38; BeckOK PolR Bayern/Schmid, 24. Ed. 01.03.2024, POG Art. 12 Rn. 6).
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Vorliegend ist die Polizei ausweislich des polizeilichen Aktenvermerks vom 18.06.2024 (Bl. 5, 6 der Bußgeldakte) bei der verfahrensgegenständlichen Maßnahme, die sich primär auf die Identifizierung des Antragstellers richtete, ausschließlich zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit tätig geworden, wobei sie hier nicht nach §§ 35 Abs. 2, 36 OWiG tätig wurde, weil sie selbst nicht Ahndungsbehörde war (dies ist hier die Kreisverwaltungsbehörde der Landeshauptstadt M., Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVersG), sondern nach § 53 Abs. 1 Satz 2 OWiG als Ermittlungsbehörde von Ordnungswidrigkeiten handelte (Schmidbauer/Steiner/ Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, POG Art. 12 Rn. 186). Damit ist sie als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG tätig geworden.
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Dementsprechend ist auch eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorliegend ausgeschlossen, da die Grundlage des verfahrensgegenständlichen Handelns ausschließlich im repressiven Bereich liegt. Eine präventive Zielrichtung hatte das polizeiliche Handeln nicht.
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b) Allerdings ist der Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG hier subsidiär, § 23 Abs. 3 EGGVG, weil eine gerichtliche Überprüfung des verfahrensgegenständlichen polizeilichen Handelns in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu erfolgen hat.
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Als Rechtsgrundlage für das verfahrensgegenständliche polizeiliche Handeln kommt allenfalls § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 163b Abs. 1 StPO in Betracht, nachdem das Festhalterecht des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO der Ermittlungsbehörde auch im Bußgeldverfahren zusteht und eine vorläufige Festnahme nach § 127 StPO im Verfahren zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG ausgeschlossen ist (Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 163b StPO Rn. 9).
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Für die richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieses polizeilichen Handelns, bei dem die Polizei, ohne Ahndungsbehörde zu sein, im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens einzelne Ermittlungsmaßnahmen getroffen und sich dabei auf Rechtsgrundlagen der StPO (vgl. § 53 Abs. 1 S. 2 OWiG) gestützt hat, die selbst Rechtsbehelfe regeln, stehen dem Betroffenen diese speziellen Rechtsmittel zur Verfügung (Schmidbauer/Steiner/ Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, POG Art. 12 Rn. 206; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 67. Auflage 2024, StPO § 98 Rn. 23). Für die hier mögliche Ermächtigungsnorm des § 163b StPO ist daher in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Entscheidung des nach § 162 StPO zuständigen Gerichts zu erwirken (MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 163b StPO Rn. 29; BGH, Beschluss vom 05.08.1998 – 5 ARs (VS) 1/97 –, BGHSt 44, 171 – 175, juris Rn. 19, für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erledigten vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO).
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2. Aufgrund der fehlenden Zuständigkeit des Senats ist das Verfahren nach Anhörung der Beteiligten an das nach § 162 StPO zuständige Gericht abzugeben, hier das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter -. Innerhalb der ordentlichen Gerichte erfolgt keine Verweisung nach § 17a GVG, sondern eine Abgabe. Die §§ 17 bis 17b GVG betreffen nur den Rechtsweg, also das Verhältnis verschiedener Gerichtsbarkeiten (Arbeits-, Sozial-, Finanz-, Verwaltungs-, ordentliche Gerichtsbarkeit) zueinander. Für das Verhältnis der innerhalb einer Gerichtsbarkeit mit verschiedenen Rechtsgebieten befassten Gerichte zueinander gelten sie – außer in den Fällen des § 17a Abs. 6 GVG – nicht (BGH, Beschluss vom 16.10.2020 – 1 ARs 3/20 –, NStZ-RR 2021, 52, juris Rn. 20). Demgemäß bedarf es innerhalb des Rechtsweges der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch keines Verweisungsbeschlusses des Senats nach § 17a Abs. 2 GVG (BayObLG, Beschlüsse vom 29.06.2023 – 203 VAs 120/23 –, juris Rn. 3; vom 08.01.2025 – 204 VAs 418/24 –, juris Rn. 126).
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3. Der Abgabe steht auch Art. 12 Abs. 1 BayPOG nicht entgegen. Dort ist zwar im Hinblick auf gerichtliche Zuständigkeiten für Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Polizei neben dem Verwaltungsrechtsweg nur die Zuständigkeit nach § 23 EGGVG genannt. Art. 12 Abs. 1 BayPOG hat aber keinen eigenständigen Regelungscharakter dahingehend, welche Rechtsbehelfe gegen polizeiliche Maßnahmen statthaft sind, sondern referiert lediglich die bundesgesetzliche Rechtslage (BeckOK PolR Bayern/Schmid, 24. Ed. 01.03.2024, POG Art. 12 Rn. 1, 9). Trifft die Polizei im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens einzelne Ermittlungsmaßnahmen ohne Ahndungsbehörde zu sein und stützt sie sich dabei auf Rechtsgrundlagen der StPO (vgl. § 53 Abs. 1 S. 2 OWiG), die selbst Rechtsbehelfe regeln (z. B. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO), so stehen dem Betroffenen diese speziellen Rechtsmittel zur Verfügung (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, POG Art. 12 Rn. 187, 206).