Titel:
Neustarthilfe, Rücknahme eines Schlussbescheids, schutzwürdiges Vertrauen des Hilfeempfängers, Vertrauen der Behörden auf Angaben im Antrag, Mitverantwortung der Behörde, positive Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen
Normenketten:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1
BayVwVfG Art. 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
BayVwVfG Art. 48 Abs. 4
BayVwVfG Art. 49a
Schlagworte:
Neustarthilfe, Rücknahme eines Schlussbescheids, schutzwürdiges Vertrauen des Hilfeempfängers, Vertrauen der Behörden auf Angaben im Antrag, Mitverantwortung der Behörde, positive Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5004
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Klageverfahren gegen die Rücknahme einer mit Schlussbescheid bewilligten „Neustarthilfe“.
2
Die Antragstellerin beantragte am 27.03.2021 die Gewährung einer „Neustarthilfe“ auf Grundlage von Art. 53 BayHO, der dazugehörigen Verwaltungsvorschriften und der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfen des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 3 (Überbrückungshilfe III) für den Zeitraum Januar bis Juni 2021, woraufhin die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.03.2021 eine Betriebskostenpauschale (Neustarthilfe) i.H.v. 3.968,01 EUR unter dem Vorbehalt der endgültigen Festsetzung im Rahmen der Endabrechnung bewilligte.
3
Im Dezember 2021 reichte der prüfende Dritte der Antragstellerin die Endabrechnung bei der Antragsgegnerin ein. Im Rahmen des Endabrechnungsverfahrens wurden antragstellerseits u.a. die „Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG für das Kalenderjahr 2021“ und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2019 und 2021 vorgelegt.
4
Mit Schlussbescheid vom 10.01.2023 bewilligte die Antragsgegnerin eine Betriebskostenpauschale (Neustarthilfe) i.H.v. 3.968,01 EUR für den Zeitraum von Januar bis Juni 2021.
5
Mit Schreiben vom 18.01.2024 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, den Bescheid vom 10.01.2023 zu widerrufen und den Antrag abzulehnen sowie den ausgezahlten Betrag i.H.v. 3.968,01 EUR zurückzufordern. Der Selbstauskunft im Endabrechnungsverfahren sei zu entnehmen, dass der Anteil der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit unter der 51%-Grenze der angegebenen Gesamteinkünfte liege. Der Neustarthilfeantrag wäre daher bei Kenntnis des fehlenden Haupterwerbs im Vergleichszeitraum nicht bewilligt worden. Es handele sich hierbei um eine nachträglich eingetretene Tatsache, die die Ablehnung rechtfertige, wenn der Antrag auf Bewilligung zum jetzigen Zeitpunkt gestellt werden würde. Dabei erhielt die Antragstellerin Gelegenheit zur Äußerung gem. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG bis zum 30.01.2024, worauf diese mit Schreiben vom 24.01.2024 um detaillierte Erläuterung der Berechnung gebeten hat.
6
Mit „Ablehnungs-, Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid“ vom 18.06.2024 nahm die Antragsgegnerin den Schlussbescheid vom 10.01.2023 zurück (Ziff. 1) und lehnte den Antrag auf Neustarthilfe ab (Ziff. 2). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die bisher geleistete Zahlung i.H.v. 3.968,01 EUR bis zum Ablauf von sechs Monaten ab Datum dieses Bescheids (18.06.2024) zurückzuzahlen. Ferner wurde – falls die Zahlungsfrist nicht eingehalten wird – die Verzinsung des zu erstattenden Betrages, beginnend am Tag des Ablaufs der Zahlungsfrist und endend mit dem Tag der vollständigen Zahlung, mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich angeordnet (Ziff. 3).
7
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, mit Schlussbescheid vom 10.01.2023 sei der Antrag auf Endabrechnung über eine Neustarthilfe bewilligt und die ausgezahlte Neustarthilfe i.H.v. 3.968,01 EUR abschließend gewährt worden. Irrtümlich sei eine Bewilligung des Antrags erfolgt. Im Rahmen eines weiteren Antragsverfahrens der Antragstellerin habe die Bewilligungsstelle Kenntnis von dem Irrtum erhalten. Die Rücknahme des Schlussbescheids vom 10.01.2023 stütze sich auf Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BayVwVfG, wonach ein begünstigender, eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährender, rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, sofern eine der in den Ziff. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG erfüllt sei und somit kein Vertrauensschutz vorliege. Vertrauensschutz liege demnach insbesondere dann nicht vor, wenn der Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt worden sei, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Antragsberechtigt für die Gewährung der Neustarthilfe seien selbstständig erwerbstätige Soloselbstständige, wenn sie ihre Tätigkeit im Hauptberuf ausüben, d.h. der überwiegende Teil der Einkünfte (mindestens 51%) aus einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit stamme (Ziff. 3.8 der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe III). Dem eingereichten Einkommensteuerbescheid 2019 sei jedoch zu entnehmen, dass der Anteil der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit unter der 51%-Grenze der angegebenen Gesamteinkünfte liege. Im Förderverfahren habe die Antragstellerin im Rahmen der Antragstellung anzugeben, ob eine Antragsberechtigung gegeben sei oder nicht. Es sei daher ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Antrag nur dann gestellt werden könne, wenn auch die Antragsberechtigung gegeben sei. Bei Erlass des Schlussbescheids sei es der Bewilligungsstelle nicht möglich gewesen, das Fehlen der Antragsvoraussetzungen festzustellen, weil keine Anhaltspunkte für Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Angaben vorgelegen hätten und somit auf die im Antrag gemachten Angaben vertraut werden durfte. Der Schlussbescheid vom 10.01.2023 beruhe demnach gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben, so dass von keinem schutzwürdigen Vertrauen ausgegangen werden könne. In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens über die Rücknahme des Bescheids gem. Art. 40 BayVwVfG entspreche die Entscheidung über die Rücknahme dem öffentlichen Interesse an einer sparsamen und zweckgerichteten Verwendung von Steuermitteln. Anhaltspunkte für eine besondere Situation oder eine sonstige unbillige Härte seien nicht gegeben. Der Schlussbescheid vom 10.01.2023 werde deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Aufgrund der fehlenden Antragsberechtigung sei die zu Unrecht festgesetzte und gewährte Neustarthilfe zurückzuerstatten. Nach Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG seien erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden sei.
8
Mit Schriftsatz vom 18.07.2024 beantragt der Bevollmächtigte der Antragstellerin Prozesskostenhilfe zu gewähren.
9
Zur Begründung des Antrags wurde im Wesentlichen vorgetragen, es handle sich um einen „bedingten Prozesskostenhilfeantrag“. Die Klageerhebung erfolge abhängig von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe.
10
Tatsächlich hätten sich die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit im Jahr 2019 auf einen Betrag von 2.896,00 EUR belaufen. Daneben habe die Antragstellerin Rente i.H.v. 4.237,00 EUR erhalten. Dies bedeute, dass diese 42% ihrer Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt habe. Laut der Einnahmen-Überschuss-Rechnung hätten sich allerdings die Betriebseinnahmen auf 11.185,29 EUR belaufen. Aus Ziff. 3 der Förderrichtlinie komme für die Antragstellerin unmissverständlich zum Ausdruck, dass nicht auf die Einkünfte lt. Steuerbescheid 2019 abgestellt werden müsse, sondern vielmehr die Einkünfte des Betriebs (Betriebseinnahmen) i.H.v. 11.185,29 EUR maßgeblich seien. Schon denknotwendig sei es absolut unverständlich, dass im Rahmen der Antragsberechtigung unter Ziff. 2.6 auf die Einkünfte gem. Einkommensteuerbescheid 2019 abgestellt werden solle, während sich die Antragsberechtigung nach Ziff. 3.8 nach dem Umsatz des Soloselbstständigen richten solle. Auch aus Ziff. 2.1 ergebe sich die Antragsberechtigung der Antragstellerin. Die Antragstellerin betreibe ihre selbstständige Tätigkeit im Haupterwerb. Der Antragstellerin sei zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass sich die Antragsberechtigung ausschließlich nach den Einkünften gem. Einkommensteuerbescheid 2019 richte.
11
Die Rücknahme des Schlussbescheids sei nicht von Art. 48 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG gedeckt. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles habe die Antragstellerin schutzwürdig auf den Bestand des Schlussbescheides vom 10.01.2023 vertraut. Die mittlerweile 70-jährige Antragstellerin habe ihre freiberufliche Tätigkeit zum 01.01.2024 eingestellt. Die gewährten Überbrückungshilfen seien vollständig verbraucht. Die Antragstellerin beziehe eine monatliche Rente von ca. 600,00 EUR und sei auch aus diesem Grund nicht in der Lage, die erhaltene Überbrückungshilfe zurückzuzahlen. Die Antragsgegnerin unterstelle der Antragstellerin, den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt zu haben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Diese Unterstellung sei absurd. Die Antragstellerin habe alle abgefragten Angaben korrekt getätigt. Vielmehr sei zu konstatieren, dass im Antragsformular die Einkünfte aus dem Steuerbescheid 2019 nicht abgefragt worden seien. Die Antragstellerin habe alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen getätigt. Ferner werde vorsorglich bestritten, dass die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Schlussbescheids am 10.01.2023 noch keine Kenntnis vom Einkommensteuerbescheid 2019 gehabt habe. Dieser sei am 24.07.2020 erstellt worden und habe damit bereits vorgelegen, als die Neustarthilfe vorläufig bewilligt worden sei (28.03.2021) und auch im Zeitpunkt des Erlasses des Schlussbescheids vom 10.01.2023. Ferner werde gerügt, dass die Antragsgegnerin keine Abwägungsentscheidung gem. Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG getroffen habe. Im Übrigen sei es der Antragstellerin, die ihre selbstständige Tätigkeit mittlerweile eingestellt habe, aus finanziellen Gründen nicht möglich, die geforderte Rückzahlung vorzunehmen.
12
Mit Schriftsatz vom 01.10.2024 führten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, die Antragstellerin habe am 10.12.2021 die Endabrechnung eingereicht. Auf Rückfrage hin habe sie den Einkommensteuerbescheid 2019 nachgereicht. Aus diesem ergebe sich, dass die Antragstellerin – 251,00 EUR Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb, 2.896,00 EUR Einkünfte aus selbstständiger Arbeit und 4.237,00 EUR sonstige Einkünfte gehabt habe. Damit stehe der Antragstellerin der von ihr geltend gemachte Anspruch nicht zu. Maßgeblich für die Ermittlung gewerblicher Einkünfte einerseits und nichtselbstständiger Einkünfte andererseits sei der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019. Dies finde sich ausdrücklich in Ziff. 2.4 der FAQs, wo die relevanten Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG) und Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) aufgeführt seien und darauf hingewiesen werde, dass die Höhe der jeweiligen Einkünfte dem Einkommensteuerbescheid zu entnehmen seien. Mit ihrer gewerblichen Tätigkeit habe die Antragstellerin nicht 51% ihrer Einkünfte erzielt. Den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte habe sie ausweislich des Einkommensteuerbescheids aus nichtgewerblicher Tätigkeit erzielt. Es sei daher auch nicht ermessensfehlerhaft, die beantragte Förderung mangels gewerblicher Tätigkeit im Haupterwerb abzulehnen.
13
Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt habe, die gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gewesen seien. Ein Verwaltungsakt werde im Sinne von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsaktes gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreiche und die Angaben entscheidungserheblich seien. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich sei, genüge. Ursächlich seien die vollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen sei, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Verwaltungsakt nicht erlassen hätte. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Die Antragstellerin habe an mehreren Stellen im Antrag angegeben, dass die Fördervoraussetzungen vorlägen. Auch habe sie im Antrag Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 11.185,00 EUR für das Jahr 2019 angegeben. Auf der Basis dieser Angaben habe die Antragsgegnerin die Neustarthilfe bewilligt. In dem auf Schnelligkeit angelegten Massenverfahren erfolge in der Regel keine inhaltliche Überprüfung der im Antrag gemachten Angaben durch die Antragsgegnerin. Bei vorheriger Kenntnis des Einkommensteuerbescheids 2019 hätte die Antragsgegnerin den Bescheid vom 10.01.2023 nicht erlassen.
14
Mit Schriftsatz vom 18.11.2024 führte der Bevollmächtigte der Antragstellerin ergänzend aus, aus der Akte gehe hervor, dass der Antragsgegnerin der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 am 06.11.2022 zur Verfügung gestellt worden sei. In Kenntnis dieses Einkommensteuerbescheids habe diese am 10.01.2023 einen Schlussbescheid erlassen. Der gegenständliche Ablehnungs-, Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 18.06.2024 verstoße gegen Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG. Die Antragsgegnerin habe ab dem 06.11.2022 Kenntnis von allen relevanten Informationen, die zur Beurteilung der Antragsberechtigung erforderlich gewesen seien, gehabt. In Kenntnis aller Umstände habe die Antragsgegnerin im Januar 2023 entschieden, dass die Antragstellerin die Neustarthilfe in voller Höhe behalten dürfe. Die Rücknahme dieses Bescheids mit Bescheid vom 18.06.2024 sei gemäß Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG unzulässig, da die Jahresfrist bereits verstrichen gewesen sei. Soweit die Antragsgegnerin ausführe, die Antragstellerin hätte den Verwaltungsakt durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erwirkt, sei diesen verleumderischen Äußerungen entgegenzutreten. Wenn die Antragsgegnerin zudem ausführe, dass die Antragstellerin im Antrag Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 11.185,00 EUR für das Jahr 2019 angebe, grenze dies an versuchten Prozessbetrug. Ausweislich der Verwaltungsakte seien nämlich nicht Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit, sondern Umsätze abgefragt worden. Die Antragstellerin habe hier korrekt die Umsätze im Jahr 2019 mit 11.185,00 EUR angegeben. In der untersten Zeile seien hingegen die „Einnahmen“ im Förderzeitraum aus weiteren Beschäftigungsverhältnissen abgefragt worden. Auch hier habe die Antragstellerin die Höhe der Rente korrekt offengelegt. Wenn die Antragsgegnerin ausführe, dass bei vorheriger Kenntnis des Einkommensteuerbescheids der Bescheid vom 10.01.2023 nicht erlassen worden wäre, trage die Antragsgegnerin bewusst falsch vor. Sie räume auf Seite 3 der Klageerwiderung selbst ein, dass die Antragstellerin auf Rückfrage den Einkommensteuerbescheid 2019 eingereicht habe und erst anschließend der Schlussbescheid vom 10.01.2023 ergangen sei. Damit habe die Antragsgegnerin in Kenntnis aller relevanten Tatsachen im Januar 2023 einen Schlussbescheid erlassen.
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Mit Schriftsatz vom 20.01.2025 trugen die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin ergänzend vor, die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG seien gegeben. Ursächlich seien die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen sei, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Verwaltungsakt nicht erlassen hätte. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes lagen dem zunächst erfolgten Bewilligungsbescheid unrichtige Angaben der Antragstellerin zugrunde. Die Antragstellerin habe in ihrem Erstantrag angegeben, antragsberechtigt zu sein und habe somit unrichtige Angaben gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG gemacht. Unbeschadet dessen greife die in Ziff. 9 der Nebenbestimmungen zu den Bewilligungsbescheiden verankerte Nachprüfungsmöglichkeit ein. Durch den Vorbehalt der Nachprüfung bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen in den Erhalt der Leistungen, so dass eine Rücknahme nach Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG in Betracht komme. Die Antragsgegnerin habe von dieser Nachprüfungsmöglichkeit Gebraucht gemacht und hierbei festgestellt, dass die Antragsberechtigung der Antragstellerin nicht gegeben sei.
16
Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG sei eingehalten. Die Frist beginne erst zu laufen, wenn die Behörde positive Kenntnis von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen habe. Hierfür reiche gerade keine schuldhafte Unkenntnis und ebenfalls nicht, dass die maßgeblichen Tatsachen aktenkundig seien. Die tatsächliche Kenntnis der Behörde sei entscheidend. Vorliegend habe die Antragsgegnerin erst am 08.01.2024 tatsächliche Kenntnis von dem Einkommensteuerbescheid erlangt. Aus der Kommentarhistorie sei ersichtlich, dass zunächst nach den üblichen Prüfmechanismen die Angaben der Antragstellerin plausibel erschienen. Erst im Rahmen einer Tiefenprüfung, welche am 08.01.2024 erfolgt sei, sei nach Sichtung des vorgelegten Einkommensteuerbescheids aufgefallen, dass die überwiegenden Einkünfte nicht gewerblicher oder freiberuflicher Natur gewesen seien. Relevanter Zeitpunkt sei demnach die tatsächliche Sichtung des Einkommensteuerbescheids. Selbst wenn, wie vorliegend, zwar der zu prüfende Bescheid der Behörde vorgelegen habe, diese ihn jedoch nicht gesichtet habe, sondern im Rahmen einer Vorprüfung den Angaben der Antragstellerin zunächst Glauben geschenkt habe, könne der Behörde lediglich fahrlässige Unkenntnis zur Last gelegt werden, was die Jahresfrist nicht auslöse. Erforderlich sei, dass die Behörde positive Kenntnis von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen habe.
17
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
18
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
19
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO voraus, dass die betreffende Partei außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinn des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang nicht ausreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.7.2005 – 1 BvR 175/05 – NJW 2005, 3489; BayVGH, B.v. 9.1.2024 – 22 C 23.1773 – juris Rn. 15 m.w.N.).
21
Gemessen daran kann vorliegend Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Antragsgegnerin hat vielmehr mit Bescheid vom 18.06.2024 den Schlussbescheid vom 10.01.2023 zu Recht zurückgenommen, den Antrag abgelehnt und zutreffend die bereits ausbezahlte Förderung in Höhe von 3.968,01 EUR zurückgefordert.
22
1. Die Rücknahme des Schlussbescheids vom 10.01.2023 unter Ziff. 1 des Bescheids vom 18.06.2024 ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23
Rechtsgrundlage der Rücknahme des Bescheids vom 10.01.2023 ist Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 4 BayVwVfG.
24
Gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden darf (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG). Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch gemäß Art. 48 Abs. 3 Satz 3 BayVwVfG nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2), die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig (Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG).
25
Dies zugrunde gelegt hat die Antragsgegnerin den rechtswidrigen Schlussbescheid vom 10.01.2023 ermessensfehlerfrei innerhalb der Jahresfrist zurückgenommen, insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG vorliegen.
26
a) Der Schlussbescheid vom 10.01.2023 war von Anfang an rechtswidrig.
27
Gemäß Ziff. 3.8 lit. a) i.V.m. Ziff. 2.6 der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe III wird Soloselbständigen eine Neustarthilfe als Billigkeitsleistung gewährt, wenn ansonsten keine betrieblichen Fixkosten gemäß Ziff. 3.1 geltend gemacht werden und der Umsatz des Soloselbständigen während der sechsmonatigen Laufzeit Januar bis Juni 2021 im Vergleich zu einem sechsmonatigen Referenzumsatz 2019 um über 60% zurückgegangen ist. Soloselbständige und selbständige Angehörige der Freien Berufe sind dabei nur antragsberechtigt, wenn sie die Summe ihrer Einkünfte im Jahr 2019 zu mindestens 51% aus ihrer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit erzielen. Die Neustarthilfe beträgt einmalig 50% des sechsmonatigen Referenzumsatzes, maximal aber 7.500 EUR für natürliche Personen. Um den Referenzumsatz für die Neustarthilfe zu bestimmen, wird der durchschnittliche monatliche Umsatz des Jahres 2019 zugrunde gelegt (Referenzmonatsumsatz). Zur Berechnung werden ferner den Umsätzen aus freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit Einnahmen aus nichtselbständigen Tätigkeiten hinzugerechnet, inklusive Einnahmen aus zulässigen unständigen Beschäftigungsverhältnissen und/oder kurz befristeten Beschäftigungsverhältnissen in den Darstellenden Künsten. Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zählen ferner auch steuerfreie Lohnersatzleistungen (vgl. Ziff. 3.8 lit. b) der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe III).
28
Aus dem Einkommensteuerbescheid 2019 ergibt sich eindeutig, dass die Antragstellerin die Summe ihrer Einkünfte im Jahr 2019 nicht zu mindestens 51% aus ihrer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit erzielt hat. Insoweit wird auch auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 01.10.2024 verwiesen. Daher scheitert die Antragsberechtigung der Antragstellerin bereits an der „51%-Hürde“, deren Unterschreiten bzw. „Nichtnachweis“ nach der gerichtsbekannten und rechtlich nicht zu beanstandenden Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin ein Ausschlusskriterium für die Bewilligung der Neustarthilfe darstellt (vgl. z.B. VG Bayreuth, Gb.v. 23.10.2024 – B 7 K 24.554 – juris). Der Bescheid war daher von Anfang an objektiv unrichtig. Auf die weiteren Voraussetzungen der Förderberechtigung, insbesondere auf den Umsatzrückrang im Vergleich zum Referenzzeitraum, kommt es daher nicht (mehr) an.
29
b) Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin steht der Rücknahme des Schlussbescheids vom 10.01.2023 nicht entgegen. Im vorliegenden Fall ist nämlich der Ausschlusstatbestand des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG einschlägig. Die Antragstellerin hat den zurückgenommenen Bescheid durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig waren. Voraussetzung hierfür ist, dass ein darauf gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln vorliegt und die Angaben in diesem Sinne entscheidungserheblich gewesen sind. Dabei muss sich die Kausalität auf die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts, nicht auf den Erlass als solchen beziehen. Die Angaben oder das Unterlassen von Angaben müssen deshalb ursächlich dafür sein, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wobei es ausreicht, dass das Handeln oder Unterlassen für den Mangel mitursächlich war (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2001 – 7 B 00.107 – juris Rn. 21; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 48 Rn. 115 ff.).
30
Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt (vgl. u.a. Schriftsatz vom 20.01.2025), hat die Antragstellerin im Förderverfahren bestätigt, dass die Fördervoraussetzungen vorliegen, insbesondere, dass sie antragsberechtigt im Förderprogramm der Neustarthilfe sei. Bei richtigen Angaben wäre die fehlende Förderberechtigung im streitgegenständlichen Massenverfahren (technisch) aufgefallen und der fehlerhafte Bescheid so nicht ergangen. An der damit gegebenen Kausalität ändert insbesondere auch nichts die Tatsache, dass der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses der Einkommensteuerbescheid 2019 bereits vorgelegten hat und aus diesem ersichtlich ist, dass die Antragstellerin nicht antragsberechtigt ist. Daraus kann allenfalls geschlossen werden, dass (auch) die Antragsgegnerin nicht gewissenhaft gearbeitet hat bzw. aufgrund mangelnder Sorgfalt nicht erkannt hat, dass die Summe der Einkünfte im Jahr 2019 nicht zu mindestens 51% aus gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit erzielt wurde. Selbst mangelnde Sorgfalt der Behörde ändert aber nichts am Ausschluss des Vertrauensschutzes, wenn der Antragsteller objektiv – Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG setzt nicht voraus, dass der Antragsteller die Unrichtigkeit kannte oder hätte kennen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 20.10.1987 – 9 C 255/86 juris Rn. 17) – falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht hat. Denn eine Mitverantwortung der Behörde kann verlorenen Vertrauensschutz nicht wieder begründen, sondern allenfalls dazu führen, dass der Rücknahme eines Bewilligungsbescheids nach Treu und Glauben der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht (BayVGH, U.v. 15.3.2001 – 7 B 00.107 – juris Rn. 22 m.w.N.).
31
Da im vorliegenden Fall bereits der Ausschlusstatbestand des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG einschlägig ist, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob – wie die Antragsgegnerin meint – ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin i.S.d. Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG auch deshalb zu verneinen ist, weil der Schlussbescheid vom 10.01.2023 gemäß dessen Ziff. 9 unter dem „Vorbehalt der Nachprüfung“ stand (vgl. hierzu Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2022, § 48 Rn. 139).
32
c) Die Rücknahme des Schlussbescheids vom 10.01.2023 erweist sich auch als ermessensgerecht. Zwar kann – wie ausgeführt – die Mitverantwortung der Behörde am Erlass eines rechtswidrigen Verwaltungsakts dazu führen, dass eine spätere Rücknahme ermessensfehlerhaft ist. Ein treuwidriges Verhalten der Antragsgegnerin ist aber vorliegend nicht ersichtlich, da der „Fehler“ gerade darin gelegen hat, auf die Richtigkeit der Angaben der Antragstellerin im Antrag vertraut zu haben (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2001 – 7 B 00.107 – juris Rn. 22), was in Anbetracht des automatisierten Massenverfahrens der Neustarthilfe legitim ist. Letztlich ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Rücknahmebescheid vom 18.06.2024 dem öffentlichen Interesse an der sparsamen und zweckgerichteten Verwendung von Steuermitteln den Vorgang gegenüber dem Verbleib der rechtswidrig erhaltenen Förderung bei der Antragstellerin einräumt.
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d) Der streitgegenständliche Rücknahmebescheid ist auch innerhalb der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG ergangen. Danach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt, in dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhalten hat, welche dessen Rücknahme rechtfertigen, zurückgenommen werden. Die Frist beginnt dabei zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1/84 – juris; BVerwG, U.v. 24.1.2001 – 8 C 8/00 – juris Rn. 10 ff.). Nach der Rechtsprechung des BVerwG wird die Jahresfrist (erst) in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen, erhalten hat. Dabei genügt es nicht, dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig – d.h. aus den Akten ersichtlich – sind, da dadurch dem Charakter der Frist nicht Genüge getan wird, die der Behörde zur sachgerechten Entscheidung über die Rücknahme eingeräumt ist. Sie wird deshalb nicht in Lauf gesetzt, bevor sich die Behörde der Notwendigkeit bewusst geworden ist, über die Rücknahme entscheiden zu müssen. Die Jahresfrist beginnt demgemäß erst zu laufen, wenn diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind. Eine schuldhafte Unkenntnis der Behörde genügt nicht (BayVGH, U.v. 15.3.2001 – 7 B 00.107 – juris Rn. 24 m.w.N.; BVerwG, U.v. 24.1.2001 – 8 C 8/00 – juris Rn. 10 ff.).
34
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es unschädlich, dass sich der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 bereits vor bzw. bei Erlass des Schlussbescheids vom 10.01.2023 in den Behördenakten befunden hat. Die Antragsgegnerin erlangte nämlich erst im Januar 2024 Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Schlussbescheids im maßgeblichen vorstehenden Sinne. Der Rücknahmebescheid vom 18.06.2024 erging daher rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG.
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2. Die Ablehnung der beantragten „Neustarthilfe“ unter Ziff. 2 des Bescheids vom 18.06.2024 ist – nachdem der (bewilligende) Schlussbescheid vom 10.01.2023 unter Ziff. 1 des Bescheids vom 18.06.2024 vollständig aufgehoben wurde – ebenfalls rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen, wonach die Antragstellerin – mangels Überschreitens der „51%-Grenze“ – nach der Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin im Rahmen der Neustarthilfe gerade nicht förderberechtigt ist.
36
3. Die unter Ziff. 3 des Bescheids vom 18.06.2024 angeordnete Rückforderung und Verzinsung der mit Bescheid vom 10.01.2023 bewilligten „Neustarthilfe“ ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
37
Nach Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Dabei hat die Antragsgegnerin in der vorliegenden Situation des Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG schon kraft Gesetzes kein Ermessen hinsichtlich des „Ob“ einer Rückforderungsentscheidung (vgl. VG Würzburg, U.v. 19.4.2021 – W 8 K 20.1732 – juris Rn. 47 m.w.N.).
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Zwar ist ein Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) im Rahmen des Art. 49a Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG grds. (noch) berücksichtigungsfähig. Vorliegend hat sich die Klägerseite jedoch nicht bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (hier Bescheid vom 18.06.2024) auf eine Entreicherung berufen. Im „Rücknahmeverfahren“, insbesondere in der Antwort auf die Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG hat die Antragstellerin mit keinem Wort auf ihre finanzielle Lage hingewiesen, sondern nur um Erläuterung der Berechnung gebeten (vgl. Bl. 43 der „Endabrechnungsakte“). Im Übrigen scheitert eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung, wenn ein Antragsteller die zurückgeforderte Zuwendung durch in wesentlichen Punkten unzutreffende oder unvollständige Angaben erwirkt hat (VG Würzburg, U.v. 19.4.2021 – W 8 K 20.1732 – juris Rn. 50 m.w.N.).
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b) Die Anordnung der Verzinsung des Rückforderungsbetrages beruht auf Art. 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG. Soweit der Zinssatz mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich angegeben wurde, dürfte dies zwar im Widerspruch zu Art. 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG (dort: drei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz) stehen, doch begründet dies jedenfalls keine Rechtsverletzung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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4. Die beabsichtigte Klage (vgl. Entwurf der Klageschrift vom 18.07.2024) würde daher ohne Erfolg bleiben. Soweit die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragstellerin vorgetragen wird, steht es dieser frei, einen entsprechenden Antrag auf Stundung, Ratenzahlung oder Erlass der Rückforderung bei der Antragsgegnerin zu stellen. Im Falle einer förmlichen Ablehnung eines solches Antrags, stünde es der Antragstellerin dann offen, den Klageweg bezüglich einer diesbezüglichen Ablehnungsentscheidung zu beschreiten.