Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.03.2025 – 11 ZB 24.2016
Titel:

Ablehnung der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis wegen unterbliebener Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung, sonstige Tatsachen für die Annahme von Alkoholmissbrauch, vorangegangene strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt mit 1, 44 Promille, Fehlen signifikanter Ausfallerscheinungen als Zusatztatsache (bejaht)

Normenketten:
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
FeV § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst a Alt. 2, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2, Anl. 4 Nr. 8.1
Schlagworte:
Ablehnung der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis wegen unterbliebener Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung, sonstige Tatsachen für die Annahme von Alkoholmissbrauch, vorangegangene strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt mit 1, 44 Promille, Fehlen signifikanter Ausfallerscheinungen als Zusatztatsache (bejaht)
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 16.10.2024 – W 6 K 24.499
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4254

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung.
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Der Kläger wurde am 23. September 2022 gegen 22:59 Uhr als Fahrer eines Pkw im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle überprüft. Da die Polizeibeamten Alkoholgeruch wahrnahmen, wurde um 23:27 Uhr eine Blutprobe entnommen. Diese ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,44 Promille. In dem ärztlichen Bericht zur Blutentnahme findet sich folgender Untersuchungsbefund: Gang (geradeaus): sicher; plötzliche Kehrtwendung: unsicher; Drehnystagmus: feinschlägig, Dauer 12 Sekunden; Finger-Finger-Prüfung und Finger-Nasen-Prüfung: sicher, aber verlangsamt; Pupillen: erweitert; Pupillenlichtreaktion: prompt; Bewusstsein: klar; Denkablauf: geordnet; Verhalten: beherrscht; Stimmung: unauffällig; äußerlicher Anschein des Einflusses von Alkohol leicht bemerkbar.
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Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 1. Dezember 2022 verurteilte das Amtsgericht Kempten den Kläger zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist von zehn Monaten für deren Wiedererteilung an.
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Im September 2023 beantragte der Kläger beim Landratsamt Miltenberg (Fahrerlaubnisbehörde) die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, B, BE und C1E (mit Einschlussklassen). Dieses forderte ihn daraufhin unter dem 20. September 2023 gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV auf, bis zum 20. Dezember 2023 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Zu klären sei insbesondere, ob der Kläger das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum hinreichend sicher trennen könne. Die Angaben des Blutentnahmearztes im klinischen Befund erlaubten die Annahme des Fehlens alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration. Damit lägen zusätzliche Tatsachen zu der einmaligen Alkoholfahrt mit 1,44 Promille vor, die die Gutachtensanordnung rechtfertigten.
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Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er werde Deutschland verlassen und der Aufforderung, sich begutachten zu lassen, nicht nachkommen, versagte das Landratsamt nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 23. Oktober 2023 die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Aus der verweigerten Mitwirkung sei auf mangelnde Fahreignung zu schließen.
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Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 16. Oktober 2024 abgewiesen. Der genannte Vorfall begründe Eignungszweifel, die nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV eine Gutachtensanordnung rechtfertigten. Diese Zweifel habe der Kläger nicht durch eine positive Begutachtung ausgeräumt. Darüber hinaus sei der Schluss aus der Verweigerung der Gutachtensvorlage auf fehlende Eignung nicht zu beanstanden, da die Beibringungsanordnung rechtmäßig gewesen sei.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt sind bzw. nicht vorliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Aus dem Vorbringen des Klägers, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9).
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b) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2024 (BGBl I Nr. 299), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 319), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. August 2024 (BGBl I Nr. 266), positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht daher zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 31; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
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Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anl. 4 zur FeV). Bei einem solchen Alkoholmissbrauch kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Nr. 8.2 der Anl. 4 zur FeV). Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
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§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist danach eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille (anders als im Wiederholungsfall, vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV) nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 3 C 24.15 – DAR 2017, 533 = juris Rn. 16; U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – BVerwGE 172, 18 Rn. 17). Eine solche Zusatztatsache liegt im Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 a.a.O. Rn. 28; U.v. 17.3.2021 a.a.O. Rn. 18, 24). Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 a.a.O. Rn. 24, 40, 43; s. dazu auch Wagner, NZV 2022, 110/112). Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (BVerwG, U.v. 17.3.2021 a.a.O. Rn. 46).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber formell rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 32, 66).
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c) Das Verwaltungsgericht hat, ausgehend von den vorgenannten rechtlichen Maßstäben, angenommen, der Kläger habe keine signifikanten Ausfallerscheinungen gezeigt, und darin eine die Begutachtung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV rechtfertigende Zusatztatsache gesehen. Aus der ärztlichen Feststellung eines leichten Alkoholeinflusses sowie den beschriebenen leichten Beeinträchtigungen ließen sich, gemessen am Grad der Alkoholisierung, keine signifikanten Ausfallerscheinungen ableiten. Diese – hier allein streitige – Annahme stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht ernstlich in Zweifel.
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aa) Wenn der Kläger meint, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liege eine Zusatztatsache im vorgenannten Sinn nur vor, wenn keinerlei Ausfallerscheinungen zu beobachten seien, greift das nicht durch. Maßgeblich für die Annahme hoher Alkoholgewöhnung ist das Gesamtbild, wofür ausreichen kann, dass keine signifikanten Ausfallerscheinungen festzustellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 21). Dieser rechtliche Standpunkt liegt auch der vom Kläger genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde. Dieses hat eine Zusatztatsache darin gesehen, dass der Betroffene „nahezu keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen“ gezeigt hatte (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – BVerwGE 172, 18 Rn. 16). In dem dortigen Fall hatte der Blutentnahmearzt den Eindruck leichter Trunkenheit vermerkt (siehe die Ausgangsentscheidung des VG Kassel, U.v. 12.11.2018 – 2 K 1637/18.KS – BeckRS 2018, 55529 Rn. 30). Voraussetzung ist damit gerade nicht, dass eine Alkoholisierung bzw. Beeinträchtigung durch den Alkoholkonsum bei dem betroffenen Fahrer überhaupt nicht bemerkbar bzw. keinerlei Ausfallerscheinungen zu verzeichnen sind (vgl. auch BayVGH, B.v. 7.8.2023 – 11 CE 23.1060 – juris Rn. 16). In Einklang damit stellten schon die Eignungsrichtlinien i.d.F.v. 30. Oktober 1989 (Vkbl 1989 S. 786, s. dazu BVerwG a.a.O. Rn. 27 f.) auf das Fehlen „gravierender alkoholtypischer Ausfallerscheinungen“ ab (vgl. auch Wagner, NZV 2022, 110/111: „fehlende oder nur gering ausgeprägte alkoholtypische Ausfallerscheinungen“). Zudem hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie bereits ausgeführt, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat (BVerwG a.a.O. Rn. 46). Auch daraus folgt, dass der Ausprägungsgrad der Ausfallerscheinungen – als Indikator für die Alkoholgewöhnung – in Beziehung zum Maß der Alkoholisierung zu setzen ist, wie es das Verwaltungsgericht hier getan hat (vgl. dazu auch ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – Blutalkohol 2021, 111 = juris Rn. 18 f.; BayVGH, B.v. 7.8.2023 – 11 CE 23.1060 – juris Rn. 19).
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bb) Ebenfalls ohne Erfolg zieht der Antrag auf Zulassung der Berufung die Bewertung der festgestellten Beeinträchtigungen als nicht signifikant in Frage. Tragender Grund dafür, in dem Fehlen signifikanter Ausfallerscheinungen trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr eine Zusatztatsache zu sehen, ist die Erwägung, dass in diesem Fall die körperliche Befindlichkeit als Warnsignal und Maßstab der aktuellen Alkoholisierung nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 24; VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 47; BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 11 CE 22.2487 – juris Rn. 33; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 267; Wagner, NZV 2022, 110/112). Als erhebliche Ausfallerscheinungen anerkannt sind daher gravierende Auffälligkeiten wie ein stolpernder oder schwankender Gang, lallende oder verwaschene Sprache, Defizite hinsichtlich der Orientierung sowie unbeherrschtes, apathisches oder aggressives Verhalten (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2023 – 11 CE 23.1060 – juris Rn. 17; B.v. 7.3.2023 – 11 CE 22.2487 – juris Rn. 33; BayObLG, U.v. 13.2.2023 – 203 StRR 455/22 – DAR 2023, 397 = juris Rn. 8; Wagner a.a.O. S. 111; Pegel in MüKo-StGB, 4. Aufl. 2022, § 316 Rn. 65). Bei solchen Beeinträchtigungen kann angenommen werden, dass sie dem Betroffenen seine alkoholbedingten Leistungseinbußen vor Augen führen. Daran fehlte es hier.
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Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung meint, der festgestellte Drehnystagmus von 12 Sekunden Dauer stelle eine signifikante Ausfallerscheinung dar, begründet dies keine ernstlichen Zweifel. Wie die Regierung von Unterfranken in dem Widerspruchsbescheid eingehend ausgeführt hat, erlaubt dieser Befund bereits keinen Schluss auf alkoholbedingte Beeinträchtigungen. Unter Nystagmus wird ein schnelles rhythmisches Augenzittern in horizontaler oder vertikaler Richtung als Folge wirklicher oder scheinbarer Bewegungen der Umwelt verstanden. Zentralnervöse, möglicherweise durch Alkohol bedingte Ausfallerscheinung ist ein mehr oder weniger lange dauerndes Nachzittern des Auges beim Fixieren eines Gegenstandes. Sie wird im Dreh- bzw. Drehnachnystagmus untersucht, bei dem der Proband innerhalb von zehn Sekunden mehrfach um die eigene Körperachse gedreht wird und danach den 25 cm von seiner Nase entfernten Finger des Untersuchers zu fixieren hat. Das Nachzittern des Auges entsteht bzw. verlängert oder verstärkt sich regelmäßig unter Alkoholeinfluss. Ein Nachzittern von mehr als zehn Sekunden gilt als auffällig. Derartige Fixationsschwächen sind allerdings nicht alkoholspezifisch; sie treten auch bei Nüchternen auf, etwa nach zentralnervösen Erkrankungen oder bei Erkrankungen des Auges sowie nach der Einnahme von Medikamenten. Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung kann den Messergebnissen Aussagekraft für das Vorliegen einer Fahrunsicherheit bzw. von Ausfallerscheinungen daher allenfalls dann beizumessen sein, wenn ein nach Dauer und Stärke signifikant vom Nüchternwert (Nullwert) abweichender Drehnystagmus festgestellt wird. Zwingende Voraussetzung für eine Verwertung ist somit, dass als Vergleichswert ein Nüchternbefund dieses Fahrers zur Verfügung steht (vgl. König in LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 316 StGB Rn. 125 f.; OLG Zweibrücken, B.v. 19.1.1996 – 1 Ss 3/96 – NZV 1996, 158; OLG Koblenz, U.v. 27.5.1993 – 1 Ss 77/93 – NZV 1993, 444). Das ist hier nicht der Fall. Abgesehen davon wird angenommen, insoweit könne nur ein grobschlägiger Drehnystagmus von Bedeutung sein (vgl. König a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.).
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Ähnliches gilt für die vom Kläger eingewandte Pupillenweite. Eine träge Pupillenreaktion einer sonst gesunden Person bei normaler Beleuchtung, aber auch mittelweite Pupillen in einem überhellen Raum können auf eine zentrale, toxische Beeinflussung hinweisen, allerdings nur als schwaches Indiz. Zudem wird auch hier ein Nüchternbefund des Probanden als unverzichtbar angesehen (vgl. König a.a.O. Rn. 127). Im Übrigen war die im Antrag auf Zulassung der Berufung angesprochene Pupillenreaktion dem ärztlichen Bericht zufolge bereits unauffällig.
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Wenn der Kläger auf die festgestellten Verzögerungen bei der Finger-Fingersowie Finger-Nasen-Probe verweist, haben diese geringe Aussagekraft für das Vorliegen alkoholbedingter Beeinträchtigungen und vermögen die angegriffene Entscheidung daher nicht in Frage zu stellen. Im Rahmen dieser Tests treten häufig auch bei nicht alkoholisierten Personen Auffälligkeiten auf (vgl. König a.a.O. Rn. 123). Zudem sind die Proben hier durchaus als sicher beurteilt worden.
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Abgesehen davon ist, selbst wenn die vom Arzt beschriebenen Auffälligkeiten alkoholbedingt sein sollten, nicht greifbar, dass sie für den Kläger zu erkennen und damit geeignet wären, ihm seine Alkoholisierung vor Augen zu führen. Gleiches gilt für die beschriebene Unsicherheit bei der plötzlichen Kehrtwende, die der Antrag auf Zulassung der Berufung bereits nicht ins Feld geführt hat. Ferner würden sie angesichts einer Blutalkoholkonzentration von 1,44 Promille nicht ins Gewicht fallen. Bei einer Gesamtbetrachtung lässt sich aus den Feststellungen des ärztlichen Berichts ein hinreichend sicherer Rückschluss auf eine außergewöhnliche Alkoholgewöhnung des Klägers ableiten und ist nicht erkennbar, dass ihm seine körperliche Befindlichkeit als Warnsignal zur Verfügung stand.
23
Schließlich deckt sich die Beurteilung des Verwaltungsgerichts mit der vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, die leichte Beeinträchtigungen, wie sie hier dokumentiert sind, als nicht signifikant angesehen hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2023 – 11 CE 23.1060 – juris Rn. 2, 18 zu einem Fall, in dem bei einer BAK von 1,34 außer erweiterten Pupillen, einer verzögerten Pupillenreaktion und einer unsicheren plötzlichen Kehrtwende alle anderen Untersuchungsbefunde unauffällig waren; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – BA 2021, 110 = juris Rn. 19 zu einer Konstellation, in der bei einer BAK von 1,46 Promille der äußerliche Anschein des Einflusses von Alkohol deutlich bemerkbar und Zeiteinschätzung (9 statt 30 Sekunden) und sowie Drehnystagmus (13 Sekunden, grobschlägig) auffällig, alle anderen Befunde aber unauffällig waren).
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Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung rügt, das Verwaltungsgericht habe den festgestellten Ausfallerscheinungen keine Bedeutung zugemessen, weil sie sich nicht auf das Fahrverhalten des Klägers ausgewirkt hätten, geht dies von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Zum Fahrverhalten des Klägers sind keine Beobachtungen der Polizei dokumentiert, so dass das angegriffene Urteil für das Vorliegen von Ausfallerscheinungen zu Recht allein auf den ärztlichen Bericht zur Blutentnahme abgestellt hat.
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2. Wenn der Antrag auf Zulassung der Berufung besondere rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Rechtssache in den Raum stellt, sind deren Voraussetzungen nicht dargelegt und nach dem Vorstehenden auch nicht gegeben.
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3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).