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OLG München, Endurteil v. 25.09.2025 – 32 U 626/25 e
Titel:

Insolvenzverwalter, Berufung, Mieter, Insolvenzmasse, Mietsache, Mietvertrag, Auslegung, Vereinbarung, Zahlung, Miete, Befristung, Entlassung, Insolvenzschuldnerin, Ablauf, Treu und Glauben, Gebrauch der Mietsache, Auslegung der Vereinbarung

Normenkette:
BGB § 545
Leitsätze:
1. Zur stillschweigenden Verlängerung des Mietverhältnisses nach Ablauf der Mietzeit durch Gebrauchsfortsetzung nach § 545 BGB.
2. Setzt der Mieter den Gebrauch der Mietsache nach Ablauf der Mietzeit fort, so werden Mietbedingungen gegenstandslos, die an eine ursprüngliche Befristung oder sonstige Laufzeitregelung anknüpfen.
Schlagworte:
Insolvenzverwalter, Berufung, Mieter, Insolvenzmasse, Mietsache, Mietvertrag, Auslegung, Vereinbarung, Zahlung, Miete, Befristung, Entlassung, Insolvenzschuldnerin, Ablauf, Treu und Glauben, Gebrauch der Mietsache, Auslegung der Vereinbarung
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 30.01.2025 – 14 O 2303/24
Rechtsmittelinstanz:
BGH vom -- – XII ZR 80/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 32692

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 30.01.2025, Az. 14 O 2303/24, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 172.218,06 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Hinsichtlich des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Ergänzend bzw. zusammenfassend hat der Senat folgende Feststellungen getroffen:
2
Der Kläger als Eigentümer begehrt von der Beklagten für den Zeitraum 01.07.2022 bis einschließlich 31.12.2023 (18 Monate) restliche Mietzahlungen für ein von der Beklagten gemietetes Gewerbegrundstück in der … in …, nachdem die Beklagte seiner Ansicht nach zu Unrecht nur die Hälfte der ihm zustehenden Miete gezahlt hat.
3
Hintergrund der mietvertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ist folgender: Das Gelände … in … wurde ursprünglich von der Firma … GmbH genutzt. … als Eigentümer des Geländes hatte das Gelände später mit Mietvertrag vom 20.04.1990 an die … GmbH vermietet. Der Kläger erwarb das Betriebsgelände von … und trat als Vermieter in den Mietvertrag ein. Während der Mietzeit wurde auf dem gemieteten Gelände der sog. „Neubau“ oder die „neue Halle“ errichtet. Hiervon nutzte die Fa. … das Erdgeschoss sowie zumindest Teile des Untergeschosses für gewerbliche Zwecke. Das gesamte Obergeschoss wurde vom Kläger als Wohnraum an Dritte vermietet. Am 08.12./09.12.1997 schlossen die Rechtsvorgänger des Klägers und die Fa. … ferner einen weiteren Mietvertrag über eine auf dem weitläufigen Gelände gelegene Industriehalle, die sogenannte „hintere Halle“. Der Mietvertrag aus dem Jahr 1990 enthielt keine Vertragslaufzeit und war ordentlich kündbar. Er enthielt ferner keine Reglung über die Rechtsfolgen einer Gebrauchsfortsetzung der Mietsache durch den Mieter nach Vertragsende.
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Infolge Insolvenz der … GmbH übernahm die Beklagte deren Betrieb und durch entsprechende dreiseitige Eintrittsvereinbarung vom 01.06.2021 mit dem Insolvenzverwalter und dem Kläger (Anlage B1 LG-Akte) infolgedessen auch deren Betriebsstätte auf dem Gelände in der … als Mieterin. Die Vereinbarung, die neben dem Insolvenzverwalter vom Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet ist, enthielt auszugsweise folgende Regelungen:
„1. Der Neumieter tritt anstelle der Schuldnerin Wirkung ab dem 01.06.2021 in den Hauptmietvertrag vom 20.04.1990 über die wesentlichen Mietflächen ein.
2. Beide Mietverhältnisse mit der Schuldnerin als Mieterin enden mit Wirkung zum Ablauf des 31.05.2021.
3. Dem Neumieter wird ab dem 01.06.2021 das Recht eingeräumt, sämtliche Mietflächen auf dem Betriebsgelände in der … in … mit Ausnahme der hinteren Halle bis einschließlich zum 31.12.2021 zu nutzen. Für diesen Zeitraum ist eine Miete in Höhe von 5o Prozent der Gesamtmiete und mithin ein Betrag in Höhe von monatlich € 8.832,57 netto (entspricht € 10.510,76 brutto) geschuldet. Diese Miete an den Vermieter zu bezahlen.
4. Für die Entlassung der Schuldnerin aus den Verpflichtungen aus beiden Mietverträgen verpflichtet sich der Insolvenzverwalter, an den Vermieter aus der Insolvenzmasse ab dem 01.06.2021 bis einschließlich zum 31.12.2021 den Differenzbetrag zur monatlichen Gesamtmiete zu bezahlen,
5. Vermieter und Neumieter verpflichten sich, mit Wirkung ab dem 01.01.2022 eine Neuregelung über den Umfang der Mietflächen und den ab diesem Zeitpunkt zu zahlenden Mietzins zu treffen.
(…)“
5
Zu einer Vereinbarung über den Zeitraum 31.12.2021 hinaus kam es in Folge aus zwischen den Parteien streitigen Gründen nicht. Die Beklagte setzte die Nutzung der Mietsache jedenfalls bis zum 31.12.2023 fort. Seit diesem Zeitpunkt ist der Vertrag infolge Kündigung der Beklagten beendet. Ob die Mietsache ordnungsgemäß zurückgegeben wurde, ist zwischen den Parteien ebenfalls streitig. Die Beklagte zahlte an den Kläger in den Monaten Januar 2022 bis Dezember 2023 (wie auch seit dem 01.06.2021) die Hälfte der monatlichen Gesamtmiete, die in der Eintrittsvereinbarung unter Ziffer 3. genannt ist, mithin monatlich 8.832,57 € netto (entspricht 10.510,76 brutto), insgesamt einen Betrag in Höhe von 252.258,20 €.
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Zwischen den Parteien ist die Auslegung der Vereinbarung vom 01.06.2021 streitig. Insbesondere ist zwischen den Parteien streitig, ob und in welchem Umfang die Beklagte nach der Eintrittsvereinbarung vom 01.06.2021 in die beiden Mietverträge eingetreten ist und wie hoch daher die von ihr geschuldete monatliche Miete ist.
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Im Verfahren 8 O 2730/22 hat das Landgericht München II die Beklagte zur Zahlung der rückständigen hälftigen Miete für den Zeitraum Januar bis Juni 2022 verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 26.07.2024 zurückgewiesen (Az. 32 U 692/24e). Im hier vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger nach Teilklagerücknahme in erster Instanz noch die Zahlung der zweiten Hälfte der Gesamtmiete für den Zeitraum Juli 2022 bis Dezember 2023 (18 Monate).
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Das Landgericht hat die Beklagte mit Endurteil vom 30.01.2025 (Az. 14 O 2303/24) zur Zahlung von € 172.218,06 € nebst Zinsen sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 3.311,18 verurteilt. Hiergegen richtet sich die am 26.02.2025 eingelegte und mit Schriftsatz vom 30.04.2025 auch begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge auf Klageabweisung vollumfänglich weiterverfolgt.
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Die Beklagte wendet ein, entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei der Mietvertrag vom 20.04.1990 nicht unverändert ab dem 01.01.2022 weitergeführt worden. Die Beklagte sei gemäß Vereinbarung vom 01.06.2021 nicht komplett, sondern nur teilweise in diesen Mietvertrag eingetreten, wie sich aus der Formulierung „über wesentliche Mietflächen“ ergebe. Auch sei in der Präambel zur Vereinbarung vom 01.06.2021 festgehalten, dass der neue Mieter für die Fortführung des Geschäftsbetriebes zumindest auf einen Teil der Mietflächen angewiesen sei. Die Beklagte habe daher nicht die komplette Mietfläche übernehmen wollen.
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Entgegen der Auffassung des Gerichts sei der Vertrag auch nicht nach dem 01.01.2022 weitergelaufen. Durch die Formulierung in Ziffer 5 der Vereinbarung vom 01.06.2021, dass sich die Parteien auf einen neuen Mietvertrag zu verständigen haben, ergebe sich zwangsläufig, dass der alte Mietvertrag nicht mehr gelten sollte. Die Beklagte habe auch sehr wohl signifikant weniger Flächen im Gebäude und auf dem Gelände genutzt. Teile der Gebäude auf der gemieteten Fläche würden vom Kläger privat als Abstellplätze bzw. Garagen für seine Fahrzeuge genutzt, weitere Teile insbesondere des Neubaus seien auch noch vom Insolvenzverwalter als Lagerfläche genutzt worden. Die Beklagte habe nur die sog. „alte Halle“ als Betriebsstätte genutzt, nur diese Fläche habe die Beklagten anmieten wollen und der Kläger habe dies auch gewusst.
11
Auch aus der Tatsache, dass kein neuer Mietvertrag abgeschlossen wurde, könne nicht geschlussfolgert werden, dass der alte Mietvertrag weiter lief. Ein beiderseitiger Verstoß gegen die Vereinbarung zum Neuabschluss des Vertrags könne nicht dazu führen, dass die Beklagte einseitig mit den Folgen belastet werde. Auch habe die Beklagte wegen der nur teilweisen Nutzung von Flächen keine Nutzungsentschädigung in dieser Höhe zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
Das Urteil des Landgerichts München II, Az 14 O 2303/24, vom 30.01.2025 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 172.218,06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.03.2024 sowie weitere € 3.311,18 zu zahlen.
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Der Kläger beantragt,
Zurückweisung der Berufung.
14
Der Senat hat den Kläger und den Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2025 persönlich angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2025 Bezug genommen.
II.
15
Die Berufung der Beklagten war Im Ergebnis als unbegründet zurückweisen, da das Landgericht die Beklagten zu Recht zur Zahlung rückständiger Miete gemäß § 535 Abs. 2, 545 BGB zuzüglich Verzugszinsen verurteilt hat. Auch die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr beruht auf Verzug, § 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 4 BGB.
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1. Entgegen der Rechtsauffassung der Berufung ist die Beklagte nicht nur in einen Teil der Flächen des Mietvertrags vom 20.04.1990, sondern vielmehr insgesamt – mit den Modifikationen unter Ziffer 3 der Vereinbarung vom 01.06.2021 – in den Vertrag eingetreten. In der Präambel der Vereinbarung vom 01.06.2021 wird eindeutig klargestellt, dass zwischen dem Kläger und der Insolvenzschuldnerin zwei Verträge existieren, nämlich jener vom 20.04.1990 und jener über die hintere Halle vom 09.12.1997. Der Vertrag vom 20.04.1990 wird hierbei ausdrücklich als „wesentlicher Teil der Mietflächen – Hauptmietvertrag“ bezeichnet, so dass mit Ziffer 1 der Vereinbarung – Eintritt in den Vertrag vom 20.04.1990 „über die wesentlichen Mieflächen“ lediglich klargestellt werden sollte, dass die Beklagte nicht auch in den Mietvertrag aus 1997 über die hintere Halle eintritt. Da es für die Definition des Mietgegenstands alleine auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien und nicht auf den tatsächlichen Umfang der Nutzung durch den Mieter ankommt, kann aus Sicht des Senats insoweit ausdrücklich offenbleiben, in welchem Umfang die Beklagte letztlich die Mietsache im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich genutzt hat.
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2. Die Parteien haben allerdings in der Vereinbarung vom 01.06.2023 den bisher mit unbestimmter Laufzeit versehenen Vertrag bis 31.12.2021 befristet, so dass er mit Ablauf des 31.12.2021 zunächst endete, § 542 Abs. 2 BGB. Nach §§ 133, 157 BGB erfolgt die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte. Hier ging es den Parteien nach dem übereinstimmenden Willen zum einen um die Entlassung der Insolvenzschuldnerin aus dem Mietverhältnis (Ziffer 4 der Vereinbarung) und zum anderen um den Eintritt der Beklagten in das Mietverhältnis, wobei – wie sich aus Ziffer 5 der Vereinbarung ergibt – zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht klar war, in welchem Umfang die Beklagte die Firma der Insolvenzschuldnerin, einer Zulieferfirma von …, fortführt und in welchem Umfang die Mieträumlichkeiten als Betriebsgrundstück zukünftig benötigt werden. Entsprechend sind Ziffer 3 und 5 der Vereinbarung, wonach die Beklagte berechtigt ist, die gesamten Mietflächen mit Ausnahme der hinteren Halle „bis einschließlich zum 31.12.2021 zu nutzen“ und die (neuen) Parteien des Mietvertrags sich verpflichtet haben, ab dem 01.01.2022 eine Neuregelung hinsichtlich Mietgegenstand und Miethöhe zu treffen, dahingehend auszulegen, dass der Vertrag einvernehmlich bis zum 31.12.2021 befristet war und zu diesem Zeitpunkt endete.
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3. Der Vertrag verlängerte sich allerdings gemäß § 545 BGB ab dem 01.01.2022 auf unbestimmte Zeit, da die Beklagte den Gebrauch der Mietsache nach Ablauf der Mietzeit fortsetzte und – unstreitig – keine der Parteien der Fortsetzung innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 545 BGB widersprochen hat. Insbesondere hat auch der Kläger einer Gebrauchsfortsetzung nicht widersprochen, wie sich etwa aus der Berufungserwiderung vom 11.06.2025 (Die Beklagte hat die Nutzung der alten und neuen Halle „unverändert fortgesetzt“) sowie aus dem Umstand ergibt, dass er die rückständigen Mieten eingefordert hat. § 568 BGB a.F. wurde in dem Vertrag vom 20.04.1990 zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien auch nicht abbedungen, so dass die Nachfolgeregelung des § 545 BGB, für die es keine Überleitungsvorschrift gibt (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl § 545 Rn. 2), im Verhältnis zwischen den Parteien unmittelbar greift.
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Setzt der Mieter den Gebrauch der Mietsache nach Ablauf der Mietzeit ohne Widerspruch einer Partei fort, so wird das bisherige Mietverhältnis unverändert und unter Wahrung seiner Identität fortgesetzt (vgl. Börstinghaus/Siegmund § 545 Rn. 27; Schmidt-Futterer/Streyl § 545 Rn. 26). Diese gesetzliche Rechtsfolge tritt unabhängig vom Willen der Parteien ein, allerdings werden alle Mietbedingungen gegenstandslos, die an eine ursprüngliche Befristung oder sonstige Laufzeitregelung anknüpfen (OLG Hamm NJW-MietR 1997, 268; Schmidt-Futterer/Streyl § 545 Rn. 26; Börstinghaus/Siegmund § 545 Rn. 27; BeckOGK BGB/Mehle § 545 Rn. 12; Staudinger/V.Emmerich § 545 Rn. 24). Eine Fortgeltung von Vertragsregelungen kommt mithin dann nicht in Betracht, wenn die vorzunehmende Vertragsauslegung ergibt, dass ein vertraglicher Punkt nur für ein befristetes, nicht aber für ein unbefristetes Mietverhältnis gelten soll (OLG Hamm NJWE-MietR 1997, 268 unter I. 3). So aber verhält es sich zur Überzeugung des Senats mit der unter Ziffer 3 der Vereinbarung vom 01.06.2021 getroffenen Reduzierung der Vertragsmiete auf 50%.
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a) Die Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB erfolgt unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte. § 133 BGB legt fest, dass bei der Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist. § 157 BGB ergänzt dies, indem die Norm vorschreibt, dass Verträge so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Die Auslegung zielt darauf ab, den objektiven Sinn der vertraglichen Regelungen zu ermitteln, wobei der Wortlaut, der Zweck des Vertrags und das Verhalten der Parteien zu berücksichtigen sind. Die Auslegung erfolgt aus der Sicht eines objektiven Dritten, wobei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH NJW 2005, 2618; BGH NJW 1998, 2966; BeckOK BGB/Wendtland § 157 Rn. 8). Die allen Treuepflichten eigentümliche Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite greift auch bei der Auslegung nach §§ 133, 157 ein: Vertragsbestimmungen und andere rechtsgeschäftliche Regelungen sind so zu verstehen, dass sie sich nicht als einseitige Interessendurchsetzung darstellen, sondern eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Gegenseite ermöglichen. Insoweit ist eine umfassende Abwägung der Parteiinteressen erforderlich (vgl. MüKo BGB/Busche § 157 Rn. 7).
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b) Die Regelungen unter Ziffern 3 und 5 der Vereinbarung vom 01.06.2021 sind im Wortlaut nicht eindeutig und damit auslegungsbedürftig. Der Wortlaut insbesondere von Ziffer 3 lässt auch eine Auslegung dahingehend zu, dass die Gesamtmiete auf 50% der bisherigen Bruttomiete abgesenkt werden sollte und diese Regelung auch über die Vertragslaufzeit 31.12.2021 hinaus Gültigkeit beanspruchen soll, sofern die Parteien keine – nach Ziffer 5 – verpflichtend einvernehmlich zu treffende Neuregelung ihres Vertragsverhältnisses vornehmen. Wortlaut und Kontext der Regelungen im Gesamten sprechen aber nach Auffassung des Senats eher dafür, dass die Miete nur vorübergehend und nur bis zum Vertragsende abgesenkt werden sollte. Hierfür spricht insbesondere Ziffer 4 der Vereinbarung, wonach der Insolvenzverwalter sich für die Insolvenzschuldnerin verpflichtete, noch bis einschließlich 31.12.2021 die Hälfte der Miete zu bezahlen und dies gerade zum Zwecke der Entlassung der Schuldnerin aus dem Mietverhältnis erfolgte. Auch der Satz in Ziffer 3: „Für diesen Zeitraum (bis 31.12.2021) ist eine Miete in Höhe von 50% (…) geschuldet“ spricht dafür, dass die Absenkung der Miete nur für den Befristungszeitraum gelten sollte.
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c) Eine an den Grundsätzen von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte orientierte Auslegung insbesondere auch mit Blick auf Zweck der Vereinbarung lässt aber im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Gründen des angefochtenen Urteils nur eine Auslegung dahingehend zu, dass die Absenkung nur für den Zeitraum bis 31.12.2021 gewollt war und damit nicht für ein unbefristetes Mietverhältnis gelten sollte. Zunächst entspricht es schon nicht der Verkehrssitte, dass ein Vermieter dauerhaft auf 50% der vereinbarten Miete verzichten soll, obwohl der Mieter den Vertragsgegenstand weiterhin unvermindert nutzen kann und – wie sich aus den übereinstimmenden Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2025 ergeben hat – zum weit überwiegenden Teil auch genutzt hat. Der Geschäftsführer der Beklagten hat eingeräumt, dass die alte Halle, der wesentliche Vertragsgegenstand, vollständig während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums für betriebliche Zwecke genutzt wurden. Er hat darüber hinaus – entgegen der schriftsätzlichen Ausführungen – auch eingeräumt (§ 288 Abs. 1 ZPO), dass von der Beklagten auch das Erdgeschoss der Neubauhalle über den gesamten Zeitraum genutzt wurde. Nachdem die im Obergeschoss der neuen Halle gelegenen Wohnungen ohnehin zu keinem Zeitpunkt dem Mieter überlassen waren, steht damit zwischen den Parteien letztlich nur der Umfang der Nutzung des Untergeschosses des Neubaus und damit ein absolut untergeordneter Teil der vermieteten Flächen in Streit.
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d) Bei einer an Treu und Glauben orientierten Auslegung der Vereinbarung ist ferner auch zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin sich nur für den Übergangszeitraum und zum Zwecke der Entlassung aus dem Mietverhältnis verpflichtete, die Hälfte der geschuldeten Vertragsmiete zu übernehmen und dies dem Geschäftsführer der Beklagten auch bewusst war. Ersichtlich diente die Laufzeit von 7 Monaten als Übergangsregelung, weil zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht klar war, in welchem Umfang die Beklagte über diesen Zeitraum hinaus die Mieträumlichkeiten zur Fortführung des übernommenen Unternehmens benötigte. Die Beklagte wird durch die gescheiterten oder nicht durchgeführten Verhandlungen über die Neuregelung des Mietverhältnisses gemäß Ziffer 5 der Vereinbarung vom 01.06.2021 auch nicht unangemessen benachteiligt, da sie unabhängig von ihrer Verantwortung für das Scheitern der Neuregelung jederzeit das fortgesetzte Metverhältnis unter Einhaltung der Fristen des § 580a BGB hätte kündigen können, wenn sie feststellt, dass sie nur einen Teil der Mietsache benötigt und ihr die vereinbarte Miete daher zu hoch ist.
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e) Nach alledem war die Regelung in Ziffer 3 der Vereinbarung hinsichtlich der Absenkung der Vertragsmiete dem Befristungszeitraum immanent und gilt nicht für das nach § 545 BGB fortgesetzte unbefristete Mietverhältnis. Wie ausgeführt, ist die Beklagte nicht nur in einzelne Flächen, sondern vielmehr gemäß Ziffer 1 der Vereinbarung in den gesamten Mietvertrag vom 20.04.1990 eingetreten, so dass sie ab dem 01.01.2022 auch die vollständige Miete schuldete. Sie war deshalb aus § 535 Abs. 2 BGB zur Zahlung rückständiger Mieten in Höhe von € 172.218,06 zu verurteilen. Die Berechnung der rückständigen Miete durch das Landgericht wurde von der Beklagten nicht angegriffen.
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4. Der Zinsausspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB und wurde von der Berufung ebensowenig angegriffen wie die aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 4 BGB resultierende Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren. Soweit das Landgericht in seinem Urteil „überschießende“ Rechtsanwaltsgebühren abgewiesen hat, wurde das Urteil nicht angegriffen.
III.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO, Den Streitwert hat der Senat in Anwendung des § 47 GKG bestimmt.