Titel:
Hinsichtlich Ablehnung des unzulässigen Asylfolgeantrags erfolglose, hinsichtlich Abschiebungsandrohung nach Bulgarien erfolgreiche Asylklage
Normenketten:
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, § 34 Abs. 1 Nr. 4, § 71,
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
GG Art. 6
GrCh Art. 4
EU AsylVerf RiLi Art. 40
VwVfG § 51, § 48, § 49
EU RückführungsRiLi Art. 5
Leitsätze:
1. Statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung ist die Anfechtungsklage, da das Verwaltungsgericht in nicht zu einer „Durchentscheidung“ verpflichtet ist. (Rn. 115) (redaktioneller Leitsatz)
2. „Neue Umstände oder Erkenntnisse“, können nach rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens eingetreten sein, oder bereits vor Abschluss des Verfahrens existieren, aber nicht geltend gemacht worden sein und können sich auch aus neuen rechtlichen Umständen, ggfs. auch aus einem Urteil des EuGH ergeben. (Rn. 91) (redaktioneller Leitsatz)
3. Asylanträge von arbeitsfähigen und gesunden Ausländern, denen die Republik Bulgarien bereits internationalen Schutz gewährt hat, dürfen als unzulässig abgelehnt werden. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Tatsache einer angeordneten Betreuung als solche muss sich nicht zwangsläufig hinderlich auf eine positive Rückkehrprognose nach Bulgarien auswirken. (Rn. 104) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein zu berücksichtigender Gesundheitszustand bei der Abschiebung muss in einer Reiseunfähigkeit des Betroffenen im engeren Sinne (Transportunfähigkeit) oder im weiteren Sinne (Gesundheitsgefährdung allein durch Abschiebung) liegen. (Rn. 124) (redaktioneller Leitsatz)
6. Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, kommt es entscheidend darauf an, ob die durch das Institut der Ehe miteinander verbundenen Personen auch der Sache nach in einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne einer die persönliche Verbundenheit der Eheleute zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben. (Rn. 126– 128) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sekundärmigration (Bulgarien), „Anerkannten-Folgeantrag“, Vulnerabilität (psychische Erkrankung), Zuständigkeit für die Aufhebung einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung, Herstellung einer ehelichen Gemeinschaft bei getrenntlebenden Ehegatten (familiäre Bindungen), Asylklage, Syrien, Asylfolgeantrag, Wiederaufnahmeverfahren, Abschiebungsandrohung, Bulgarien, subsidiärer Schutzstatus, Gesundheitszustand, Familie, Ehe, Einreiseverbot, Aufenthaltsverbot, Erkrankung, Schizophrenie, Betreuung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 28411
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10.07.2023) unter diesbezüglicher Wiederaufnahme des Verfahrens aufzuheben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4.
4. Die Kostenentscheidung ist für beide Beteiligte vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Gläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet
Tatbestand
1
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger, vertreten durch seinen Betreuer, im Wesentlichen gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags als unzulässig und begehrt die Aufhebung einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung nach Bulgarien.
2
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger mit arabischer Volks- und islamisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 11.07.2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, stellte am 11.10.2022 einen Asylantrag und am 16.01.2024 einen – hier streitgegenständlichen – Folgeantrag.
3
Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes im Erstverfahren wurde dem Kläger bereits am 23.03.2022 in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt.
4
In der am 14.03.2023 durchgeführten Anhörung zum Asylantrag wurden vom Kläger im Wesentlichen die Erkenntnisse des Bundesamtes bezüglich der Schutzgewährung in Bulgarien bestätigt und angegeben, er sei dort gezwungen worden, Fingerabdrücke abzugeben. Er sei schlecht behandelt und geschlagen worden. Die Umstände seien allgemein schlecht gewesen. Gefragt nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen, gab der Kläger an, er habe keine, nur Probleme im Knie (Meniskusriss, Kreuzband). Als im Bundesgebiet lebende Angehörige benannte der Kläger zwei Onkel und einen in Hessen lebenden, anerkannten Cousin, namentlich …, geb. im Jahr … Mit Bescheid vom 10.07.2023 wurde der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), die Feststellung getroffen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), die Abschiebung nach Bulgarien angedroht (Ziffer 3) und ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen (Ziffer 4).
5
Gegen den Bescheid vom 10.07.2023 wurde beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage erhoben (Az. B 3 K 23.30639) und Eilantrag gestellt. Der Eilantrag wurde mit Beschluss vom 16.08.2023 abgelehnt (Az. B 3 S 23.30638). Die Klage wurde am 13.12.2023 zurückgenommen und das Verfahren hierauf eingestellt.
6
Noch während des anhängigen Hauptsacheverfahrens stellte der Kläger mit am 21.09.2023 beim Bundesamt eingegangenen Schreiben vom 19.09.2023 einen „Folgeantrag“ (vgl. Bl. 227 der Akte zum Erstantrag) und stützte diesen unter Vorlage eines auf den 19.09.2023 datierenden Attestes, ausgestellt von …, auf eine Erkrankung an Schizophrenie (vgl. Bl. 228 der Akte zum Erstantrag). Mit Schreiben vom 21.09.2023 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass der Folgeantrag gegenstandslos sei, denn das Erstverfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Ausweislich einer Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung von Oberfranken war der Kläger am 31.10.2023 nach Bulgarien überstellt worden (vgl. Bl. 234 der Akte zum Erstantrag). Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes reiste der Kläger kurz darauf, am 21.11.2023, wieder in das Bundesgebiet ein.
7
Am 16.01.2024 stellte der Kläger persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts in B. (Oberfranken) einen Folgeantrag.
8
In einem vom Amtsgericht B. in Auftrag gegebenen und am 11.02.2024 erstellten ärztlichen Gutachten zur gesundheitlichen Verfassung des Klägers wurde u.a. eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie mit häufigen Halluzinationen (ICD-10 F 20.0) festgestellt. Auf den Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen.
9
Hierauf ordnete das Amtsgericht B. mit Beschluss vom 11.03.2024, Az. …, für den Kläger die Betreuung unter Einwilligungsvorbehalt an und bestellte einen Betreuer. Mit E-Mail vom 13.03.2024 zeigte sich dieser gegenüber dem Bundesamt unter Vorlage seines Betreuerausweises an.
10
Am 22.07.2024 übersandte der Betreuer dem Bundesamt einen auf den 04.07.2024 datierenden Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und einer Leiharbeitsfirma. Dort wurde eine Tätigkeit als Kommissionierer und eine monatliche Arbeitszeit von 151,67 Stunden vereinbart.
11
Ausweislich der vom Bundesamt ausgestellten Bescheinigung vom 17.07.2024 hat der Kläger erfolgreich am Sprachkurs (Sprache Deutsch, Niveau B 1) sowie am Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 Integrationskursverordnung teilgenommen.
12
Mit Bescheid vom 16.10.2024 wurde der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) wie auch der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 10.07.2023 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Ziffer 2). In der Begründung wurde u.a. ausgeführt, es würden keine neuen Erkenntnisse vorliegen, die eine günstigere Entscheidung für wahrscheinlich erscheinen ließen. Eine ausdrückliche Würdigung des zwischenzeitlichen Vorbringens zur gesundheitlichen Verfassung des Klägers und der Tatsache der angeordneten Betreuung erfolgte nicht. Zudem wies das Bundesamt darauf hin, dass es einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht bedürfe. Die erlassene Abschiebungsandrohung sei weiter gültig und vollziehbar.
13
Gegen diesen Bescheid hat der Betreuer mit Schreiben vom 19.10.2024 im Namen des Klägers Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben (Az. B 7 K 24.33012) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz ersucht (Az. B 7 S 24.33011). Zur Begründung stützte sich der Betreuer im Wesentlichen auf die Erkrankung des Klägers an Schizophrenie und darauf, dass der Kläger eine in Deutschland lebende Ehefrau habe, welche seit Jahren hier subsidiären Schutz genieße.
14
Bereits mit Bescheid vom 07.02.2023 wurde der syrischen Ehefrau des Klägers, Frau …, geb. am … (BAMF-Gz. …, AZR-Nr. …*), der subsidiäre Schutz zuerkannt und ihr hierauf eine bis zum 13.02.2026 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt. Zum Zeitpunkt des 11.07.2023 ist sie mit ihrer Hauptwohnung in der …, … (Sachsen), gemeldet (vgl. Bl. 142 der Akte zur Ehefrau).
15
Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens legte der Betreuer ein weiteres Attest, datierend auf den 29.11.2023, vor, ausgestellt von einem Arzt in der ANKER-Einrichtung B. , in welchem beim Kläger eine sonstige Schizophrenie (F 20.8 G) diagnostiziert wurde (vgl. Bl. 186 der Akte zum Folgeverfahren). Zudem erwähnte der Betreuer im Schreiben vom 28.10.2024 u.a. nochmals, dass der Kläger inzwischen berufstätig sei. Nach dem Schreiben des Betreuers vom 01.11.2024 sei der Kläger mit seiner Ehefrau bereits nach syrischem Recht verheiratet und es sei eine Hochzeit nach deutschem Recht für den …12.2024 geplant. In diesem Zusammenhang reichte der Betreuer ein Schreiben des Oberlandesgerichts … vom 16.09.2024 ein, welches einen Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses für den Kläger betraf. Das Bundesamt vertrat hingegen die Auffassung, dass der Kläger ledig sei; dass der Kläger eine Ehefrau habe, sei nicht, auch nicht im gerichtlichen Verfahren, substantiiert vorgetragen worden.
16
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 06.11.2024 (Az. B 7 S 24.33011) wurde die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. B 7 K 24.33012) gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig angeordnet.
17
Mit Schreiben des Betreuers vom 07.11.2024 wurde nochmals vertiefend zur wohnlichen Situation des Klägers und seiner Ehefrau vorgetragen, sie würde an den Freitagen, Samstagen und Sonntagen bei ihm wohnen, mittwochs fahre er zu ihr.
18
Mit Schreiben des Gerichts vom 10.12.2024 bzw. 07.01.2025 erkundigte sich das Gericht beim Betreuer nach der erfolgten Eheschließung und den aktuellen Gegebenheiten des Zusammenlebens des Klägers mit seiner Ehefrau. Hierauf legte der Betreuer die Eheurkunde vom …12.2024, ausgestellt vom Standesamt S. (Oberfranken), vor (vgl. Bl. 311 der Akte zum Folgeverfahren). Mit Schreiben vom 09.01.2025 teilte der Betreuer mit, dass der Ehemann jedes Wochenende zu seiner Ehefrau reisen müsse, während sie ihn jeden Mittwoch besuchen müsse.
19
Auf richterlichen Hinweis vom 14.01.2025 hin (vgl. Bl. 304 f. der Akte zum Folgeverfahren) hob das Bundesamt mit Schriftsatz vom 29.01.2025 den Bescheid vom 16.10.2024 insgesamt auf, es ergehe im Anschluss eine neue Entscheidung. Im richterlichen Hinweisschreiben wurde erwähnt, dass nach den Gesamtumständen eine „gelebte Kernfamilie“ vorliegen und der Abschiebung(sandrohung) des Klägers nach Bulgarien jedenfalls § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG entgegenstehen dürfte, auch wurde die Frage aufgeworfen, wie das Bundesamt zur Frage eines Wiederaufgreifens des Verfahrens hinsichtlich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung stehe.
20
Im Schreiben des Betreuers vom 17.02.2025 betonte dieser nochmals das Begehren auf Erlass einer erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Klägers und des geplanten Zusammenlebens mit der Ehefrau. Auf übereinstimmende Erledigungserklärung hin wurde das Verfahren in der Hauptsache mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25.02.2025 eingestellt.
21
Mit Schreiben vom 04.03.2025 wurde der Betreuer und der Kläger zur persönlichen Anhörung zum Folgeantrag geladen. Erschienen ist der Kläger selbst, der Betreuer ließ über diesen mitteilen, dass er den Termin allein habe wahrnehmen sollen.
22
In der Anhörung zum Folgeantrag am 20.03.2025 wurde vom Kläger im Wesentlichen vorgetragen, er sei verheiratet. Auf die Frage, weshalb er nicht in Bulgarien geblieben sei, gab er an, er habe eine schlimme Krankheit. Seine Ehefrau befinde sich in Deutschland. Er brauche andauernde Behandlung und Betreuung. Ihm würden andauernd Sachen passieren, bei denen er nicht alleine sein könne. Gefragt danach, welche Krankheit das sei, gab er an, er leide an Schizophrenie. Gebeten zu präzisieren, in welchen Situationen der Kläger nicht alleine sein könne, gab er an, dass er manchmal Stimmen hören und Sachen sehen würde. Dadurch werde er nervös. Manchmal werde er ohnmächtig oder schwindlig.
23
Auf die eingereichte Eheurkunde angesprochen und nach der Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft gefragt, trug der Kläger vor, er sei an Feiertagen und Wochenenden bei ihr. Zuletzt sei er drei Tage dort gewesen. Sie planen, dass die Ehefrau zum Kläger ziehe. Sie würden gerade eine Wohnung suchen. Auf weitere Fragen gab er an, dass er zuletzt letzte Woche bei ihr gewesen sei, sie würden sich wöchentlich sehen immer von Samstag bis Montag, Montagmorgen fahre der Kläger wieder zurück. Er würde für die Besuche den Zug benutzen. Seine Frau lebe zurzeit in …, im Landkreis …(Sachsen). Von Juni 2015 bis August/September 2021 habe der Kläger in der Türkei gelebt, dort habe er seine Frau religiös geheiratet. Sie seien außerdem miteinander verwandt, daher habe er sie schon gekannt.
24
Aufgefordert, Tatsachen vorzutragen, die einer Abschiebung nach Bulgarien entgegenstehen könnten, gab der Kläger an, er sei krank. Er nehme täglich fünf verschiedene Arten von Medikamenten. Diese könne er in Bulgarien nicht besorgen. Es gebe dort auch keine Betreuung. Dort habe er sich unter Druck gesetzt gefühlt. Man habe ihn dort nicht gut behandelt. Dort habe er keine Unterkunft. Für ihn werde es am Anfang auch schwierig, an Nahrung und an die Grundversorgung zu kommen. Die Frage, ob der Kläger in Bulgarien in ärztlicher Behandlung gewesen sei, verneinte er, diese Möglichkeit habe es dort nicht gegeben. Auf die Frage, ob er schon gewusst habe, dass er an Schizophrenie leide, gab er an, er wisse das, seitdem er 13 bzw. 14 Jahre alt sei. Damals, als er noch in Syrien gelebt habe, sei er stationär behandelt worden. Er sei manchmal 15 bis 30 Tage im Krankenhaus gewesen, bis sich sein Zustand verbessert habe. Auf die Frage, wie es in der Türkei gewesen sei, führte er aus, dass sein Vater bei ihm gewesen sei, er sei immer für ihn da gewesen. Er und seine Mutter hätten sich um den Kläger gekümmert. Es sei in Ordnung gewesen, er sei dort behandelt worden. Es habe keine Probleme gegeben. Wenn es schlimmer gewesen sei, sei er immer wieder zum Arzt gegangen. Ansonsten hätte er seine Medikamente eingenommen. Manchmal habe er Krisen bekommen, die Medikamente hätten das dann in den Griff bekommen. Auf die Frage, warum er die Türkei verlassen habe, gab der Kläger an, das Leben dort sei schwerer geworden. Es habe Diskriminierungen gegeben und es sei zu Abschiebungen gekommen. Seine Eltern seien nach Syrien zurückgekehrt.
25
Zur Frage, ob er in Bulgarien gesagt habe, dass er an Schizophrenie leide, gab der Kläger an, er habe das gesagt, aber keiner hätte darauf reagiert. Er habe Medikamente gehabt, so habe er überleben können. Sein Bruder habe ihm diese geschickt, der sich in der Türkei aufhalte.
26
Auf die Frage, wie das in Bulgarien mit der Beschaffung von Nahrung und einer Unterkunft abgelaufen sei, erklärte der Kläger, dass er in einem Flüchtlingscamp gelebt habe. Er bejahte, die Frage, ob er dort bis zuletzt gelebt habe, auch nachdem ihm subsidiärer Schutz gewährt worden sei, mit dem Zusatz, dass sie ihm nach der Schutzgewährung 15 Tage Zeit gegeben hätten, das Camp zu verlassen. Auf die Frage, was er dann gemacht habe, gab er an, er habe nach einer Unterkunft gesucht und habe jemanden gefunden, bei dem er für einen Monat habe leben dürfen. Im Anschluss sei er dann nach Deutschland gekommen. Auf die Frage, ob der Kläger eine Idee gehabt habe, was er nach diesem Monat hätte machen können, erklärte er, es sei von Anfang an sein Plan gewesen, nach Deutschland zu kommen. Er habe eigentlich direkt nach Deutschland kommen wollen, ohne sich in Bulgarien aufzuhalten.
27
In Hinblick auf die Frage nach dem Bestehen gesundheitlicher Beschwerden, gab der Kläger an, er habe ja schon von seiner Krankheit erzählt. Er sei der einzige in der Familie, der diese habe. Er habe die ganzen Arztberichte zur Akte gegeben. Er sei auch momentan in ärztlicher Behandlung, dies in einem Krankenhaus in B. (Oberfranken), dort würde er regelmäßig Termine wahrnehmen. Ergänzend führte der Kläger aus, sein Betreuer würde in H. leben. Er rufe den Kläger täglich an und würde ihn besuchen, wenn er in der Nähe sei, mindestens einmal im Monat. Sie hätten ständig Kontakt. Manchmal rufe er ihn auch mehrmals täglich an. In Hinblick auf Medikamente teilte der Kläger mit, dass er diese immer früh und abends einnehme. Die Namen würde er nicht kennen. Insgesamt müsse er fünf Medikamente nehmen. Er glaube, dass er im Juni 2024 einen Medikamentenplan von der Ärztin in der ANKER-Einrichtung bekommen habe, dort sei er zuletzt gewesen. Gefragt danach, ob er abgesehen vom Krankenhaus in B. (Oberfranken) und der Ärztin in der ANKER-Einrichtung noch zu einem anderen Arzt gehe, gab er an, er sei auch beim Hausarzt gewesen, dieser sei neben dem … in B. (Oberfranken), sein Betreuer würde das für ihn regeln.
28
Gelegenheit gegeben schutzwürdige Belange vorzutragen, die in Hinblick auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen wären, gab der Kläger an, seine Ehefrau würde hier leben. Hier werde er medizinisch behandelt und er möchte gerne weiterbehandelt werden. Er würde hier auch gerne eine Ausbildung machen wollen. Er hätte sogar einen Ausbildungsplatz bekommen, jedoch sei dieser nicht von der Ausländerbehörde genehmigt worden.
29
Ergänzend gab der Kläger an, er sei schon einmal nach Bulgarien abgeschoben worden. Dabei habe er sich auf der Straße aufgehalten. Er habe keine Behandlung erfahren. Seine Lage sei sehr schlecht gewesen. Zum Glück habe sein Bruder ihm rechtzeitig helfen und Medikamente schicken können. Das sei sehr schlimm gewesen. Er sei 15 Tage lang ohne Essen und Trinken auf der Straße gewesen. Er sei dort schlecht behandelt worden, er sei geschlagen und unter Druck gesetzt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, er habe sehr wenig Geld gehabt, vielleicht 100 EUR. Davon habe er sein Leben sicherstellen können. Auf die Frage, was dann passiert sei, gab der Kläger an, sein Bruder habe Medikamente geschickt und er sei erneut hierhergekommen. Seine Krankheit habe sich in diesen 15 Tagen sehr verschlechtert. Die Kontaktaufnahme mit dem Bruder habe über Handy stattgefunden, der Kläger habe eins dabeigehabt. Die Medikamente seien über einen Kurierfahrer aus der Türkei nach Bulgarien gebracht worden, den sie beauftragt hätten. Die abschließende Frage, ob sich der Bruder immer noch in der Türkei aufhalte, wurde vom Kläger bejaht.
30
Das Protokoll der Anhörung wurde an den Betreuer übersandt. Mit Schreiben des Bundesamts vom 31.03.2025 wurde der Betreuer aufgefordert, ein aktuelles (fach-)ärztliches Attest für den Kläger vorzulegen, woraufhin der Betreuer ein Attest vom 03.04.2025, ausgestellt von …, vorlegte (vgl. Bl. 373 der Akte zum Folgeverfahren), auf das hier verwiesen wird.
31
Eine Anfrage des Bundesamts bei der Regierung von Oberfranken und bei der entsprechenden Regierungsaufnahmestelle (RAST) zur Übermittlung von Erkenntnissen in Zusammenhang mit der Ehefrau und deren Wohnsituation blieb unergiebig.
32
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 12.05.2025 richtete es entsprechende Fragen an den Betreuer. Hierauf antwortete der Betreuer mit Schreiben vom 15.05.2025 bezüglich der Wohnsituation dahingehend, dass der Kläger zurzeit auf Suche nach einer Wohnung in B. (Oberfranken) sei. Die Suche gestalte sich jedoch schwierig, da die meisten Vermieter einen Aufenthaltstitel verlangen würden. Ein Antrag auf Umverteilung komme auf Grund seiner Arbeitssituation nicht infrage. Der Kläger möchte weiterhin in B. bleiben, sowohl wegen der medizinischen Behandlung als auch auf Grund seiner Arbeit. Vom Betreuer wurde zugleich ein auf den 14.05.2026 befristeter Arbeitsvertrag vom 08.05.2025 vorgelegt, abgeschlossen zwischen dem Kläger und einer Logistikfirma in S. (Oberfranken). Vereinbart wurde die Tätigkeit des Klägers als Lagermitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden (vgl. Bl. 390 ff. der Akte zum Folgeverfahren).
33
Mit Bescheid vom 20.05.2025 lehnte das Bundesamt sowohl den Folgeantrag als unzulässig ab (Ziffer 1) als auch den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 10.07.2023 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Ziffer 2).
34
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, am 09.01.2024 habe der Kläger erneut mit einem Schreiben und einem beigefügten ärztlichen Attest einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) gestellt. Mit diesem Antrag sei das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungsverboten verbunden. Vorliegend liege ein Attest vom 19.09.2023 von …, Allgemeinarzt in B. vor. In dem Attest werde bestätigt, dass sich der Kläger seit dem 27.06.2023 in seiner hausärztlichen Behandlung befinde. Anamnestisch liege eine langjährige Schizophrenie vor. Weiterhin sei ein ärztliches Gutachten des Sachverständigen Herrn … vom 11.02.2024 vorgelegt worden (wurde weiter ausgeführt). Aus dem „psychischen Befund“ gehe unter anderem weiterhin hervor, dass keine Hinweise auf Suizidalität vorliegen würden.
35
Nach dem vom Europäischen Gerichtshof beschriebenen Maßstab für die Annahme einer Verletzung von Art. 3 EMRK (Art. 4 GrCh) sei es auch Voraussetzung, dass der Kläger gerade aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit in eine Situation extremer materieller Not geraten würde. Im vorliegenden Fall lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr nach Bulgarien erfahren würde. Nach Rechtsprechung des EuGH (U.v. 19.3.2019, C 163/17) läge ein solcher Verstoß gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vor, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht sei. Diese Schwelle wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
36
Die dem Kläger drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein werde als in dem ausweisenden Vertragsstaat, reiche nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten werde, zu überschreiten. Art. 3 EMRK sei insoweit nicht als individuelles Leistungsrecht einzelner Antragsteller auf bestimmte materielle Lebens- und Sozialleistungen zu begreifen und umfasse insbesondere grundsätzlich kein Recht auf Bereitstellung einer Wohnung, auf finanzielle Unterstützung oder auf Sicherung eines bestimmten Lebensstandards (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013, Az. 27725/10 – juris). Vielmehr müsse sich der Kläger auf den in Bulgarien für alle bulgarischen Staatsangehörigen geltenden Lebens- und Versorgungsstandard verweisen lassen, auch wenn dieser nicht gleichwertig zu dem entsprechenden Standard in Deutschland sein möge. Insofern stelle eine mögliche Arbeitslosigkeit keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK dar. Es hätte zudem dem Kläger oblegen, sich um die Inanspruchnahme und Gewährung der ihm im schutzgewährenden Mitgliedstaat zustehenden Leistungen zu bemühen und auch aus eigener Initiative nach anderer staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Hilfe oder Unterstützung zu suchen. Hinsichtlich derartiger Bemühungen seien keine Hinweise ersichtlich.
37
Diesbezüglich sei insbesondere festzuhalten, dass bereits die fehlende Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG als starkes Indiz dafür gelte, dass nicht von der Realisierung einer unmenschlichen Behandlung bzw. Suizidgefährdung bei einer künftigen Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung ausgegangen werden könne. Eine Reiseunfähigkeit sei insoweit weder vorgetragen worden noch seien diesbezüglich Anhaltspunkte ersichtlich. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich auch die Möglichkeit bestehe, dass die vollziehende Behörde Maßnahmen treffen könne (wie etwa zusätzliches ärztliches/polizeiliches Begleitpersonal, Nutzung alternativer Verkehrsmittel), um eine Realisierung einer etwaigen Gefährdung zu verhindern. Im Folgenden wurden die vom Kläger in seiner Anhörung vom 20.03.2025 gemachten Angaben umfassend wiedergegeben (auf eine nochmalige Darstellung wird an dieser Stelle verzichtet) und nochmals im Wesentlichen die vorliegenden Atteste und Befundberichte rezitiert.
38
Der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrages nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren sei gemäß § 71 Abs. 1 AsylG nur dann durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden seien, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen würden, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben seien und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande gewesen sei, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Neu seien Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens entstanden oder zutage getreten seien. Als neu würden zudem solche Elemente oder Erkenntnisse gelten, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existiert hätten, aber bisher weder vom Kläger geltend gemacht, noch vom Bundesamt berücksichtigt worden seien.
39
Als neue Elemente oder Erkenntnisse habe der Kläger im Wesentlichen die geschlossene Ehe vorgetragen und dass seine Ehefrau einen gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland habe. Diesbezüglich sei eine Eheurkunde des Standesamts in S. vom …12.2024 eingereicht worden. Hiernach sei die Eheschließung am …12.2024 in S. erfolgt. Außerdem habe er hierbei im Wesentlichen die oben genannten gesundheitlichen Beschwerden sowie die schlechte Situation in Bulgarien vorgetragen.
40
Zudem müssten die neuen Elemente oder Erkenntnisse mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung beitragen. Hierfür sei erforderlich, dass der neue Sachvortrag die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung internationalen Schutzes betreffe und somit Elemente enthalte, auf die sich eine Schutzgewährung begründen könnte (Kernelemente). Der Kläger müsse einen schlüssigen, aus sich heraus bereits verständlichen Sachvortrag präsentieren, aus dem sich entweder ein Bezug auf die Kernelemente der vorangegangenen Entscheidung ergebe, indem eine Änderung dargelegt werde, oder der Elemente enthalte, die Kernelemente einer neuen Entscheidung werden könnten, indem ein neuer Sachverhalt dargelegt werde. Dabei sei der erheblich wahrscheinliche Beitrag zu einer günstigeren Entscheidung anzunehmen, wenn der neue Sachvortrag bei abstrakter Betrachtung die Voraussetzungen einer Schutzgewährung erfüllen könne. Die neuen Elemente oder Erkenntnisse würden somit nicht erst dann zu einer günstigeren Entscheidung beitragen, wenn dem konkreten Kläger aufgrund beachtlich wahrscheinlicher Verfolgung oder eines beachtlichen wahrscheinlichen ernsthaften Schadens Schutz zuzuerkennen wäre, sondern bereits dann, wenn der neue Sachvortrag für sich genommen bei einer Person aus dem relevanten Herkunftsland die Qualität habe, nunmehr zu einer Zuerkennung internationalen Schutzes führen zu können – gleichwohl aus einer vollständigen Prüfung aller Aspekte des individuellen Einzelfalls unter Berücksichtigung des anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ein anderes Ergebnis resultieren könne. Diese Prüfung sei jedoch einem weiteren Asylverfahren vorbehalten.
41
Der Kläger könne auf Grund des in Bulgarien gewährten internationalen Schutzes keine weitere Schutzgewährung verlangen. Auch sein erneuter Asylantrag wäre gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wiederum als unzulässig abzulehnen. Es lägen keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen würden. Eine günstigere Entscheidung sei nicht möglich. Ein weiteres Verfahren sei daher nicht durchzuführen. Der Folgeantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
42
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben (wurde weiter zum rechtlichen Maßstab des Wiederaufgreifens ausgeführt). Der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Eine Änderung der Sachlage erfordere, dass sich der der früheren Entscheidung zugrunde gelegte entscheidungserhebliche Sachverhalt nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert habe. Hierfür sei ein schlüssiger und objektiv geeigneter Sachvortrag erforderlich aber auch ausreichend, um das Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu bejahen. Soweit das Gesetz verlange, dass eine Änderung der Sachlage zu Gunsten des Betroffenen vorliege, beinhalte dies jedoch, dass die geänderte Sachlage zusätzliche eine günstigere Entscheidung erfordere oder doch ermögliche. Würde die gleiche Entscheidung – die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen – auch auf der Grundlage der geänderten Sachlage erneut ergehen müssen, wäre dies nicht der Fall.
43
Wie bereits dargelegt, könne der Kläger aufgrund des in Bulgarien gewährten internationalen Schutzes keine günstigere Entscheidung erlangen. Im Hinblick auf die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden sei festzuhalten, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Behandlung in Bulgarien nicht möglich sei. Es liege somit keine geänderte Sach- oder Rechtslage vor und es seien auch keine anderen Wiederaufgreifensgründe ersichtlich. Eine günstigere Entscheidung sei nicht möglich. Ein weiteres Verfahren sei daher nicht durchzuführen.
44
Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen jedoch ebenfalls nicht vor. Der Kläger habe nicht glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Bulgarien eine, durch einen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Daher lägen die Voraussetzungen für eine im Sinne des Art. 3 EMRK verursachte Verletzung, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur, nicht vor.
45
Die Lebensbedingungen von Personen mit zuerkanntem internationalen Schutzstatus in Bulgarien seien ausreichend. Weder sei eine Verletzung der in Art. 26 ff. der RL 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote erkennbar, noch würden in Bulgarien derart eklatante Missstände herrschen, welche die Annahme rechtfertigen, anerkannte Flüchtlinge würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt. Dies werde auch von vielen deutschen Verwaltungsgerichten bestätigt.
46
Eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung würde nur dann vorliegen, wenn die Rückführung den Kläger einer lebensgefährlichen Situation aussetzen würde. Es komme weder darauf an, ob die Lebensbedingungen in Bulgarien mit denen in Deutschland vergleichbar seien, noch gebe Art. 3 EMRK dem Kläger einen Anspruch auf spezielle Leistungen. Im Rahmen der Prüfung des Art. 3 EMRK sei lediglich darauf abzustellen, ob dem Kläger aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles in Bulgarien nach dem oben genannten Maßstab eine lebensbedrohliche Situation drohe.
47
Auch der EuGH urteile dahingehend, dass der Maßstab für die Gefahrenprognose zur Feststellung eines Abschiebungsverbots eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit sei, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese sei laut EuGH selbst dann noch nicht erreicht, wenn die Person große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Zielland erfahre. Diese besondere Höhe erreiche erst extreme materielle Not, durch welche die physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt werde oder eine so starke Verelendung eintrete, dass sie mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. In extremer materieller Not könnten die elementarsten Bedürfnisse, wie Ernährung, Hygiene und Unterkunft, unabhängig vom Willen und den persönlichen Entscheidungen der Person nicht mehr befriedigt werden. Der bloße Umstand, dass in einem anderen Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder Lebensverhältnisse günstiger als im Schutz gewährendem Mitgliedstaat (EuGH, U.v. 19.3.2019, Ibrahim, C-297/17, Rn. 94) seien, reichten hingegen nicht aus, um die besonderes hohe Schwelle der Erheblichkeit zu erreichen. Auch der Umstand der fehlenden familiären Solidarität zum Ausgleich von Mängeln des Sozialsystems sei keine ausreichende Grundlage für die Feststellung von extremer materieller Not im Sinne des Art. 3 EMRK.
48
Eine Situation extremer materieller Not könne nicht angenommen werden, wenn dieser durch eigene Handlungen (z.B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfs- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfe- oder Unterstützungsorganisationen) hinreichend begegnet oder abgewendet werden könne.
49
Grundsätzlich sei zu berücksichtigen, dass sich in Bulgarien der Lebensstandard und die wirtschaftliche Situation – auch der einheimischen Bevölkerung – von den in Deutschland herrschenden Verhältnissen unterscheiden würden. Bulgarien zähle zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner habe im Jahr 2019 ausweislich der allgemein zugänglichen Daten des statistischen Bundesamts 16.604 EUR (Deutschland: 37.712 EUR) betragen. Außerdem seien in Bulgarien im Jahr 2019 ca. 22,6 Prozent der Bevölkerung von Armut und Ausgrenzung betroffen bzw. bedroht gewesen (Deutschland: 14,8 Prozent). Die im Vergleich zu wohlhabenderen EU-Mitgliedstaaten schlechteren Versorgungsbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien seien nicht zugleich als Ausdruck behördlicher Gleichgültigkeit, behördlichen Versagens oder gar mutwilliger Verweigerung von Unterstützungsleistungen zu sehen. Insbesondere mögen die Lebensbedingungen in Bulgarien für Personen mit internationalem Schutzstatus zwar schwierig sein, allerdings herrschten nicht derart eklatante Missstände, die allein den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden generell einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt werden.
50
Art. 3 EMRK gewähre grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistungen zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlichen humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Überstellung sprechen, sei allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen.
51
Die Einreisekontrolle anerkannter Schutzberechtigter erfolge bei ihrer Rückkehr am Flughafen durch die Grenzpolizei. Zudem unterstützten NGOs den Empfang der Rückkehrer, wenn sie von anderen Organisationen oder staatlichen Behörden des Landes, das den Schutzberechtigten zurückführe oder von Bulgarien selbst auf einen speziellen Fall aufmerksam gemacht würden (z. B. physisch oder psychisch kranke oder behinderte Menschen), vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.3.2019 – 508-516.80/52670).
52
Auf der Plattform www.refugee-integration.bg/en (zuletzt am 06.12.2021 abgerufen), einem vom Bulgarian Council of Refugees and Migrants betriebenen und vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen finanzierten Internetportal, würden in bulgarischer und englischer Sprache ausführliche und aktuelle Informationen zu den jeweiligen Angeboten und Möglichkeiten für international Schutzberechtigte in Bulgarien aufgeführt. Die „Zentren für temporäre Unterbringung“ böten soziale Beratung und Unterstützung an, u.a. Hilfe bei der Registrierung als Arbeitsuchender bei den Büros für Arbeit.
53
Mit Ausnahme einiger Rechte, die die bulgarische Staatsbürgerschaft voraussetzten (z.B. Wahlrecht, Militärdienst), seien anerkannte Schutzberechtigte bulgarischen Staatsbürgern rechtlich gleichgestellt (Art. 32 Abs. 1 ZYB). Dies gelte insbesondere für Sozialleistungen, sei es in finanzieller Form, oder in Form von Sachmitteln (Art. 2 Abs. 6 des Gesetzes über soziale Unterstützungsleistungen) und für den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung (Art. 33 Abs. 1 Nr. 4, Art. 34 Abs. 1 Nr. 3 Krankenversicherungsgesetz).
54
Die Wohnsituation für international Schutzberechtigte sei in Bulgarien nicht mehr bedenklich. Diesen Personen drohe – insbesondere auch in der Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr – nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Obdachlosigkeit. Zwar werde in zahlreichen Berichten und Auskünften hervorgehoben, dass die Wohnungssuche in Bulgarien für anerkannt Schutzberechtigte schwierig sei, doch in der Praxis drohe jedenfalls der Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten nicht die Obdachlosigkeit. Grundsätzlich müssten sich anerkannt Schutzberechtigte im Falle ihrer Rückkehr selbst um eine Unterkunft bemühen. Für die Anmietung von Privatwohnungen bestünden keine besonderen Voraussetzungen. Bei der Wohnungssuche erhielten Rückkehrende Hilfe von NGOs. Die Unterstützung von NGOs und staatlichen Stellen in Verbindung mit der geringen Anzahl von in Bulgarien befindlichen Schutzberechtigten sorge nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes im Ergebnis dafür, dass es kaum obdachlose Flüchtlinge gebe. Bei freien Kapazitäten gewährten die – primären – Aufnahmezentren für Asylbewerber anerkannt Schutzberechtigten für bis zu sechs Monate Unterkunft. Zwar bestehe auf die Aufnahme in einem dieser – primären – Zentren für anerkannt Schutzberechtigte, die aus dem Ausland zurückkehrten, kein Rechtsanspruch, doch die Erkenntnismittel berichteten übereinstimmend, dass diese Aufnahmezentren mittlerweile deutliche Überkapazitäten besäßen und eine Unterbringung auch in diesen Unterkünften bei einer Rückkehr durchaus möglich sei. Die Übergangszeit in den Unterbringungseinrichtungen müssten die betroffenen Personen dafür nutzen, um auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. Schließlich stehe es ihnen nach einer Rückkehr nach Bulgarien frei, die dort gesetzlich garantierten Rechte vor den dortigen Gerichten geltend zu machen.
55
Eine medizinische Notfallversorgung sei sichergestellt, der Zugang zur Krankenversicherung sei wie bei bulgarischen Staatsangehörigen durch Beitragszahlungen möglich (Art. 33 Abs. 1 Nr. 4, Art. 34 Abs. 1 Nr. 3 Krankenversicherungsgesetz). Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme dieser Leistungen würden zu einem großen Teil auf mangelnden bulgarischen Sprachkenntnissen beruhen, für welche einerseits die staatliche Integrationspolitik, auf der anderen Seite auch Desinteresse der Schutzberechtigten an den Angeboten verantwortlich sei. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sei auch beim Fehlen einer Krankenversicherung die gemäß Art. 3 EMRK gebotene medizinische Notfallversorgung gegeben. Anerkannt Schutzberechtigte hätten wie bulgarische Staatsangehörige beitragsfreien Zugang zu Notfallbehandlungen.
56
Als Anhaltspunkt sei erwähnt, dass die bulgarischen Gewerkschaften die monatlichen Lebenshaltungskosten auf 305 EUR im Landesschnitt beziffern. Für Sofia gebe die gleiche Quelle für die monatlichen Lebenshaltungskosten einen Wert von 397 EUR an. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts würden die Lebenshaltungskosten im ganzen Land variieren; die gewünschten Durchschnittspreise könnten nicht ermittelt werden. Im Verhältnis zur Kaufkraft seien die Lebenshaltungskosten in Bulgarien EUweit derzeit am niedrigsten.
57
Die Mehrheit der arbeitenden anerkannten Flüchtlinge sei bei Arbeitgebern gleicher Herkunft beschäftigt, die sich in Bulgarien ein Geschäft aufgebaut hätten. Manche Arbeitgeber würden auch gezielt auf die staatliche Flüchtlingsagentur und NGOs zugehen, um anerkannte Schutzberechtigte einzustellen. Auch NGOs selbst beschäftigten einige Schutzberechtigte (wurde näher ausgeführt).
58
Schutzberechtigte in Bulgarien könnten beitragsunabhängige Sozialleistungen auf der Grundlage des Gesetzes für Soziale Unterstützung (GSU) oder des Integrationsgesetzes für Menschen mit Behinderungen (IGfMmB) bekommen. Die anspruchsfähigen Leistungen ließen sich folgendermaßen beschreiben: Monatliche Sozialhilfe nach Art. 9 GSUAnwendungsverordnung, einmalige Hilfe zur Absicherung des Lebensunterhaltes nach Art. 16 und unter anderem Mietkostenübernahme für eine Gemeindewohnung nach Art. 14 GSUAnwendungsverordnung. Anerkannte Schutzberechtigte hätten Zugang zu Leistungen, sobald sie als Flüchtlinge registriert seien. Die Höhe der Sozialhilfe betrage 75,00 Leva pro Monat (ca. 38,00 EUR).
59
Anerkannte Schutzberechtigte hätten guten Zugang zu Unterstützung durch NGOs, bereits während des Asylverfahrens. Die großen vor Ort vertretenen NGOs – UNHCR, IOM, Caritas, Bulgarisches Rotes Kreuz – stünden hier als Ansprechpartner bei der Integration von anerkannten Schutzberechtigten gefragt zur Verfügung, um bestehende Defizite bei der Umsetzung des staatlichen Integrationssystems auszugleichen. Dies betreffe vor allem die Wohnungssuche und die Vermittlung von Sprachkenntnissen. Das bulgarische Rote Kreuz führe in Zusammenarbeit u.a. mit dem UNHCR und dem AMIF der Europäischen Union Integrationsmaßnahmen durch, welche bulgarische Sprachkurse, Anmeldung zur Berufsausbildung und Kostenübernahme dieser Ausbildung, Sozialberatung, Aussprechen von Empfehlungen für den Zugang zu einer Arbeitsstelle, Unterkunft, medizinscher Versorgung und Bildung, sowie die Weitergabe von Informationen sowie rechtliche, soziale und psychologische Beratungen umfassen würden.
60
Zusätzlich stelle das bulgarische Rote Kreuz Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel und biete sozial-kulturelle Orientierungskurse und Übersetzungen von Dokumenten und Zeugnissen sowie Übersetzertätigkeiten bei Behördengängen an. Weiterhin würden die Schutzberechtigten während ihrer Teilnahme am Sprachkurs oder einer Berufsausbildung krankenversichert. Um an diesen Integrationsprogrammen teilzunehmen, müssten die Schutzberechtigten sich bewerben. Die Vergabe der Plätze erfolge grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip, jedoch würden vor kurzem anerkannte Schutzberechtigte und Schutzberechtigte, die noch keinen Sprachkurs besucht haben, bevorzugt. Im Jahr 2019 habe das BRK 140 Personen auf diese Weise unterstützt. In 2020 sei die Zahl der unterstützen Schutzberechtigten (und deren Familien) auf 4.627 gestiegen. Das BRK biete auch Sachleistungen oder einmalige finanzielle Hilfe in Notsituationen (bei drohender Obdachlosigkeit, Krankheit oder ähnlichem) an. Zudem führe das BRK ein AMIFfinanziertes Integrationsprojekt gemeinsam mit zwei Stadtteilen der Hauptstadt Sofia durch, welches als Modellprojekt weitere Gemeinden zum Abschluss von Integrationsvereinbarungen motivieren solle. Gemeinsam mit den Gemeinden werde Schutzberechtigten und Asylbewerbern unter dem Projekt administrative, soziale, medizinische, psychosoziale und psychologische Hilfe angeboten.
61
Die Caritas unterhalte in Sofia, wo die meisten anerkannten Flüchtlinge leben würden, ein Zentrum für Soziale Rehabilitation und Integration. Dort würden Sprachkurse, soziale Unterstützung, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie bei Behördengängen angeboten. Im Jahr 2019 habe die Caritas auf diesem Weg insgesamt 2.037 Personen unterstützt, manche auch wöchentlich oder täglich. Im Jahr 2020 seien insgesamt 895 Personen unterstützt worden.
62
IOM Bulgarien führe zwei mehrjährige mit AMIF-Mitteln in Höhe von knapp 1 Mio. EUR finanzierte Projekte zur Integrationsunterstützung, Ausbildung und Beratung von legalen Migranten, Asylsuchenden und anerkannten Schutzberechtigten durch. Dies würde die Unterstützung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration beinhalten, durch Aufklärung über ihre Rechte und Möglichkeiten in Bulgarien. Die Projekte sollten über ihre gesamte Laufzeit 3.900 Personen erreichen und bis zu 600 Migranten den kostenlosen Spracherwerb ermöglichen.
63
Durch einzelne Projekte werde zwar eine allumfassende Integrationspolitik des bulgarischen Staates nicht ersetzt, allerdings könnten Integrationsleistungen mehrerer nichtstaatlicher Organisationen in ihrer Gesamtheit das Fehlen von staatlichen Integrationsmaßnahmen in hinreichender Weise kompensieren und sicherstellen, dass die elementaren Bedürfnisse für die erste Zeit befriedigt werden könnten.
64
Es sei dem Kläger somit möglich, mit der erforderlichen Eigeninitiative zu vermeiden, dass er in eine Situation extremer materieller Not gerate, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Mit Blick auf den Vortrag des Klägers, dass er in Deutschland bleiben wolle, sei festzuhalten, dass der geäußerte Wunsch, in einem bestimmten Land im Hinblick auf die Prüfung des eigenen Asylantrages bleiben zu wollen, im Rahmen der Anwendung des Verfahrens von Schutzberechtigten außer Betracht bleibe und keinen schutzwürdigen Belang darstelle. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass in Bulgarien rechtsstaatliche Defizite, Menschenrechtsverletzungen oder grobe systemische Mängel im Asylverfahren vorlägen. Demzufolge sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger durch eine Überstellung nach Bulgarien eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen würde. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger in Bulgarien Unterkunft, Versorgung und medizinische Behandlungen verwehrt würden. Ferner sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Bedarfsfalle keine Möglichkeiten offen stünden, Ansprüche auf entsprechende Unterbringung und Versorgung durch staatliche Leistungen durchzusetzen. Vielmehr hätten Schutzberechtigte in Bulgarien die gleichen Rechte wie die einheimische Bevölkerung, von der ebenfalls erwartet werde, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorge.
65
Überdies habe der Kläger in seiner Anhörung vorgetragen, an den oben genannten gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung der betroffenen Person aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmere, sei in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei es erforderlich, dass sich die vorhandenen Erkrankungen des Klägers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führe, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankungen alsbald nach der Rückkehr des Ausländers drohe. Die Gefahr sei „erheblich“ im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verändern würde und „konkret“, wenn der Asylbewerber alsbald nach seiner Rückkehr in den Abschiebestaat in diese Lage käme, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Wie bereits ausgeführt, werde die medizinische Versorgung von Schutzberechtigten grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie bulgarischen Staatsangehörigen gewährt, sodass der Kläger im Bedarfsfalle auf das bulgarische Gesundheitssystem zu verweisen sei.
66
Die weiteren Angaben des Klägers, dass seine Ehefrau in Deutschland sei, seien im Rahmen der Ermessensprüfung nicht zu berücksichtigen. Der gegenständliche Vortrag könnte lediglich ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis darstellen, welches jedoch vom Bundesamt im vorliegenden Fall nicht zu prüfen sei, da keine neue Rückkehrentscheidung getroffen werde. Sei in einem vorangegangenen Verfahren eine Abschiebungsandrohung unanfechtbar erlassen worden, so erfolge keine Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen, auch wenn ein entsprechender Sachvortrag erfolgt sei oder das Wiederaufgreifen ausdrücklich beantragt worden sei. Hintergrund dafür sei, dass bei dieser Fallkonstellation nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Rückkehrentscheidung nicht mehr das Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde für diese Prüfung zuständig sei. Sei keine erneute Abschiebungsandrohung wie im vorliegenden Fall zu erlassen, so erfolge in dem Fall, dass sich seit dem Erlass der bisherigen Abschiebungsandrohung nunmehr inlandsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben hätten, die zum jetzigen Zeitpunkt dem Erlass entgegenstehen würden, keine Aufhebung der bisherigen Abschiebungsandrohung. Für die Prüfung, ob nach Erlass die Voraussetzungen einer bestands- oder rechtskräftigen Abschiebungsandrohung noch vorliegen oder entfallen seien, sei die Ausländerbehörde zuständig, nicht jedoch das Bundesamt.
67
Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Rückführungsverbesserungsgesetz (BT-Drs. 20/9463 S. 16) gehe der Gesetzgeber davon aus, dass nach der unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrags das Asylverfahren abgeschlossen sei, sodass für die weiteren aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen unverändert die Ausländerbehörden zuständig seien. Die Ausländerbehörden seien im Hinblick auf die berücksichtigungsfähigen Umstände nach bestands- oder rechtskräftiger Entscheidung des Bundesamtes sachnäher. Dies umfasse auch die Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach Abschluss des Asylverfahrens vorlägen oder entfallen seien. Insofern erfolge in diesem Folgeverfahren keine Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen. Die Prüfung entsprechender Belange obliege in solchen Fällen der zuständigen Ausländerbehörde.
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Weitere schutzwürdige Belange seien nicht vorgetragen worden und auch anderweitig nicht ersichtlich. Demzufolge lägen keine Gründe für eine Abänderung der bisherigen Entscheidung vor. Somit müsste im Ergebnis wieder ein Bescheid gleichen Inhaltes ergehen.
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Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nicht. Die erlassene Abschiebungsandrohung sei weiter gültig und vollziehbar.
70
Im Übrigen wird auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
71
Mit am 27.05.2025 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenen Schreiben hat der Betreuer für den Kläger Klage erhoben und beantragte,
- 1.
-
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20.05.2025, Gz. …, AZR-Nr. …, aufzuheben,
- 2.
-
die Beklagte zu verpflichten, Herrn … als Asylberechtigten anzuerkennen,
- 3.
-
die Beklagte zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen,
- 4.
-
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
72
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Bundesamtes setze voraus, dass keine neuen Elemente im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG vorlägen. Dabei werde jedoch übersehen, dass neue gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgebracht worden seien, welche eine erneute Prüfung rechtfertigen würden. Die Atteste vom 19.09.2023 sowie das Gutachten vom 11.02.2024 würden die Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers sowie die Dringlichkeit einer spezialisierten psychiatrischen Behandlung belegen, die in Bulgarien nicht gewährleistet sei. Der Kläger sei fast wöchentlich bei Hausarzt und Psychiater in Behandlung, er sei auf eine kontinuierliche Betreuung und Kontrolle angewiesen. Er befinde sich derzeit in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Der Kläger sei auf die Unterstützung seiner Ehefrau und auf medizinische Hilfe angewiesen. Es erscheine fraglich, warum das Gesetz hier möglicherweise eine Trennung der Ehepartner vorsehe. Der Kläger leide an einer schweren psychiatrischen Erkrankung, die in Bulgarien nicht adäquat behandelt werden könne. Solche gesundheitlichen Gefahren würden einen Schutzgrund darstellen, der eine Abschiebung unzulässig mache. Bei einer Rückkehr nach Bulgarien sei der Kläger erstmals obdachlos gewesen und habe keine Medikamente gehabt. Es sei nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger auf lebensnotwendige Medikamente angewiesen sei, deren Versorgung in Bulgarien nicht in der erforderlichen Qualität oder in ausreichender Menge sichergestellt werden könne. Dies stelle eine konkrete Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit dar. Das Bundesamt habe diese Umstände nicht ausreichend gewürdigt und die vulnerablen Eigenschaften des Klägers verkannt.
73
Mit Schriftsatz vom 28.05.2025 beantragte das Bundesamt für die Beklagte,
74
Zur Begründung verwies das Bundesamt auf die angefochtene Entscheidung.
75
Mit Schreiben des Gerichts vom 24.06.2025 an die Ehefrau des Klägers wurde diese um Erläuterung der näheren Umstände der Ehe mit dem Kläger gebeten, woraufhin die Ehefrau mit Schreiben vom 27.06.2025 Stellung nahm.
76
Für den Kläger hat der Betreuer zugleich mit Klagerhebung ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eingeleitet (Az. B 7 E 25.30924). Die dortigen Anträge wurden mit Beschluss des VG Bayreuth vom 17.06.2025 abgelehnt. Im Nachgang hierzu trug der Betreuer des Klägers mit Schreiben vom 23.06.2025 ergänzend zur Sache vor, u.a. legte er Unterlagen dazu vor, dass der Kläger und seine Ehefrau schon länger auf der Suche nach einer gemeinsamen Wohnung seien. Am 26.06.2025 wurden ergänzend ein Mietvertrag vom 16.06.2025 zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau als Mieter einer 2-Zimmer-Wohnung in E. (Oberfranken) und ein von … ausgestelltes und auf den 26.06.2025 datierendes Attest vorgelegt. In letzterem heißt es, dass aufgrund der Schwere der psychischen Erkrankung, insbesondere der schizophrenen Störung mit dauerhaften akustischen Halluzinationen und nächtlicher Unruhe, die „betroffene Person“ eine Begleitperson zur Unterstützung benötige. Es werde daher dringend empfohlen, die Ehefrau der „Person“ in die Betreuung einzubinden, um eine kontinuierliche Betreuung, Stabilisierung sowie die regelmäßige Einnahme der Medikamente sicherzustellen. Diese Maßnahme trage zudem dazu bei, eine Selbstgefährdung zu vermeiden. Eine enge Betreuung sei unerlässlich, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der „betroffenen Person“ zu gewährleisten. Außerdem sei Ruhe notwendig, um die Stabilisierung der psychischen Gesundheit zu fördern. Nachdem der Betreuer hierauf vom Gericht mit Schreiben vom 27.06.2025 um weitere Stellungnahme zu aus Sicht des Gerichts aufklärungsbedürftigen Punkten gebeten wurde, äußerte sich der Betreuer hierzu mit Schreiben vom 02.07.2025.
77
Mit Kammerbeschluss vom 09.07.2025, der insbesondere dem Kläger am 16.07.2025 übersandt worden ist, ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen worden. Mit Schriftsatz vom 15.07.2025 bzw. mit Schreiben vom 23.07.2025 hat sich die Beklagte bzw. der Kläger mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
78
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere zum Eilverfahren (Az. B 7 E 25.30924) und den vorangegangenen beim Verwaltungsgericht Bayreuth geführten Verfahren des Klägers, und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
79
Über die Klage konnte das Gericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erklärt (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
80
In der nach § 88 VwGO im wohlverstandenen Interesse des Klägers als laienhaften Rechtsanwender zu erfolgenden Auslegung seines gesamten prozessualen Vorbringens macht er mit seiner Klage, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der gestellten Anträge ergibt, unter Berücksichtigung seiner zur Begründung seiner Klage gemachten Ausführungen (Gesundheitszustand des Klägers, Ehefrau des Klägers) neben den ausdrücklich in seiner Klageschrift gestellten Anträgen auch ein Begehren der Wiederaufnahme des Verfahrens zur bestandskräftigen Abschiebungsandrohung samt Einreise- und Aufenthaltsverbot geltend mit dem Ziel der Verpflichtung des Bundesamts zur Aufhebung dieser.
81
Ein solches Auslegungsergebnis verhilft dem in der Klagebegründung hinreichend artikulierten Rechtsschutzbegehren weitestgehend zur Geltung. In die Bewertung sind auch die bisherigen gerichtlichen und behördlichen Verfahren des Klägers im Zusammenhang mit seinem Folgeantrag einzubeziehen. Denn der Betreuer wendet gegen den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem neben dem Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten auch der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt wurde, im Wesentlichen und an mehreren Stellen ein, dieser Entscheidung stünde die Tatsache der Betreuung des Klägers, sein Gesundheitszustand und die inzwischen erfolgte Heirat seiner Ehefrau entgegen. Diese geltend gemachten Umstände weisen (auch) Inlandsbezug auf, die jedoch gerade vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid mit Verweis auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde nicht mehr inhaltlich geprüft wurden (obwohl die entsprechenden Hinweise des Gerichts im Verfahren B 7 K 24.33012, siehe z.B. Schreiben des Gerichts vom 14.01.2025 und die vorausgehenden und nachfolgenden Äußerungen der Beteiligten dies nahelegen würden bzw. zumindest beim Kläger eine berechtigte Erwartung auf eine inhaltliche Berücksichtigung dieser Punkte geweckt wurde) und zugleich in dem Bescheid keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen wurde, in der eine solche Prüfung hätte erfolgen können.
82
Ausgehend hiervon hat die Klage Erfolg, soweit mit ihr das Verpflichtungsbegehren verfolgt wird, die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot aus dem Bescheid vom 10.07.2023 aufzuheben (siehe VI.). Im Übrigen bleibt die Klage erfolglos.
83
Für die nachfolgende Betrachtung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
84
Die in zulässigerweise erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris; U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris) gegen die Ziffer 1 des Bescheids vom 20.05.2025 bleibt in der Sache ohne Erfolg.
85
Die „Unzulässigkeitsentscheidung“ ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zuvörderst wird vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Bescheid Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist zur Sache das Folgende auszuführen:
86
1. Der Anwendungsbereich von § 71 AsylG ist eröffnet.
87
Denn der hiesige, weitere Asylantrag betrifft die im Bescheid vom 10.07.2023 erfolgte (unanfechtbare) Ablehnung des damaligen Asylantrags als unzulässig auf Grund einer Schutzgewährung in Bulgarien (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Auch solche sog. Anerkannten-Folgeanträge sind Folgeanträge i.S.v. § 71 AsylG (vgl. zur Problemdiskussion VG Bayreuth, B.v. 18.3.2024 – B 7 S 24.30556; U.v. 12.7.2024 – B 7 K 23.31025 – juris Rn. 29; vgl. zur differenzierenden Betrachtung bei vorausgegangenen Unzulässigkeitsentscheidungen auch Camerer in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, § 71 AsylG Rn. 2 und VG Göttingen, U.v. 6.2.2023 – 3 A 81/22 – juris Rn. 22 m.w.N.).
88
2. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die besonderen Zulässigkeitsanforderungen von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen und der Asylfolgeantrag damit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist.
89
a) Vorweckzuschicken ist, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht mehr – wie noch der vorherige und vom Bundesamt auf gerichtlichen Hinweis hin aufgehobene Bescheid – an einem Verfahrensfehler leidet, da der Kläger zum vormaligen Bescheid nicht angehört und der Betreuer nicht beteiligt worden war. Diese beiden Fehler hat das Bundesamt im Verfahren betreffend den streitgegenständlichen Bescheid in zutreffender Weise bereinigt.
90
b) Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
91
Dabei ist im Rahmen der Auslegung von § 71 AsylG die Asylverfahrensrichtlinie zu berücksichtigen. Nach Art. 40 Abs. 2 und 3 der Asylverfahrensrichtlinie gehören zu den „neuen Elementen oder Erkenntnissen“, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“ nicht nur solche, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten sind, sondern auch solche, die bereits vor Abschluss des Verfahrens existierten, aber vom Antragsteller nicht geltend gemacht wurden (vgl. EuGH, U.v. 9.9.2021 – C-18/20 – Rn. 44). „Neue Umstände oder Erkenntnisse“ können sich auch aus neuen rechtlichen Umständen ergeben, wozu auch ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union gehören kann, wenn die darin getroffene Auslegung einer Unionsvorschrift erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen kann, dass ein Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist bzw. vorliegend berechtigt ist, ein Asylverfahren im nationalen Verfahren zu führen (vgl. EuGH, U.v. 8.2.2024 – C-216/22 – juris Rn. 54). Die Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein muss, den Grund für das Wiederaufgreifen bereits in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen, wird von Art. 40 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie gedeckt (vgl. EuGH, U.v. 9.9.2021 – C-18/20 – juris Rn. 51 f., 65 ff.). Dagegen ist die zeitliche Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG von drei Monaten im Rahmen von Folgeanträgen nach § 71 AsylG wegen eines Verstoßes gegen Art. 40 Abs. 3 Satz 1 der Asylverfahrensrichtlinie nicht anzuwenden (vgl. EuGH, U.v. 9.9.2021 – C-18/20 – juris Rn. 45 ff., 61; VG Freiburg, U.v. 27.9.2021 – A 14 K 6699/18 – juris Rn. 52).
92
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Kläger keine Umstände dargelegt oder geeignete Beweismittel vorgelegt, die die Annahme begründen, dass ihm bei prognostizierter Rückkehr nach Bulgarien, wo man ihm subsidiären Schutz gewährt hat, auf Grund der allgemeinen Lage (siehe hierzu c) unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände (siehe hierzu d) mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit droht, alsbald nach Rückkehr in einen Zustand der extremen materiellen Not zu verfallen, was gegen Art. 4 GrCh, der dem Art. 3 EMRK entspricht, verstoßen würde.
93
c) Im Zusammenhang mit der Beurteilung einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCh kommt dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten grundlegende Bedeutung zu. Er verlangt von jedem Mitgliedstaat grundsätzlich, dass dieser davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris). Diese Vermutung beansprucht nur dann keine Geltung, wenn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die betreffende Person im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris). Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen damit nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann unter Art. 4 GrCh, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtige oder sie in einen Zustand der Verelendung versetze, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich die betroffene Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21; auch BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – jeweils juris). Bei der für Art. 4 GrCh maßgeblichen Bewertung der Lebensverhältnisse, die einen Betroffenen im Falle seiner Rückkehr erwarten, sind zunächst seine Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau zu sichern, zu berücksichtigen. Insoweit ist es den Betroffenen gegebenenfalls auch zumutbar, eine wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entspricht und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden kann (BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris). Auch reicht der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, regelmäßig nicht für das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21- juris). Bei der Bewertung sind ferner die staatlichen Unterstützungsleistungen und auch die – alleinigen oder ergänzenden – dauerhaften Unterstützungs- oder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris). Deshalb kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris).
94
In der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das Gericht anschließt, ist geklärt, dass Asylanträge von Ausländern, die arbeitsfähig und gesund sind und denen die Republik Bulgarien bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat, nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden dürfen (BayVGH, U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris; vgl. auch OVG Münster, B.v. 22.8.2023 – 11 A 3374/20.A – juris m.w.N.; VGH Mannheim, B.v. 13.10.2022 – A 4 S 2182/22 – juris m.w.N.; OVG Magdeburg, B.v. 12.9.2022 – 3 L 198/21 – juris m.w.N.; OVG Bautzen, U.v. 7.9.2022 – 5 A 153.17.A – juris m.w.N.; VG Köln, B.v. 15.5.2025 – 23 L 1145/25.A – juris; VG Bayreuth, U.v. 18.1.2023 – 3 K 22.30076 – juris; VG Bayreuth, B.v. 18.3.2024 – B 7 S 24.30556). Selbst wenn sich dieser Personenkreis unmittelbar nach Rückkehr schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sieht, geht damit keine mit Art. 4 GrCh unvereinbare Situation extremer materieller Not einher. Für anerkannt Schutzberechtigte ist es unter Zuhilfenahme von vorhandenen Unterbringungs- und Unterstützungsangeboten nämlich grundsätzlich möglich, ihre elementarsten Bedürfnisse zu erfüllen (BayVGH, U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris). Zur gegenwärtigen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien, insbesondere im Hinblick auf Unterbringung, Arbeitsperspektiven, Hilfsangebote und medizinischer Versorgung verweist das Gericht vollumfänglich auf die Ausführungen des BayVGH (U.v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris m.w.N.), des OVG Münster (B.v. 22.8.2023 – 11 A 3374/20.A – juris m.w.N) und auf die bisherige Rechtsprechung des hiesigen Gerichts (vgl. z.B. VG Bayreuth, B.v. 18.3.2024 – B 7 S 24.30556; U.v. 30.11.2023 – B 3 K 23.30659 – juris; zur aktuellen Lage auch AIDA, Temporary Protection Bulgaria, 2024 Update, S. 15 ff.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation – Bulgarien, 29.7.2024, S. 22 ff.).
95
d) Auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Klägers (Umstand der Betreuung, Gesundheitszustand) ist nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Bulgarien mit einiger Wahrscheinlichkeit – nicht beachtlicher Wahrscheinlichkeit – Gefahr liefe, in einen Zustand extremer materieller Not zu verfallen. In die Bewertung ist er auf Grund seiner psychischen Erkrankung (Schizophrenie) als vulnerable Person einzustellen, sodass der Rückkehrprognose ein im Vergleich zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgeschwächter Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen ist (vgl. zur Vulnerabilität ausführlich VGH Mannheim, B.v. 13.10.2022 – A 4 S 2182/22 – juris Rn. 6).
96
aa) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs und der individuellen Umstände des Klägers kann eine solche Gefahr für diesen nicht angenommen werden.
97
Der Gesundheitszustand des Klägers hat nicht die Annahme einer negativen Rückkehrprognose zu Folge. Eine ausreichende medizinische Versorgung des Klägers in Bulgarien scheint sichergestellt. Vorab ist festzuhalten, dass – wie im Bescheid zutreffend erwähnt – kein Rechtsanspruch auf eine gleichwertige Versorgung, die der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland erhalten mag, existiert.
98
In Bulgarien war der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Personen, die vorübergehenden Schutz genießen, ursprünglich per Gesetz auf die Notfallversorgung beschränkt. Das Gesetz wurde im April 2022 geändert, um Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewähren wie den bulgarischen Staatsangehörigen. Daher genießen jene seit April 2022 das gleiche Niveau der Gesundheitsversorgung wie bulgarische Staatsangehörige. Das bulgarische Gesundheitssystem bietet ein umfassendes Paket an medizinischen Leistungen und Behandlungen, die aus dem Haushalt des Nationalen Krankenversicherungsfonds (NHIF) finanziert werden. Um Zugang zu diesem kostenlosen Gesundheitspaket zu erhalten, müssen alle Personen, die das Alter der Volljährigkeit erreicht haben, eine monatliche Krankenversicherungsgebühr in Höhe von 8 Prozent ihres Gehalts oder, wenn die Person arbeitslos ist, die Hälfte des nationalen Mindestlohns zahlen, d.h. für das Jahr 2024 eine Mindestkrankenversicherungsgebühr von 37,32 bulgarische Leva (BGN)/Monat (ca. 19 EUR/Monat). Für Kinder unter 18 Jahren und Rentner sowie für einige andere Kategorien, z.B. Militärangehörige, werden die monatlichen Gesundheitsgebühren vom Staat übernommen. Im Mai 2022 erließ die Regierung einen Erlass, mit dem sie sich verpflichtete, den Krankenversicherungsbeitrag für die gesamte Dauer des vorübergehenden Schutzes bestimmter Kategorien von international Schutzberechtigten (Kinder unter 18 Jahren und ältere Menschen über 63 Jahren) zu übernehmen. Für alle übrigen Schutzberechtigten, d.h. die 18- bis 63-Jährigen, übernahm die Regierung in den ersten drei Monaten des vorübergehenden Schutzes die Zahlung ihrer Krankenversicherungsbeiträge. Nach diesen ersten drei Monaten sind die Begünstigten selbst für die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge verantwortlich. Wenn es ihnen in der Zwischenzeit gelungen ist, einen Arbeitsplatz und eine Beschäftigung zu finden, ist der Arbeitgeber verpflichtet, den monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung zu übernehmen (vgl. AIDA, Temporary Protection Bulgaria, 2024 Update, S. 24 f.). Personen, die nicht über ein Einkommen oder persönliches Vermögen verfügen, das ihre Teilnahme am Krankenversicherungsprozess gewährleisten würde, haben das Recht auf gezielte Mittel für Diagnose und Behandlung in medizinischen Einrichtungen für die Krankenhausversorgung. Dies betrifft grundsätzlich auch Schutzberechtigte (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation – Bulgarien, 29.7.2024, S. 27).
99
Gemessen daran ist es zumutbar, den Kläger auf das bulgarische Gesundheitssystem zu verweisen, in dem der Kläger dieselbe Stellung wie bulgarische Staatsbürger genießt. Es bestehen nach der Erkenntnislage keine Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger attestierte Schizophrenie in Bulgarien nicht behandelbar sei oder die stationäre und ambulante Behandlung sowie die Verschreibung von Psychopharmaka nicht von den (etwaig zuzahlungspflichtigen) Leistungen der bulgarischen Krankenversicherung abgedeckt seien.
100
Auch bewegen sich die zu erwartenden monatlichen Kosten der Medikamente zur Behandlung der attestierten Schizophrenie des Klägers in einem vernachlässigbaren Rahmen (zugrunde gelegt wird der nach Aktenlage verfügbare Medikationsplan aus dem Befundbericht vom 29.11.2023; eine etwaig abweichend davon bestehende Medikation hat der Kläger bis zuletzt nicht behauptet): Quetiapin Tabletten 25 mg – 60 Stück (4,60 EUR); Aripiprazol Tabletten 15 mg – 30 Stück (11,73 EUR); Mirtazapin Tabletten 30 mg – 30 Stück (3,23 EUR) und Risperidon Tabletten 3 mg – 20 Stück (6,35 EUR); Quelle: https://apteka.framar.bg/. Damit ergeben sich monatliche Kosten von knapp 26 EUR, die der Einzelrichter für tragbar erachtet, zumal ohnehin in die Bewertung einzustellen ist, dass diese Kosten ab Bestehen eines Krankenversicherungsschutzes (in einem erheblichen Teil) von der Krankenkasse getragen werden dürften (und ggf. ergänzend die zu Verfügung stehenden Mittel aus der monatlichen Sozialhilfe in Anspruch genommen werden könnten).
101
Die Versorgung des Klägers mit den nach dem Attest vom 29.11.2023 erforderlichen Medikamenten kann auch durch eine ausreichende Mitgabe eben dieser für einen angemessenen Übergangszeitraum nach Rückkehr sichergestellt werden. In dieser Übergangszeit ist es dem zweifelsohne arbeitswilligen und -fähigen (vgl. die mehreren im Asylverfahren vorgelegten Arbeitsverträge vom 04.07.2024 und vom 08.05.2025 mit einer annähernden Vollzeitbeschäftigung) und integrationswilligen und -fähigen (vgl. die erfolgreiche Teilnahme am Integrationskurs hierzulande, dessen Inhalt auch der Erwerb der deutschen Sprache mit dem Niveu B 1 ist) Kläger mit der gebotenen Eigeninitiative möglich und zumutbar, sich unter ergänzender Inanspruchnahme von Hilfe durch nichtstaatliche Organisationen um eine Unterkunft, Arbeit und einen Krankenversicherungsschutz zu bemühen. Hierbei ist hervorzuheben, dass – sobald der Kläger in Bulgarien Arbeit gefunden hat – die – ohnehin geringfügigen – Krankenversicherungsbeiträge sodann vom Arbeitgeber getragen werden (vgl. AIDA, Temporary Protection Bulgaria, 2024 Update, S. 25).
102
Für die positive Rückkehrprognose spricht auch, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben über einen Bruder in der Türkei verfügt, der ihn schon in der Vergangenheit während seiner Zeit in Bulgarien nach der Ausreise aus der Türkei und seiner Abschiebung nach Bulgarien mit Medikamenten versorgt hat („Kurier-Fahrten“ von Medikamenten von der Türkei nach Bulgarien). Augenscheinlich war es dem Kläger auch in zeitlicher Hinsicht möglich, für einen Zeitraum von knapp sieben Monaten in Bulgarien zu (über-)leben, wodurch der Eindruck entsteht, dass die diagnostizierte Erkrankung einem solchen in Bulgarien nicht entgegensteht. Nach eigener Aussage hat der Kläger nach seiner Schutzgewährung in Bulgarien, nachdem er das dortige Flüchtlingscamp verlassen musste, tatsächlich auch für einen Monat eine Unterkunft gefunden (vgl. S. 4 der Anhörung vom 20.03.2025). Währenddessen und danach schlossen sich offensichtlich keine weiteren Bemühungen mehr an, sich dort um ein dauerhaftes Leben zu bemühen, denn in der Anhörung gab der Kläger auf die sich hieran anschließende Frage, was seine Idee gewesen sei, nach diesem Monat zu machen, an, es sei von Anfang an sein Plan gewesen nach Deutschland zu kommen, er habe direkt nach Deutschland gewollt ohne sich in Bulgarien aufzuhalten (vgl. S. 4 der Anhörung vom 20.03.2025). Nach Überzeugung des Gerichts hatte der Kläger daher nie die ernsthafte Absicht, sich in die bulgarische Gesellschaft zu integrieren bzw. sich – dem vorgelagert – um die ernsthafte Inanspruchnahme von Leistungen aus dem bulgarischen Gesundheitssystem zu bemühen.
103
Die in der Praxis oft festzustellende fehlende Wahrnehmung dieser Angebote ist zumeist auf eine sprachliche Barriere zurückzuführen; hierzu ist der Kläger auf Sprach- und Integrationskurse von nichtstaatlichen Organisationen unter ggf. ergänzender Hilfe einer Web-Applikation zur Übersetzung zu verweisen (vgl. zu den Angeboten BFA, Länderinformation der Staatendokumentation – Bulgarien, 29.7.2024, S. 26 ff.). Entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen könnten bereits von Deutschland aus getroffen werden, so könnte etwa der in der Türkei lebende Bruder des Klägers über eine Rückkehr des Klägers informiert werden oder bereits von hier aus Kontakt mit entsprechenden Hilfsorganisationen in Bulgarien aufgenommen werden. Die Wahrnehmung von Sprachkursen in Bulgarien dürfte zudem in Hinblick auf die diagnostizierte Schizophrenie gerade förderlich sein, da im medizinischen Gutachten zur Bestellung des Betreuers ausdrücklich ein Spracherwerb als empfohlene Maßnahme genannt ist. Weiterhin ist es nach einer gebotenen realitätsnahen Betrachtung zu erwarten und unter Zugrundelegung moderner Kommunikationsmittel technisch möglich, dass der Kläger auch von Bulgarien aus den Kontakt mit dem Betreuer, der zugleich sein Landsmann und langjähriger Bekannter zu sein scheint (vgl. Gutachten zur Betreuung vom 11.02.2024, S. 3 und den angefochtenen Bescheid, S. 2), wird pflegen können, denn schon jetzt stellt sich die Situation so dar, dass sich deren Kontakt im Wesentlichen in (tägliche) Telefonate erschöpft und ein Besuch des Klägers (lediglich) einmal im Monat stattfindet (vgl. Anhörung vom 20.03.2025, S. 5).
104
Auch die Tatsache der angeordneten Betreuung als solche wirkt sich nicht hinderlich auf die positive Rückkehrprognose aus. Der Zustand des Klägers mag die Anforderungen einer Betreuung nach §§ 1814, 1817, 1825 BGB gerechtfertigt haben, jedoch ist in der hier entscheidenden asylrechtlichen Bewertung ein anderer Maßstab anzusetzen und in diese Bewertung auch die Möglichkeit der – auch im Bescheid erwähnten – Inanspruchnahme von Leistungen von Hilfsorganisationen einzubeziehen. Auch könnte – wie erwähnt – bereits von Deutschland aus durch den Betreuer oder die für die Abschiebung zuständigen Behörden mit den bulgarischen Behörden und/oder den dortigen NGOs in Kontakt getreten werden und auf die Vulnerabilität des Klägers aufmerksam gemacht werden, um die Rückkehrsituation in Bulgarien zu erleichtern (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.03.2019 – 508-516.80/52670).
105
Soweit der Betreuer in der Klagebegründung vom 24.05.2025 vorträgt, der Kläger sei in Bulgarien einmal eingewiesen worden und beinahe daran verstorben, so ist dieser Vortrag unsubstantiiert, da er zum einen ohne nähere Angaben erfolgt, die diese pauschale Behauptung stützen (Ort, Dauer, Gründe der Einweisung…). Auch wird in der weiteren Begründung nicht mehr auf diesen Teil des Vortrags eingegangen. Zuletzt springt auch ins Auge, dass gerade der Kläger selbst in seiner Anhörung beim Bundesamt wenige Wochen zuvor, genauer am 20.03.2025, ein solches Ereignis – unterstellt es wäre zutreffend, dann zweifelsohne schicksalsträchtiges und damit erinnerungswürdiges Ereignis – unerwähnt lässt, obwohl er ausdrücklich nach den Erlebnissen in Bulgarien befragt wurde.
106
Von Seiten des Gerichts wird zuletzt auch nicht die Entscheidung des OVG Mecklenburg-Vorpommern (U.v. 2.2.2024 – 4 LB 653/22 OVG) verkannt, die dem bulgarischen Asylsystem systemische Schwachstellen in Hinblick auf psychisch schwer erkrankte Personen bescheinigt. Jedoch wurde diese Einschätzung vom Gericht in einem Fall eines Dublin-Rückkehrers getroffen, nicht jedoch – wie hier – in Hinblick auf einen bereits in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten, sodass die Ausgangslage bereits eine andere ist.
107
bb) An der vorstehenden – unter Zugrundelegung einer isolierten Rückkehr des Klägers – attestierten positiven Rückkehrprognose ändert sich nichts, wenn man in dieser – richtigerweise – auch noch dessen sich im Bundesgebiet aufhaltende Ehefrau, die in Deutschland subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hat, einstellt.
108
1) Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine – zwar notwendig hypothetische, aber doch – realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach – obwohl das nationale Recht keinen „Familienabschiebungsschutz“ kennt – für die Bildung der Prognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Voraussetzung für die personelle Erweiterung der Prognose ist demnach eine „gelebte“ Kernfamilie. Für eine in diesem Sinne „gelebte“ Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Eine bereits erfolgte (bestandskräftige) Schutzgewährung eines Mitglieds der Kernfamilie im Bundesgebiet steht bei Vorliegen einer solchen Kernfamilie der Regelvermutung der gemeinsamen Rückkehr bei gebotener realitätsnaher Betrachtung nicht entgegen (vgl. zum Ganzen und zur Übertragung der Rechtsprechung der prognostizierten Rückkehr im Familienverband auf Fälle des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG BVerwG, U.v. 24.4.2024 – 1 C 8/23 – juris Rn. 12 f.). Näherer Betrachtung bedürfen bei tatsachengestütztem Missbrauchsverdacht Fälle, in denen die familiäre Lebensgemeinschaft nicht schon im Herkunftsland bestanden hat, sondern erst nach der Einreise begründet worden ist, oder es sich nicht um leibliche Kinder zumindest eines Ehegatten handelt (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 23).
109
2) Gemessen daran ist auch die Ehefrau in die Prognose einzustellen. Die noch in der Eilsache bestehenden Zweifel an dem Vorliegen der obigen Voraussetzungen (siehe Beschluss v. 17.6.2025 – B 7 E 25.30934, dort S. 35 ff.) konnten zur Überzeugung des Einzelrichters ausgeräumt werden. Maßgeblich hierfür ist die Einlassung der Ehefrau vom 27.06.2025, mit welcher sie übereinstimmend mit dem Kläger vorträgt, dass sie sich beide schon seit ihrer Kindheit kennen würden (sie stammten aus demselben syrischen Dorf, welches sie beide unabhängig voneinander in ihrer jeweiligen Anhörung zum Asylantrag bezeichneten). Auch hätten sie im Oktober 2020 in der Türkei religiös geheiratet. Zudem vermag sie zu den Bemühungen zur Anmietung einer gemeinsamen 2-Zimmer-Wohnung vorzutragen, die – auch von Klägerseite durch Vorlage entsprechender Ablichtungen zur Korrespondenz mit den jeweiligen Wohnungsvermittlern bzw. Vermietern belegt und auf Grund der Datierung (z.B. 05.05.2025) nicht erst in Reaktion auf den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 20.05.2025 erfolgt ist – von Umverteilungsanträgen flankiert werden und – ungeachtet der rechtlichen Erfolgsaussichten dieser – den ernstlichen, tatsächlichen Willen auf Herstellung einer ehelichen Gemeinschaft erkennen lassen. Neben dem formalen Band der Ehe ist der Vortrag der Ehefrau zum Motiv des Zusammenziehens auch geeignet, über die Eigenschaft einer bloßen „Bedarfsgemeinschaft“ hinauszugehen, denn die hier vorliegende Gemeinschaft ist von gegenseitigem Beistand dadurch geprägt, dass der Kläger als Ehemann seine Ehefrau finanziell durch die Aufnahme einer Beschäftigung versorgt, während die Ehefrau den Ehemann im Alltag, insbesondere auf Grund dessen gesundheitlicher Beschwerden, unterstützt.
110
3) Unter Einstellung der im Jahr 2002 geborenen Ehefrau in die Rückkehrprognose fällt diese (erst recht) günstig aus. Gesundheitliche Einschränkungen der Ehefrau sind nach Aktenlage nicht bekannt. In ihrer Anhörung zum Asylantrag trägt diese selbst vor, dass sie willens sei, eine fremde Sprache zu erlernen. Auch kann sie auf eine vertiefte schulische und berufliche Vorbildung zurückgreifen, da sie nach ihrer eigenen Aussage in der Türkei ihr Abitur gemacht habe und dort eine Ausbildung zur Apothekerin begonnen habe und (lediglich) auf Grund der Ausreise aus der Türkei nicht abgeschlossen habe. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass sie den Kläger als Ehefrau in Bulgarien – wie auch hier nach ihrer eigenen Aussage in Deutschland – im Alltag unterstützen wird, z.B. bei dessen Medikamenteneinnahme.
111
Nach alledem ist nicht ernsthaft zu erwarten, dass die Ehefrau in Bulgarien zusammen mit ihrem Ehemann unter Zugrundelegung einer möglichen und zumutbaren Eigeninitiative und unter ergänzender Inanspruchnahme von (nicht-)staatlichen Unterstützungsleistungen in einen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh widersprechenden Zustand verfallen werden.
112
Der in auslegbarer Weise im Misserfolgsfall zur Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gestellte Klageantrag zu 4., mit dem in zulässiger Weise als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG begehrt wird (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) hat in der Sache keinen Erfolg (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
113
Die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Feststellung des Fehlens von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG erweist sich als rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 VwGO sind nach obigen Ausführungen nicht erfüllt.
114
Des Weiteren sind keine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich alsbald nach der Rückkehr wesentlich verschlechtern würden, substantiiert dargelegt. Ein den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 3 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechendes ärztliches Attest, aus dem sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung ableiten lässt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, wurde nicht vorgelegt. Ein vorgelegtes Attest datiert auf den 03.04.2025 und erschöpft sich in zwei Sätzen („Der Patient… ist seit dem 27.06.2023 in unserer hausärztlichen Behandlung. Bei ihm wurde am 04.11.2024 die Diagnose Schizophrenie diagnostiziert.“); der nach § 60 Abs. 2c Satz 1 AufenthG vorgesehene Inhalt ist hier nicht enthalten. Ebenso wenig erfüllen die – ebenfalls viel zu knapp ausfallenden – vorhergehenden Atteste vom 19.09.2023 (Inhalt: zwei Sätze) und vom 29.11.2023 (lediglich schlagwortartige Aussagen) diese Anforderungen (vgl. zu den Anforderungen an ein qualifiziertes Attest BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 8 ZB 18.33333 – juris Rn. 7), sodass im Attest vom 03.04.2025 auch nicht deshalb auf die qualifizierenden Inhalte hat verzichtet werden können, da bereits aussagekräftige, frühere Atteste vorliegen würden. Den in der vorgenannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aufgestellten Anforderungen wird auch das zuletzt vorgelegte Attest vom 26.06.2025 nicht gerecht, da sich dieses von seinem materiellen Gehalt her in einer Mitteilung der vom Arzt empfohlenen „Maßnahmen“ erschöpft.
115
Die Klage ist auch in Hinblick auf die zu 2. und 3. gestellten Klageanträge erfolglos. Sie ist unbegründet, da dem insoweit verfolgten Begehren auf Erlass einer Sachentscheidung (Verpflichtung auf Zuerkennung der Asylberechtigung und – hilfsweise – von Flüchtlingsschutz) die – wie ausgeführt – zu Recht angenommene Unzulässigkeit des Asylantrags entgegensteht. Die Zulässigkeit des Asylantrags ist schließlich notwendige Voraussetzung für den Anspruch auf Erlass einer Sachentscheidung (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.6.2017 – Au 5 K 17.32168 – juris). An der Erfolglosigkeit dieser Klageanträge würde sich auch nichts ändern, wenn die Unzulässigkeitsentscheidung zu Unrecht erlassen worden sei, da das Verwaltungsgericht in diesem Fall nicht zu einer „Durchentscheidung“ verpflichtet ist; statthaft ist allein die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung, nicht jedoch die (gleichzeitige) Verpflichtungsklage auf Sachentscheidung (vgl. VG Ansbach, U.v. 14.7.2020 – AN 17 K 19.50875 – juris). Nach alledem gehen die Ausführungen im Schreiben des Betreuers vom 23.07.2025, dass dem Kläger in Deutschland subsidiärer Schutz zuerkannt werden sollte, ins Leere.
116
Die Klage betreffend die bestandskräftige Abschiebungsandrohung und das in diesem Zusammenhang erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot ist zulässig, insbesondere statthaft (siehe 1.) und begründet (siehe 2. und 3.).
117
1. Eine Verpflichtungsklage ist bezüglich einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung zur Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder nach § 51 Abs. 5 sowie §§ 48 und 49 VwVfG und Art. 5 oder anderer Vorschriften der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98 – im Folgenden: „Rückführungsrichtlinie“) grundsätzlich möglich (vgl. VG Hamburg, U.v. 12.3.2024 – 2 A 3543/22 – juris Rn. 18 ff.; VG Leipzig, B.v. 25.10.2023 – 4 L 345/23.A – juris Rn. 17; zu einem ausdrücklich geltend gemachten Anspruch auf Wiederaufgreifen auch VG Sigmaringen, U.v. 7.2.2024 – A 14 K 3041/21 – juris Rn. 31 ff.).
118
Es kann dahinstehen, ob es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (Kläger hat gegenüber dem Bundesamt (konkludent) einen Wiederaufnahmeantrag gestellt, über den das Bundesamt mit Verweis auf seine Unzuständigkeit im angefochtenen Bescheid entschieden hat) oder der Untätigkeitsklage (Kläger hat gegenüber dem Bundesamt (konkludent) einen Wiederaufnahmeantrag gestellt, über den das Bundesamt deshalb nicht entschieden hat, da es die diesbezüglichen Einwände des Klägers materiell nicht gewürdigt hat) handelt. Denn auch die besonderen Voraussetzungen der Untätigkeitsklage liegen vor, sodass die hiesige Klage auch nicht deshalb unzulässig ist. Es kann dahinstehen ob der dreimonatige Zeitraum nach (konkludenter) Stellung des Wiederaufnahmeantrags inzwischen abgelaufen ist (vgl. § 75 Satz 2 VwGO), denn, da das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid in der dortigen Begründung verlautbart hat, das Wiederaufnahmebegehren nicht inhaltlich zu prüfen, sondern vielmehr auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde verwiesen hat, ist diese Frist hier nicht anzuwenden (vgl. VG München, U.v. 25.2.2025 – M 1 K 22.209 – juris Rn. 39 mit Verweis auf VG Kassel, U.v. 19.12.1983 – II/V E 1513/83 – juris: Fall einer „verweigerten Behördenentscheidung“).
119
2. Der Klagepartei steht der Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu, vgl. § 51 Abs. 1 bis 3 bzw. § 51 Abs. 5 und §§ 48 oder 49 VwVfG. Die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung, zu deren Aufhebung die Beklagte sich weigert, ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, vgl. § 77 Abs. 1 AsylG, rechtswidrig und der Kläger durch die ablehnende Behördenentscheidung in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
120
a) Vorauszuschicken ist, dass die zwischenzeitlich auf Basis dieser Abschiebungsandrohung erfolgte Abschiebung des Klägers nach Bulgarien nicht dazu führt, dass sich diese Androhung erledigen würde oder verbraucht sei (vgl. VGH BW, B.v. 17.11.2023 – 12 S 986/23 – juris Rn. 16).
121
b) Für die Wiederaufnahme des Verfahrens der Aufhebung einer bestandkräftigen Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist hier auch das Bundesamt, nicht die Ausländerbehörde zuständig (vgl. hierzu umfassend und m.w.N. VG Bayreuth U.v. 12.7.2024 – B 7 K 23.31025 – juris; VG München, Gb.v. 6.3.2024 – M 10 K 24.30366 – juris Rn. 23 ff.).
122
c) Der Abschiebungsandrohung stehen zu berücksichtigende familiäre Bindungen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG entgegen.
123
aa) § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024, BGBl I Nr. 54) mit Wirkung vom 27.02.2024 neu eingefügt worden. Die Änderung dient der Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 15.02.2023 (Az.: C-484/22) zur RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), sodass nun die in Art. 5 Rückführungsrichtlinie genannten Belange bereits bei der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung (Rückkehrentscheidung) zu prüfen sind. Da die Rückführungsrichtlinie nicht nur auf Rückführungen in das Herkunftsland Anwendung findet, sondern nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Rückführungsrichtlinie insoweit auch auf die angedrohte Abschiebung in einen Mitgliedstaat (Sekundärmigration, synonym sog. „Drittstaatenbescheide“), sind die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG zu prüfenden Belange auch bei einer Abschiebungsandrohung i.S.v. § 35 AsylG zu prüfen (BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris). Im Rahmen der Kontrolle hat das Gericht im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG das Vorliegen von (möglicherweise auch erst nach Erlass der Androhung entstandenen) Belangen zu prüfen und eine eigene Abwägung vorzunehmen. Es kommt nicht in Betracht, eine Abschiebungsandrohung wegen eines Ermessensausfalls allein deshalb aufzuheben, weil das Bundesamt in seinem Bescheid gar keine Prüfung der Belange vorgenommen hat (BayVGH, U.v. 4.3.2024 – 24 B 22.30376 – juris).
124
bb) Der zu berücksichtigende Gesundheitszustand des Klägers allein steht einer Abschiebung nicht entgegen. Die vom Kläger geltend gemachte Schizophrenie vermag keine Reiseunfähigkeit zu begründen. Hierfür müssten Anhaltpunkte vorliegen, dass der betroffene Kläger ohne Gesundheitsgefährdung nicht transportfähig sei (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder die Abschiebung als solche (außerhalb des Transportvorgangs) die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung bewirke (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Der diesbezügliche Vortrag des Klägers und des Betreuers, vgl. auch die Ausführungen im Nachgang des Erlasses des Beschlusses im die streitgegenständliche Klage betreffenden Eilverfahren, erschöpft sich jedoch in den bereits gewürdigten, zielstaatsbezogenen Auswirkungen. Ein Inlandsbezug wird mit dem Vortrag nicht ersichtlich.
125
cc) Jedoch stehen der Abschiebung familiären Bindungen entgegen, insbesondere der Einwand des beabsichtigten Zusammenlebens mit der im Bundesgebiet lebenden und hier als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Ehefrau des Klägers. Notwendig ist eine Abwägung der für die Abschiebungsandrohung sprechenden Belange mit dem tatsächlichen und normativen Gewicht der familiären Belange im konkreten Einzelfall.
126
1) Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, die aufenthaltsrechtlichen Schutz nach Art. 6 GG genießt, kommt es auf den nachweisbar betätigten Willen beider Eheleute an, ein gemeinsames Leben zu führen. Allein das formale Band der Ehe reicht daher für sich genommen nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die durch das Institut der Ehe miteinander verbundenen Personen auch der Sache nach in einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne einer die persönliche Verbundenheit der Eheleute zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – juris; U.v. 30.3.2010 – BVerwG 1 C 7.09 – juris Rn. 15). Diese eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt. Bei der im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Bewertung, ob eine aufenthaltsrechtlich beachtliche tatsächliche Lebensgemeinschaft vorliegt oder lediglich eine Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, verbietet es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu formulieren (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – NVwZ 2002, 849 Rn. 22; BVerwG, B.v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – juris).
127
Selbst wenn Eheleute typischerweise ihren Lebensmittelpunkt in einer gemeinsamen Wohnung haben, kann eine eheliche Lebensgemeinschaft auch dann bestehen, wenn die Eheleute – etwa aus beruflichen Gründen – in getrennten Wohnungen leben. Es steht grundsätzlich im Belieben des Einzelnen, eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, wie er das gemeinsame Leben mit seinem Ehegatten konkret gestaltet, so dass der Staat seiner Schutz- und Gewährleistungsfunktion auch dann nachzukommen hat, wenn sich Eheleute etwa dazu entschließen, aus bestimmten sachlichen oder persönlichen Gründen, also z.B. wegen Berufstätigkeit an verschiedenen Orten, ihre Lebensgemeinschaften nicht ständig in einer gemeinsamen Wohnung zu leben, sondern einen Teil ihrer Zeit an verschiedenen Orten verbringen. Voraussetzung ist aber, dass hierdurch die persönliche und emotionale Verbundenheit der Eheleute, ihr „Füreinander-Dasein“, nicht in einer so nachhaltigen Weise aufgegeben wird, dass nicht mehr von einer Beistandsgemeinschaft, sondern allenfalls noch von einer bloßen Begegnungsgemeinschaft gesprochen werden kann, im Rahmen derer selbst regelmäßige Treffen oder Freizeitaktivitäten nur noch den Charakter gegenseitiger Besuche miteinander befreundeter Personen haben (vgl. HessVGH, B.v. 9.8.2004 – 9 TG 1179/04 – juris Rn. 8).
128
Im Falle des Fehlens einer räumlichen Lebensgemeinschaft ist jedenfalls erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären Beistandsgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist, etwa durch eine jedenfalls erforderliche intensive Kommunikation und Kontakte zwischen den Eheleuten als Indiz für eine gemeinsame Lebensgestaltung ebenso wie durch gegenseitige Beistandsleistungen (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011, a.a.O., Rn. 18). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist allerdings eine Frage des jeweiligen Einzelfalls; die abstrakte Festlegung weiterer Kriterien für das Maß an tatsächlicher Verbundenheit zwischen den Eheleuten ist nicht möglich (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2013, a.a.O., Rn. 4).
129
2) Gemessen daran sind diese Voraussetzungen zur Überzeugung des Einzelrichters hier gegeben. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zum Einstellen der in Deutschland als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Ehefrau in die Rückkehrprognose bei der Unzulässigkeitsentscheidungen Bezug genommen.
130
Nach alledem ergibt sich der Aufhebungsanspruch auch aus einer (nochmaligen) Gesamtwürdigung des Gesundheitszustands, der familiären Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und – über die formale Betreuerbestellung – zu dessen Betreuer. Diese stehen einer Abschiebung nach Bulgarien entgegen.
131
3. Infolge der verpflichtenden Aufhebung der Abschiebungsandrohung kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot ebenfalls keinen Bestand haben und ist die Beklagte nun ebenfalls verpflichtet, dieses im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
132
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 83b AsylG. Sie berücksichtigt das jeweilige Maß von Obsiegen und Unterliegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.