Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.02.2025 – 11 ZB 24.863
Titel:

Verkehrsumleitung durch eine Sackgasse während einer Baumaßnahme - Fortsetzungsfeststellungsklage - Berufungszulassung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
StVO § 42 Abs. 2 Anl. 3 Zeichen 357
Leitsatz:
Ein besonderes Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte und nicht nur abstrakte Gefahr voraus, dass die Beklagte in absehbarer Zeit unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine inhaltsgleiche oder gleichartige straßenverkehrsrechtliche Anordnung trifft. Eine Wiederholungsgefahr besteht deshalb nicht, wenn ungewiss ist, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsakts. Die nur vage Möglichkeit einer Wiederholung reicht ebenso wenig aus wie der Wunsch nach einer Klärung abstrakter Rechtsfragen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr (verneint), Verkehrsumleitung durch eine Sackgasse während einer Baumaßnahme, Wiederholungsgefahr, konkrete Gefahr einer gleichartigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnung, zukünftig gleiche tatsächlichen Verhältnisse, vage Möglichkeit, abstrakte Rechtsfragen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 06.12.2023 – M 28 K 23.863
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2829

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 6. Dezember 2023 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger begehren die Feststellung, dass die vorübergehende Verbindung einer im Gemeindegebiet der Beklagten gelegenen Sackgasse mit einer Behelfsstraße zur Aufnahme von Durchgangs- bzw. zusätzlichem Anliegerverkehr während einer Baumaßnahme rechtswidrig war. Sie sind Eigentümer eines an die Sackgasse grenzenden Wohngrundstücks.
2
Die Sackgasse verläuft auf einer Länge von ca. 140 m als befestigte Straße („S.weg“). Daran schließt sich ein unbefestigter Weg durch einen sog. Barfußpark an. Das Anwesen der Kläger befindet sich am Beginn einer leichten S-Kurve in der ersten Straßenhälfte. Dahinter liegen noch weitere Wohnhäuser.
3
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Dezember 2009 veräußerten die Kläger eine Teilfläche von 63 m² aus ihrem Wohngrundstück (Teil des S. wegs und des Hofraums) an die Beklagte und räumten ihr eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit für ein Kanalleitungsrecht an dem in ihrem Eigentum verbleibenden Grundstücksteil ein. Weiter sicherte die Beklagte den jeweiligen Eigentümern des Wohngrundstücks in einem notariellen Vertrag zu, den S. weg einschließlich der Vertragsfläche auf Dauer nur als Sackgasse zu nutzen und keine Verbindung zu anderen bestehenden oder neu zu schaffenden Straßen herzustellen. Von dieser Nutzungsbeschränkung sollte nur der Straßenverkehr im öffentlichen Interesse ausgenommen werden, insbesondere durch den Freistaat Bayern (Wasserwirtschaftsamt) insbesondere zur Errichtung, Unterhaltung und Verbesserung der Hochwasserschutzmaßnahmen am Hausbach, durch den Freistaat Bayern (Forstverwaltung) zur Bewirtschaftung der hinterliegenden Waldgrundstücke, durch die Beklagte für Unterhaltsmaßnahmen am Hausbach, an den touristischen Flächen am S. teich und an der Kriegergedächtniskapelle und zur Sicherung des Katastrophenschutzes, z.B. Rettungsdienst, Feuerwehr etc. Von diesen beauftragten Dritten wurde gestattet, auf dem S. weg zu fahren. Eine Verbindung des Wegs zu anderen bestehenden oder neu zu schaffenden Straßen sollte nur mit Zustimmung des jeweiligen Grundstückseigentümers geschaffen werden können.
4
Mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 2. März 2023 verfügte die Beklagte zur Umsetzung des „Bauabschnitts Hausberg straße“ aus dem Planfeststellungsbeschluss des Landratsamts ... vom 16. Mai 2019 für den Zeitraum vom 27. März bis 8. Dezember 2023 eine Sperrung eines Abschnitts der in der Nähe befindlichen Hausberg straße und eine Umleitung des Verkehrs u.a. über den S. weg und den zwischen beiden Straßenzügen liegenden Barfußpark. Der durch den Barfußpark verlaufende geschotterte Fußweg wurde zu diesem Zweck verbreitert und mit Rasengitterelementen befestigt. Es wurden Umleitungsschilder aufgestellt.
5
Die Kläger hatten sich bereits im Vorfeld mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. März und 31. August 2022 gegen die geplante Verkehrsregelung gewandt. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 6. September 2022 mit, der Freistaat Bayern sei Bauherr der Maßnahme. Es handele sich um eine Hochwasserschutzmaßnahme. Am 12. Oktober 2022 ließen die Kläger durch ihre Bevollmächtigten Klage beim Amtsgericht Traunstein erheben, zuletzt mit Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Verbindung des S. wegs zu der neu hergestellten Straße „Notumfahrung S. weg“ wirkungsvoll zu sperren, hilfsweise, die Verbindung des S. wegs zu der „Notumfahrung S. weg“ für den Anliegerverkehr wirkungsvoll zu sperren sowie die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 553,11 EUR nebst Zinsen als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Bei einer Informationsveranstaltung sei herausgekommen, dass weder Feuerwehr noch Rettungsdienst noch Wasserwirtschaftsamt die Umfahrung benötigten bzw. nutzen könnten, sondern diese ausschließlich dem Anliegerverkehr dienen solle. Die Beklagte erwiderte, die bereits hergestellte Notumfahrung werde zurückgebaut, sobald die Baumaßnahmen im Rahmen des Hochwasserschutzes fertiggestellt seien. Der S. weg werde dauerhaft weiterhin nur als Sackgasse genutzt. Die Umfahrung solle nur für die Dauer der Baumaßnahmen ermöglicht werden.
6
Mit Beschluss vom 16. Januar 2023 verwies das Amtsgericht Traunstein die Streitsache an das Verwaltungsgericht München, das die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 2023 als unbegründet abwies. Nachdem die faktische Aufhebung der Umfahrungsregelung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht vollzogen gewesen sei, sei über das Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses der Kläger nicht zu entscheiden. Unter Hintanstellung etwaiger, von den Beteiligten aber nicht thematisierter Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der schuldrechtlichen Vereinbarungen sei die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die Kläger ihr Begehren weder auf diese noch auf eine öffentlich-rechtliche Rechtsposition stützen könnten. Nach sachgerechter Auslegung gemäß § 133, § 157 BGB i.V.m. Art. 62 Satz 2 BayVwVfG schließe die schuldrechtliche Vereinbarung nur dauerhafte Veränderungen des S. wegs als Sackgasse aus. Die Umleitung habe schon rechtlich keine dauerhafte Änderung der Sackgassenregelung bewirkt. Die Sackgassenregelung (Zeichen 357 gemäß Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO) sei zu keinem Zeitpunkt aufgehoben, sondern durch die Anordnung der Umleitung allenfalls zeitweise überlagert worden. Das entsprechende Richtzeichen sei weder abgedeckt noch abmontiert worden. Die tatsächlichen Gründe für die provisorischen Maßnahmen der Beklagten und die konkreten örtlichen Verhältnisse ließen keinen vernünftigen Zweifel daran zu, dass die Beklagte den S. weg dauerhaft wieder nur als Sackgasse nutzen wolle. Selbst wenn man hinsichtlich des Merkmals dauerhaft eine andere Auffassung vertreten sollte – etwa, weil man die über ein halbes Jahr währenden Baumaßnahmen als nicht mehr nur vorübergehend erachten würde oder das Merkmal in Relation zum Zeitpunkt des Abschlusses der schuldrechtlichen Vereinbarung setzen wollte –, wären die Maßnahmen der Beklagten von der vertraglichen Vereinbarung gedeckt, weil sie im öffentlichen Interesse erfolgt seien. Zwar erfasse der entsprechende Teil der Vereinbarung ausdrücklich nur die Befahrung durch die Genannten (Wasserwirtschaftsamt, Forstverwaltung, Gemeinde, Katastrophenschutz) zu den erklärten Zwecken. Jedoch schließe die Formulierung „insbesondere“ weiteren Verkehr im öffentlichen Interesse zweifelsfrei mit ein. Im hier einschlägigen Fall der Herstellung einer Umleitung wegen anderswo erforderlich werdender Straßenbaumaßnahmen zum Zweck des Hochwasserschutzes ergebe sich das öffentliche Interesse sowohl aus dem Gesetz (§ 45 Abs. 1 StVO, §§ 5 Abs. 2, 72 ff. WHG, Art. 43 ff. BayWG) als auch aus der Vereinbarung selbst, die den Hochwasserschutz als Allgemeininteresse ausdrücklich nenne. Eine Beschränkung auf einzelne, nur gelegentliche Befahrungen sehe die Vereinbarung nicht vor. Nach ihrem Sinn und Zweck decke sie auch die vorübergehende Aufhebung der Sackgasse, wenn sie gleichsam mittelbare Folge einer Hochwasserschutzmaßnahme sei. An dem Umstand, dass die „Notumfahrung“ zwingend und angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse alternativlos benötigt werde, um für die Anwesen nördlich der gesperrten Hausberg straße vorübergehend eine andernfalls nicht mehr gewährleistete verkehrliche Zugänglichkeit und Erschließung zu sichern, bestünden angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse keine vernünftigen Zweifel. Für die streitgegenständlichen Maßnahmen habe es auch nicht der Zustimmung der Kläger bedurft. Ein Zustimmungserfordernis habe lediglich für eine dauerhafte Aufhebung der Sackgassenregelung aus anderen Gründen gelten sollen. Es sei fernliegend, dass der zweite Absatz der schuldrechtlichen Vereinbarung ein eigenständiges, vom Kriterium der Dauerhaftigkeit losgelöstes Zustimmungserfordernis begründen sollte. Mit der Wahl der Eingangsformulierung „Durch vorstehende Vereinbarung“ werde ein Bezug zu der Zusicherung in ihrer Gesamtheit hergestellt. Die Analogie zum Notwegerecht im Sinne des § 917 BGB scheitere an einer vergleichbaren Interessenlage. Das Notwegerecht erlaube die Nutzung des Eigentums selbst. Hier werde das Eigentum der Kläger durch die Befahrung des S. wegs nicht unmittelbar beansprucht. Ihre Anlieger- und Eigentümerstellung vermittle den Klägern keine gesetzlichen Ansprüche. Ein Anspruch auf Sperrung einer Straße komme allenfalls in Betracht, wenn das Verkehrsaufkommen eine für die Anwohner nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung durch Lärm und/oder Abgase mit sich bringe. Dies sei vorliegend weder ersichtlich noch substantiiert geltend gemacht.
7
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung tragen die Kläger vor, die Verwaltungsstreitsache habe sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils dadurch erledigt, dass der Bauabschnitt Hausberg straße zwischenzeitlich abgeschlossen und die Notumfahrung über den S. weg aufgehoben worden seien. Es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen konkreter Wiederholungsgefahr. Infolge der Auslegung der notariell beurkundeten schuldrechtlichen Vereinbarung durch die Beklagte sei zu befürchten, dass diese den S. weg im Falle zukünftiger Baumaßnahmen an benachbarten Straßen und Wegen wieder als Notumfahrung nutze. In der Sache machen die Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Diese gründeten auf einer fehlerhaften Ermittlung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sowie auf fehlerhaften, tragenden rechtlichen Schlussfolgerungen.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
9
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig.
10
Da sich die angefochtene straßenverkehrsrechtliche Anordnung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils tatsächlich erledigt hat und ein besonderes Feststellungsinteresse der Kläger gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht hinreichend dargelegt ist bzw. nicht besteht, fehlt für ihre Klage und die begehrte Berufungszulassung ein Rechtsschutzbedürfnis.
11
Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte und nicht nur abstrakte Gefahr voraus, dass die Beklagte in absehbarer Zeit unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine inhaltsgleiche oder gleichartige straßenverkehrsrechtliche Anordnung trifft (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 30.10.2024 – 1 WB 42.24 – juris Rn. 20 f. m.w.N.; B.v. 14.6.2018 – 3 BN 1.17 – juris Rn. 19; U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 21). Ist ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsakts, kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (BVerwG, B.v. 30.10.2024 a.a.O. Rn. 20; U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 = juris Rn. 8). Die nur vage Möglichkeit einer Wiederholung reicht ebenso wenig aus wie der Wunsch nach einer Klärung abstrakter Rechtsfragen (Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2024, § 113 VwGO Rn. 126).
12
Hieran gemessen kann von einer konkreten Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden. Nach Abschluss der schuldrechtlichen Vereinbarung am 29. Dezember 2009 ist es im Zuge einer größeren planfestgestellten Baumaßnahme zum Hochwasserschutz Anfang März 2023 erstmals zu einer Verkehrsumleitung über die am Grundstück der Kläger vorbeiführende Straße gekommen. Dabei musste die Verbindung zwischen der am Ortsrand endenden Sackgasse und der nächsten öffentlichen Straße mit nicht unerheblichem Aufwand durch einen gemeindlichen Park erst hergestellt werden. Bereits in der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 2023 erklärte die Beklagte, dass sie aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht daran interessiert sei, erneut von dieser Notumfahrung Gebrauch zu machen. Von der fraglichen Eignung dieser Verbindung abgesehen ist gegenwärtig auch nicht absehbar, dass sich künftig erneut tatsächliche Verhältnisse einstellen, die zum nochmaligen Bau einer Behelfs straße führen würden. Es ist weder ersichtlich, dass einfache Baumaßnahmen an benachbarten Straßen und Wegen die aufwendige Herstellung einer Umfahrung über die streitgegenständliche Straße durch den gemeindlichen Park erfordern könnten, noch, welche Baumaßnahmen an anderen Straßen (wobei praktisch wegen der Ortsrandlage und des Geländes wohl nur im Osten gelegene benachbarte Straßenbaumaßnahmen in Betracht kämen) eine Aufhebung der Eigenschaft als Sackgasse überhaupt erfordern könnten.
13
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Mit ihrer Klage wenden sich die Kläger der Sache nach gegen die straßenverkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 2. März 2023, soweit hierin eine Verkehrsumleitung verfügt wird. Dabei handelt es sich weder um eine Widmung noch um eine Einziehung einer Straße nach Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs. Die Befugnis zur Änderung des Streitwerts in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
14
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
15
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).