Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.08.2025 – 9 ZB 23.2289
Titel:

Nachbarklage, Grenzbebauung, Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot

Normenketten:
Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 7 S. 1 Nr. 1, S. 2 BayBO i.d.F. v. 23.6.2023
BayBO Art. 59
BGB § 242
Schlagworte:
Nachbarklage, Grenzbebauung, Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 27.10.2023 – AN 9 K 21.1719
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20899

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Oktober 2023 – AN 9 K 21.1719 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 4. August 2021 in Form der Tekturgenehmigung vom 17. Juli 2023 zur Errichtung einer Wohnanlage bestehend aus vier Wohnhäusern mit insgesamt 38 Wohneinheiten und Tiefgarage auf den Grundstücken FlNrn. 268/14, 268/20, 268/21, 268/30 und 268/48 der Gemarkung … Der Kläger ist Miteigentümer des südlich und westlich an das Vorhaben angrenzenden, mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks FlNr. 265/20 der Gemarkung … Die genannten Grundstücke befinden sich im Innenhof einer geschlossenen, vier- bis fünfgeschossigen Blockrandbebauung.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Bauvorhaben verletze keine nachbarschützenden Vorschriften, die vom Prüfungsumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung erfasst seien. Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht liege nicht vor. Bei den grenzständigen Teilen des Bauvorhabens handele es sich um eine nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 zulässige Grenzbebauung, da sämtliche Hauptgebäude in der näheren Umgebung Grenzbebauungen aufweisen würden. Der nicht grenzständige Teil der überdachten Tiefgaragenzufahrt sei nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BayBO abstandsflächenrechtlich privilegiert. Alle übrigen nicht grenzständigen Teile des Bauvorhabens hielten die Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück ein. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Das infolge des Bauvorhabens notwendige Schließen bestehender Öffnungen des klägerischen Bestandsgebäudes (vier Fenster und eine Tür) sei nicht rücksichtslos, da die Wohnräume nach den genehmigten Plänen über eine umfassende Beleuchtung aus westlicher Richtung verfügten. Auch sei die Schutzwürdigkeit des Klägers eingeschränkt, da die genehmigten Pläne zum Bescheid vom 8. April 2013 für die Nutzungsänderung zur aktuellen Wohnnutzung hinsichtlich der Öffnungen in den grenzständigen Wänden des klägerischen Bestandsgebäudes die Bemerkung „Öffnungen auf Widerruf“ aufwiesen. Von dem Vorhaben gehe keine einmauernde oder erdrückende Wirkung aus. Das Bauvorhaben werde im Norden auf einer Länge von 15 Metern und einer Höhe eines Geschosses sowie im Osten auf einer Länge von 11 Metern und einer Höhe von zwei Geschossen an das klägerische Bestandsgebäude angebaut. An der Grundstücksgrenze übertreffe das klägerische Gebäude in seiner Höhe das Vorhaben der Beigeladenen. Die weiteren Geschosse des geplanten Vorhabens würden das klägerische Bestandsgebäude zwar überragen, seien aber deutlich von der Grundstücksgrenze zurückgesetzt. Auch neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten in das klägerische Bestandsgebäude begründeten keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Ein Schutz vor jeglicher Einsichtnahme oder unerwünschten Einblicken bestehe nicht, insbesondere, wenn dies durch den Betroffenen mit üblichen Eigenmitteln (Gardinen, Rollos etc.) verhindert werden könne. Aufgrund seiner eigenen Grenzbebauung sei der Kläger zudem nur sehr eingeschränkt schutzwürdig.
3
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung. Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen die angefochtene Entscheidung.
4
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), liegen jedenfalls nicht vor.
6
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz2 VwGO erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 9 ZB 21.2366 – juris Rn. 11 ff.).
8
Mit der Behauptung einer Abstandsflächenverletzung sowie eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot wiederholt der Kläger im Wesentlichen erstinstanzliches Vorbringen und setzt lediglich seine Rechtsauffassung den Feststellungen des Verwaltungsgerichts entgegen. Dies genügt nicht dem Darlegungsgebot.
9
Abgesehen davon teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das streitgegenständliche Vorhaben keine nachbarschützenden Rechte des Klägers verletzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen und von einer weiteren Begründung abgesehen. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren Folgendes zu bemerken:
10
a) Das Vorbringen des Klägers, das Vorhaben der Beigeladenen verstoße gegen das Abstandsflächenrecht, ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zu begründen.
11
aa) Soweit der Kläger ausführt, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 sei nicht anwendbar, da im unbeplanten Innenbereich bauplanungsrechtlich weder eine Pflicht noch ein Recht bestehe, an die Grenze zu bauen, vermag er damit nicht durchzudringen.
12
Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 (nunmehr Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO), wonach eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf, trägt dem Vorrang des bundesrechtlichen Bauplanungsrechts gegenüber dem Bauordnungsrecht Rechnung. Bauplanungsrechtliche Vorschriften, nach denen an die Grenze gebaut werden muss oder darf, können sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans aus Festsetzungen zur Bauweise (§ 22 BauNVO) oder überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 BauNVO) ergeben. Entsprechendes gilt ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien im unbeplanten Innenbereich auf Grund des Einfügensgebots des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Soweit im unbeplanten Innenbereich ein Baugebiet teils offene, teils geschlossene Bauweise aufweist, sind beide Bauweisen zulässig. Dieses planungsrechtliche Wahlrecht des Bauherrn findet in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 ein bauordnungsrechtliches Pendant, indem der Bauherr erforderlichenfalls von der Einhaltung einer Abstandsfläche freigestellt wird (vgl. LT-Drs. 15/7161, S. 41). Ergibt die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende, „Fremdkörper“ außer Betracht lassende Bestandsaufnahme des Vorhandenen, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne Grenzabstand umfasst, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise eingestuft werden kann, dann hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen. Vorbehaltlich der Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme darf daher in diesen Fällen mit den in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 geregelten abstandsflächenrechtlichen Folgen nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die Grenzen gebaut werden (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris Rn. 46 f.; B.v. 16.2.2023 – 9 ZB 31.304 – juris Rn. 11.).
13
Das Verwaltungsgericht ist nach Einnahme eines Augenscheins zu der Überzeugung gelangt, dass der Innenhof des Gevierts „… … … … …“ die im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßstabbildende nähere Umgebung darstellt, insbesondere da aufgrund der geschlossenen, vier- bis fünfgeschossigen Blockrandbebauung des Gevierts keine Blickbeziehungen zu anderen Innenhöfen bestehen. Dies wird seitens des Klägers nicht beanstandet. Da sämtliche Hauptgebäude in der näheren Umgebung, namentlich das klägerische Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. 265/20, das Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. 265/21 und das bislang gewerblich genutzte Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 268/30 sowohl seitliche als auch rückwärtige und/oder vordere Grenzbebauungen aufweisen, darf das Vorhaben der Beigeladenen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 ohne Einhaltung von Abstandsflächen an den Grundstücksgrenzen errichtet werden.
14
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand, Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sei für den nicht grenzständigen Teil der Tiefgaragenzufahrt nicht anwendbar, da der Kläger schon Grenzbebauungen erdulden müsse.
15
Nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden, unter anderem überdachte Tiefgaragenzufahrten und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig. Nach Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO darf die Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber den Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO auf einem Grundstück insgesamt 15 m nicht überschreiten. Diese Vorgaben hält der nicht grenzständige Teil der Tiefgaragenzufahrt ein.
16
Eine dem Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO vergleichbare Einschränkung für den Fall, dass ein Vorhaben teilweise nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO abstandsflächenrechtlich privilegiert ist und teilweise eine nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 zulässige Grenzbebauung aufweist, besteht nicht, zumal beide Vorschriften unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. So will Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO vor allem die Errichtung von Garagen mit Nebenräumen auf privaten Grundstücken fördern, um im Interesse des fließenden Verkehrs parkende Kraftfahrzeuge von öffentlichen Verkehrsflächen fernzuhalten (vgl. Kühner in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2025, Art. 6 Rn. 441 unter Verweis auf LT-Drs. 6/1921, S. 14), wohingegen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 dem Vorrang des bundesrechtlichen Bauplanungsrechts gegenüber dem Bauordnungsrecht Rechnung trägt (vgl. LT-Drs. 15/7161, S. 41).
17
cc) Von Vorstehendem abgesehen kann sich der Kläger ohnehin nicht auf eine etwaige Abstandsflächenrechtsverletzung berufen, weil sein Bestandsgebäude an der nördlichen und östlichen Grundstücksgrenze grenzständig errichtet wurde und die Abstandsflächen zu den Grundstücken der Beigeladenen selbst nicht einhält.
18
Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zugunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet. Aus diesem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand selbst nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält (vgl. VGH BW, U.v. 18.11.2002 – 3 S 882/02 – juris Rn. 25). Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann sich ein Nachbar gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen. Wer sein Gebäude mit einer Außenwand selbst an die Grundstücksgrenze baut oder die Grundstückssituation so gestaltet, dass sein Gebäude an der Grundstücksgrenze steht, muss hinnehmen, dass es den Grundstücksnachbarn erlaubt ist, ebenfalls an die Grundstücksgrenze zu bauen. Dies gilt unabhängig davon, ob in der Grenzwand Fenster sind oder nicht (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2025 – 9 ZB 23.1956 – juris Rn. 26).
19
Soweit der Kläger diesbezüglich auf die historische Baugeschichte und eine Genehmigung aus dem Jahr 1949 für den Ausbau des Rückgebäudes mit zwei Wohnungen verweist, liegt eine Verwechslung vor. Der vom Kläger in Bezug genommene Antrag vom 27. März 1946 sowie die Baugenehmigung aus dem Jahr 1949 beziehen sich ausweislich der vorgelegten Behördenakten auf das Rückgebäude auf dem Grundstück FlNr. 265/19, … … Hingegen wurde das klägerische Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 265/20, … …, im Jahr 1907 als Fabrikgebäude erbaut und im Jahr 1946 als Werkstätte wiederaufgebaut. Die Teilnutzungsänderung des Fabrikgebäudes in einen Bekleidungsfertigungsbetrieb mit Betriebsleiterwohnung wurde am 5. Januar 1998 genehmigt. Die Genehmigung der Nutzungsänderung des Bekleidungsbetriebs mit Inhaberwohnung zu zwei Wohnungen erfolgte am 8. April 2013.
20
b) Auch das Vorbringen des Klägers, das Vorhaben der Beigeladenen verletze das Rücksichtnahmegebot, ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zu begründen.
21
aa) Soweit der Kläger vorträgt, es sei rücksichtslos, Fenster, die für die zulässige Wohnnutzung seines Gebäudes erforderlich seien, zuzumauern, vermag er damit nicht durchzudringen.
22
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, sind die auf der Nord- und Ostseite des klägerischen Gebäudes vorhandenen Fenster für die Aufenthaltsräume, wie sie sich aus den genehmigten Plänen zur Baugenehmigung vom 8. April 2013 ergeben, nicht notwendig, da die Aufenthaltsräume ausreichend über die auf der Westseite vorhandenen Fenster belichtet und belüftet werden. Ein etwaiges Vertrauen des Klägers in den Erhalt der Fenster auf der Nord- und Ostseite seines Gebäudes ist nicht geschützt. In den genehmigten Plänen zu der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 8. April 2013 ist hinsichtlich der Nord- und Ostseite des klägerischen Gebäudes eingetragen, dass die „Öffnungen auf Widerruf“ gestattet sind. Demnach musste der Kläger damit rechnen, dass die Öffnungen, auch konkludent durch Genehmigung eines Anbaus an die Nord- und Ostseite seines Gebäudes, widerrufen werden können.
23
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers stellt das Zumauern der Nord- und Ostseite des klägerischen Gebäudes auch vor dem Hintergrund, dass das klägerische Gebäude bereits im Süden an ein Gebäude angebaut ist, keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar.
24
Wie bereits ausgeführt darf das Vorhaben der Beigeladenen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO i.d.F.v. 23.6.2023 ohne Einhaltung von Abstandsflächen an den Grundstücksgrenzen errichtet und damit an die Nord- und Ostseite des grenzständig errichteten Gebäudes des Klägers angebaut werden. Zudem gilt, dass derjenige, der sein Gebäude mit einer Außenwand selbst an die Grundstücksgrenze baut, es nach Treu und Glauben hinnehmen muss, dass es dem Grundstücksnachbarn erlaubt ist, ebenfalls an die Grundstücksgrenze zu bauen (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2025 – 9 ZB 23.1956 – juris Rn. 26). Aus dem Umstand, dass das klägerische Gebäude auch an der Südseite grenzständig errichtet und an das Nachbargebäude auf dem Grundstück FlNr. 265/21 angebaut ist, ergibt sich nichts anderes.
25
cc) Das Vorbringen des Klägers, durch das Bauvorhaben der Beigeladenen würden neue Möglichkeiten der Einsichtnahme in das klägerische Bestandsgebäude geschaffen, führt ebenfalls nicht zur Rücksichtslosigkeit des Vorhabens.
26
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass auch über das Gebot der Rücksichtnahme in bebauten Ortslagen kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeit vermittelt wird. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 19). Für einen solchen Ausnahmefall – wie beispielsweise der unmittelbare Einblick aus kürzester Entfernung auf unmittelbar geschützte Räumlichkeiten (z.B. Schlafzimmer) – gibt weder der klägerische Vortrag noch die Aktenlage etwas her. Aus den vorliegenden Plänen ergibt sich, dass die möglichen weiteren Einsichtsmöglichkeiten im Wesentlichen die Küche im Hochparterre des klägerischen Gebäudes betreffen. Dem Kläger ist es insbesondere dann, wenn – wie hier – die Vorgaben des Abstandsflächenrechts eingehalten sind, zuzumuten, seine Räumlichkeiten, in die potenziell vom Nachbarn aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie Vorhänge, Jalousien o.ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen.
27
dd) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, es verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, dass unmittelbar angrenzend an sein Gebäude ohne Schutz gegen Feuer Vielparteienwohnraum errichtet werde, vermag dies die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ebenfalls nicht infrage zu stellen.
28
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Vorschriften über Brandwände nach Art. 28 BayBO nicht Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO sind und eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Anforderungen an Brandwände nicht erteilt wurde. Der Nachweis über die Einhaltung der Anforderungen an den Brandschutz ist nach Art. 62 i.V.m. Art. 62b BayBO im Rahmen des Brandschutznachweises zu erbringen. Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
29
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
30
Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich, soweit sie überhaupt entscheidungserheblich sind, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Besondere Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht; die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 15; B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 26).
31
3. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
32
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17).
33
Eine solche Rechts- oder Tatsachenfrage hat der Kläger in der Zulassungsbegründung nicht formuliert. Auch zeigt die Zulassungsbegründung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung auf. Vielmehr sind die Fragen, inwieweit Nachbarrechte bei einer Nachverdichtung eines Innenhofbereichs im unbeplanten Innenbereich tangiert werden und ob ein Vorhaben gegen Abstandsflächenrecht verstößt oder sich gegenüber einer Nachbarbebauung als rücksichtslos darstellt, in der Rechtsprechung hinlänglich geklärt und können überdies nur unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände beantwortet werden.
34
4. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensmangels, auf dem das Urteil beruhen kann, zuzulassen.
35
Der Kläger rügt einen Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mit der Begründung, dass das Verwaltungsgericht zu der Frage der Notwendigkeit der Fenster für die genehmigte Wohnfunktion hätte Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erheben müssen.
36
Mit diesem Vortrag werden die Anforderungen an eine erfolgreiche Aufklärungsrüge nicht erfüllt. Diese erfordert bei anwaltlich vertretenen Beteiligten insbesondere auch die Darlegung, dass ein Beweisantrag erstinstanzlich gestellt wurde oder sich dem Ausgangsgericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.2016 – 2 B 57.15 – ZBR 2017, 41 = juris Rn. 13; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 75). Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat der anwaltlich vertretene Kläger im erstinstanzlichen Verfahren keinen förmlichen Beweisantrag gestellt. Bloße Ankündigungen von Beweisanträgen in vorbereitenden Schriftsätzen ersetzen weder förmliche Beweisanträge noch lösen sie für sich genommen eine Ermittlungspflicht aus. Dass sich dem Verwaltungsgericht eine entsprechende Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, legt der Kläger nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
37
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Zulassungsverfahren einen die Sache fördernden Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, dass ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten erstattet werden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025 und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände vorgebracht wurden.
38
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).