Inhalt

VG München, Urteil v. 15.07.2025 – M 1 K 21.3964
Titel:

Gebot der Rücksichtnahme, Bauplanungsrechtlicher Außenbereich

Normenkette:
BauGB § 35
Schlagworte:
Gebot der Rücksichtnahme, Bauplanungsrechtlicher Außenbereich
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20506

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für einen Geräteschuppen mit Werkstatt und Lager.
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Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 19/4 Gemarkung … …, Gemeinde B* … Die Beigeladenen sind Miteigentümer des unmittelbar südlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 16 (Baugrundstück). Für das Gebiet besteht kein Bebauungsplan.
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Mit notariellem Kaufvertrag vom … Oktober 1902 verkaufte der damalige Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 16 und 19 Gem. … … aus diesen zwei amtlich noch nicht vermessene Flächen von insgesamt 2.000 m². In Ziffer 3. des Kaufvertrags ist folgende Regelung getroffen: „Bezüglich der an die Vertragsobjekte angrenzenden Grundstücke des Verkäufers, vermutlich wiederum Pl.Nr. 19 der Steuergemeinde …, und zwar auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Meter, im Kreise vom Vertragsobjekt aus gerechnet, räumt der Verkäufer dem Käufer das Vorkaufsrecht ein und dürfen auf dem so bezeichneten Grundstücke, bezüglich welchen diese Vorkaufsrecht begründet ist, ohne Genehmigung des Käufers keine Gesträucher, Bäume oder Gebäulichkeiten errichtet werden, wodurch die Aussicht des Käufers von dem verkauften Grundstücke aus beeinträchtigt oder benommen würde.“ Im Rahmen einer notariellen Messungsanerkennung vom 21. Dezember 1903 wurden die aus den FlNrn. 16 und 19 verkauften Parzellen als FlNr. 19 1/3 und 19 1/4 bezeichnet und als mit 0,086 ha für die FlNr. 19 1/3 und mit 0,170 ha für die FlNr. 19 1/4 vermessen anerkannt. In Ziffer 3. der Messungsanerkennung wurde zum Zwecke der Ermöglichung der Eintragung der mit Kaufvertrag vom … Oktober 1902 begründeten Dienstbarkeiten Folgendes festgestellt: „Es besteht zu Gunsten von Pl.Nr. 19 1/4 der Steuergemeinde … nun zu Lasten der Grundstücke Pl.Nr. 19 und 16 dieser Steuerflur die Beschränkung, dass auf eine Entfernung von fünfundzwanzig Meter im Umkreise von dem Grundstücke Pl.Nr. 19 1/4 auf den Objekten Pl.Nr. 19 und 16 keine Gebäulichkeiten errichtet und keine Gesträucher oder Bäume gepflanzt oder belassen werden dürfen, wodurch die Aussicht von Pl.Nr. 19 1/4 der Steuergemeinde … beeinträchtigt oder benommen würde“. Das Bau- und Anpflanzungsverbot ist im Grundbuch von … … Blatt 132 im Bestandsverzeichnis laufende Nr. 19 eingetragen.
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Unter dem 4. März 2021 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau eines zweistöckigen Geräteschuppens mit Werkstatt, Brennholz- und Heulager für den landwirtschaftlichen Gebrauch im Südwesten des Grundstücks FlNr. 16. Die Gemeinde erteilte mit Beschluss vom 15. März 2021 ihr Einvernehmen zu dem Bauantrag.
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Mit Bescheid vom 28. Juni 2021, den Klägern zugestellt am 10. Juli 2021, erteilte der Beklagte den Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung. Das Vorhaben sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert. Es stünden keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB entgegen. Zudem sei die ausreichende Erschließung gesichert, sodass das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig sei.
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Mit am 26. Juli 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob die Klägerin zu 1), mit am 10. August 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz zudem der Kläger zu 2) Klage gegen den Bescheid vom 28. Juni 2021.
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Sie beantragen,
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den Bescheid vom 28. Juni 2021 aufzuheben.
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Den Beigeladenen fehle schon das Sachbescheidungsinteresse für die Erteilung der Baugenehmigung, da das Vorhaben aufgrund eines zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks FlNr. 19/4 im Grundbuch eingetragenen Bau- und Anpflanzungsverbots nicht errichtet werden dürfe. Es sei zudem nicht nachgewiesen, dass das errichtete Gebäude einen Abstand von 25 m einhalte. Die Entfernung sei hangabwärts gemessen worden. Bei einer Messung in die Ebene hinein werde der Abstand von 25 m nicht eingehalten. Das Vorhaben sei nicht privilegiert im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, da es sich allenfalls um Landwirtschaft im Nebengewerbe handle. Das genehmigte Vorhaben diene nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb. Es sei schon fraglich, ob es sich überhaupt um eine nebenerwerbliche Landwirtschaft handle, da nahezu der gesamte Umsatz über die Ferienwohnungen erwirtschaftet werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Gebäude an der konkreten Stelle errichtet werden müsse. Der Ausblick vom Grundstück der Antragsteller werde erheblich beeinträchtigt. Das Grundstück FlNr. 19/4 stehe auf einem mit Geröll aufgeschütteten Hügel, der erosionsgefährdet sei. Es bestehe die Gefahr, dass es zu einem Hangabrutsch komme, wodurch das Grundstück der Antragsteller erheblich gefährdet sei. Sie seien im Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Ebenfalls seien wasserrechtliche Belange nicht geprüft worden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das zivilrechtliche Bebauungsverbot berühre gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO nicht die Baugenehmigung. Das Sachbescheidungsinteresse habe bestanden, da der Beklagte erst nach Erteilung der Baugenehmigung Kenntnis vom Bebauungsverbot erlangt habe. Das genehmigte Vorhaben habe zudem einen Abstand von ca. 25 m zum Grundstück FlNr. 19/4 und sei deshalb nicht vom Bebauungsverbot betroffen. Das Vorhaben sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert, da es einem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Im Übrigen sei die Privilegierung eines Betriebs und eines dem Betrieb dienenden Vorhabens nicht nachbarschützend und habe im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots außer Betracht zu bleiben. Dem Vorhaben stünde auch der Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB nicht entgegen. Der Ausblick der Kläger sei nicht beeinträchtigt und es handle sich dabei nicht um einen nachbarschützenden Tatbestand. Die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft habe dem Vorhaben am 29. April 2021 zugestimmt, sodass wasserrechtlich relevante Vorgaben berücksichtigt worden seien. Etwaige Schutzmaßnahmen aufgrund der Waldnähe lägen nicht im Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO.
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Ein von den Klägern gestellter Eilantrag mit dem Ziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage blieb erfolglos. Mit Beschluss vom 11. Februar 2022 (M 1 SN 21.4324) lehnte die erkennende Kammer die gestellten Anträge ab. Nachbarschützende Normen seien nicht verletzt. Es sei nicht zu prüfen, ob das Vorhaben objektiv-rechtlich allen Anforderungen des § 35 BauGB entspreche. Eine etwaige Ablehnungsbefugnis der Behörde wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses habe keine drittschützende Wirkung. Die Baugenehmigung werde im Übrigen unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Das Vorhaben liege im Gelände deutlich tiefer, eine freie oder ungestörte Aussicht werde vom Baurecht nicht geschützt. Eine Abrutschgefährdung bestehe aufgrund der Entfernung und des nur geringen Hangabschnitts nicht.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, sowie auf die Akten zum Eilverfahren M 1 SN 21.4324, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Aufhebung der streitgegenständlichen Baugenehmigung, weil diese sie nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auf Wunsch eines Nachbarn keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln und im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Wie bereits im gerichtlichen Eilbeschluss vom 11. Februar 2022 (M 1 SN 21.4324) ausführlich begründet, fehlt es hier an der Verletzung drittschützender Normen.
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1. Im Außenbereich besteht kein allgemeiner Schutzanspruch des Nachbarn auf Nichtausführung objektiv nicht genehmigungsfähiger Vorhaben (BVerwG, B.v. 3.4.1995 – 4 B 47/95 – juris Rn. 2). Im streitgegenständlichen Nachbarrechtsverfahren ist somit nicht zu klären, ob das Vorhaben objektiv-rechtlich allen Anforderungen des § 35 BauGB entspricht. Nachbarschutz kommt im Außenbereich nach § 35 BauGB demnach grundsätzlich nur bei Verstößen gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht (BVerwG, B.v. 28.7.1999 – 4 B 38/99 – juris Rn. 5). Die umfänglichen Ausführungen der Klägerseite zur nach ihrer Auffassung mangelnden Privilegierung und dem nach Meinung der Kläger fehlendem Dienen für den landwirtschaftlichen Betrieb gehen daher ins Leere. Die Meinung, dass bei einem – ihrer Auffassung nach – evidenten Verstoß doch Drittschutz bestehen müsse, ignoriert den Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es kommt nicht auf den Grad einer Verletzung objektiven Rechts an, sondern nur auf die Frage, ob Nachbarrechte verletzt sind.
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Das baurechtliche Rücksichtnahmegebot ist nicht verletzt. Erdrückende Wirkung hat das kleinere und weiter hangabwärts gelegene Bauvorhaben ersichtlich nicht. Eine freie oder ungestörte Aussicht wird baurechtlich nicht geschützt.
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2. Gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO wird die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Ob hier die vertraglichen Regelungen von 1902 einer Verwirklichung des Vorhabens entgegenstehen, ist daher ohne Belang. Die Baugenehmigung hindert die Kläger nicht an der Durchsetzung etwaiger privater Rechte.
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Die etwaige Möglichkeit der Ablehnung eines Bauantrags wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO, schützt ersichtlich nur die Behörde, dient aber nicht dem Schutz von Nachbarn. Gerade in einem Fall wie hier, in dem die Anwendung und Umsetzung privatrechtlicher Vereinbarungen auch noch unklar oder streitig ist (etwa wegen der Mess-Methode oder der Auslegung anderer Vertragsklauseln) kann die Bauaufsichtsbehörde die Klärung dieser Fragen den Zivilgerichten überlassen.
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3. Der Vortrag der Kläger bezüglich einer Abrutschgefahr bei Starkregen ist zum einen schon unsubstantiiert, zum anderen aufgrund der geringen Dimension des Vorhabens und der nur unwesentlichen Hangbeeinträchtigung abwegig.
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4. Wasserrechtliche Belange, die Normen des Bundesnaturschutzgesetzes, des Bayerischen Naturschutzgesetzes, des Waldschutzgesetzes und des Klimaschutzgesetzes entfalten keine nachbarschützende Wirkung. Die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind dem öffentlichen Interesse zuzuordnen. Durch das Naturschutzrecht werden nur die Interessen der Allgemeinheit geschützt und es ist nicht dazu bestimmt, dem Schutz Dritter zu dienen (VG München, B.v. 3.11.2005 – M 9 E 05.3590 – juris Rn. 32).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen, weil sie keinen Antrag gestellt haben und damit kein Kostenrisiko eingegangen sind.
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6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.