Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 24.06.2025 – 203 StRR 67/25
Titel:

Revisionsgericht, Kammerbeschluss, Meinungsfreiheit, Urteilsgründe, Bayerisches Oberstes Landesgericht, deutsche Staatsangehörigkeit, Landgerichte, Beschlüsse, Grundrechte, Volksverhetzung, Tatrichter, Mehrdeutige Äußerungen, Unwahre Tatsachenbehauptung, Grundrechtsbeschränkende, Rechtliche Würdigung, Juris, OLG Zweibrücken, Rechtsfolgenausspruch, Äußerungsdelikt, Grundrechtsschutz

Normenkette:
StGB § 130
Leitsätze:
1. Der Adressat einer möglichen Volksverhetzung ist nicht eindeutig bestimmt, wenn der vom Tatrichter festgestellte Personenkreis mehrere mögliche Gruppen mit sich deutlich unterscheidenden Identitätsmerkmalen erfasst, so dass eine Abgrenzung von der Gesamtbevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale nicht mehr eindeutig möglich ist.
2. Die Auslegung des Tatrichters ist zu beanstanden, wenn er nur die von ihm als inkriminiert erachteten einzelnen Textstellen der Verlautbarung herausgreift, diese Passagen jedoch nicht in den Gesamtkontext einstellt.
Schlagworte:
Volksverhetzung, Meinungsfreiheit, öffentliche Friedenstörung, Äußerungsdelikte, Kontextauslegung, Adressatenbestimmung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.10.2024 – 10 NBs 465 Js 62346/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 19173

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. Oktober 2024 mit Ausnahme der Feststellungen zur Veröffentlichung und zum Wortlaut des Textes aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 31. Juli 2024 wegen Volksverhetzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu 50.- Euro verurteilt. Mit Urteil vom 21. Oktober 2024 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die Berufung des Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Das Landgericht hat den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB in zwei Fällen durch eine wiederholte Veröffentlichung eines Beitrags im sozialen Netzwerk Facebook als erfüllt angesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der ausgeführten Sachrüge. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
2
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, da die Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet worden ist. Abweichend zu dem vom 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts entschiedenen Fall (Beschluss vom 18. Oktober 2024 – 205 StRR 360/24-, unveröffentlicht), bei dem das Revisionsgericht an die nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Prüfung (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1967 – 3 StR 4/67 –, BGHSt 21, 371-373, juris Rn. 7; Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl. § 337 Rn. 32 m.w.N.) unterworfene Auslegung des Amtsgerichts gebunden war, hat das Landgericht hier nach den maßgeblichen Urteilsgründen keine zureichende Prüfung des verfahrensrelevanten Erklärungsinhalts vorgenommen und das Objekt des Angriffs nicht rechtsfehlerfrei bestimmt mit der Folge, dass sich die Ausführungen das Tatrichters zur Friedenstörung als nicht tragfähig erweisen (ebenfalls zu einer Auslegungsinsuffizienz den verfahrensgegenständlichen Text betreffend vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 3. März 2025 – 1 ORs 1 SRs 69/24 –, juris).
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1. Die Frage, ob sich der Angeklagte mit seiner Verlautbarung strafbar gemacht hat, ist an § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB zu messen. Danach macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, (1) gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder (2) die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Der Anwendungsbereich der Norm setzt voraus, dass sich die Äußerung gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung richtet. Eine Gruppe bezeichnet eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Mehrzahl von Menschen, die sich hierdurch von den anderen abhebt (Krauß in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 130 StGB Rn. 33). Als Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 3 StR 602/14-, juris Rn. 10).
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2. Bei Äußerungsdelikten hat der Tatrichter die Bedeutung und die Reichweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu beachten.
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a. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (BVerfGE 42, 163, 170 f.). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat (vgl. BVerfGE 7, 198, 208; st. Rspr.). Auch scharfe und überzogene Kritik entzieht eine Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129, 139). Werturteile sind vielmehr durchweg von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, emotional oder rational ist (BVerfGE 33, 1, 14 f.). Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können (vgl. BVerfGE 61, 1, 8; BVerfGE 90, 241, 247). Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. BVerfGE 61, 1, 8; BVerfGE 90, 241, 247). Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile aber nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1, 9; BVerfGE 90, 241, 248; zu allem BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 –, juris Rn. 15).
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b. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Jedoch sind grundrechtsbeschränkende Vorschriften des einfachen Rechts wiederum im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 7, 198, 208; st. Rspr.). Das führt in der Regel zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsguts, deren Ergebnis sich wegen ihres Fallbezuges nicht generell und abstrakt vorwegnehmen lässt. Wenn es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht, spricht jedoch die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfGE 85, 1, 16; zu allem und mit Nachweisen BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. August 1994 – 1 BvR 1423/92 –, juris Rn. 19 und 20).
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c. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung einer Meinungsäußerung – auch im Kontext des Tatbestands der Volksverhetzung – ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (st. Rspr., vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2002 – 1 BvR 232/97 –, juris; beispielhaft auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. Februar 2010 – 1 BvR 369/04 –, juris Rn. 36). Fehlt es bei der Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts an einer zutreffenden Erfassung des Sinnes der inkriminierten Äußerung, so kann das im Ergebnis zur Unterdrückung einer zulässigen Äußerung und damit zu derjenigen Folge führen, die Art. 5 Abs. 1 GG zu verhindern bestimmt ist. Aus diesem Grund stellt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, dessen Schutzgut die Äußerungsfreiheit ist, nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Deutung der in ihrem Wortlaut feststehenden oder vom Gericht festgestellten Äußerungen (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 –, BVerfGE 94, 1-12, juris Rn. 30, 31). Nach gefestigter Rechtsprechung maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266-319, juris Rn. 125; BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 4 StR 129/11-, juris Rn. 23; BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 204 StRR 574/21 –, juris Rn. 26; Schäfer/Anstötz, MüKo-StGB, 4. Aufl., § 130 Rn. 110).
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aa. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der konkrete Wortlaut der Äußerung. Der Wortlaut legt den Sinn der Äußerung aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und ihren Begleitumständen bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266-319, juris Rn. 125; BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 204 StRR 574/21 –, juris Rn. 26; BayObLG, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juni 2023 – III-5 ORs 34/23 –, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 – 1 Ws 75/06 –, juris Rn. 17; Schäfer/Anstötz a.a.O. § 130 Rn. 110).
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bb. Die Auslegung einer strafverfahrensgegenständlichen Erklärung auf ihren Sinn ist alleine die Sache des Tatrichters (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016 – 3 StR 449/15 –, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 15. November 1967 – 3 StR 4/67 –, BGHSt 21, 371-373, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 204 StRR 574/21 –, juris Rn. 26; BayObLG, Beschluss vom 22. August 1994 – 4St RR 81/94 –, juris Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2020 – (5) 161 Ss 74/20 (31/20) –, juris Rn. 46; Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl. § 337 Rn. 32 m.w.N.). Dem Revisionsgericht ist eine eigene Bewertung der Äußerung versagt (BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – 3 StR 124/16 –, juris Rn. 16 zu § 241 StGB; Schmitt a.a.O. § 337 Rn. 32). Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung grundsätzlich selbst dann verwehrt, wenn der Inhalt der Äußerung wörtlich und vollständig im Urteil festgestellt ist (OLG Zweibrücken a.a.O. Rn. 40).
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cc. Der Tatrichter hat die gesamten Begleitumstände zu berücksichtigen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 –, juris Rn. 17; BGH, Beschluss vom 03. Mai 2016 – 3 StR 449/15-, juris Rn. 5 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 6. März 2025 – 206 StRR 433/24 –, juris Rn. 31 m.w.N.).
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dd. Er muss sich mit allen in Frage kommenden, insbesondere den sich aufdrängenden Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen und in seinem Urteil in rechtsfehlerfreier Weise mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen diejenigen ausscheiden, die nicht zur Bestrafung führen können (st. Rspr., vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 –, juris; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016 – 3 StR 449/15 –, juris Rn. 5). Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung oder ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgerichtete Auslegung, auf die günstigere Deutungsmöglichkeit abzustellen, wenn diese nicht ihrerseits ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. BGH a.a.O.).
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ee. Das Urteil muss die erforderlichen Feststellungen enthalten, um dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung in dieser Hinsicht zu ermöglichen. Die Aufgabe des Revisionsgerichts ist es, die Schlussfolgerungen, auf denen die Auslegung beruht, darauf zu überprüfen, ob sie einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungs-, Denk- oder Sprachgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lassen (vgl. BGH a.a.O.). Hat der Tatrichter verkannt, dass mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, stellt dies in der Revision einen durchgreifenden Rechtsfehler dar (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – 3 StR 27/18 –, juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2020 – (5) 161 Ss 74/20 (31/20) –, juris Rn. 46). Die Verurteilung wegen einer Äußerung verstößt schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 –, juris Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 –, BVerfGE 94, 1-12, juris Rn. 31; BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. August 1994 – 1 BvR 1423/92 –, juris Rn. 21 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 6. März 2025 – 206 StRR 433/24 –, juris Rn. 31).
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3. Diesen Vorgaben der Rechtsprechung zur Reichweite der Meinungsfreiheit und den Anforderungen an die Fassung der Urteilsgründe im Falle der Verurteilung wegen einer Meinungsäußerung genügen die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil nicht. So hat das Landgericht – insoweit abweichend zu dem vom 5. Strafsenat entschiedenen Fall – den Adressaten nicht hinreichend eindeutig bestimmt (zu den Anforderungen vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 130 Rn. 4 ff.; Krauß a.a.O. Rn. 33 ff.), sondern im Urteil ausgeführt, der Text wende sich gegen in Deutschland lebende Muslime „bzw“ aus arabischen oder muslimisch geprägten Ländern stammende Ausländer „oder auch“ deutsche Staatsangehörige mit entsprechendem kulturellen Hintergrund (Urteil S. 7). Der vom Landgericht festgestellte Personenkreis erfasst damit mehrere mögliche Gruppen mit sich deutlich unterscheidenden Identitätsmerkmalen, so dass eine Abgrenzung von der Gesamtbevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale nicht mehr eindeutig möglich ist (vgl. dazu Krauß a.a.O. Rn. 36). Als Beleg für ihre im weiteren Verlauf nicht mehr begründete Annahme, der Text richte sich gegen alle in Deutschland lebenden Muslime, hat die Strafkammer nur die von ihr als inkriminiert erachteten einzelnen Textstellen der Verlautbarung herausgegriffen, diese Passagen jedoch nicht wie geboten in den Gesamtkontext eingestellt und damit lediglich eine unzulängliche Prüfung des Erklärungsinhaltes des Gesamttextes vorgenommen. Sie hat sich nicht damit befasst, dass nach dem Gesamtinhalt des Beitrags mit Blick auf die zahlreichen Spezifizierungen des Verfassers, die ersichtlich nicht auf alle in Deutschland lebenden Muslime passen, möglicherweise eine andere Auslegung, nämlich eine Kritik an nicht integrationsbereiten arabisch stämmigen Muslime, nahe liegen könnte (vgl. zu dem Gebot der Beachtung des Kontextes BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 –, juris Rn. 21; zu alternativen erörterungspflichtigen Deutungen des verfahrensgegenständlichen Textes vgl. OLG Zweibrücken a.a.O. Rn. 64).
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a. Nach den Feststellungen des Landgerichts wendet sich der Verfasser an bestimmte „Zuwanderer“, die anders als andere von ihm benannte Nationalitäten Stadtviertel terrorisierten mit „mittelalterlichen Unsitten & Gebräuchen“, die das Leben anderer nach ihren Vorstellungen gestalten wollten, die Ansprüche auf eine Moschee, nur Halal Essen, islamische Feiertage, abgetrennte Bereiche in Schwimmbädern, gesonderte Behandlung in der Schule und materielle Ausstattung stellten, mehrere Frauen und zahlreiche Kinder hätten und forderten, alle Ungläubigen müssten getötet werden. „Es“ werde geraubt, überfallen, verprügelt, vergewaltigt und gemordet.
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b. Gegen die Annahme des Landgerichts, der Verfasser habe damit alle in Deutschland lebenden Muslime gemeint, könnte sprechen, dass der Ersteller des Textes selbst den Begriff der Muslime – möglicherweise bewusst – nicht verwendet, sondern die Formulierungen „Kulturkreis“ und „Volk aus dem Morgenland“ genutzt hat; die Betroffenen sollten „zurück“ (sic) „hinter den Bosporus oder nach Afrika“. Mit diesen Vorbehalten im Text hat sich das Landgericht nicht beschäftigt.
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c. Das Landgericht hat sich nicht damit befasst, dass die Formulierung „Volk aus dem Morgenland“ verbunden mit „zurück hinter den Bosporus oder nach Afrika“ nach allgemein zugänglichen Quellen keine eindeutige geographische Zuordnung der vom Angeklagten angesprochenen Personen zulässt. Eine konkrete Nationalität oder Etnie wird nicht hinreichend bestimmbar tituliert (vgl. Eintrag in der Online-Enzyklopädie wikipedia zu „Morgenland“).
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d. Aufgrund der – vagen – Bestimmung der Herkunftsregion, der vorgesehenen Rückreiseziele und der ausdrücklichen Abgrenzung unter anderem zu „Griechen“, „Italienern“ und „Russen“ wird der zahlenmäßig nicht unerhebliche Bevölkerungsanteil der in Deutschland lebenden Muslime, die etwa aus Nord-, West-, Süd- und Mitteleuropa, aus osteuropäischen Ländern einschließlich der Ukraine und Russland oder aus der Region der geographisch in Europa liegenden Türkei stammen, nicht zweifelsfrei erfasst, zumindest fraglich ist der Bezug zu Muslimen aus Indonesien, Indien oder dem südasiatischen Bangladesch. Weshalb das Landgericht dessen ungeachtet alle in Deutschland lebenden Muslime und die aus arabischen oder muslimisch geprägten Ländern stammenden Ausländer und auch deutsche Staatsangehörige mit entsprechendem kulturellen Hintergrund als betroffen erachtet, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
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e. Das Landgericht hat sich nicht damit befasst, dass sich manche Wertungen und Ausführungen des Verfassers aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Rezipienten nicht auf alle Muslime beziehen lassen. Sie passen überwiegend weder auf eine – weibliche – Muslimin („ich habe vier Frauen“, es werde „vergewaltigt“) noch auf gemäßigte Muslime (vgl. Grundsatzerklärung des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) zur Beziehung der Muslime zum Staat und zur Gesellschaft (Islamische Charta), dort Nummern 11, 12 und 13), während der Text indes die Gesinnung und Forderungen von radikalen, gewaltbereiten, fundamentalistischen, islamistischen Männern beschreibt, die, etwa als „Kämpfer des Islamischen Staats“ aus Syrien eingereist, einen Staat mit islamischer Ordnung nach islamischem Recht propagieren und gegen sogenannte Ungläubige vorgehen. Der Begriff des Islam hat nicht nur eine spirituell-religiöse, sondern auch eine politische Dimension im Sinne eines Sich-Berufens auf den Islam, um politische Ziele durchzusetzen.
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f. Käme der Tatrichter zu einer Deutung, dass sich die Äußerungen des Verfassers an extremistische Vertreter des politischen Islam und religiös radikalisierte Gewalttäter richten, die aus seiner Sicht eine Gefahr für die einheimische Bevölkerung darstellen (vgl. zu möglichen Deutungsvarianten auch OLG Zweibrücken a.a.O. Rn. 64), wäre bei Zugrundelegung dieses Erklärungsinhalts bereits die Abgrenzbarkeit der Adressaten, jedenfalls aber die Eignung der Äußerung, den öffentlichen Frieden im Inland zu stören, fraglich (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 – 2 Rv 4 Ss 192/18 –, juris Rn. 15 bezüglich straffällig gewordener Flüchtlinge; OLG Köln, Beschluss vom 21. Januar 2025 – 1 ORs 1/25 –, juris Rn. 32 zur Ausweisung von Ausländern bei strafrechtlichen Verfehlungen). Dem Begriff des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 1 StGB ist ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –, juris Rn. 26). Zu bedenken wäre, dass es geltendem Recht entspricht, dass Personen mit einer extremen islamistischen Einstellung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen werden können (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 AufenthG; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 3. Februar 2025 – 19 CE 24.2160 –, juris Rn. 12).
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4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Veröffentlichung des Textes können aufrechterhalten bleiben.