Titel:
Erfolglose Asylklage einer Mutter mit zwei minderjährigen Kindern aus Nigeria
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3d Abs. 1, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Für Rückkehrer nach Nigeria besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine iRd § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Nigeria, Alleinerziehende Mutter, Hohepriester, Keine Abschiebungsverbote, Herkunftsland Nigeria, alleinstehende Frau mit zwei minderjährigen Kindern, interner Schutz, Meldesystem, Existenzsicherung, Lebensbedingungen in Nigeria, Gefahrenlage, Abschiebungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.07.2025 – 6 ZB 25.30591
Weiterführende Hinweise:
Rn. 47: Letzter Satz wohl unvollständig
Fundstelle:
BeckRS 2025, 16999
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klä- ger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung ode Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwen- den, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger, eine Mutter mit ihren zwei minderjährigen Kindern, nach Akteninhalt und ihren Angaben zufolge nigerianische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Yoruba zugehörig und christlichen Glaubens, reisten am 26. Dezember 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 31. Januar 2019 Asylanträge bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
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Am 31. Januar 2019 fand das Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Dabei gab die Klägerin zu 1) an, sie sei über Niger, Libyen und Italien auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Bei ihrer persönlichen Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 26. Februar 2019 gab die Klägerin zu 1) an, dass der Vater der Kinder, zu dem noch Kontakt bestehe, in Nigeria in Lagos lebe. Sie habe Italien, wo sie im Camp zwar Verpflegung, aber kein Geld erhalten habe, aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und hoffe, dass ihr in der Bundesrepublik Deutschland mehr geholfen werde.
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Am 1. Februar 2019 stellte das Bundesamt ein Aufnahmegesuch an Italien, wo die Kläger am 26. Juli 2018 Asyl beantragt hatten. Dieses Gesuch wurde mit Schreiben des Ministero dell’Interno der Republik Italien vom 11. Februar 2019 angenommen und die italienischen Behörden erklärten ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge.
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Die persönliche Anhörung der Klägerin zu 1) gemäß § 25 AsylG erfolgte am 26. Februar 2019. Dabei gab die Klägerin zu 1) an, im April 2018 ihr Heimatland verlassen zu haben und über Niger und Libyen nach Italien gereist zu sein, wo sie sechs Monate gelebt habe. Dann sei sie über die Schweiz nach Deutschland eingereist. Sie habe die primary school besucht und die secondary school begonnen, aber mangels Geld nicht beendet und als Haushälterin gearbeitet, bis ihr erster Sohn zur Welt gekommen sei. Dann habe sie in verschiedenen Gelegenheitsjobs gearbeitet. Der Hauptgrund, warum sie Nigeria verlassen habe, sei, dass sie eine bessere Zukunft für ihre Kinder haben wolle. Den Vater ihrer Kinder habe sie nicht heiraten können, da sie christlich und von einem anderen Stamm sei als er. Nach dem Tod des Vaters des Kindsvaters im Oktober 2017 habe sie ihr ältestes Kind zunächst bei der Familie des Kindsvaters gelassen, die ihn jedoch nicht wieder zurückgebracht habe. Als sie ihren Sohn habe holen wollen, hätten sie ihn ihr nicht zurückgeben wollen und gesagt, dass er auserwählt sei, der nächste Hohepriester zu werden. Dies habe sie als Christin aber nicht gewollt. Außerdem wolle sie, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Sie haben ihren Sohn dann mit sich nach Lagos genommen. Ende Dezember 2017 bis Januar 2018 sei ihr von der Familie des Kindsvaters gedroht worden, auch körperlich. Sie habe Angst gehabt, dass sie ihr Kind entführen könnten und sei zunächst zu ihrer Schwester und dann zu ihrem Vater gezogen. Dort sei sie nicht mehr bedroht worden und es habe keinen Kontakt mehr zur Familie des Kindsvaters gegeben. Sie habe dann gemerkt, dass sie kein Einkommen erwirtschaften könne und Nigeria verlassen müsse. Eine Frau habe ihr bei der Ausreise geholfen. Ob mittlerweile jemand anderes die Rolle des Hohepriesters übernommen habe, wisse sie nicht, da sie keinen Kontakt mehr zur Familie des Kindsvaters habe. Das letzte Mal sei sie telefonisch bedroht worden, als sie bei ihrer Schwester in Lagos gewesen sei. Einen Umzug in eine große Stadt ohne Meldewesen habe sie in Betracht gezogen, kenne dort aber niemanden und die Familie des Kindsvaters würde sie durch spirituelle Kraft auch dort finden.
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Mit Bescheid vom 27. Februar 2019 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab, da Italien nach der Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 8. März 2019 zur Niederschrift Klage und Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ein (M 30 K 19.50206 und M 30 S 19.50207). Das Eilverfahren wurde nach Erledigungserklärung der Kläger vom 23. Juli 2020 mit Beschluss vom 24. Juli 2021 eingestellt.
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Nach Ablauf der Überstellungsfrist am 24. Januar 2021 wurde der Bescheid vom 27. Februar 2019 mit Bescheid vom 25. Januar 2021 wieder aufgehoben und das Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 30 K 19.50206) mit Beschluss vom 15. Oktober 2021 eingestellt.
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Mit Bescheid vom 30. März 2022 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), die Anträge auf Asylanerkennung (Nr. 2 des Bescheids) und die Anträge auf subsidiären Schutz (Nr. 3 des Bescheids) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4 des Bescheids). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Kläger einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5 des Bescheids). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6 des Bescheids). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vorlägen. Ein Verfolgungsgrund durch die geltend gemachte Verfolgung durch die Familie des Kindsvaters sei bei den Klägern nicht verwirklicht. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung durch staatliche Akteure sei weder geltend gemacht worden noch sei eine solche ersichtlich. Subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG könne den Klägern ebenfalls nicht gewährt werden, da ihnen in ihrem Heimatland kein ernsthafter Schaden im Sinn dieser Vorschrift drohe. Es bestehe im Falle der Klägerin zu 1) insbesondere auch nicht die beachtliche Gefahr einer Re-Viktimisierung. Außerdem sei es den Klägern zuzumuten, sich in einem sicheren Landesteil aufzuhalten und sich dort niederzulassen (§ 3e Abs. 1 AsylG). Die Klägerin zu 1) sei gesund, überdurchschnittlich gebildet, arbeitsfähig und in der Lage sich und ihren Kindern in Nigeria den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Zudem würden in Nigeria auch Hilfseinrichtungen existieren, die sich um die diversen Bevölkerungsgruppen kümmern würden. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Es drohe den Klägern in Nigeria keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Auch die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es sei davon auszugehen, dass die Kläger gemeinsam im Familienverband nach Nigeria zurückkehren würden und die Klägerin zu 1) in der Lage sei, in Nigeria für ihr Auskommen und das ihrer Familie aufzukommen. Eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben der Kläger sei nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.
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Am … April 2022 wurde für die Kläger bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erhoben und folgender Antrag gestellt:
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„1. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2022 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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3. Hilfsweise wird beantragt, den Klägern subsidiären Schutzstatus zu zuerkennen.
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4. Hilfsweisewird beantragt festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.“
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Das Bundesamt legte die Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 4. Mai 2022
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Mit Beschluss vom 20. Januar 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
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Am 4. April 2025 fand die mündliche Verhandlung statt, an der für die Beklagte niemand teilnahm. Die Kläger wurden informatorisch gehört. Nach den Befürchtungen bei einer Rückkehr in die Heimat befragt führte der Kläger zu 2) aus, dass die Familie väterlicherseits Probleme mache. Der Vater der Kläger zu 2) und zu 3) sei bereits verstorben. Seine Familie würde den Kläger zu 2) gegen seinen Willen zum Hohepriester machen wollen und dies auch gegen seinen Willen durchsetzen. Hier in Deutschland fühle er sich frei, wisse aber auch, dass es möglich sei, dass er zurückgehen müsse. Er habe in Deutschland vier Jahre die Schule besucht, aber keinen Abschluss gemacht. Eine Arbeitserlaubnis habe er noch nicht, da dafür ein Schulabschluss notwendig sei. Die Klägerin zu 1) ergänzt, dass sie als Christen nicht wollen würden, dass ihr Sohn Hohepriester werde. Sie sei daher in ihrer Heimat bereits mehrfach umgezogen, die Familie sei aber immer hinterhergekommen. Zu einer aktuellen Bedrohung befragt gab die Klägerin zu 1) an, dass sie über soziale Medien bedroht werde. Auch der Kläger zu 2) habe komische Nachrichten und Bilder erhalten, die aussagen würden, dass er der Nächste in der Reihe sei. Der Klägerbevollmächtigte ergänzte, dass die Familie nun seit 2018 mit Duldung in Deutschland sei und es daher fast unvorstellbar sei, dass sie sich in Nigeria noch einmal integrieren könne. Der Kläger zu 3) gab an, dass er fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht und auch viele Freunde gefunden habe. Im Anschluss daran stellte der Klägerbevollmächtigte den Antrag aus der Klageschrift vom 20. April 2022.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte sowie auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 4. April 2025 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen worden war und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Der streitgegenständliche Bescheid stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig dar und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus (§ 3 AsylG) sowie des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG). Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) vor. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes erweist sich als rechtmäßig (§ 11 AufenthG). Die Klage war daher abzuweisen.
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Das Gericht folgt vollständig der überzeugenden Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird noch Folgendes ausgeführt:
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1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht nicht.
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1.1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559f.), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will und kein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG vorliegt.
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Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- und Schutzakteuren und der sog. inländischen Fluchtalternative regeln die §§ 3a bis e AsylG. Dabei gilt für die Verfolgungsprognose der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 07.02.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37). Der Vorverfolgte wird dabei privilegiert durch die – durch stichhaltige Gründe widerlegbare – Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (BVerwG; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
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Ob eine begründete Furcht vor einer Verfolgung vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob eine tatsächliche Gefahr („real risk“, vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330, 1331 Rn. 125), das heißt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 21-23), gegeben ist. Dafür ist eine qualifizierte Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen, insbesondere unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs und dessen Zumutbarkeit, vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 24 m.w.N.). Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung des Gerichts eine gesteigerte Bedeutung zu. Dementsprechend setzt etwa die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (vgl. etwa VG München, U.v. 15.5.2023 – M 8 K 20.30530 – UA Rn. 21 m.w.N.).
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Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei den Klägern nicht vor. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht.
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Es wurden weder bei dem Bundesamt, noch bei Gericht substantiiert individuelle Fluchtgründe für die Kläger geltend gemacht und solche sind auch nicht erkennbar. Der Vortrag, dass die Klägerin zu 1) Nigeria hauptsächlich verlassen habe, da sie eine bessere Zukunft für ihre Kinder möchte, vermag keine flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen. Die vorgetragene Verfolgung des Klägers zu 2) durch die Familie des Kindsvaters, die diesen als Nachfolger seines Großvaters zum Priester machen möchte, kann ebenfalls keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen. Diesbezüglich ist schon kein möglicher Verfolgungsgrund i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG, keine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG und kein Verfolgungsakteur i.S.v. § 3c AsylG ersichtlich. Die behaupteten Gefahren gehen weder vom Staat, noch von Parteien oder Organisationen aus, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 1 und 2 AsylG). Zwar kann eine relevante Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die staatlichen Strukturen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG). Diese Voraussetzungen sind jedoch in Nigeria nicht gegeben. Sollten die Kläger tatsächlich von Personen aus der Familie des Kindsvaters oder aus der Gemeinde bedroht werden, so müssen sie sich darauf verweisen lassen, sich an einen Schutzakteur i.S.d. § 3d Abs. 1 AsylG – hier den Staat (§ 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG) – zu wenden und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Selbst wenn diese Schutzbereitschaft des Staates im Einzelfall möglicherweise fehlen sollte, könnte dies nicht als Ausdruck einer grundsätzlichen Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des nigerianischen Staates gegenüber Bedrohungslagen gewertet werden. Kein Staat ist in der Lage, lückenlosen Schutz vor kriminellen Übergriffen Dritter zu bieten. Den Klägern wäre es also zuzumuten, sich im Fall einer ernsthaften Bedrohung an die zuständige Polizeidienststelle zu wenden. Die Klägerin zu 1) hat bisher nicht versucht, solch staatlichen Schutz zu erlangen. Darüber hinaus wurde schon gar nicht hinreichend substantiiert glaubhaft gemacht, dass eine Vorverfolgung vorlag oder eine Verfolgung droht. Die Klägerin zu 1) beschrieb lediglich ein Ereignis nach der Beerdigung des Großvaters der Kläger zu 2) und 3). Sonstige Verfolgungshandlungen wurden nicht substantiiert und glaubhaft vorgetragen. Es erscheint auch unwahrscheinlich, dass nach so vielen Jahren immer noch ein Nachfolger für den Posten des Hohepriesters gesucht wird.
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1.2. Selbst bei einer Wahrunterstellung des Vortrags der Kläger kommt eine Flüchtlingsanerkennung schon deswegen nicht in Betracht, weil es für die Kläger zu 1) bis 3) möglich und zumutbar ist, bei einer Rückkehr nach Nigeria in einen anderen Landesteil und insbesondere in eine nigerianische Großstadt zu ziehen, um dort internen Schutz i.S.d. § 3e AsylG vor der Familie des Kindsvaters zu finden (sog. inländische Fluchtalternative) und insoweit hinreichend sicher vor künftiger Verfolgung zu sein.
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Nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn ihm keine landesweite Verfolgung droht, er also in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG gegeben sind. Die Beantwortung der Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative hängt damit wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 RL 2011/95/EU (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32487 – juris Rn. 7 m.w.N.).
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Wie sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria v. 8.1.2025, Stand September 2024, S. 13), ergibt, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen. Es ist von Klägerseite weder glaubhaft gemacht worden noch sonst ersichtlich, dass bzw. wie die Familie des Kindsvaters oder die Gemeinde angesichts des in Nigeria fehlenden funktionierenden Meldesystems (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria v. 8.1.2025, Stand September 2024, S. 22) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein sollten, auf die Kläger bzw. den Kläger zu 2) bei einer Niederlassung in einer der einwohnerstarken und angesichts der dort herrschenden Lebensverhältnisse zwangsläufig anonymen Millionenstädte Nigerias zuzugreifen. Den Klägern wäre es somit möglich, sich in einem Landesteil Nigerias niederzulassen, wo eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Die Klägerin zu 1) hat im Übrigen selbst angegeben, dass sie nicht verfolgt worden sei, als sie bei ihrem Vater gelebt habe.
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Auch kann von den Klägern zu 1) bis 3) vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich in einem anderen Landesteil Nigerias bzw. in einer der Millionenstädte niederlassen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 a.E. AsylG). Von einem Ausländer kann „vernünftigerweise erwartet werden“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, wenn am Ort des internen Schutzes seine Existenzsicherung gewährleistet ist. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; OVG NW, U.v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – - juris Rn. 190 ff.; VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – juris Rn. 83 ff).
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Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz (vgl. OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Zwar wird im Lagebericht des Auswärtigen Amts (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024) ausgeführt, dass ein Ausweichen in andere Landesteile mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein könne, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft sei es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen bestehe zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten.
34
Die möglicherweise für die Kläger zu 1) bis 3) bestehende schwierigere wirtschaftliche Situation außerhalb ihres früheren Lebensumfelds in einer anderen nigerianischen Großstadt oder in einem anderen Landesteil steht hier der Zumutbarkeit aber nicht entgegen. Das Gericht geht davon aus, dass auch dort die Existenzgrundlage für die Bevölkerung, somit auch für die Kläger zu 1) bis 3), sicherzustellen ist. Die Klägerin zu 1) ist noch jung, gesund, überdurchschnittlich gebildet, arbeitsfähig und in der Lage sich und ihren Kindern in Nigeria den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies war ihr auch bereits vor ihrer Ausreise möglich. Auch der Kläger zu 2) kann bereits durch eigene Tätigkeiten zum Familieneinkommen beitragen und der Kläger zu 3) ist alt genug, um nicht mehr rund um die Uhr betreut werden zu müssen. Es ist damit hinreichend sicher, dass die Klägerin zu 1) im Fall einer Rückkehr nach Nigeria auch in einer anderen nigerianischen Großstadt bzw. in einem anderen Landesteil in der Lage sein wird, durch Arbeitsaufnahme jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das Existenzminimum für ihre Kinder und sich sicherzustellen (vgl. zu den Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums auch BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11).
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Infolgedessen konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Kläger zu 1) bis 3) in ihrem Herkunftsland von einer Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG bedroht sind.
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2. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG ist nicht gegeben, weil schon die weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG nicht vorliegen.
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3. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG besteht für die Kläger ebenfalls nicht.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei neben der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei muss die Art der Behandlung oder Bestrafung eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
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Gemessen daran haben die Kläger keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Weshalb ihnen in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG drohen würde, ist unter keinem Gesichtspunkt auch nur ansatzweise erkennbar geworden. Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) oder eine drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) haben die Kläger weder geltend gemacht, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) liegen nicht vor. In Nigeria besteht gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor, bei dem die drohenden allgemeinen Gefahren eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt ist (zu den rechtlichen Maßstäben einschl. des lokalen Anknüpfungspunktes vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 15,17,18; BayVGH, B.v. 9.1.2015 - 13a ZB 14.30449 – juris Rn. 10). Glaubhafte individuelle gefahrerhöhende Umstände, aufgrund derer die Schutzsuchenden zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wären, wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
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Im Übrigen steht den Klägern zu 1) bis 3) wie oben ausgeführt – die Möglichkeit internen Schutzes offen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
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4. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie im Bescheid des Bundesamts vom 30. März 2022 zutreffend ausgeführt worden ist.
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4.1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist nicht ersichtlich.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
44
4.1.1. Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26). Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413 und v. 28.6.2011 – 8319/07 und 11449/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – Rn. 24 f.; VGH BW, U.v. 24.7.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
46
Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist – wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen dabei ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ist ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26).
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Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat. Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen.
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Das Bundesamt hat zutreffend angegeben, dass für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen sei, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris). Es ist anzunehmen, dass es den Klägern gelingen wird, durch eigene Arbeitstätigkeit und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Unterstützung der vor Ort tätigen Hilfsorganisationen das Existenzminimum der Familie zu sichern. Die Kläger zu 2) und zu 3) haben nach eigenen Angaben in Deutschland die Schule besucht. Die Klägerin zu 1) ist gesund, überdurchschnittlich gebildet, arbeitsfähig und es war ihr bereits vor ihrer Ausreise möglich, den Lebenshalt für sich und ihre Kinder ausreichend zu sichern. Anhaltspunkte, dass ihr dies nun nicht mehr möglich sein sollte, wurden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Es ist also davon auszugehen, dass es der Klägerin zu 1) gelingen wird, das Existenzminimum für sich und die Kläger zu 2) und zu 3) zu erwirtschaften. Zudem ist es den Klägern auch möglich und zumutbar, Leistungen aus den – überwiegend an die freiwillige Ausreise anknüpfenden – Rückkehrprogrammen in Anspruch zu nehmen (vgl. dazu grundlegend BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris Rn. 25; vgl. zu den Rückkehrprogrammen etwa VG Würzburg, U.v. 14.4.2021 – W 10 K 19.32043 – juris Rn. 69). Für die Kläger ist somit bei der zu unterstellenden Rückkehr im Familienverbund nichts erkennbar, was im Ergebnis durchgreifend gegen die Möglichkeit der Existenzsicherung durch die Klägerin zu 1) sprechen könnte. Überdies ist auch der Kläger zu 2) bereits in einem arbeitsfähigen Alter und kann zum Familieneinkommen beitragen.
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4.1.2. Es liegt bei den Klägern auch kein außergewöhnlicher Fall vor, bei dem humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind. Ein Abschiebungsverbot ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vortrag, wonach die Kläger zu 2) und 3) einen Großteil ihres Lebens in Deutschland verbracht habe und hier gut integriert sind.
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Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit über 220 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Die extreme Armut liegt bei ca. 45% der Bevölkerung. Ende 2023 waren ca. 18,6 Mio. Menschen von Ernährungsunsicherheit/Hunger betroffen, im August 2024 waren es geschätzt 31,8 Mio., rund 15% der Bevölkerung. Ursachen sind u. a. eine Kombination aus schlechter Sicherheitslage, unproduktiver (Land-) Wirtschaft und Auswirkungen des Klimawandels (Dürren und Überflutungen). Der nigerianische Staat leistet keinerlei flächendeckende, verlässlich verfügbare Unterstützung für notleidende Bevölkerungsteile (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024, S. 18). Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten im öffentlichen Gesundheitssektor in der Regel unter europäischem Standard; der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern westlichen Medizinstandard. Dabei gibt es sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024, S. 19). Die gängigen Antiphlogistika und Schmerzmittel sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente für HerzKreislauferkrankungen und zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden sind in Apotheken und in geringerem Maße v.a. in privaten Kliniken erhältlich (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024, S. 19). Die Rechte des Kindes werden in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria – und damit auch für deren Kinder – nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Darüber hinaus können viele Frauen im Norden keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß)-Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 8. Januar 2025, Stand September 2024; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Situation alleinstehender Frauen vom 14.7.2010; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung vom 21.6.2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Update vom 12.4.2010).Vor diesem Hintergrund kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung von alleinstehenden Frauen mit Kindern nach Nigeria stets gegen die EMRK verstieße.
51
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1) in Nigeria nicht in der Lage wäre, etwa durch eine Arbeitsaufnahme ein kleines Einkommen zu erzielen, um damit den Lebensunterhalt für ihre Kinder und sich zu finanzieren (siehe oben). Im Übrigen können die Kläger bei einer freiwilligen Rückkehr nach Nigeria Unterstützungsleistungen von diversen Hilfseinrichtungen in Anspruch nehmen. Zudem haben die Kläger auch bereits in Nigeria gelebt, so dass sie die Gepflogenheiten und Gegebenheiten vor Ort kennen und davon auszugehen ist, dass ihnen eine Integration möglich sein wird.
52
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des klägerischen Vortrags und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
53
4.2. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Insbesondere sind keine eine Abschiebung beeinträchtigende gesundheitlichen Gründe glaubhaft gemacht worden.
54
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht.
55
4.2.1. Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit. Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
56
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Eine vorhandene Erkrankung eines Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht (vgl. statt vieler: BVerwG, B.v. 12.7.2015 – 1 B 84.16 – Rn. 4 m.w.N.).
57
Eine solche erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ist nicht erkennbar. Vorliegend ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Kläger zu 1) bis 3) an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leiden, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
58
4.2.2. Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
59
Allgemeine Gefahren – also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land – sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich auch dann kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
60
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
61
Hiervon ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
62
5. Die auf die Ablehnung des Asylantrags beruhende Ausreiseaufforderung und gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sind nicht zu beanstanden. Auch an der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG bestehen keine Zweifel.
63
Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 83b AsylG. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.