Inhalt

OLG München, Endurteil v. 21.05.2025 – 7 U 442/23 e
Titel:

Vorläufige Vollstreckbarkeit, Revisionsgründe, Interessenwahrnehmung, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Wahlvorschlagsrecht, Nichtzulassung, Mindestmitgliederzahl, Zulassung von Wahlvorschlägen, Vertreterversammlung, Privilegierung, Zurückweisung, Höchstzulässiges, Genossenschaften, Ausübung, sachlicher Grund, Unterstützerunterschriften, Binnenstruktur, Voraussetzungen, Wahlbezirke

Schlagworte:
Vertreterwahl, Wahlordnung, Unterstützungsquorum, Wahlbezirke, Chancengleichheit, Stimmzersplitterung, Mitgliederrechte
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12054

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 08.09.2022, Az. 5 HK O 5571/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten mittels Beschlussmängelklage um die Wirksamkeit einer Beschlussfassung der Vertreterversammlung der Beklagten über die Wahlordnung für die Vertreterwahl.
A.
2
Die Beklagte ist eine eingetragene Genossenschaft, deren Unternehmensgegenstand die Durchführung von banküblichen und ergänzenden Geschäften in einem räumlich begrenzten Geschäftsbereich (“München und Oberbayern sowie angrenzende Regionen“, § 1 Abs. 3 der Satzung) ist. Zum 31.12.2020 hatte die Beklagte 317.283 Mitglieder.
3
Die Rechte der Mitglieder in den Angelegenheiten der Genossenschaft werden von Vertretern der Mitglieder in der Vertreterversammlung ausgeübt (§ 26 der Satzung). Die Vertreter werden von den Mitgliedern gewählt.
4
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten und gewählter Vertreter. Der Kläger ist des Weiteren 1. Vorsitzender des „die-freie-Liste.org e.V.“, der wiederum ein von der Beklagten unabhängiger Verein ist, dessen Mitglieder Genossen der Beklagten sind und dessen Ziel es ist, bei den Vertreterwahlen eine zweite Liste zur Wahl zu stellen, um „die Zusammensetzung der Vertreterversammlung stärker der Mitgliederstruktur anzunähern“ (vgl. den Internetauftritt des „die-freie-Liste.org e.V.“ laut Anl. B 2).
5
Die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beschlussfassung am 10.12.2020 geltende Satzung der Beklagten laut Anl. B 1 lautete auszugsweise wie folgt:
„§ 26 c Wahlturnus und Zahl der Vertreter
1. Die Wahl zur Vertreterversammlung findet alle fünf Jahre statt. Für je angefangene 1.400 Mitglieder ist nach Maßgabe der gemäß § 26 e Abs. 2 aufzustellenden Wahlordnung ein Vertreter zu wählen (…).
(…)
3. Für die Wahl der Vertreter wird der Geschäftsbereich (§ 1 Abs. 3) in Wahlbezirke eingeteilt. Der Vorstand bestimmt die Wahlbezirke und setzt die Zahl der auf jeden Wahlbezirk entfallenden Vertreter nach dem Verhältnis der auf die einzelnen Wahlbezirke entfallenden Mitglieder fest.
4. Für die Durchführung der Vertreterwahl ist durch die letzte vor der Wahl stattfindende Vertreterversammlung ein Wahlausschuss zu bilden, der aus je zwei Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat und fünf Mitglieder der Genossenschaft besteht. Den Vorsitz in dem Wahlausschuss führt ein von diesem gewähltes Mitglied. Die Mitglieder des Wahlausschusses dürfen nicht zugleich für die Vertreterwahl kandidieren.
(…)
§ 26 e Wahlverfahren
1. Die Vertreter sowie die Ersatzvertreter werden in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
2. Näheres über das Wahlverfahren einschließlich der Feststellung des Wahlergebnisses regelt die Wahlordnung, die vom Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund übereinstimmender Beschlüsse erlassen wird und die gemäß § 30 lit. p der Zustimmung der Vertreterversammlung bedarf.
(…)“
6
Am 10.12.2020 fand eine Online-Vertreterversammlung der Beklagten statt.
TOP 9 der Tagesordnung der Vertreterversammlung laut Anl. K 9 lautete: „Beschlussfassung über die Zustimmung zur geänderten Wahlordnung für die Vertreterwahl auf Basis der Musterwahlordnung für …-Banken (Stand März 2019) in den aufgeführten Paragraphen.“ Die zur Abstimmung gestellte Wahlordnung (Anl. B 4) lautete auszugsweise wie folgt.
„§ 2
Wahlausschuss (…)
(2) Der Wahlausschuss besteht aus je zwei Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats und fünf Mitgliedern der Genossenschaft.
(…)
Die Mitglieder der Genossenschaft werden von der Vertreterversammlung gewählt (…).
(…)
§ 3
Wahlberechtigung (…)
(3) Die Mitglieder sind in dem Wahlbezirk wahlberechtigt, in dem sie ständig wohnen oder in dem sich ihr Sitz befindet. Mitglieder, deren Wohnsitz oder Sitz nicht in einem der Wahlbezirke liegt, sind in dem Wahlbezirk wahlberechtigt, in dem die Hauptstelle der Genossenschaft ihren Sitz hat.
(…)
§ 4
Wahlform
Die Wahl wird als Listenwahl durchgeführt.
§ 5
Wahlausschreibung
Der Wahlausschuss gibt (…) im Kundenjournal „… aktuell“ der …-Bank München eG die Bezeichnung und die Grenzen der Wahlbezirke je mit der Zahl der in den einzelnen Wahlbezirken zu wählenden Vertreter bekannt.
§ 6
Wahlvorschläge des Wahlausschusses
(1) Der Wahlausschuss erstellt für jeden Wahlbezirk einen Wahlvorschlag.
Die Wahlvorschläge sind zur Einsicht der Mitglieder in den Geschäftsräumen der Genossenschaft für die Dauer von einem Monat auszulegen (Auslegungsfrist).
(2) Jeder Wahlvorschlag muss enthalten:
a) so viele Vertreter, wie in dem Wahlbezirk zu wählen sind, drei Ersatzvertreter und b) Vor- und Zuname sowie Anschrift, Telefonnummer oder E-Mail-Adresse und Mitgliedsnummer bei der Genossenschaft jedes Vorgeschlagenen.
(…)
§ 7
Weitere Wahlvorschläge
(1) In der Wahlausschreibung nach § 5 weist der Wahlausschuss darauf hin, dass innerhalb der Auslegungsfrist (§ 6 Abs. 1) von den Mitgliedern beim Wahlausschuss für jeden Wahlbezirk weitere Wahlvorschläge eingebracht werden können; vorher eingereichte Listen können nicht berücksichtigt werden.
(2) Die gemäß vorstehendem Abs. 1 eingebrachten Wahlvorschläge müssen die in § 6 Abs. 2 genannten Voraussetzungen, mit Ausnahme der in Satz 1 Buchstabe a) genannten, erfüllen.
Die Zustimmungserklärungen der Vorgeschlagenen müssen beigefügt sein.
Diese Wahlvorschläge müssen jeweils von mindestens 150 Mitgliedern unterschrieben sein, die im Wahlbezirk wahlberechtigt sind (§ 3 Abs. 3).
Die Unterschrift ist zu ergänzen durch folgende Angaben des Unterzeichnenden: Vor- und Zuname sowie Anschrift und Mitgliedsnummer bei der Genossenschaft.
Der Unterzeichner, der an erster Stelle steht, gilt als berechtigt, den Wahlvorschlag gegenüber dem Wahlausschuss zu vertreten und Erklärungen und Entscheidungen des Wahlausschusses entgegenzunehmen.
Ein Mitglied kann jeweils nur einen Wahlvorschlag durch seine Unterschrift unterstützen.
(3) Die Wahlvorschläge gemäß vorstehendem Abs. 1 sind an den Wahlausschuss bei der Genossenschaft zu richten. Der Empfang ist vom Vorsitzenden des Wahlausschusses zu bestätigen.
(4) Ein Mitglied kann nur auf einem Wahlvorschlag vorgeschlagen werden.
(…)
§ 13
Feststellung des Wahlergebnisses (…)
(2) Stand nur ein Wahlvorschlag zur Wahl, ist er gewählt, wenn er die Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen erhalten hat (…).
(3) Standen mehrere Wahlvorschläge zur Wahl, werden die Vertreter nach dem Grundsatz der Verhältniswahl (d'Hondt'sches System) entsprechend der Rangstellen der einzelnen Wahlvorschläge ermittelt; (…)
(…)“
7
Der Beschlussvorschlag der Verwaltung zu TOP 9 laut Anl. K 9 lautete: „Die Vertreterversammlung beschließt die von Vorstand und Aufsichtsrat aufgrund übereinstimmender Beschlüsse erlassene Wahlordnung in der vorgelegten Fassung.“
8
Bei 231 stimmberechtigten Vertretern wurden 201 Stimmzettel abgegeben, die alle gültig waren.
9
Es stimmten 150 Vertreter für den Beschlussvorschlag der Verwaltung, 51 dagegen.
10
Für die Wahlen zur Vertreterversammlung 2011 und 2016 war der Geschäftsbereich der Beklagten durch Beschluss des Vorstands in 17 Wahlbezirke eingeteilt worden. Bei der Wahl 2016 umfasste der größte Wahlbezirk (Wahlbezirk 16) 17.753 Mitglieder, der kleinste 14.286 (Wahlbezirk 9). Für die Wahl 2021 teilte der Vorstand durch Beschluss den Geschäftsbereich der Beklagten in zehn Wahlbezirke ein, wobei der kleinste Wahlbezirk (Wahlbezirk 6) 26.084 Mitglieder und der größte Wahlbezirk (Wahlbezirk 4) 39.744 Mitglieder umfasste (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 29.07.2022, S. 4, Bl. 150 d.A.).
11
Der Kläger trug vor, dass der Beschluss der Vertreterversammlung vom 10.12.2020 zu TOP 9 und damit zugleich die Wahlordnung nichtig seien. Es widerspreche § 43a Abs. 4 S. 6 GenG, dass für die Zulassung eines Wahlvorschlags, der nicht vom Wahlausschuss erstellt worden sei, in jedem Wahlbezirk 150 Unterstützerunterschriften verlangt würden. Bei siebzehn Wahlbezirken (wie bei der Wahl 2016) müssten Mitglieder der Beklagten, um in allen Wahlbezirken Wahlvorschläge zur Wahl stellen zu können, insgesamt 2.550 Unterstützerunterschriften sammeln. Dies sei mehr als die in § 43a Abs. 4 S. 6 GenG genannte Zahl von 150 Mitgliedern.
12
Da der Begriff des „Wahlbezirks“ im Genossenschaftsgesetz nicht auftauche, könne er zur Auslegung des § 43a Abs. 4 S. 6 GenG nicht herangezogen werden, sodass die Obergrenze von 150 Unterstützerunterschriften auf die gesamte Genossenschaft und nicht nur auf einen Wahlbezirk zu beziehen sei (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 09.02.2021, S. 13 ff., Bl. 63 ff. d.A.). Die Schaffung von Wahlbezirken diene nur dazu, die Regelung des § 43a Abs. 4 S. 6 zu umgehen und die Zahl der für einen Wahlvorschlag eines Mitglieds notwendigen Unterstützerunterschriften zu erhöhen. So sei bspw. für die Vertreterwahl 2011 – wie sich aus dem Vorstandsprotokoll laut Anl. K 5 ergebe – der räumliche Geschäftsbereich der Beklagten in 17 Wahlbezirke mit jeweils ca. 15.000 Wahlberechtigten eingeteilt worden, um unter Berücksichtigung des nach der damals geltenden Wahlordnung notwendigen Unterschriftenquorums von 1% der Mitglieder die in § 43a Abs. 4 S. 6 GenG statuierte Höchstzahl von 150 Unterstützerunterschriften möglichst ausschöpfen zu können (vgl. Klageschrift S. 7 Mitte, Bl. 7 d.A.). Im Übrigen seien die Wahlbezirke auch räumlich willkürlich eingeteilt (vgl. Klageschrift S. 6 und 7, Bl. 6 f. d.A.).
13
Der Kläger beantragte daher:
TOP 9 der online-Beschlussfassung vom 10. 12.2020 mit folgendem Wortlaut:
„TOP 9/Beschlussfassung über die Zustimmung zur geänderten Wahlordnung für die Vertreterwahl auf Basis der Musterwahlordnung für …-Banken (Stand März 2019) in den aufgeführten Paragrafen.“ wird für nichtig erklärt.
14
Die Beklagte beantragte,
Klageabweisung.
15
Die Beklagte erwiderte, dass es dem Vorstand bei der Einteilung der Wahlbezirke darum gegangen sei sicherzustellen, dass die Zahl wahlberechtigter Mitglieder in den Wahlbezirken vergleichbar und proportional sei. Die Bildung von Wahlbezirken solle die große Zahl der Mitglieder überschaubarer machen und zu einer verantwortlichen Beteiligung der Mitglieder beitragen (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 13.01.2021, S. 8, Bl. 32 d.A.). Das Unterschriftenquorum in § 7 Abs. 2 WO diene ausschließlich dem Interesse der Gesamtheit aller Mitglieder, die Wahl auf ernsthafte Kandidaten zu konzentrieren. Anderenfalls würde eine Stimmzersplitterung drohen. Diese Gefahr werde mit zunehmender Mitgliederzahl einer Genossenschaft immer größer. Denn je mehr Mitglieder eine Genossenschaft habe, um so mehr Mitglieder könnten mit Unterstützung einiger weniger anderer Mitglieder einen Wahlvorschlag zur Wahl stellen (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 13.01.2021, S. 9, Bl. 33 d.A.).
16
Mit Endurteil vom 08.09.2022, Az. 5 HK O 5571/21, das der Klägervertreterin am 27.12.2022 zugestellt wurde (vgl. Bl. zu 187 d.A.), wies das Landgericht München I die Klage ab.
17
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht u.a. aus, dass die Klage zulässig sei. Zwar sei sie auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 10.12.2020 gerichtet, jedoch müsse der Klageantrag dahingehend ausgelegt werden, dass er auf die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses gerichtet sei. Denn der vormalige Klägervertreter habe ausdrücklich ausgeführt, dass der Antrag auf die Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gerichtet gewesen sei.
18
Die Klage sei jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen des analog anwendbaren § 241 Nr. 3 AktG nicht erfüllt seien. Denn der Beschluss sei nicht mit dem Wesen der Genossenschaft unvereinbar, da die von der Vertreterversammlung beschlossene Wahlordnung nicht gegen elementare Wahlgrundsätze und insbesondere nicht gegen den in § 43a Abs. 4 S. 1 GenG verankerten Grundsatz über die Wahl der Vertreter in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl verstoße. Aus diesem Grundsatz folge, dass jedem Wahlberechtigten die gleichen Möglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung einzuräumen seien. Dies sei vorliegend der Fall, obwohl das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften diese Möglichkeit einschränke. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien Differenzierungen nicht ausgeschlossen.
19
Die beanstandete Regelung halte sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des § 43a Abs. 4 S. 1, 6 und 7 GenG. Die darin vorausgesetzte Einteilung in Wahlbezirke sei angesichts der Größe der Beklagten mit über 200.000 Mitgliedern zulässig. Das Erfordernis des Unterschriftenquorums diene der Verhinderung einer Stimmenzersplitterung und damit der Erreichung eines legitimen Ziels. Die Notwendigkeit von 150 Unterstützern pro Wahlbezirk sei auch keine unzumutbare Erschwernis, da bei aktuell zehn Wahlbezirken ein Wahlvorschlag deutlich weniger als ein Prozent der Wahlberechtigten als Unterstützer benötige. Damit werde der in § 43a Abs. 4 S. 6 GenG geforderte Prozentsatz von zehn Prozent der Mitglieder bei weitem unterschritten. Damit könnten auch Minderheiten ihre genossenschaftlichen Zweck- und Zielvorstellungen zur Geltung bringen. Zudem würden die Ergebnisse des „die-freie-liste.org. e. V.“ zeigen, dass er auch in kleineren Wahlbezirken die erforderliche Unterstützungsunterschriftenzahl erreichen und auch Mitglieder in die Vertreterversammlung entsenden könne.
20
Da die Wahl in den einzelnen Wahlbezirken stattfinde, sei es konsequent, wenn das Unterschriftenquorum für jeden Wahlbezirk gesondert zu erfüllen sei. Wie sich aus einem Vergleich mit den Bestimmungen im bayerischen Landeswahlgesetz ergebe, liege darin auch kein Verstoß gegen die tragenden Grundsätze einer demokratischen Wahl. Denn auch bei der Landtagswahl gebe es Wahlkreise (die Regierungsbezirke), erfolge die Wahl aus den Wahlkreislisten und beziehe sich die Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften gemäß Art. 27 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 BayLWG auf die jeweiligen Wahlkreise.
21
Da dem Genossenschaftsrecht die Vorstellung einer Bündelung gemeinsamer Interessen und Vorstellungen in Listen – ähnlich den für Parlamentswahlen kandidierenden Parteien – fremd sei, müsse auch nicht gewährleistet werden, dass Vereinigungen wie der „die-freie-liste.org. e.V.“ dadurch eine Erleichterung erführen, dass für die von ihnen unterstützten Bewerber möglichst niedrige Hürden für die Beteiligung an den Wahlen in den Wahlbezirken bestehen.
22
Soweit der Kläger geltend mache, die Einteilung der Wahlbezirke sei willkürlich, sei dies für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich, da die Vertreterversammlung nicht über die Einteilung der Wahlkreise zu entscheiden habe; dies sei nach § 26c Abs. 3 der Satzung Aufgabe des Vorstands.
23
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
24
Der Kläger verfolgt mit seiner mit Schriftsatz der Klägervertreterin vom 26.01.2023 (Bl. 1 f. d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, eingelegten und mit Schriftsatz der Klägervertreterin vom 22.03.2023 (Bl. 6 ff. d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am 27.03.2023, begründeten Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags sein erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter.
25
Der Kläger beantragt daher zuletzt:
26
1. Das Urteil des Landgerichts München I (Az. 5 HK O 5571/21) wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass TOP 9 der Online-Beschlussfassung vom 10.12.2020 mit folgendem Wortlaut:
„TOP 9/Beschlussfassung über die Zustimmung zur geänderten Wahlordnung für die Vertreterwahl auf Basis der Musterwahlordnung für …-Banken (Stand März 2019) in den aufgeführten Paragraphen“ hinsichtlich § 7 Abs. 2 S. 3 nichtig ist.
27
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
28
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil.
29
Der Senat hat am 21.05.2025 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2025, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
30
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerechte Berufung des Klägers, die nach § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO auch hinreichend begründet ist, bleibt ohne Erfolg.
I.
31
Die Klage ist zulässig. Nach der in der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2025 erklärten Antragsänderung dahingehend, dass nunmehr entsprechend § 249 Abs. 1 AktG die Feststellung der Nichtigkeit und nicht mehr die Nichtigerklärung geltend gemacht wird, bedarf es für die Zulässigkeit der Klage auch nicht mehr – wie noch in erster Instanz – einer Auslegung des klägerischen Antrags.
32
Da zur Nichtigkeitsklage entsprechend § 249 Abs. 1 S. 1 AktG jedes Mitglied befugt ist, ohne dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 GenG oder ein besonderes Feststellungsinteresse vorliegen müssten (Schöpflin in Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 16. Auflage, München 2018, Rdnr. 11 zu § 51 GenG), und der Kläger unstreitig Mitglied der Beklagten ist, bestehen entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 12.04.2023, S. 2, Bl. 25 d. A.) insoweit keine Zulässigkeitsbedenken.
II.
33
Die Klage ist jedoch unbegründet.
34
Die auf die Feststellung der Nichtigkeit von § 7 Abs. 2 S. 3 WO gerichtete Klage ist entsprechend § 241 AktG begründet, wenn der Beschluss der virtuellen Vertreterversammlung vom 10.12.2020 zu TOP 9, mit dem der nach § 26 Abs. 2 der Satzung vom Vorstand und dem Aufsichtsrat erlassenen Wahlordnung laut Anl. B 4 gemäß § 30 lit p der Satzung zugestimmt wurde (vgl. Anl. K 9), nichtig ist. Nichtig ist der Beschluss der Vertreterversammlung vom 10.12.2020 entsprechend § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG, wenn er mit dem Wesen der Genossenschaft nicht vereinbar ist, was wiederum der Fall ist, wenn § 7 Abs. 2 S. 3 der Wahlordnung, der die Vertreterversammlung zustimmte, gegen elementare Wahlgrundsätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 20).
35
Dies ist vorliegend nicht gegeben.
36
1. Das in § 7 Abs. 2 S. 3 WO statuierte Erfordernis, wonach ein von einem Mitglied für einen Wahlbezirk eingebrachter Wahlvorschlag von mindestens 150 Mitgliedern unterschrieben sein muss, die im jeweiligen Wahlbezirk wahlberechtigt sind, verstößt nicht gegen elementare Wahlgrundsätze, insbesondere nicht gegen den der allgemeinen und gleichen Wahl.
37
Der Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl gebietet, dass jeder Wahlberechtigte sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise soll ausüben können (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 – 2 BvL 1/81, Rdnr. 18). Dies gilt nicht nur für den eigentlichen Wahlakt, sondern bezieht sich auch auf die Wahlvorbereitung, insbesondere das Wahlvorschlagsrecht (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 – 2 BvL 1/81, Rdnr. 17). Das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften für die Einreichung gültiger Wahlvorschläge schränkt die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl ein. Es bewirkt nämlich einerseits, dass sich nicht jeder Wählbare, sondern nur derjenige zur Wahl stellen kann, der für seine Kandidatur die vorherige schriftliche Unterstützung mehrerer anderer Personen findet; insoweit beschränkt es die Allgemeinheit der Wahl bei Durchführung des Wahlaktes. Es führt außerdem zur Nichtberücksichtigung der Wahlvorschläge aller derjenigen, die nicht die erforderliche Unterschriftenzahl aufgebracht haben, und beschränkt insoweit die Gleichheit des Wahlvorschlagsrechts (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 – 2 BvL 1/81, Rdnr. 18). Die stärkere Formalisierung des Gleichheitsgebots im Wahlrecht schließt indes – wie auch sonst bei der Anwendung des Gleichheitssatzes – Differenzierungen nicht gänzlich aus. Ob und in welchem Ausmaß dem Gesetzgeber solche Differenzierungen erlaubt sind, richtet sich vielmehr auch hier nach der Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs. Insoweit bleibt dem Gesetzgeber ein gewisser Spielraum für sachlich erforderliche Ausnahmen von der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 – 2 BvL 1/81, Rdnr. 19). Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das Erfordernis einer bestimmten Unterschriftenzahl für Wahlvorschläge als sachlich gerechtfertigt angesehen, weil und soweit es dazu dienen sollte, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken, dadurch das Stimmgewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so indirekt der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen. Die Zahl der Unterschriften darf aber nur so hoch festgesetzt werden, wie es für die Erreichung dieses Zweckes erforderlich ist. Sie darf der Wählerentscheidung möglichst wenig vorgreifen und nicht so hoch sein, dass einem neuen Bewerber die Teilnahme an der Wahl praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 23.03.1982 – 2 BvL 1/81, Rn. 20).
38
2. Aus diesen vom Bundesverfassungsgericht für allgemeine politische Wahlen entwickelten Grundsätzen und der Regelung des § 43a Abs. 4 S. 6 GenG folgt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Wahlen zu Vertreterversammlungen von Genossenschaften, dass zwar jedem Wahlberechtigten die gleichen Möglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung einzuräumen sind, dass es aber gleichzeitig zulässig ist, einen Wahlvorschlag von der Unterstützung mehrerer Mitglieder abhängig zu machen, solange dadurch das Recht der Mitglieder, bei der Aufstellung der Kandidaten mitzuwirken, nicht unzumutbar erschwert wird (BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 30). Da das Genossenschaftsgesetz außer in § 43a Abs. 4 S. 6 keine weiteren Regelungen trifft, sind solche der Satzung und der Wahlordnung vorbehalten. Diese müssen gewährleisten, dass Minderheiten ihre genossenschaftlichen Zweck- und Zielvorstellungen durch Vertreter ihres Vertrauens in der Vertreterversammlung zur Geltung bringen und bei qualifizierten Mehrheitsentscheidungen mitwirken können. Der Genossenschaft verbleibt insoweit ein gewisser Spielraum bei der normativen Umsetzung (BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 30).
39
Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Einteilung des Geschäftsbereichs einer Genossenschaft in mehrere Wahlbezirke, für die jeweils eigene Wahlvorschläge zu erstellen sind, genauso zulässig wie das Erfordernis einer bestimmten Anzahl von Unterstützerunterschriften aus dem jeweiligen Wahlbezirk (BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnrn 28 und 33).
40
a. Die Einteilung des räumlichen Geschäftsbereichs der Beklagten in Wahlbezirke dient dem Zweck, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken, dadurch das Stimmgewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so der Gefahr der Stimmenzersplitterung vorzubeugen. Ohne Einteilung in Wahlbezirke würde nämlich bei einem Mitgliederstand der Beklagten von 317.283 zum 31.12.2020 die Zulassung eines Wahlvorschlags zur Wahl bereits dann zu erfolgen haben, wenn nicht einmal 0,5 ‰ der Mitglieder den Wahlvorschlag mit ihrer Unterschrift unterstützen. Damit kann einer Stimmzersplitterung nicht mehr effektiv vorgebeugt werden.
41
b. aa. Bei der Beantwortung der Frage, ob durch die verlangte Anzahl von Unterstützerunterschriften das Recht der Mitglieder, einen Wahlvorschlag zu unterbreiten, unzumutbar eingeschränkt wird, stellt der BGH nur auf das Verhältnis der Mitgliederzahl im kleinsten Wahlbezirk zur verlangten Unterstützerzahl ab. Bei einer Mitgliederzahl des kleinsten Wahlbezirks von mehr als 4.000 und der Notwendigkeit von 20 Unterstützerunterschriften, d.h. bei 0,5% der Mitglieder des Wahlbezirks, hat der BGH eine unzumutbare Einschränkung verneint (BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 33).
42
Die Bestimmung der Wahlbezirke und damit notwendigerweise gleichzeitig der Zahl der in einem Wahlbezirk wahlberechtigten Mitglieder, auf die es nach der Rechtsprechung des BGH für die Beurteilung der Frage der (Un-)Zumutbarkeit des in § 7 Abs. 2 S. 3 WO statuierten Unterschriftenquorums entscheidungserheblich ankommt, erfolgt im streitgegenständlichen Fall jedoch nicht in der Wahlordnung selbst. Vielmehr bestimmt nach § 26c Abs. 3 S. 2 der Satzung der Vorstand der Beklagten die Wahlbezirke und damit deren Anzahl, Zuschnitt und jeweilige Größe (was wohl jeweils im Vorfeld einer Vertreterwahl erfolgt, vgl. insoweit das Vorstandsprotokoll laut Anl. K 5), sodass sich die (Un-)Zulässigkeit des Unterschriftenquorums nach § 7 Abs. 2 S. 3 WO nur in der Zusammenschau mit dem jeweils letzten Vorstandsbeschluss zur Wahlbezirkseinteilung bestimmen lässt. Da der ausschlaggebende Faktor für die (Un-)Zumutbarkeit damit die Beschlussfassung des Vorstands zur Wahlbezirkseinteilung ist, Beschlüsse des Vorstands jedoch keiner Anfechtung durch Mitglieder unterliegen (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.1982 – II ZR 219/81, Rdnr. 10), kann die Frage der (Un-)Zumutbarkeit eigentlich nur im Rahmen der Anfechtung der jeweiligen Wahl (§ 15 WO) überprüft werden (vgl. BGH, aaO).
43
bb. Letztendlich kommt es darauf aber entscheidungserheblich gar nicht an, da bei der letzten Wahl zur Vertreterversammlung der Beklagten 2021 der kleinste Wahlbezirk, der Wahlbezirk 6, 26.084 Mitglieder umfasste, und deshalb zur Aufbringung der für die Zulassung des Wahlvorschlags geforderten 150 Unterschriften nur 0,58% der Mitglieder dieses Wahlbezirks den Wahlvorschlag unterschrieben haben mussten. Dies ist prozentual nur wenig mehr als in dem vom BGH entschiedenen Fall (BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11) und stellt damit keine unzumutbare Einschränkung des Vorschlagsrechts dar.
44
Dafür, dass es sich dabei um keine unzumutbare Einschränkung des Vorschlagsrechts handelt, spricht zumindest grundsätzlich auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu § 43a Abs. 4 S. 6 GenG und der darin statuierten Höchstzahl von 150 Unterstützerunterschriften. Diese Höchstzahl von 150 wird nämlich damit begründet, dass es sich dabei um zehn Prozent der nach § 43a Abs. 1 S. 1 GenG für die Bildung einer Vertreterversammlung erforderlichen Mindestzahl von Mitgliedern (1.501) handle und dass mit dieser Regelung verhindert werde, dass Wahlvorschläge von Mitgliedern durch unverhältnismäßig hohe Zulässigkeitsanforderungen unmöglich gemacht würden (BT-Drs. 16/1025, S. 87 rechte Spalte oben). Der Gesetzentwurf ging dabei davon aus, dass es bei einer Genossenschaft mit lediglich 1.501 Mitgliedern keine unzumutbare Einschränkung des Vorschlagsrechts der Mitglieder darstelle, wenn zehn Prozent der Mitglieder einen Wahlvorschlag unterstützen müssen, um ihn zur Wahl zur Vertreterversammlung zuzulassen. Dieses schon vom Landgericht vorgebrachte Argument (LGU S. 11 letzter Absatz) ist deshalb entgegen der Auffassung der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 11 erster Absatz, Bl. 16 d.A.) auch keine „haltlose Behauptung“, die keine Stütze im Gesetz finde. Zwar findet sich in § 43a Abs. 4 S. 6 GenG tatsächlich kein Prozentsatz von Mitgliedern, die für die Unterstützung eines Wahlvorschlags aufzubieten wären, sondern nur die absolute Zahl von 150 Unterstützern, jedoch lässt sich der Prozentsatz ohne weiteres aus dem Verhältnis der Mindestzahl der für die Bildung einer Vertreterversammlung erforderlichen Mitglieder und der notwendigen Zahl von Unterstützern errechnen und sind für die historische Auslegung des § 43a Abs. 4 S. 6 GenG die Gesetzesmaterialien, aus denen sich die Begründung für die geforderte Zahl von 150 Unterstützern entnehmen lässt, heranzuziehen.
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Der Senat folgert aus der Gesetzesbegründung jedoch nicht, dass ein zehnprozentiges Unterstützerquorum stets keine unzumutbare Einschränkung des Wahlvorschlagsrechts bilde. Vielmehr kommt es jeweils auf die Umstände des Einzelfalles und insbesondere die Mitgliederzahl an. Der Senat verkennt nämlich nicht, dass es bei einer kleineren Genossenschaft mit 1.501 Mitgliedern aufgrund der leichteren Ansprechbarkeit der Mitglieder wesentlich weniger schwierig ist, zehn Prozent der Mitglieder für die Unterstützung eines Wahlvorschlags aufzubieten, als – wie vorliegend – im Falle einer Genossenschaft mit mehreren hunderttausend Mitgliedern, wo dann schon mehrere Tausend Unterstützer mobilisiert werden müssten. Außerdem bestünde bei einer kleinen Genossenschaft bei einem derart hohen Quorum unter Umständen die Gefahr, dass auch Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen würden, die absehbare Erfolgsaussichten hätten (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 34).
46
Das bei der letzten Wahl erforderliche Quorum von 0,58% ist jedoch in seiner Größenordnung so weit von den in der Gesetzesbegründung bezeichneten 10% entfernt, dass es keinesfalls eine unzumutbare Einschränkung des Wahlvorschlagsrechts darstellt.
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c. Der Einwand der Berufung, es sei „enorm schwierig“ in allen Wahlbezirken die 150 Unterstützerunterschriften zu erreichen (vgl. Berufungsbegründung S. 10 zweiter Absatz, Bl. 15 d.A.), verfängt nicht.
48
aa. Zunächst trägt der Kläger selbst vor, dass der „die-freie-liste.org e.V“ bei der letzten Vertreterwahl 2021 in neun von zehn Wahlbezirken das Unterstützerquorum erreicht habe, sodass es in diesen Wahlbezirken offensichtlich keine unüberwindbaren Schwierigkeiten gab, das Unterstützerquorum zu erfüllen.
49
bb. Unabhängig davon bestehen aber schon deshalb keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, 150 Unterstützerunterschriften in jedem Wahlbezirk zu sammeln, da jedes Mitglied gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 GenG Anspruch darauf hat, bei der Genossenschaft Einsicht in deren Mitgliederliste zu nehmen, in der gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GenG u.a. die Namen und Anschriften aller Mitglieder einzutragen sind, wobei die Pflicht zur Eintragung der Anschrift eines jeden Mitglieds gerade dazu dient, eine Kontaktaufnahme unter den Mitgliedern, bspw. zur Geltendmachung von Minderheitsrechten, zu ermöglichen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung in BT-Drs. 12/5553, S. 111 linke Spalte und Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 16. Auflage, München 2018, Rdnr. 4 zu § 30 GenG). Einem Mitglied, das zum Zwecke der Einbringung eines zulässigen Wahlvorschlags Kandidaten für die Vertreterwahl finden und sodann Unterstützunterschriften für diesen Wahlvorschlag in einem Wahlbezirk sammeln will, ist nach § 31 Abs. 1 S. 2 GenG aber auch insoweit, als es um wahlberechtigte Mitglieder in diesem Wahlbezirk geht, von der Genossenschaft eine Abschrift aus der Mitgliederliste zu erteilen, da es ein berechtigtes Interesse eines jeden Mitglieds ist, potentielle Kandidaten für die Wahl zur Vertreterversammlung anzusprechen und Unterstützerunterschriften für den Wahlvorschlag zu sammeln, um einen zulässigen Wahlvorschlag einbringen zu können. Die Absicht, einen Wahlvorschlag aufstellen zu wollen, ist dabei ein ebenso berechtigtes Interesse eines jeden Mitglieds wie die Absicht, eines der Minderheitsrechte aus §§ 43a Abs. 7 und 45 GenG ausüben zu wollen (zum Einsichtsrecht zu diesen Zwecken vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung in BT-Drs. 12/5553, S. 112 rechte Spalte unten und S. 113 linke Spalte oben, Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 16. Auflage, München 2018, Rdnr. 4 zu § 31 GenG und Geibel in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, München 2024, Rdnr. 1 zu § 31 GenG).
50
Anders als die Berufung meint (vgl. Berufungsbegründung S. 4 zweiter Absatz, Bl. 9 d.A.) ergibt sich auch weder aus § 31 Abs. 1 GenG noch aus der Wahlordnung ein Erfordernis, die Mitglieder innerhalb einer „relevanten Frist von sechs Wochen“ anzuschreiben. Denn das berechtigte Interesse an einer Abschrift der Mitgliederliste, die Voraussetzung für die Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern ist, entsteht nicht erst mit der Wahlausschreibung (§ 5 WO) oder gar dem Beginn der vierwöchigen Auslegungsfrist des § 6 Abs. 1 WO, sondern bereits eine angemessene Zeit vor der Vertreterwahl und vor der Auslegung des Wahlvorschlags des Wahlvorstands, da es nur so realistischerweise einem Mitglied, das einen weiteren Wahlvorschlag i.S.d. § 7 WO einreichen will, möglich ist, zum einen weitere Mitglieder zu finden, die in seinem Wahlbezirk kandidieren wollen, und zum anderen in einem weiteren Schritt die 150 Unterstützerunterschriften für diesen Wahlvorschlag zu sammeln.
51
cc. Schließlich ist ein Mitglied, das einen weiteren Wahlvorschlag i.S.d. § 7 WO einbringen will, bei seiner Kontaktaufnahme auch nicht darauf beschränkt, andere anhand der Mitgliederliste identifizierte Mitglieder anzuschreiben. Vor allem im Hinblick darauf, dass die Mitgliederliste der Beklagten in Ermangelung einer weitergehenden Satzungsregelung i.S.d. § 30 Abs. 2 S. 2 GenG nur die Postanschrift der Mitglieder enthält, nicht aber – soweit vorhanden – deren Email-Adresse und deshalb die schriftliche Kontaktaufnahme mit anderen Mitglieder in dem insbesondere für die Sammlung der 150 Unterstützerunterschriften erforderlichen zahlenmäßig größeren Umfang (nur ein Bruchteil der angeschriebenen Mitglieder dürfte bereit sein, die gewünschte Unterstützerunterschrift zu leisten) zu hohen (Porto-)Kosten für das einbringungswillige Mitglied führt, gebieten nach Ansicht des Senats sowohl die Treuepflicht der Genossenschaft gegenüber ihren Mitgliedern als auch der von der Genossenschaft zu beachtende Grundsatz der Chancengleichheit auch bei der Vorbereitung der Wahl, dass es Mitgliedern, die einen weiteren Wahlvorschlag i.S.d. § 7 WO einbringen wollen, ermöglicht wird, durch einen Aushang in den Geschäftsstellen des jeweiligen Wahlbezirks andere Mitglieder für eine gemeinsame Kandidatur auf einem Wahlvorschlag und/oder für Unterstützerunterschriften zu motivieren. Diese Möglichkeit muss dem einbringungswilligen Mitglied auch eine angemessene Zeit vor der Wahl eingeräumt werden.
52
Der Vortrag der Beklagten, die Filialräumlichkeiten seien für die Durchführung des Geschäftsbetriebes bestimmt, weshalb dort keine Wahlwerbung betrieben werden dürfe (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 21.04.2022, S. 17 letzter Absatz, Bl. 124 d.A.), ist irrig. Denn dass die Beklagte ihre Geschäftsräume auch selbst zur Vorbereitung der Vertreterwahl nutzt, ergibt sich schon aus der Wahlordnung selbst. Denn dort ist statuiert, dass die Wahlvorschläge des Wahlausschusses für die einzelnen Wahlbezirke (§ 6 Abs. 1 S. 2 WO), die zugelassenen weiteren Wahlvorschläge i.S.d. § 7 WO (§ 9 Abs. 2 WO), die Liste der gewählten Vertreter (§ 15 Abs. 2 WO) sowie die Wahlordnung selbst (§ 17 Abs. 1 S. 1 WO) zur Einsicht der Mitglieder in den Geschäftsräumen auszulegen sind. Gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 WO haben die Mitglieder auch Anspruch auf Aushändigung der Wahlordnung während der Geschäftsstunden. Aus der Bezugnahme auf die Geschäftsstunden folgt, dass die Aushändigung in den Geschäftsräumen zu erfolgen hat, da die Bezugnahme ansonsten sinnlos wäre. Die Nutzung der Geschäftsräume zu Wahlzwecken ergibt sich aber nicht nur aus der Wahlordnung, sondern auch aus der Satzung der Beklagten. Denn nach § 26 e Abs. 4 S. 1 der Satzung ist eine Liste der gewählten Vertreter in den Geschäftsräumen auszulegen. Es findet also gerade keine (im Übrigen auch fernliegende) Trennung zwischen der Nutzung der Geschäftsräume der Beklagten zur Vornahme von Bankgeschäften im engeren Sinn einerseits und der Erledigung von Angelegenheiten der Genossenschaft andererseits statt.
53
dd. Aus den oben unter cc genannten Gründen darf die Beklagte es einem Mitglied, das andere Mitglieder für die Wahl zur Vertreterversammlung und/oder zur Unterstützung eines Wahlvorschlags gewinnen will, auch nicht verwehren, in den Geschäftsstellen im jeweiligen Wahlbezirk Kunden der Beklagten auf den beabsichtigten Wahlvorschlag anzusprechen. Dem stehen auch nicht die von der Beklagten zur Begründung eines von ihr diesbezüglich in der Vergangenheit ausgesprochenen Verbots vorgetragenen Kundenbeschwerden (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 21.04.2022, S. 17 letzter Absatz, Bl. 124 d.A.) entgegen.
54
(1) Sollte es sich bei dem angesprochenen Kunden um ein Mitglied der Beklagten handeln, wäre seine Beschwerde nämlich schon deshalb nicht beachtlich, da – wie sich dem Grundgedanken des § 31 GenG entnehmen lässt – ein Mitglied stets damit rechnen muss, von einem anderen Mitglied in Angelegenheiten der Genossenschaft – und dabei handelt es sich bei der Vertreterwahl ohne weiteres – angesprochen zu werden und umgekehrt jedes Mitglied das Recht hat, andere Mitglieder in diesen Angelegenheiten anzusprechen. Dies gilt um so mehr, wenn die Ansprache in den Geschäftsräumen der Bank erfolgt.
55
Sollte es sich bei dem angesprochenen Kunden dagegen nicht um ein Mitglied handeln, ist die durch die Ansprache hervorgerufene, zumindest subjektive empfundene Belästigung minimal, da der Kunde zur Beendigung der Ansprache nur erklären muss, dass er kein Mitglied der Beklagten ist. Sollte sich ein solcher Kunde beschweren, ist es der Beklagten aufgrund ihrer Treuepflicht und ihrer Pflicht zur chancengleichen Ermöglichung eines Wahlvorschlags, ohne weiteres zuzumuten, dies dem Kunden zu erläutern.
56
(2) Fernliegend ist schließlich auch die Befürchtung der Beklagten, die Bankkunden könnten in den Filialen von einer Vielzahl von Mitgliedern angesprochen werden, die jeweils um Unterstützung ihrer Vorschläge für die Vertreterwahlen werben (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 21.04.2022, S. 17 letzter Absatz, Bl. 124 d.A.). Denn bisher ist schon nicht ersichtlich, dass außer den Mitgliedern des „die-freie-Liste.org e.V.“ andere Mitglieder überhaupt versucht hätten, einen eigenen Wahlvorschlag i.S.d. § 7 WO zu Stande zu bringen.
57
Nach alledem ist es unter Berücksichtigung der obigen Vorgaben des Senats entgegen der Ansicht der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 7 erster Absatz, Bl. 12 d.A.) nicht so, dass es praktisch keine Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten unter den Mitgliedern gebe, was bereits eine enorme Hürde für die Kandidatensuche darstelle.
58
d. Soweit die Berufung die Sinnhaftigkeit von Wahlbezirken in Frage stellt, da die Wahlordnung nur die „Schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl)“, § 11 WO, oder das „Elektronische Wahlverfahren (Online-Vertreterwahl)“, § 11a WO, nicht aber die Stimmabgabe in Wahllokalen (Urnenwahl), zu denen die Wahlberechtigten anreisen müssten, vorsehe (vgl. Berufungsbegründung S. 3 Mitte, Bl. 8 d. A. und S. 8, Bl. 13 d.A.), und weiter vorträgt, die Einteilung in Wahlbezirke diene dazu, „die Zahl der erforderlichen Unterschriften beliebig zu vervielfachen und damit den ohnehin beträchtlichen Nachteil jeder konkurrierenden Liste gegenüber der Liste des Wahlausschusses gesetzwidrig zu erhöhen“ (Berufungsbegründung S. 8, vorletzter Absatz, Bl. 13 d.A.), ergibt sich daraus vorliegend kein Verstoß gegen elementare Wahlgrundsätze. Denn wie oben unter a dargelegt ist die Einteilung in Wahlbezirke grundsätzlich zulässig und läge ein solcher Verstoß nach der Rechtsprechung des BGH nur vor, wenn die in der Wahlordnung vorgesehene Mindestzahl von Unterstützerunterschriften das Vorschlagsrecht der Mitglieder unzumutbar einschränken würde, was sich wiederum nach dem Verhältnis der geforderten Mindestunterstützerunterschriften zu den im kleinsten Wahlkreis wahlberechtigten Mitgliedern bemisst. Dieses Verhältnis ist jedoch im streitgegenständlichen Fall nicht zu beanstanden (vgl. oben b bb).
59
e. Auch soweit die Berufung die Einteilung des räumlichen Geschäftsbereichs der Beklagten in Wahlbezirke in Frage stellt, weil die Beklagte eine einheitliche Rechtsperson ohne regionale Gliederung sei und ein Vergleich mit dem Landeswahlgesetz ergebe, dass für jede juristische Person (Landkreis bzw. kreisfreie Stadt) ein Wahlkreis zu bilden sei (vgl. Berufungsbegründung S. 14 f., Bl. 19 f. d.A.), ist dies irrelevant, da nach der oben in Bezug genommenen Rechtsprechung des BGH bei einer Genossenschaft eine Einteilung in Wahlbezirke zulässig ist.
60
f. Aufgrund der Vorgaben der BGH-Rechtsprechung sind die Mitglieder auch vor einer Einteilung in allzu kleine Wahlbezirke geschützt und kann der Vorstand, der bei seiner Entscheidung über die Wahlbezirke nicht frei ist, sondern die elementaren Wahlgrundsätze beachten muss, den räumlichen Geschäftsbereich der Beklagten nicht in beliebig viele Wahlbezirke einteilen wie die Berufung befürchtet (vgl. Berufungsbegründung S. 12 Mitte, Bl. 17 d.A.). Dies kann jedes Mitglied nach jeder Wahl zur Vertreterversammlung im Wege der Wahlanfechtung auch gerichtlich überprüfen lassen (vgl. oben b aa), sodass die Mitglieder dem Vorstand insoweit auch nicht schutzlos ausgeliefert sind. Auf die Frage, in wie viele Wahlbezirke andere …-Genossenschaften eingeteilt sind, kommt es daher nicht an. Ebenso wenig von Belang für die vorliegend streitgegenständliche Frage der Rechtmäßigkeit des § 7 Abs. 2 S. 3 WO ist die vom Kläger behauptete Willkürlichkeit des Zuschnitts der einzelnen Wahlkreise, der sich weder nach der Lage der Filialen der Beklagten noch nach deren verkehrlicher Erreichbarkeit richte (vgl. Klageschrift S. 6 und 7, Bl. 6 f. d.A., Schriftsatz des vormaligen Klägervertreters vom 09.02.2021, S. 5 und 6, Bl. 55 f. d.A. und Berufungsbegründung S. 8 dritter Absatz, Bl. 13 d.A.). Denn abgesehen davon, dass – wie die Berufung ausführt (vgl. Berufungsbegründung S. 15 unten, Bl. 20 d.A.) – die „Wahlbezirke weitgehend den Landkreisen (…) entsprechen“ und deshalb schon nicht erkennbar ist, was daran willkürlich sein soll, hat der räumliche Zuschnitt des einzelnen Wahlbezirks keinen Einfluss auf das Unterstützerquorum gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 WO, dessen Rechtmäßigkeit der Kläger bezweifelt.
61
g. Die in der Wahlordnung vorgenommene Differenzierung zwischen Wahlvorschlägen des Wahlausschusses, für die Unterstützungsunterschriften nicht erforderlich sind, einerseits und von Mitgliedern eingebrachten Wahlvorschlägen, die gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 WO von mindestens 150 Mitgliedern unterschrieben sein müssen, andererseits verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (entgegen der Ansicht der Berufung, vgl. Berufungsbegründung S. 6, dritter Absatz, Bl. 11 d.A. und S. 16 drittletzter Absatz, Bl. 21 d.A.) ebenfalls nicht gegen elementare Wahlgrundsätze. Denn während der Wahlausschuss verpflichtet ist, bei der Erstellung seines Wahlvorschlags die Eignung der von ihm benannten Kandidaten und die Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbung zu prüfen, und bei einem zumindest mehrheitlich aus gewählten Vertretern bestehenden Gremium wie dem Wahlausschuss davon auszugehen ist, dass dieses in der Lage ist, dieser Verantwortung im Interesse der Gesamtheit der Mitglieder gerecht zu werden, liegt es beim Einreicher eines anderen Wahlvorschlags anders. Ein solcher kann nämlich im Rahmen der mitgliedschaftlichen Treuepflicht denjenigen zur Wahl als Vertreter vorschlagen, durch den er seine persönlichen Interessen innerhalb der Genossenschaft bestmöglich gewahrt sieht. Diese unterschiedliche Ausrichtung des Vorschlagsrechts rechtfertigt es, „andere Wahlvorschläge“ von der Unterstützung durch eine größere Zahl von Mitgliedern abhängig zu machen.(vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 83/11, Rdnr. 35).
62
3. Da – wie oben unter 1 dargelegt – der Spielraum der Genossenschaft bei der Regelung der Wahlen zu ihrem Vertretungsorgan aber nicht nur durch das allgemeine Kriterium der Zumutbarkeit der Einschränkung des Vorschlagsrechts der Mitglieder begrenzt wird, sondern auch durch die normativen Vorgaben des Genossenschaftsgesetzes, darf die Regelung des § 7 Abs. 2 S. 3 WO, auch wenn sie keine unzumutbare Einschränkung des Vorschlagsrechts der Mitglieder darstellt, nicht gegen § 43a Abs. 4 S. 6 GenG verstoßen. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt ein solcher Verstoß im streitgegenständlichen Fall nicht vor.
63
a. Zwar statuiert § 43a Abs. 4 S. 6 GenG, dass eine Zahl von 150 Mitgliedern in jedem Fall ausreichend sein muss, um einen Wahlvorschlag einreichen zu können. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich aber, dass sich diese höchstens zu fordernde Unterstützerzahl auf den einzelnen Wahlvorschlag bezieht. Da der Geschäftsbereich der Beklagten in nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich zulässiger Weise (dazu vgl. oben unter 2) mehrere Wahlbezirke eingeteilt ist, für die jeweils eigene Wahlvorschläge zu erstellen sind, liegt ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 S. 6 GenG schon begrifflich nicht vor.
64
b. Dass die 150 Unterstützerunterschriften nach dem Wortlaut des § 43a Abs. 4 S. 6 GenG auf den einzelnen Wahlvorschlag, nicht aber auf die Genossenschaft in ihrer Gesamtheit bezogen sind, ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck eines Unterstützerquorums. Durch die Notwendigkeit einer Mindestzahl von Unterstützern soll nämlich einer Stimmzersplitterung vorgebeugt werden. Dieser Zweck kann jedoch nur erreicht werden, wenn das Unterstützerquorum der Größe der jeweiligen Genossenschaft angepasst werden kann. Bei einer kleinen Genossenschaft mit wenig mehr als der zur Bildung einer Vertreterversammlung erforderlichen Mitgliederzahl von 1.501 ist ein niedrigeres Unterstützerquorum zur Verhinderung einer Stimmzersplitterung ausreichend als bei einer Genossenschaft mit mehren hundertausend Mitgliedern. Dies kann unter Beachtung der elementaren Wahlgrundsätze über die Einrichtung von Wahlbezirken gesteuert werden.
65
c. Wie die Beklagte unwidersprochen vortrug (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 13.01.2021, S. 14 letzter Absatz und S. 15 erster Absatz, Bl. 38 f. d.A.), entsprach es auch bereits 2006, als die Vorschrift des § 43a Abs. 4 S. 6 GenG mit der Begrenzung der höchstens zu fordernden Unterstützerunterschriften eingeführt wurde, einer langjährigen Praxis, größere Genossenschaften in Wahlbezirke mit jeweils eigenen Wahlvorschlägen einzuteilen (vgl. dazu auch Müller in ders. GenG, 2. Auflage, Bielefeld 1998, Rdnr. 20 zu § 43a GenG a.F.), sodass davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber diese Praxis bekannt war und er dennoch die Unterschriftenzahl ausweislich des Wortlauts der Vorschrift ausdrücklich auf jeden einzelnen Wahlvorschlag bezog und gerade nicht auf die Genossenschaft als Ganzes.
66
4. Soweit die Berufung ausführt, dass die Wahlordnung einer Genossenschaft nach § 43a Abs. 4 S. 7 GenO nur das Wahlverfahren und die Feststellung des Wahlergebnisses regeln dürfe, nicht aber die bereits im Gesetz geregelten Bedingungen für die Zulassung von Wahlvorschlägen wie die Höchstzahl der zu erbringenden Unterstützerunterschriften durch die Verknüpfung der erforderlichen Unterstützerunterschriften mit der vom Vorstand festzulegenden variablen Zahl von Wahlbezirken zu verschärfen (vgl. Berufungsbegründung S. 7, drittletzter Absatz, Bl. 12 d.A.), dringt sie damit nicht durch. Die Ermächtigung zum Erlass einer Wahlordnung in § 43a Abs. 4 S. 7 GenG bezieht sich nämlich auch auf das „Wahlverfahren“, wozu auch die Regelung der Voraussetzungen für die Zulassung von Wahlvorschlägen gehört (vgl. Schöpflin in Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 16. Auflage, München 2018, Rdnr. 12 zu § 43a GenG). Wie viele Unterstützerunterschriften die Wahlordnung für die Zulassung eines Wahlvorschlags maximal verlangen darf, ist aber keine Frage der Reichweite der Ermächtigungsgrundlage in § 43a Abs. 4 S. 7 GenG, sondern bemisst sich nach den elementaren Wahlgrundsätzen und § 43a Abs. 4 S. 6 GenG, denen die Wahlordnung genügen muss. § 7 Abs. 2 S. 3 WO verstößt jedoch – wie oben dargestellt – weder gegen elementare Wahlgrundsätze noch gegen § 43a Abs. 4 S. 6 GenG.
67
5. Bei einem Zusammenschluss von Mitgliedern wie bspw. dem „die-freie-liste.org e.V“ in der Wahlordnung von dem Erfordernis einer Mindestunterstützerzahl von 150 pro Wahlbezirk abzuweichen – wie es sich der Kläger vorstellt – wäre auch nicht zulässig, da eine solche Regelung gegen elementare Wahlgrundsätze verstoßen würde. Denn dadurch würde das Recht eines jeden Mitglieds, in chancengleicher Weise Wahlvorschläge zu machen, verletzt. Nach § 7 Abs. 2 S. 3 WO wird nämlich der von einem einzelnen Mitglied eingebrachte Wahlvorschlag nur berücksichtigt, wenn er von mindestens 150 im Wahlbezirk gemäß § 3 Abs. 3 WO wahlberechtigten Mitgliedern unterschrieben ist. Würde diese Voraussetzung für einen Zusammenschluss von Mitgliedern dahingehend modifiziert, dass Wahlvorschläge zusammengeschlossener Mitglieder für ihre Zulassung in den einzelnen Wahlbezirken nicht mehr jeweils 150 Unterstützerunterschriften aus dem jeweiligen Wahlbezirk, sondern nurmehr insgesamt 150 Unterstützer aus dem gesamten Bereich der Genossenschaft benötigen, um in jedem Wahlbezirk einen Wahlvorschlag aufstellen zu können, so wären Mitgliederzusammenschlüsse im Hinblick auf die Zulassung ihrer Wahlvorschläge gegenüber einzelnen Mitgliedern privilegiert. Denn unabhängig davon, in wie vielen Wahlbezirken der Mitgliederzusammenschluss einen Wahlvorschlag einreicht, würden immer nur 150 Unterstützerunterschriften benötigt (wobei nach dem klägerischen Vortrag unklar bleibt, ob das höchstzulässige Unterstützerquorum von 150 gleichmäßig auf die einzelnen Wahlbezirke aufzuteilen wäre, sodass aus jedem Wahlbezirk mindestens 15 Unterstützer kommen müssten, oder ob es für die Zulassung von Wahlvorschlägen eines Mitgliederzusammenschlusses in jedem der zehn Wahlbezirke ausreichen soll, wenn zwar insgesamt 150 Unterstützerunterschriften vorgelegt werden, aber aus einem oder mehreren Wahlkreisen gar keine Unterstützerunterschriften, vgl. insoweit Berufungsbegründung S. 16 Mitte, Bl. 21 d. A.). Wie oben dargelegt (vgl. oben unter 1) schließt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl, der auch für die Ausübung des Wahlvorschlagsrechts gilt, eine gewisse Differenzierung nicht aus, solange dafür ein sachlicher Grund gegeben ist. Ein solcher ist aber für die vom Kläger geforderte Privilegierung von Mitgliederzusammenschlüssen nicht ersichtlich. Die Gliederung der Vertreter in parteiähnliche Zusammenschlüsse (“Listen“) ist – wie das Landgericht richtig feststellte (LGU S. 13 letzter Absatz und S. 14 erster Absatz) – dem Wesen der Genossenschaft fremd, sodass dies keinen zulässigen Ansatzpunkt für eine Differenzierung innerhalb der Vorschlagsberechtigten bilden kann. Auch wenn nach dem unbestrittenen Vortrag der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 12 Mitte, Bl. 17 d.A.) in der Vertreterversammlung der Beklagten stets „entlang von Listenmehrheiten“ abgestimmt wird, ändert dies daran nichts. Da das Gesetz folgerichtig insoweit keinerlei Anhaltspunkte enthält, wäre darüber hinaus auch schon unklar, welche Voraussetzungen solche Zusammenschlüsse erfüllen müssten und insbesondere, ob und gegebenenfalls welche Mindestmitgliederzahl ein Zusammenschluss aufweisen und wie die Binnenstruktur ausgestaltet sein müsste, um in den Genuss der Privilegierung zu kommen.
68
6. Warum sich – wie die Berufung meint – aus Art. 8 GG die Notwendigkeit einer Privilegierung von Zusammenschlüssen von Mitgliedern ergeben soll (vgl. Berufungsbegründung S. 4 Mitte, Bl. 9 d.A. und S. 16 letzter Absatz, Bl. 21 d.A.), erschließt sich nicht. Es steht den Mitgliedern der Beklagten frei, sich zum Zwecke ihrer Interessenwahrnehmung zu Vereinen u.ä. zusammenzuschließen. Von diesem Recht haben die Mitglieder des „die-freie-Liste.org“ e.V. auch Gebrauch gemacht. Art. 8 GG erfordert es jedoch nicht, Zusammenschlüsse von Mitgliedern bei der Wahl zur Vertreterversammlung gegenüber einzelnen Mitgliedern zu bevorzugen.
69
Nach alledem ist die Berufung unbegründet und war sie zurückzuweisen.
C.
I.
70
Der Ausspruch zu den Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger ist vollumfänglich unterlegen.
II.
71
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
III.
72
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt. Der Senat weicht weder von einer Entscheidung des BGH noch von der eines anderen Oberlandesgerichts ab. Die Entscheidung hat auch keine grundsätzliche Bedeutung.
- … … …