Titel:
Masernschutznachweis der Eltern für ihre Schulkinder
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 100 Abs. 1 S. 1
BV Art. 129 Abs. 1
IfSG § 20 Abs. 3, Abs. 9, Abs. 12, Abs. 13, § 33 Nr. 3, § 73 Abs. 1a Nr. 7d
BayEUG Art. 35 Abs. 1
OWiG § 17 Abs. 3, § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 6
StPO § 473 Abs. 1, Abs. 4
Leitsätze:
1. Trotz des damit verbundenen Eingriffs in das Erziehungsrecht bestehen keine verfassungs-rechtlichen Bedenken, wenn gegenüber sorgeberechtigten Eltern schulpflichtiger Kinder bei Unterlassen der Vorlage von Bescheinigungen zum Schutz gegen Masern eine Geldbuße verhängt wird. (Rn. 8, 9, 16 und 19)
2. Werden von Eltern zweier Kinder, die dieselbe Grundschule besuchen, Bescheinigungen zum Schutz gegen Masern nicht vorgelegt, liegt in der Regel eine Pflichtverletzung des sorge-berechtigten Elternteils in zwei tateinheitlichen Fällen vor. (Rn. 23 und 24)
Schlagworte:
Rechtsbeschwerde, Sachrüge, Bußgeld, Bußgeldbewehrung, Eltern, Sorgeberechtigung, Grundschule, Schüler, Kind, Kinderbetreuung, Masern, Masernvirus, Impfpflicht, Impfrate, Nachweis, Bescheinigung, Beratungsgespräch, einrichtungsbezogen, Gesetzgeber, Einschätzungsspielraum, Erziehungsrecht, Gemeinschaftseinrichtung, Genesenennachweis, Gesundheitsamt, Unterlassen, Konkurrenzverhältnis, Tateinheit, Tatmehrheit, Handlungspflicht, Handlungseinheit, Tatentschluss, Impfunverträglichkeit, Impfkontraindikation, Infektionsrisiko, Ansteckung, Ansteckungsrisiko, vulnerabel, Immunisierung, Herdenimmunität, Schulpflicht, Richtervorlage, Verhältnismäßigkeit, Auslegung, verfassungskonform;, Zwangsgeld, Schuldspruch, Schuldspruchänderung, Rechtsfolgenausspruch, Rechtsbeschwerdegericht, Durchentscheidung, Betretungsverbot, Corona-Virus, Masernprävention, Schulkinder, Nachweispflicht der Eltern, Eingriff in das Erziehungsrecht, Ordnungswidrigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 9725
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tirschenreuth vom 09.11.2023 dahingehend abgeändert, dass die Betroffenen jeweils wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die Pflicht zur Vorlage eines Nachweises zum Schutz gegen Masern bzw. einer Bescheinigung über die Impfkontraindikation (nach § 20 Abs. 9, 12, 13 IfSG) für Personen, die in einer Schule betreut werden, in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldbuße von jeweils 1.000 Euro verurteilt werden.
II. Die weitergehenden Rechtsbeschwerden der Betroffenen werden als unbegründet verworfen.
III. Die Betroffenen haben die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird jedoch um ein Drittel ermäßigt. Die den Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden zu einem Drittel der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen haben die Betroffenen ihre Auslagen selbst zu tragen.
Gründe
1
Gegen die Betroffenen, die sorgeberechtigte Eltern ihrer beiden die Grundschule besuchenden Kinder sind, wurden mit Bußgeldbescheiden des Landratsamts vom 02.03.2023 – getrennt nach beiden Kindern – jeweils zwei Geldbußen in Höhe von jeweils 1000 Euro verhängt, da sie vorangegangenen Aufforderungen des Gesundheitsamtes zur Vorlage von Nachweisen zum Schutz der Kinder gegen Masern bzw. einer förmlichen Bescheinigung über die Impfkontraindikation keine Folge geleistet hatten. Nach form- und fristgerechter Einlegung des Einspruchs hat das Amtsgericht aufgrund der Hauptverhandlung vom 09.11.2023 die Betroffenen schuldig gesprochen, vorsätzlich in zwei tatmehrheitlichen Fällen entgegen § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1, Abs. 13 IfSG für Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG betreut werden, einen Nachweis nicht vorgelegt zu haben, und sie deshalb zu Geldbußen von jeweils zweimal 800 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil haben beide Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie jeweils mit der Verletzung materiellen Rechts begründet haben.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihren Stellungnahmen vom 26.01.2024 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 09.11.2023 im Konkurrenzverhältnis dahingehend abzuändern, dass die Betroffenen schuldig sind des Verstoßes in zwei tateinheitlichen Fällen und deshalb zu einer Geldbuße von jeweils 1600 Euro verurteilt werden.
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Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG jeweils statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde führt – unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsbeschwerde als unbegründet – zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Schuldspruch und im Rechtsfolgenausspruch.
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1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts sind die Betroffenen sorgeberechtigte Eltern ihrer Kinder A, geb. 2013, und B, geb. 2015, die im Schuljahr 2022/2023 dieselbe Grundschule besuchten. Da die Betroffenen auf Verlangen der Schule keine Unterlagen zum Schutz ihrer Kinder gegen Masern vorgelegt haben, wurden sie mit insgesamt vier Schreiben des zuständigen Gesundheitsamtes aufgefordert, Bescheinigungen über eine Masernimpfung, einen Genesenennachweis, eine förmliche Bescheinigung über eine Impfkontraindikation oder einen sonstigen Nachweis, dass die Kinder vor Masern geschützt seien, vorzulegen. Diese Verpflichtung war den Betroffenen bekannt, gleichwohl sind sie ihr nicht nachgekommen. Die Betroffenen lehnen die Masernimpfung grundsätzlich ab.
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2. Die Betroffenen haben aufgrund der zwar knappen, aber rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts jeweils eine Ordnungswidrigkeit nach § 73 Abs. 1a Nr. 7d IfSG vorsätzlich begangen.
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a) Die Kinder der Betroffenen, die nach dem ... .1970 geboren sind, besuchten im Schuljahr 2022/2023 eine Grundschule und damit eine Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG. Sie waren damit nach § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, Satz 4 IfSG verpflichtet, einen ausreichenden Impfschutz, eine Immunität gegen Masern bzw. einen Nachweis über eine Impfkontraindikation aufzuweisen. Die sorgeberechtigten Eltern der Kinder waren damit nach § 20 Abs. 12, Abs. 13 IfSG verpflichtet, dem Gesundheitsamt auf Aufforderung entsprechende Nachweise vorzulegen.
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b) Gegen diese Verpflichtung haben die Betroffenen in Kenntnis der Tatumstände vorsätzlich verstoßen. Insoweit nimmt der Senat zur weiteren Begründung ergänzend auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 26.01.2024 Bezug.
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3. Der Senat erachtet die Regelungen in § 20 Abs. 8, 9, 12, 13 IfSG i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 7d IfSG nicht für verfassungswidrig, sodass die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht geboten ist. Eine Richtervorlage ist vielmehr bereits nach dem Wortlaut von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nur dann zulässig, wenn das Gericht ein für die Entscheidung maßgebliches Gesetz für verfassungswidrig hält (vgl. BeckOK/Morgenthaler Art. 100 GG Rn. 16 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
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Die Verpflichtung zur Ergreifung von Maßnahmen und zum Erbringen eines Nachweises für ausreichende Immunität gegen Masern (§ 20 Abs. 8, 9, 12, 13 IfSG) ist ein nicht unerheblicher Eingriff des Staates in das Recht der Eltern zur Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und – durch die Ausübung von Druck auf die Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen – ein mittelbarer, zielgerichteter Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Diese Eingriffe sind aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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a) Die genannten Bestimmungen des IfSG sind formell verfassungsgemäß. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. Rn. 84 ff. bei juris = NJW 2022, 2904, 2909). Auch wenn diese Entscheidung Kindertagesstätten und nicht Schulen betrifft, besteht insoweit kein maßgeblicher Unterschied.
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b) Die mit der Nachweispflicht und der bei einem Verstoß vorgesehenen Bußgeldbewehrung verbundenen Eingriffe sind – bei verfassungskonformer Auslegung von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG dahingehend, dass die Impfpflicht bei ausschließlichem Vorhandensein von Kombinationsimpfstoffen nur dann gilt, wenn es sich dabei um solche handelt, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken (BVerfG a.a.O. Rn. 98) – verhältnismäßig.
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aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit der Zielsetzung, durch Impfung oder Nachweis der bestehenden Immunisierung bzw. Vorlage einer Bescheinigung über die Impfunverträglichkeit, das Ziel, die Ansteckung vulnerabler Gruppen durch Masern zu vermeiden, und damit einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck (BVerfG a.a.O. Rn. 103, 105).
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bb) Die für Schüler bzw. deren Eltern geltende Pflicht, eine ausreichende Immunisierung gegen Masern nachzuweisen ist geeignet, die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen (BVerfG a.a.O. Rn. 112 – 115).
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cc) Die Pflicht, bei Betreuung in einer Schule eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen sind sowohl zum Schutz der einzelnen als auch zum Schutz der Bevölkerung vor Masern im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Dabei hat sowohl die Fach- als auch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu respektieren, dass dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Erforderlichkeit ein Einschätzungsspielraum zukommt, der nur einer begrenzten Kontrolle zugänglich ist (BVerfG a.a.O. Rn. 116 ff.).
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dd) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs erweisen sich die bußgeldbewehrten Regelungen in § 20 Abs. 12, Abs. 13 IfSG als angemessen und verhältnismäßig im engeren Sinne.
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Der Senat verkennt dabei nicht, dass im Hinblick auf die bestehende Schulpflicht für die beiden Kinder (Art. 35 Abs. 1 BayEUG i.V.m. Art. 129 Abs. 1 BV) der Nachweispflicht nach § 20 Abs. 12, 13 IfSG i.V.m. § 33 Nr. 3 IfSG ein erhebliches Eingriffsgewicht zukommt, welches größer ist als das bei Kindern vor dem Schuleintritt. Mit Wirksamwerden der Schulpflicht bleibt Eltern nämlich nicht mehr die Möglichkeit, auf eine Schutzimpfung zu verzichten und eine andere, nicht § 33 IfSG unterfallende Form der Kinderbetreuung zu wählen. Gleichwohl erweist sich die Regelung, die faktisch eine Impfpflicht darstellt, als verhältnismäßig im engeren Sinne:
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(1) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Ziel, eine Infektion der Kinder der Betroffenen und deren Mitschüler mit dem Masernvirus zu vermeiden, den Schutz eines überragend gewichtigen Rechtsguts, nämlich der Aufrechterhaltung der Gesundheit und damit der körperlichen Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Dies erfordert, nicht nur den einzelnen gegen die Erkrankung zu schützen, sondern gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung durch eine ausreichend hohe Impfrate in der Gesamtbevölkerung zu verhindern. Es besteht daher ein hohes öffentliches Interesse an einem den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entsprechenden Impfschutz der Bevölkerung, um so im Hinblick auf das hohe Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, insbesondere bei Kindern, den Eintritt schwerer, häufig mit der Infektion einhergehender Komplikationen zu vermeiden (BVerfG a.a.O. Rn. 106 ff). Dies gilt insbesondere für diejenigen Kinder und auch deren Angehörige, bei welchen aus gesundheitlichen Gründen eine Impfung kontraindiziert ist und bei denen sich ein Schutz vor den Folgen der Infektion nur über eine sogenannte Herdenimmunität herstellen lässt.
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(2) Der Gesetzgeber verzichtet – wie § 20 Abs. 3 IfSG zeigt – auf die Anordnung einer mit unmittelbarem Zwang durchsetzbaren Impfpflicht (vgl. BT-Drs. 19/13452, S. 27), ermöglicht aber bei Nichterbringung des entsprechenden Nachweises die Verhängung eines Zwangsgelds bzw. Bußgelds (BT-Drs. 19/13452, S. 30). Die Verhältnismäßigkeit der Regelung ergibt sich auch daraus, dass eine Verpflichtung zur Impfung bzw. zu deren Nachweis nicht besteht, wenn eine ausreichende Immunität gegen Masern oder eine medizinische Kontraindikation nachgewiesen ist (§ 20 Abs. 8 Satz 4, Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG). Vor Durchsetzung von Zwangsmitteln hat die Behörde – unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – grundsätzlich ein Beratungsgespräch anzubieten, § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG. Wenn Eltern ihre schulpflichtigen Kinder nicht impfen lassen, so ordnet das Gesetz in § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG den Vorrang der Schulpflicht vor der Nachweispflicht an, da bei fehlendem Nachweis hinsichtlich des Impfschutzes kein Betretungsverbot betreffend die Schulräume ausgesprochen werden darf.
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(3) Trotz des genannten erheblichen verfassungsrechtlichen Eingriffs in das Erziehungsrecht der Eltern erweist sich die Regelung, die dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Kinder dienen soll, gerade im Hinblick auf das hohe Infektionsrisiko innerhalb einer Gemeinschaftseinrichtung, wie einer Schule, wo regelmäßig eine Vielzahl von Kindern ohne nennenswerten Abstand aufeinander trifft, im Hinblick auf den vom Gesetzgeber verfolgten Gesundheitsschutz als verhältnismäßig im engeren Sinne und damit als verfassungsgemäß.
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(4) Ergänzend verweist der Senat noch auf Folgendes:
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Die Anordnung einer Impfpflicht für Kinder und einer Bußgelddrohung gegenüber den Eltern für den Fall, dass diese ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, ist mit der EMRK vereinbar (EGMR NJW 2021, 1657).
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Es kann im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit aus Sicht des Senats vorliegend nichts anderes gelten als für die Anordnung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht zum Schutz vor Ansteckung gegen das Corona-Virus, wie sie in § 20a IfSG in der Zeit zwischen dem 12.12.2021 und dem 31.12.2022 vorgesehen war. Zwar blieb hier den Beschäftigten die Möglichkeit, ihre bisherige Berufstätigkeit in einer der genannten Einrichtungen aufzugeben und eine andere Tätigkeit auszuüben. Gleichwohl ist der damit verbundene Eingriff, der die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Beschäftigten zumindest tangieren kann, ganz erheblich. Im Hinblick auf das überragende Rechtsgut des Gesundheitsschutzes, welches durch Maßnahmen des Gesetzgebers die körperliche Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisten soll – und zwar auch derjenigen Menschen, die sich durch eine Impfung schützen wollen, bei welchen diese aber aus medizinischen Gründen kontraindiziert ist –, waren die Beeinträchtigung der Freiheit zur Entscheidung gegen eine Impfung und die Sanktionsandrohung durch Geldbuße als verhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21 bei juris = NJW 2022, 1999, 2017, 2023 unter Hinweis auf den Beschluss vom 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. Rn. 237 bei juris = NJW 2022, 139, 158). Nichts anderes kann für die Verpflichtung zur Gewährleistung eines Impfschutzes in Schulen gelten, auch wenn die Schulpflicht keinerlei Alternativen zulässt.
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4. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Amtsgerichts stößt allerdings auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Den Urteilsfeststellungen zufolge haben es die Betroffenen unterlassen, für ihre beiden Kinder, die dieselbe Grundschule besuchen, die vom Gesundheitsamt geforderten Nachweise vorzulegen. Ob bei mehrfacher Gesetzesverletzung durch Unterlassung Tateinheit oder Tatmehrheit gegeben ist, kann nur im Hinblick auf die Handlungspflichten beurteilt werden. Sind mehrere Handlungen erforderlich, um mehreren – selbst gleichartigen – Pflichten nachzukommen, so sind in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden. Es ist dann von Tatmehrheit auszugehen, falls nicht die Gesetzesverletzungen durch Unterlassung als natürliche Handlungseinheit anzusehen sind (OLG Karlsruhe NStZ 1987, 284, 285; BGHSt 18, 376 (379, 381); 4, 219 f.). Eine natürliche Handlungseinheit ist insbesondere gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren (räumlichen und zeitlichen) Zusammenhang stehen, dass das gesamte Verhalten bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun bzw. Unterlassen anzusehen ist (vgl. Göhler/Thoma OWiG 19. Aufl. Vor § 19 Rn. 3 m.w.N.). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die verletzten Handlungspflichten der Verhinderung eines identischen Erfolgs oder einer identischen Gefahr dienten (BeckOK/Sackreuther OWiG [41. Ed., Stand: 01.01.2024] § 19 Rn. 13).
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So liegt es hier. Die Verstöße gegen die Verpflichtung, dem Gesundheitsamt bezüglich beider Kinder identische Unterlagen für denselben Zeitraum vorzulegen, die den Schutz gegen eine Maserninfektion bzw. den Nachweis einer Impfkontraindikation erbringen, sollen der Gefahr vorbeugen, dass beide Kinder Mitschüler oder Lehrer derselben Grundschule aufgrund des fehlenden Impfschutzes gegen Masern einem Ansteckungsrisiko aussetzen. Wenn die Betroffenen, die eine Masernimpfung grundsätzlich ablehnen, den Nachweispflichten nicht nachkommen, so handeln sie hinsichtlich beider Kinder aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses. Das gesamte Verhalten der Betroffenen steht in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang, dass es als ein einheitlich zusammengefasstes Unterlassen in zwei tateinheitlichen Fällen anzusehen ist. Der Schuldspruch des Amtsgerichts war daher – wie aus dem Tenor ersichtlich – abzuändern.
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4. Durch die Änderung des Schuldspruchs kommen die für die einzelnen Taten verhängten Einzelgeldbußen in Wegfall. Der Senat kann jedoch auch hinsichtlich der Rechtsfolgen gemäß § 79 Abs. 6 OWiG eine Sachentscheidung treffen, da der Tatrichter (gerade noch) ausreichende Feststellungen getroffen hat, auf denen die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts aufbauen kann (vgl. BeckOK/Bär OWiG [41. Ed., Stand: 01.01.2024] § 79 Rn. 133 m.w.N.; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 79 Rn. 153, 159).
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Der Senat erachtet vorliegend eine Geldbuße in Höhe von jeweils 1000 Euro für angemessen.
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Der vorsätzliche Verstoß gegen die Pflicht zur Erbringung eines Nachweises zum Schutz gegen Masern bzw. zur Vorlage des Nachweises einer Impfkontraindikation ist mit Geldbuße bis zu 2.500 Euro bedroht, § 73 Abs. 1a Nr. 7d, Abs. 2 IfSG.
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Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind Grundlage für die Zumessung der Geldbuße in erster Linie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit hängt vom sachlichen Gehalt und Umfang der Handlung ab. Der Bußgeldrahmen gibt dabei einen wesentlichen Anhaltspunkt dafür, welche Geldbuße in den einzelnen Fällen angemessen ist (vgl. Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. § 17 Rn. 16).
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Innerhalb dieser Kriterien berücksichtigt der Senat zugunsten der Betroffenen, dass diese den Verstoß eingeräumt haben. Demgegenüber geht zu ihren Lasten, dass sie denselben Tatbestand in zwei tateinheitlichen Fällen verwirklicht haben. Unter ergänzender Berücksichtigung der geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG) ist eine Geldbuße in Höhe von jeweils 1000 Euro erforderlich, zugleich aber auch ausreichend.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Dabei muss insbesondere Berücksichtigung finden, dass die Betroffenen, die die Verfassungsmäßigkeit der Bußgeldvorschrift in Frage stellen, nicht eine geringere Geldbuße, sondern in der Sache einen Freispruch erstreben.
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Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 OWiG.
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Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.