Inhalt

FG München, Urteil v. 27.02.2024 – 5 K 1794/22
Titel:

Tatsächliches Überschreiten der Kleinunternehmern-Prognose

Normenkette:
UStG § 19 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Für die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG ist im Jahr der Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit allein auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen; hier ist die Grenze von 22.000 € maßgebend. (Rn. 30)
2. Der relevante Jahresumsatz für die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG ist im „Erstjahr“ der unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich auf Basis der vom Unternehmer prognostizierten Zahlen zum Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit festzustellen. (Rn. 37)
Schlagwort:
Umsatzsteuer
Fundstellen:
EFG 2024, 1060
UStB 2024, 164
GmbH-Stpr 2025, 124
StEd 2024, 274
LSK 2024, 6891
DStRE 2025, 34
BeckRS 2024, 6891

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2016 vom 21. August 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. August 2022 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund einer unternehmerischen Tätigkeit die Umsatzsteuer aus einer von ihm am 16. September 2016 erstellten Rechnung über seine Tätigkeit als Geschäftsführer über einen Betrag von 40.000 € schuldet.
2
Der Kläger war seit dem 17. Dezember 2014 Gesellschafter einer Firma ... GmbH (im Folgenden: GmbH); die Gesellschaft war unter der Nummer HRB in das Handelsregister des Amtsgerichts eingetragen. Laut dem Handelsregisterauszug war der Kläger seit dem 15. Dezember 2015 neben einem E Geschäftsführer dieser GmbH.
3
Ein zwischen dem Kläger und der GmbH abgeschlossener Dienstvertrag vom 8. September 2016 über die Anstellung des Klägers als Geschäftsführer trat erst mit Wirkung vom 1. Juli 2016 in Kraft (§ 11 Nr. 1 des Vertrags). Ausweislich der Vorbemerkungen dieses Dienstvertrags hatte der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit bis zum 1. Juli 2016 unentgeltlich ausgeführt.
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Im Folgenden hatte der Kläger dann aber für seine Tätigkeit als Geschäftsführer bei der GmbH für den Zeitraum vom Februar 2016 bis Juni 2016 der Gesellschaft eine Rechnung über diesen Leistungszeitraum für die von ihm erbrachte Leistung mit Datum vom 16. September 2016 ausgestellt (Bezeichnung: Rechnungsnummer 2016/01), welche von der GmbH auch bezahlt wurde. Für diese Monate wurde in der Rechnung eine Vergütung von 40.000 € für die Tätigkeit als Geschäftsführer ausgewiesen. Mit Gesellschafterbeschluss der GmbH wurde im September 2016 beschlossen, dem Kläger eine einmalige „Entschädigung“ für seine Tätigkeiten zwischen Februar und Juni 2016 auszubezahlen.
5
Der Beklagte (das Finanzamt; im Folgenden: FA) erlangte nachfolgend Kenntnis von dieser Rechnung und erachtete den Vorgang als umsatzsteuerpflichtig. Da noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war, erfolgte eine Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2016, wobei die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) mangels Abgabe einer Steuererklärung geschätzt wurden. Dem Umsatzsteuerbescheid für 2016 vom 21. August 2020 wurden Umsätze zum Regelsteuersatz von 40.000 € zugrunde gelegt, woraus sich eine Umsatzsteuer von 7.600 € ergab; dabei wurden Vorsteuerbeträge mit 0 € angesetzt. Zudem wurde ein Verspätungszuschlag in Höhe von 760 € angesetzt.
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Dagegen war der Einspruch vom 24. August 2020 gerichtet.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 17. August 2022 setzte das FA die Umsatzsteuer für 2016 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf 6.386,47 € herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zudem wurden Zinsen zur Umsatzsteuer 2016 nach § 233a AO auf 889 € festgesetzt und der Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2016 wurde auf 0 € herabgesetzt. Zur Begründung seiner Entscheidung trägt das FA im Wesentlichen vor, dass nach seiner rechtlichen Beurteilung im strittigen Zeitraum von Februar bis Juni 2016 beim Kläger eine Unternehmereigenschaft vorliege. Bei der Zahlung von 40.000 € von der GmbH an den Gesellschafter handele es sich um einen umsatzsteuersteuerpflichtigen Leistungsaustausch. Die Kleinunternehmerregelung nach § 19 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) könne im vorliegenden Fall keine Anwendung finden. Die unternehmerische Tätigkeit sei im Jahr 2016 und nicht im Jahr 2015 aufgenommen worden. Nehme der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Laufe eines Kalenderjahres neu auf, sei in diesen Fällen allein auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen. Hierbei sei die Grenze von 17.500 € maßgebend. Die Grenze von 50.000 € spiele keine Rolle. Die Grenze von 17.500 € für das laufende Jahr 2016 sei überschritten worden und damit komme die Kleinunternehmerregelung nicht zur Anwendung. Allerdings sei die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer im angefochtenen Steuerbescheid unzutreffend berechnet worden. Die Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG bemesse sich nach dem Entgelt. Dies sei alles, was der Leistungsempfänger aufwende, abzüglich der Umsatzsteuer. Im Streitfall seien dies 33.613,45 € zuzüglich der Umsatzsteuer von 6.386,55 € (= 40.000 €). Dies führe zu einer Minderung der bisher festgesetzten Umsatzsteuer.
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Gegen die Einspruchsentscheidung vom 17. August 2022 ist die vorliegende Klage vom 16. September 2022 gerichtet.
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Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass er zu keiner Zeit als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG tätig gewesen sei. Er habe im betreffenden Zeitraum Januar bis Juni 2016 die Organstellung als Geschäftsführer der GmbH innegehabt. Mangels einer vertraglichen Grundlage habe er keinerlei Arbeitsleistung oder sonstige Tätigkeiten geschuldet und auch keinerlei Anspruch auf Entgelt gehabt. Da er seine Geschäftskontakte zur Entwicklung der GmbH eingesetzt habe, habe die Gesellschafterversammlung nachträglich eine Einmalzahlung von 40.000 € beschlossen und ausgezahlt. Es habe aber zu keiner Zeit die Absicht bestanden, eine nachhaltige, selbständige Tätigkeit gegen Entgelt auszuführen. Weiteres Indiz gegen die unternehmerische Tätigkeit sei die Begründung des Arbeitsverhältnisses ab Juli 2016.
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Hilfsweise werde die Anwendung der Kleinunternehmerregelung beantragt. Nach Auffassung des FA habe der Kläger am 16. Dezember 2015 seine Unternehmereigenschaft begründet. Da im Jahr 2015 keine Einnahmen und im Jahr 2016 voraussichtlich geringere Einnahmen als 50.000 € zu erwarten gewesen seien, würden die Voraussetzungen des § 19 UStG vorliegen. Ginge man davon aus, dass im Februar 2016 eine unternehmerische Tätigkeit begründet worden sei, sei bei der Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung auf die voraussichtlichen Einnahmen des laufenden Kalenderjahres aus Sicht des Beginns des (Rumpf-)wirtschaftsjahres abzustellen (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 22. November 1984 V R 170/83, BStBl II 1985, 142). Vorliegend sei es aber unstreitig, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufnahme der geplanten unentgeltlichen Tätigkeit im Februar 2016 mit Einnahmen von 0 € gerechnet habe. Die Umsatzsteuer sei somit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht zu erheben gewesen.
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Zu dem weiteren Vorbringen des Klägers wird auf die eingereichten Schriftsätze und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Akten verwiesen.
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Der Kläger beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid für 2016 vom 21. August 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. August 2022 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung verweist das FA auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass sich auch aus dem (erstmaligen) Vortrag der Insolvenz des Leistungsempfängers keine sachliche Unbilligkeit ergäbe. Zur Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung trägt das FA vor, dass der Kläger zwar zutreffend anführe, dass es bei Beginn einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Laufe eines Kalenderjahres nur darauf ankomme, ob der Unternehmer nach den Verhältnissen des laufenden Kalenderjahres voraussichtlich die Grenze von 17.500 € nicht überschreite. Voraussetzung für eine Bindung des neugründenden Unternehmers an die von ihm erklärte Umsatzprognose sei jedoch, dass dieser Prognose realistische Erwartungen zugrunde lägen. Ob dies der Fall sei, könne rückwirkend anhand objektiver Anhaltspunkte überprüft werden, vergleichbar der Fallgestaltung bei der Abgrenzung zwischen Gewinnerzielungsabsicht und Liebhaberei, in der auch rückwirkend anhand objektiver Umstände überprüft werden könne, ob das Geschäftsmodell tatsächlich Erfolgsaussichten hatte oder überwiegend aus privaten Motiven betrieben wurde (Finanzgericht Düsseldorf Urteil vom 20. Juni 2008 1 K 3124/07 U, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2008, 1503, Rn. 15). Im Streitfall sei die Prognose von 0 € aber objektiv unrichtig gewesen. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Prognose läge aber beim Unternehmer. Unterlagen die eine Prognose von 0 € zum Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit dokumentieren bzw. glaubhaft machen lägen dem FA nicht vor. Allein der Sachvortrag, die Prognose läge bei 0 €, sei nicht glaubhaft. Im Streitfall sei vom Kläger im Rahmen einer Anstellung bei der GmbH für die Monate November und Dezember 2015 ein Bruttolohn von € erzielt worden. Für Januar 2016 habe der Kläger einen Bruttoarbeitslohn von € und ab Juli einen regelmäßigen Bruttoarbeitslohn von monatlich € bei der GmbH erhalten. Entgegen den Ausführungen des Klägers sei es daher nicht unstreitig, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit im Februar 2016 mit Einnahmen von 0 € im Kalenderjahr 2016 gerechnet habe. Unstreitig sei nur, dass die Höhe der Vergütung noch nicht sicher festgestanden habe. Bei dem Umfang der Tätigkeit und dem bisherigen monatlichen Gehalt von € dürfte eine Prognose von einem Jahresumsatz, der 17.500 € überschreite, nicht unrealistisch sein.
15
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens des FA wird auf die eingereichten Stellungnahmen verwiesen.
16
Am 27. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt.
II.
17
Die Klage ist begründet.
18
Der Kläger ist vorliegend zwar unternehmerisch tätig geworden, wegen der Geltung der Kleinunternehmerregelung wird die Umsatzsteuer aus der Rechnung vom 16. September 2016 aber nicht erhoben.
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1. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Das Unternehmen umfasst dabei die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht Gewinn zu erzielen fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbst ständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmer so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.
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a) Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben können Leistungen eines Gesellschafters an die Gesellschaft – wie sie im Streitfall durch die Geschäftsführertätigkeit des Klägers für die GmbH gegeben sind – ihren Grund entweder im gesellschaftsrechtlichen Beitragsverhältnis oder in einem gesonderten schuldrechtlichen Austauschverhältnis haben.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtet sich die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Leistungen der Gesellschafter an die Gesellschaft danach, ob es sich um Leistungen handelt, die als Gesellschafterbeitrag durch die Beteiligung am Gewinn und Verlust der Gesellschaft abgegolten werden oder um Leistungen, die gegen (Sonder-)Entgelt ausgeführt werden und damit auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind. Steuerbare entgeltliche Leistungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG sind gegeben, wenn sie auf konkreten Leistungsbeziehungen eines Gesellschafters zur Gesellschaft beruhen und auf den Austausch der Leistungen des Gesellschafters gegen Entgelt gerichtet sind (BFH-Urteile vom 6. Juni 2002 V R 43/01, BStBl II 2003, 36, Rn. 48 f.; vom 10. Mai 1990 V R 47/86, BStBl II 1990, 757; vom 5. Mai 1994 V R 76/92, BFH/NV 1995, 356; vom 24. August 1994 XI R 74/93, BStBl II 1995, 150 und vom 8. November 1995 V R 8/94, BStBl II 1996, 176).
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bb) Geschäftsführungsleistungen eines GmbH-Geschäftsführers können demnach als selbständig i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu beurteilen sein. Die Organstellung des GmbH-Geschäftsführers steht dem nicht entgegen (BFH-Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl II 2005, 730). Bei Vertretern juristischer Personen ist zu unterscheiden zwischen der Organstellung und dem ihr zugrundeliegenden Anstellungsverhältnis. Bestellung und Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich körperschaftliche Rechtsakte, durch die gesetzliche und satzungsgemäße Kompetenzen übertragen oder entzogen werden. Dagegen ist die Anstellung zum Zweck des Tätigwerdens als Vertretungsorgan regelmäßig ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag. Ob das Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, hängt auch nicht vom Umfang der Vertretungsbefugnisse des Geschäftsführers im Innenverhältnis (vgl. § 37 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG) ab, sondern richtet sich nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung selbständiger von nichtselbständiger Tätigkeit. Abzustellen ist deshalb grundsätzlich auch bei der Beurteilung der Tätigkeit des GmbH-Geschäftsführers auf die Umstände des Einzelfalles (BFH-Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl II 2005, 730, Rn. 13 f., m.w.N.).
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cc) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gelten die allgemeinen Grundsätze zum Leistungsaustausch auch bei Geschäftsführertätigkeiten des Gesellschafters (BFH-Urteil vom 6. Juni 2002 V R 43/01, BStBl II 2003, 36). Es leistet der Geschäftsführer mit seiner Geschäftsführertätigkeit an seine Gesellschaft. Die Steuerbarkeit der Leistung hängt davon ab, dass der Geschäftsführer als Unternehmer, also selbständig, handelt und dass das Entgelt für seine Leistung in einem gewinnunabhängigen Sonderentgelt besteht (Nieskens, in Rau/Dürrwächter, Kommentar zum UStG, § 1, Rn. 1010 ff.).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den Streitfall hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts für den Zeitraum Februar bis Juni 2016 für seine insoweit selbständige Tätigkeit ein gewinnunabhängiges Entgelt als Unternehmer erhalten.
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Der Kläger war hier im Jahr 2016 sowohl unternehmerisch als auch nichtunternehmerisch als Geschäftsführer der GmbH tätig. Dabei ist er in dem Zeitraum vom 1. Februar 2016 bis zum 30. Juni 2016 zunächst unternehmerisch und selbständig für die Gesellschaft tätig geworden, denn seine Anstellung zum Geschäftsführer – und damit seine unselbständige Tätigkeit – begann laut dem „Dienstvertrag“ vom 8. September 2016 erst zum 1. Juli 2016. Umsatzsteuerrechtlich kann dieselbe Person sowohl teilweise selbständig als auch teilweise unselbständig tätig sein (Treiber, in Sölch/Ringleb, Kommentar zum UStG, § 2, Rn. 105).
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aa) Der Kläger hat seine Tätigkeit als Geschäftsführer vor dem 1. Juli 2016 nachhaltig über einen Zeitraum von 5 Monaten hinweg ausgeübt und dabei auch ein Unternehmerrisiko getragen, weil die Höhe der Vergütung für diesen Zeitraum nicht von vorneherein vereinbart wurde. Die Kriterien einer nachhaltigen Tätigkeit sind hier zur Überzeugung des Gerichts erfüllt, denn mit der Geschäftsführertätigkeit lag eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit vor und es erfolgte die Vornahme mehrerer gleichartiger Handlungen unter Ausnutzung derselben Gelegenheiten oder derselben dauernden Verhältnisse.
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bb) Zwischen dem Kläger und der Gesellschaft hat für diesen Zeitraum auch ein Leistungsaustausch stattgefunden, weil die Geschäftsführertätigkeit nicht nur unentgeltlich erbracht wurde, sondern die vom Gesellschafter/Geschäftsführer über fünf Monate hinweg ausgeführten Tätigkeiten rückwirkend abgerechnet und mit einem (gewinnunabhängigen) Entgelt der Gesellschaft von insgesamt 40.000 € vergütet wurden. Hierbei handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht um ein „Entschädigung“, denn der Kläger ist hier für seine Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH bezahlt worden und dementsprechend sind die Leistungen auch abgerechnet worden.
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cc) Da die (angestellte) Geschäftsführertätigkeit des Klägers laut seiner vertraglichen Vereinbarung mit der GmbH erst zum 1. Juli 2016 begann, ist er hier in dem Zeitraum zuvor im Rahmen eines Leistungsaustausches unternehmerisch als Geschäftsführer der GmbH tätig geworden. Damit hatte der Kläger auch das Risiko getragen, für seine Tätigkeiten für die Gesellschaft überhaupt vergütet zu werden. Schriftliche vorhergehende Vereinbarungen sind dafür nicht erforderlich und diese existierten auch nicht.
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c) Der Kläger kann sich im Streitfall allerdings auf die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG berufen und die Umsatzsteuer aus der hier streitigen Rechnung vom 16. September 2016 ist deshalb nicht zu erheben.
30
aa) Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG (Besteuerung der Kleinunternehmer) wird die für Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer von Unternehmern, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten ansässig sind, nicht erhoben, wenn der in Satz 2 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird. Umsatz im Sinne des Satzes 1 ist der nach vereinnahmten Entgelten bemessene Gesamtumsatz, gekürzt um die darin enthaltenen Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (§ 19 Abs. 1 Satz 2 UStG).
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bb) Ausweislich der Abrechnung des Klägers mit der GmbH vom 16. September 2016 wurde die unternehmerische Tätigkeit durch den Kläger erst im Februar 2016 und nicht schon im Jahr 2015 aufgenommen. Seine (vorhergehenden) Tätigkeiten für die GmbH im November und Dezember 2015 sowie im Januar 2016 wurden nach dem Vorbringen der Beteiligten im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnisses durchgeführt; hierzu wurden an das FA auch elektronische Lohndaten übermittelt.
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Damit liegt hier für das Jahr 2015 für eine unternehmerische Tätigkeit des Klägers ein Ausschlussgrund nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor und seine Unternehmertätigkeit kann im Jahr 2015 noch nicht begonnen haben.
33
cc) Bei einer derartigen erstmaligen Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit im „Erstjahr“ fehlt es allerdings an der Möglichkeit, das Vorjahr zum Vergleich heranzuziehen (Widmann, in Schwarz/Widmann/Radeisen, Kommentar zum UStG, § 19, Rn. 48 und Mrosek, in Wäger, Kommentar zum UStG, § 19, Rn. 13).
34
Bei diesem Sachverhalt, in dem ein Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Laufe eines Kalenderjahres – vorliegend im Jahr 2016 – neu aufnimmt, ist deshalb allein auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen; hier ist also die im Streitjahr geltende Grenze von 17.500 € maßgebend und der Grenzwert von 50.000 € für das Folgejahr spielt keine Rolle (BFH-Beschluss vom 2. April 2009 V B 15/08, BFH/NV 2009, 1284; BFH-Urteile vom 11. November 2020 XI R 41/18, BStBl II 2013, 288, Rn. 30 und vom 22. November 1984 V R 170/83, BStBl II 1985, 142, Rn. 16; vgl. auch Schüler-Täsch, in Sölch/Ringleb, Kommentar zum UStG, § 19, Rn. 23, und Michel, in Birkenfeld/Wäger, Kommentar zum UStG, § 19, Rn. 85, jeweils m.w.N.).
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dd) Im Streitfall wurde die Grenze von 17.500 € für das laufende Jahr 2016 zwar durch die im September 2016 erstellte Rechnung mit dem Rechnungsbetrag von 40.000 € tatsächlich überschritten.
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Darauf kommt es hier aber nicht an, denn der relevante Umsatz in dem „Erstjahr“ ist grundsätzlich auf Basis der vom Unternehmer prognostizierten Zahlen zu prüfen. Zur Überzeugung des Gerichts konnte der Kläger hier bei seiner Prognose aufgrund der Umstände des vorliegenden Sachverhalts bei Aufnahme seiner unternehmerischen Tätigkeit im Februar 2016 nicht von einer Überschreitung der relevanten Umsatzgrenze von 17.500 € ausgehen, denn zwischen ihm und der GmbH bestand zu diesem Zeitpunkt die Vereinbarung, dass er zunächst unentgeltlich tätig werden sollte. Die Richtigkeit dieser Prognose wird hier dadurch bestätigt, dass noch in der Vorbemerkung des Dienstvertrages vom 8. September 2016 über die Anstellung des Klägers als Geschäftsführer der GmbH ausdrücklich geregelt wurde, dass der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit bis zum 1. Juli 2016 unentgeltlich ausgeführt hatte.
37
ee) Zur Überzeugung des Gerichts ist im Streitfall als Zeitpunkt für die Vornahme der Prognoseentscheidung auf den Beginn der unternehmerischen Tätigkeit – hier im Februar 2016 – und nicht auf den Zeitpunkt der Erstellung der Rechnung am 16. September 2016 oder der Fassung des Gesellschafterbeschlusses der GmbH aus dem September 2016 abzustellen, denn die unternehmerische Tätigkeit des Klägers war zu diesem späteren Zeitraum bereits abgeschlossen. Für diese Sichtweise spricht auch der Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 1 UStG, nach dem auf den „voraussichtlichen“ Jahresumsatz – hier die 17.500 € – abzustellen ist; eine solche Prognose stellt aber immer eine Aussage über Ereignisse oder Entwicklungen in der Zukunft dar. Jede Prognose beinhaltet zudem immer das Risiko, dass sie im konkreten Fall unrichtig sein kann.
38
ff) Entgegen der Auffassung des FA kann hier für die zu treffende Prognoseentscheidung auch nicht darauf abgestellt werden, dass der Kläger im Januar 2016 einen Bruttoarbeitslohn von € und ab Juli einen regelmäßigen Bruttoarbeitslohn von monatlich € bei der GmbH erhalten hat, denn hierbei handelt es sich um Lohnzahlungen aus einer nichtselbständigen Arbeit.
39
gg) Das hier vom FA weiter vorgebrachte Argument, dass die Prognoseentscheidung anhand objektiver Anhaltspunkte überprüfbar sein müsse, führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Die vom FA in diesem Zusammenhang genannte Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf (Urteil vom 20. Juni 2008 1 K 3124/07 U, EFG 2008, 1503, Rn. 15) fordert zwar eine rückwirkende Überprüfung anhand objektiver Anhaltspunkte. Das Finanzgericht Düsseldorf führt hierzu aber zugleich weiter an, dass es Voraussetzung für die Bindung des neugründenden Unternehmers an die von ihm erklärte Umsatzprognose sei, dass „dieser Prognose realistische Erwartungen zugrunde lagen“ (Rn. 15). Bezogen auf den hier zu beurteilenden Einzelfall, geht das Gericht aus den dargelegten Gründen davon aus, dass der Prognose des Klägers im Februar 2016 durchaus realistische Erwartungen zugrunde lagen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen, insbesondere die Entscheidung nicht vom Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 20. Juni 2008 (1 K 3124/07 U, EFG 2008, 1503) abweicht.