Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 12.07.2024 – 15 EK 2667/22
Titel:

Prozeßkostenhilfegesuch, Strafvollstreckungskammer, Prozesskostenhilfe-Bewilligung, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Prozeßkostenhilfeantrag, Eingegangene Schriftsätze, Klagezustellung, Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung, Entschädigungsansprüche, Ausschlußfristen, Klageabweisung als unzulässig, Akteneinsichtsgesuch, Beigezogene Akten, Überlange Verfahrensdauer, Zustellung der Klageschrift, Wahrung der Klagefrist, Unangemessene Verfahrensdauer, Rechtsschutz, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Zustellung demnächst

Schlagworte:
Entschädigungsklage, Verfahrensverzögerung, Prozesskostenhilfe, Ausschlussfrist, Klageerhebung, Zustellung, Fristversäumnis
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.09.2025 – III ZR 96/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49854

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen eines überlangen Verfahrens der Strafvollstreckungskammer.
2
Der Kläger ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Straubing und verbüßt dort eine lebenslange Freiheitsstrafe. Mit Schreiben vom 14.12.2017 beantragte er gerichtliche Entscheidung wegen der Ablehnung von ihm beantragter Vollzugslockerungen (Ausführungen, Ausgang) durch die JVA. Wegen der weiteren Einzelheiten des Antrags wird auf Bl. 1/11 der beigezogenen Akte (Az. SR StVK 995/17 der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg in Straubing, im Folgenden: BA) Bezug genommen.
3
Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Landgerichts Regensburg – auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing – vom 20.07.2018 zurückgewiesen (Bl. 82/107 d. BA). Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers vom 13.08.2018 (Bl. 109/140 d. BA) hatte bei dem Oberlandesgericht Nürnberg keinen Erfolg (Entscheidung vom 06.09.2028, Az. 1 Ws 319/18, Bl. 150/151 d. BA).
4
Mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.11.2019 wurden beide Entscheidungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen (Bl. 170/175 d. BA).
5
Mit Schreiben vom 28.11.2019 lehnte der Kläger den zuständigen Richter („Sachbearbeiter“) der Strafvollstreckungskammer als befangen ab (Bl. 178/181 d. BA) und begehrte mit Antrag vom 03.12.2019 die Feststellung, dass die Ablehnung seines Lockerungsantrags vom 08.08.2017 rechtswidrig war (Bl. 183 d. BA). Mit Schreiben vom 13.01.2022 erhob er Verzögerungsrüge (Bl. 204/208 d. BA). Den Befangenheitsantrag nahm er aufgrund des bevorstehenden Ausscheidens des zuständigen Richters aus der Kammer mit Schreiben vom 01.03.2022 zurück (Bl. 210 d. BA).
6
Mit Beschluss vom 26.07.2022 stellte das Landgericht Regensburg – auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing – fest, dass die Ablehnung seines Lockerungsantrags vom 08.08.2017 rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzte (Bl. 236/244 d. BA).
7
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 14.09.2022, eingegangen am 15.09.2022, im hiesigen Verfahren eine gerichtliche Entscheidung wegen des überlangen Verfahrens der Strafvollstreckungskammer und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung einer Entschädigung unter Beiordnung seines jetzigen Prozessvertreters (Bl. 1/62 d.A.). Im Wesentlichen beanstandete er die Dauer des Verfahrens bei der Strafvollstreckungskammer von der Einleitung durch seinen Antrag vom 14.12.2017 bis zur abschließenden Entscheidung vom 26.07.2022 von über 4 Jahren und 7 Monaten (Bl. 59 d.A.). Die Höhe der Entschädigung setze er ins gerichtliche Ermessen, beantrage aber „eine deutliche Erhöhung der gesetzlich vorgesehenen Standardvorgabe aus general- und spezialpräventiven Gründen“ (Bl. 62 d.A.).
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antrag Bezug genommen.
9
Mit Beschluss vom 13.03.2023 bewilligte der Senat Prozesskostenhilfe und ordnete den Klägervertreter als Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts“ bei.
10
Der Klägervertreter beantragte sodann mit Schriftsatz vom 24.03.2023 Einsicht in die beigezogene Akte der Strafvollstreckungskammer. In der Sache führte er aus, dass „zumindest eine nicht rechtfertigbare Verzögerung zwischen dem 02.12.2019 und dem 13.01.2022“ und „zwischen dem 02.03.2022 und dem 30.06.2022“, insgesamt also mindestens 2 Jahre und 5 Monate, gegeben sein dürfte. Eine genaue Bewertung und eine Antragsformulierung müsse bis nach gewährter Akteneinsicht vorbehalten bleiben (Bl. 101 d.A.). Die Beiakte wurde dem Klägervertreter am 07.06.2023 zur Einsichtnahme übersendet.
11
Am 19.02.2024 ging ein Schriftsatz bei Gericht ein, der die Gesamtverzögerung mit 4 Jahren und 2 Monaten angibt und einen bestimmen Klageantrag enthält (Bl. 120/124 d.A.). Dieser wurde dem Beklagten aufgrund Verfügung vom 21.02.2024 am 07.03.2024 zugestellt.
12
Im Einzelnen beanstandet der Kläger zuletzt folgende Zeiträume als unangemessene Verzögerungen:

22.01.2018 – 20.07.2018:

5 Monate

06.09.2018 – 06.11.2019:

1 Jahr und 2 Monate

06.11.2019 – 11.01.2022:

2 Jahre und 2 Monate

11.01.2022 – 02.03.2022:

1 1/2 Monate

02.03.2022 – 09.04.2022:

1 Monat

13.04.2022 – 30.06.2022:

2 1/2 Monate

13
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine angemessene Entschädigung, mindestens 5.000,00 €, wegen der unangemessenen Dauer des Strafvollstreckungsverfahrens LG Regensburg, Ausw. StVK Straubing – SR StVK 995/17 – von insgesamt vier Jahren („Monaten“ ist ein offensichtliches Schreibversehen) und zwei Monaten zu bezahlen.
14
Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
15
Er bringt im Wesentlichen vor, dass die angegebenen Zeiträume nicht sämtlich als unangemessene Verzögerungen angesehen werden könnten.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen Bezug genommen.
17
Der Senat hat die Akte der Strafvollstreckungskammer des LG Regensburg in Straubing, Az. SR StVK 995/17, beigezogen, die beiden Parteien auch zugänglich gemacht wurde.
18
Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 04.06.2024 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die Klage zur Durchsetzung des Anspruchs auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist zulässig.
20
Zur Entscheidung ist nach § 201 Abs. 1 GVG das Oberlandesgericht Nürnberg berufen.
21
Die 6-monatige Wartefrist nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 13.01.2022 gem. § 198 Abs. 5 S. 1 GVG war bei Eingang des Prozesskostenhilfeantrags am 15.09.2022 abgelaufen.
22
Allerdings konnte die Klage in der Sache keinen Erfolg haben, da der Anspruch des Klägers infolge der Versäumung der ebenfalls 6-monatigen Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG erloschen ist.
23
1. Die Frist wurde in Gang gesetzt durch die verfahrensbeendende Entscheidung im Ausgangsverfahren über den Fortsetzungsfeststellungsantrag durch das Landgericht Regensburg vom 26.07.2022 und begann daher am 27.07.2022, 0:00 Uhr (§ 187 Abs. 1 BGB). Sie endete somit am 26.01.2023, 24:00 Uhr (§ 188 Abs. 2 BGB).
24
Zu diesem Zeitpunkt war aber die Entschädigungsklage noch nicht erhoben.
25
a) Nach allgemeiner Meinung richtet sich die Frage, wann die Klage i.S.v. § 198 Abs. 5 S. 2 GVG als erhoben anzusehen ist, aufgrund der Verweisung in § 201 Abs. 2 S. 1 GVG nach §§ 253 Abs. 1, 167 ZPO (BGH, Urt. v. 13.03.2014 – III ZR 91/13, NJW 2014, 1816, Rn. 21, beck-online: für die Übergangsvorschrift des Art. 23 S. 6 ÜGRG; OLG Karlsruhe Urt. v. 11.01.2013 – 23 SchH 4/12 EntV, FamRZ 2013, 1678; Urt. v. 30.06.2020 – 16 EK 16/19, ErbR 2020, 741; Marx/Roderfeld Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 171; Steinbeiß-Winkelmann/Ott Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rdnr. 258; MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl. 2022, GVG § 198 Rn. 76; Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl. 2021, GVG § 198 Rn. 42; Musielak/Voit/Wittschier, 21. Aufl. 2024, GVG § 198 Rn. 10; Anders/Gehle/Becker, 82. Aufl. 2024, GVG § 198 Rn. 56). Erforderlich ist also grundsätzlich die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, wobei eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs eintritt, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt. Dies entspricht der zur Parallelvorschrift des § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH Beschluss vom 29.03.2018 – III ZB 135/17, NJW-RR 2018, 763: „Für die Erhebung der Klage kommt es nach § 253 I ZPO grundsätzlich auf deren Zustellung an. Soll durch die Zustellung – wie hier – eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung nach § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. § 167 ZPO ist auch auf die Klagefrist des § 13 I 2 StrEG anwendbar.“).
26
Vorliegend war aber die am 07.03.2024 zugestellte Klageschrift erst am 19.02.2024 – nach Fristablauf – bei Gericht eingegangen. Auch soweit der Kläger sich auf den früheren, am 24.03.2023 eingegangenen Schriftsatz des Klägervertreters und die darin enthaltene „kursorische“ Begründung seines Anspruchs beruft, kann an dieser Stelle dahinstehen, ob es sich dabei um eine Klagebegründung i.S.v. § 253 Abs. 1 ZPO handelte. Jedenfalls war nämlich auch dieser Schriftsatz erst nach Fristablauf bei Gericht eingegangen.
27
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des bereits am 15.09.2022 – also vor Fristablauf – eingegangenen Prozesskostenhilfeantrags des Klägers. Dass dieser der Gegenseite nicht lediglich formlos übermittelt, sondern am 03.11.2022 zugestellt worden ist, kann dabei dahinstehen, da der Kläger im Anwaltsprozess nicht postulationsfähig ist und es sich damit nicht um eine wirksame Klageerhebung handeln konnte.
28
Die fristgemäße Stellung eines Prozesskostenhilfegesuchs durch die Partei reicht aber alleine für die Einhaltung der Frist des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG nicht aus. Vielmehr wahrt die spätere Einreichung der Klageschrift nur dann rückwirkend die Frist, „wenn der unbemittelte Kläger die Klage alsbald einreicht, nachdem über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden worden ist …, denn für eine Rückwirkung der Zustellung gemäß § 167 ZPO bleiben nur solche Umstände außer Betracht, auf die die Partei keinen Einfluss hat“ (OLG Karlsruhe Urt. v. 01.10.2013 – 23 SchH 13/12, BeckRS 2013, 17414; VGH Mannheim Beschluss vom 17.12.2014 – 6 S 2231/14, BeckRS 2015, 40706, für den Fall einer erst 3 Monate nach Zustellung des Prozesskostenhilfegesuchs eingegangenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse; OLG Bremen, Urt. v. 04.07.2013 – 1 SchH 10/12, NJW 2013, 3109; BeckOK GVG/Graf, 22. Ed. 15.2.2024, GVG § 198 Rn. 33a). Von der Partei verursachte Verzögerungen von mehr als 14 Tagen werden bereits als schädlich angesehen (OLG Karlsruhe a.a.O.) bzw. es wird gefordert, dass die Klage „unverzüglich nach der vom Kläger nicht verzögerten (positiven oder negativen) Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zugestellt“ werden muss (BGH Beschluss vom 29.03.2018 – III ZB 135/17, NJW-RR 2018, 763; Beschluss vom 30.11 2006 – III ZB 22/06, NJW 2007, 439; III ZB 23/06, NJW 2007, 441, jeweils zu § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG; OLG Rostock Urt. v. 14.04.2016 – 3 SchH 1/13, BeckRS 2016, 102085 Rn. 60, beck-online; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 173).
29
Vorliegend hat der Kläger aber gerade nicht alles ihm Zumutbare für eine alsbaldige Klagezustellung getan, so dass er die Rückwirkung nicht in Anspruch nehmen kann. Insbesondere stellte der am 24.03.2023 – kurz nach der Prozesskostenhilfebewilligung – eingereichte Schriftsatz des beigeordneten Rechtsanwalts keine zulässige Entschädigungsklage dar, deren Zustellung als Klageerhebung hätte angesehen werden können. Vielmehr ist die Klage hier erst durch Zustellung des Schriftsatzes vom 19.02.2024 erhoben worden, was – auch unter Berücksichtigung des für die Akteneinsicht in die Beiakte erforderlichen Zeitraums – jedenfalls nicht mehr als „demnächst“ bzw. „alsbald nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe“ mit Beschluss vom 13.03.2023 angesehen werden kann.
30
Der Kläger hatte nämlich bis zum Schriftsatz vom 19.02.2024 zu keinem Zeitpunkt einen bestimmten Antrag gestellt (§ 201 Abs. 2 S. 1 GVG i.V.m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die hier im Prozesskostenhilfegesuch ausdrücklich ins Ermessen des Gerichts gestellte Höhe der Entschädigung mit „deutlicher Erhöhung der gesetzlich vorgesehenen Standardvorgabe“ reicht hierfür nicht aus, da dem Bestimmtheitsgebot „nicht nur durch eine hinreichend genaue Darlegung des anspruchsbegründenden Sachverhalts, sondern auch durch die Angabe wenigstens der ungefähren Größenordnung des verlangten Betrages genügt werden muß“ (BGH Urt. v. 13.10.1981 – VI ZR 162/80, NJW 1982, 340). Dies dient gerade dazu, „das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben soll … Diese Grundsätze gelten auch für Entschädigungsklagen gem. § 198 GVG… Angesichts der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile ist es aber möglich, wenigstens annähernd die Größenordnung der begehrten Forderung anzugeben“ (OLG Hamm Beschluss vom 07.05.2014 – 11 EK 22/13, BeckRS 2014, 12542, beck-online, m.w.N.; Anders/Gehle/Becker, 82. Aufl. 2024, GVG § 198 Rn. 56).
31
Dies ist vorliegend nicht der Fall, vielmehr war bis zum 19.02.2014 unklar, welche Größenordnung einer Entschädigung der Kläger für welchen Zeitraum beanspruchen will. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Prozesskostenhilfegesuch zwar die Höhe der Entschädigung ins Ermessen des Gerichts gestellt und eine Erhöhung der gesetzlichen Vorgabe für angemessen erachtet wird. Hingegen ergibt sich aber gerade nicht, für welchen Zeitraum der Kläger eine Entschädigung begehrt. Die über 60-seitige Sachverhaltsschilderung lässt lediglich vermuten, dass er die gesamte Dauer des Verfahrens beanstandet („länger als 4 Jahre und 7 Monate“, Bl. 59 d.A.), ohne auszuführen, ob und ggf. welche Zeiträume hiervon angemessen sein könnten. Hingegen ist im Schriftsatz vom 24.03.2023 die Rede von einer „nicht rechtfertigbaren Verfahrensverzögerung von mindestens 2 Jahren und 5 Monaten“.
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Nachdem der Kläger aber ausdrücklich eine Entschädigung deutlich über der „gesetzlichen vorgesehenen Standardvorgabe“ (Bl. 62 d.A.) (gemeint wohl: Pauschalsatz des § 198 Abs. 2 S. 3 GVG) gefordert hatte, und der Schriftsatz vom 24.03.2023 zur Höhe bzw. Größenordnung der Entschädigung gar nichts ausführt, sondern die Antragsformulierung ausdrücklich wiederum einem weiteren Schriftsatz vorbehielt, war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal erkennbar, ob der Umfang des Streitgegenstands eine ungefähre Größenordnung in Höhe von 2.900,00 € (2 Jahre 5 Mon. à 1.200,00 €/Jahr nach § 198 Abs. 2 S. 3 GVG), oder 5.500,00 € (4 Jahre 7 Mon. à 1.200,00 €/Jahr) oder gar 11.000,00 € (4 Jahre 7 Mon. à 2.400,00 €/Jahr nach § 198 Abs. 2 S. 3, 4 GVG) haben sollte. Erstmals im Schriftsatz vom 19.02.2024 wurde dann konkretisiert, dass 5.000,00 € (4 Jahre 2 Mon. à 1.200,00 €/Jahr) als Mindestbetrag angesehen wird.
33
Es bleibt also dabei, dass der Schriftsatz vom 24.03.2023 nicht als ordnungsgemäße Klageschrift angesehen werden kann. Er wurde daher, und da er auch nicht als solche gekennzeichnet war, im Wesentlichen als Akteneinsichtsgesuch in die Beiakte behandelt und der beklagten Partei nicht zugestellt. Es kann dabei auch dahinstehen, ob möglicherweise der Zeitraum der erforderlichen Entscheidung über die Bewilligung von Akteneinsicht in die Beiakte und deren tatsächliche Gewährung eine nicht von der Klagepartei verursachte Verzögerung darstellt. Jedenfalls ist nämlich nicht einmal ansatzweise erkennbar, aus welchem Grund sich an die Bewilligung von Akteneinsicht vom 07.06.2023 und deren tatsächliche Gewährung eine Verzögerung von weiteren 7 1/2 Monaten anschloss, in dem der Klageanspruch durch den beigeordneten Rechtsanwalt nicht ordnungsgemäß i.S.d. § 253 ZPO begründet wurde. Somit konnte die letztlich erst am 07.03.2024 bewirkte Klagezustellung keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs entfalten und es fehlt an einer Klageerhebung innerhalb der Frist des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG.
34
2. Bei dieser Frist handelt es sich nach Überzeugung des Senats nicht lediglich um eine prozessuale Frist, deren Versäumung zur Klageabweisung als unzulässig führen würde. Vielmehr ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, die auf eine „Verwirkung“ des Anspruchs abstellt (BT-Drucks. 17/3802, 22 und Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drucks. 17/3802, 41) und auf die „Parallelregelung in § 13 Abs. 1 S. 2 StrEG“ verweist, und der Gesetzessystematik, die hierfür keine – bei rein prozessualen Fristen mögliche – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässt, dass die Wahrung der Klagefrist eine materielle Klagevoraussetzung ist, die von der klagenden Partei darzulegen ist (Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, 1. Aufl. 2012, GVG § 198 Rn. 162-164). Auch aus dem Zweck der Frist, die Beweisschwierigkeiten vermeiden und es der Verwaltung ermöglichen soll, einen alsbaldigen Überblick über die Höhe und Zahl der gelten gemachten Entschädigungsansprüche zu verschaffen (Link/van Dorp, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren 1. Aufl. 2012, Abschn. C. Rn. 60, beck-online), ergibt sich eine absolute Ausschlusswirkung (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl. 2021, GVG § 198 Rn. 42: wie bei § 12 StrEG; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2013 – 23 SchH 13/12 – juris, Rn. 16; Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. § 198 GVG, Rn. 11; MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl. 2022, GVG § 198 Rn. 74; BSG Urt. v. 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R, BeckRS 2014, 73674 Rn. 12, beck-online; A.A. Heine MDR 2012, 327: nur Klagerecht verwirkt, Klage unzulässig). Die Einhaltung der Frist ist – wie bei anderen Ausschlussfristen auch – in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Marx/Roderfeld a.a.O.; Link/van Dorp a.a.O.; BGH Urt. v. 08.06.1989 – III ZR 82/88, NJW 1989, 2619 zu § 12 StrEG).
35
Ihre Versäumung führt daher zur Klageabweisung als unbegründet.
II.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 2 S. 1 GVG i.V.m. § 91 ZPO.
37
Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 201 Abs. 4 GVG liegen nicht vor, da aufgrund der Verwirkung des Entschädigungsanspruchs auch eine anderweitige Wiedergutmachung von Amts wegen durch Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer gem. § 198 Abs. 2, Abs. 4 GVG nicht in Betracht kam.
38
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 201 Abs. 2 S. 1 GVG i.V.m. § 709 ZPO.
39
Die Revisionszulassung beruht auf § 201 Abs. 2 S. 1 GVG i.V.m. § 543 Abs. 2 ZPO. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu den prozessualen Folgen der Versäumung der Frist des § 198 Abs. 5 S. 2 GVG (Klageabweisung als unzulässig oder unbegründet) ist bisher nicht ergangen, so dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.