Inhalt

VG München, Urteil v. 10.10.2024 – M 27 K 23.4702
Titel:

Staatsangehörigkeitsrecht, Anspruchseinbürgerung, Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit, Gestufte Prüfung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, Flüchtlingsanerkennung, Unzumutbarkeit, beim Verfolgerstaat einen Reisepass zu beantragen, Beachtlichkeit einer syrische ID-Card bei Stufe 2 der Prüfung, Ausstehende behördliche Prüfung der strafrechtlichen Unbescholtenheit

Normenkette:
StAG § 10 Abs. 1
Schlagworte:
Staatsangehörigkeitsrecht, Anspruchseinbürgerung, Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit, Gestufte Prüfung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, Flüchtlingsanerkennung, Unzumutbarkeit, beim Verfolgerstaat einen Reisepass zu beantragen, Beachtlichkeit einer syrische ID-Card bei Stufe 2 der Prüfung, Ausstehende behördliche Prüfung der strafrechtlichen Unbescholtenheit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 48653

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 21. August 2023 über den Einbürgerungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger ein Viertel und der Beklagte drei Viertel.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldne darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorhe Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Rechtsschutz hinsichtlich einer ablehnenden Entscheidung des Beklagten über seinen Einbürgerungsantrag.
2
Der 1991 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er war im September 2015 in das Bundesgebiet eingereist und letztendlich mit Bescheid des B. für Migration und Flüchtlinge (B.) vom 17. Januar 2019 als syrischer Flüchtling anerkannt worden. Am 11. Januar 2021 hatte er eine Niederlassungserlaubnis erhalten.
3
Beim Landratsamt … (Landratsamt) beantragte der Kläger am 24. Mai 2022 seine Einbürgerung. Daraufhin war er vom Landratsamt mehrfach aufgefordert worden, zur Klärung seiner Identität sowie seiner Staatsangehörigkeit einen syrischen Pass vorzulegen, was er im Wesentlichen unter Hinweis auf seine Flüchtlingseigenschaft ablehnte. Von seiner Bevollmächtigten ließ er dem Landratsamt u.a seine syrische Identitätskarte mit Lichtbild, sein syrisches Abitur- sowie sein syrisches Hochschulzeugnis vorlegen, ferner eine Zeugnisanerkennung durch die Kultusministerkonferenz, einen Auszug aus dem Personenstandsregister sowie sein syrisches Militärbuch. Zum Nachweis der Sicherung seines Lebensunterhalts verwies er auf Einkünfte aus einem Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer letztendlich 32-stündigen Wochenarbeitszeit sowie aus einer zusätzlich angenommenen Aushilfsarbeit.
4
Auf Anfrage des Landratsamts bei der Regierung von O. (Regierung) zur eventuellen Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung teilte diese dem Landratsamt u.a. mit, dass die Identitätskarte des Klägers im Asylverfahren untersucht worden sei; es seien hieran keine Manipulationen festgestellt worden. Statt mittels eines Reisepasses könne gegebenenfalls auch mit einem anderen Identitätsdokument mit Lichtbild, beispielsweise mit einem Personalausweis oder einer ID-Card, die Identität eines Einbürgerungsbewerbers belegt werden. Da der Kläger bis Oktober 2018 Leistungen nach Sozialgesetzbuch II beantragt habe, sei bis zum Ablauf von 8 Jahren zu klären, ob der Leistungsbezug von ihm zu vertreten sei.
5
Mit Bescheid des Landratsamts vom 21. August 2023, der Bevollmächtigten des Klägers am 24. August 2023 zugestellt, wurde der Antrag auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nicht vorlägen. Zum einen seien die Identität und die Staatsangehörigkeit des Klägers ungeklärt, zum anderen sei dessen Lebensunterhalt nicht als gesichert nachgewiesen, die vorgelegten Nachweise seien hierzu ungeeignet. Der Kläger habe sich geweigert, einen syrischen Pass vorzulegen bzw. diesen bei der syrischen Botschaft zu beantragen. Die Identitätskarte sei im Stufenmodell der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur ein nachrangiges Dokument zur Identitätsklärung, da sie nur auf Arabisch ausgestellt und daher kein internationales Ausweisdokument sei und ferner darin weder die Staatsangehörigkeit des Klägers noch ein Ablaufdatum genannt seien. Eine positive Prognose zu Lebensunterhaltssicherung aufgrund der bisherigen Erwerbsbiografie des Klägers bestehe nicht.
6
Der Kläger ließ am Montag dem 25. September 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und hierbei zuletzt sinngemäß beantragen,
7
den Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 21. August 2023 den Kläger einzubürgern,
hilfsweise,
8
den Beklagten unter Aufhebung dieses Bescheids zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Einbürgerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
9
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG vorliegen würden. Insbesondere habe der Kläger entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur gestuften Identitätsprüfung durch Vorlage seine Identitätskarte seine Identität und auch seine Staatsangehörigkeit nachweisen dürfen und auch nachgewiesen. Als anerkannter syrische Flüchtling sei es ihm nicht zumutbar, mit Regierungsstellen des syrischen Regimes in Kontakt zu treten und dort eine Passgebühr zu bezahlen. Im Rahmen seiner Teilzeittätigkeit habe er mittlerweile einen Nettoverdienst von 2.198 Euro, als Aushilfskraft (Lagerist) verdiene er zusätzlich 468,75 Euro. Deshalb sei sein Lebensunterhalt als gesichert anzusehen. Strafrechtlich sei er unbescholten.
10
Der Beklagte beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Er bezieht sich zur Begründung auf die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Entscheidungsgründe.
13
Die Kammer hat am 10. Oktober 2024 mündlich zur Sache verhandelt. In dieser mündlichen Verhandlung erklärten die Vertreter des Landratsamts zu Protokoll, dass nunmehr auch von Seiten des Beklagten der Lebensunterhalt des Klägers als gesichert angesehen werde.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
15
Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet. Der Kläger, der durch den streitgegenständlichen Bescheid in seinen Rechten verletzt wird, hat zwar keinen hauptsächlich geltend gemachten Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG, jedoch den hilfsweise erhobenen Anspruch auf Neuverbescheidung über seinen Einbürgerungsantrag unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
16
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gl.Nr. 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch G.v. 22. März 2024 (BGBl. I Nr. 104) – StAG – ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig im Sinne des Staatsangehörigkeitsgesetzes oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt ist und er – neben weiteren Voraussetzungen – weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn aufgrund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Da das Landratsamt bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung diese strafrechtliche Unbescholtenheit des Klägers gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG noch nicht vorgenommen und dieser seine strafrechtliche Unbescholtenheit seinerseits nicht anderweitig nachgewiesen hatte, besteht derzeit kein Anspruch des Klägers auf Einbürgerung, da nicht alle Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung gemäß § 10 Abs. 1 StAG nachweislich vorliegen.
17
Allerdings hat der Kläger den hilfsweise erhobenen Anspruch auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtserfassung des Gerichts bei gleichzeitiger Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids, da insbesondere seine Identität und auch seine Staatsangehörigkeit als geklärt und sein Lebensunterhalt als gesichert anzusehen sind. Letzteres haben die Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt.
18
Identität und Staatsangehörigkeit des mit Bescheid des Bundesamts vom 17. Januar 2019 als Flüchtling anerkannten Klägers sind als geklärt anzusehen, da dieser eine syrische ID-Card sowie weitere Unterlagen (u.a. Abitur- und Hochschulzeugnis, Auszug aus Personenstandsregister, Militärbuch) im Einbürgerungsverfahren vorgelegt hat und die Echtheit dieser Unterlagen nicht im Zweifel stehen.
19
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gestuften Prüfung der Identität eines Einbürgerungsbewerbers (BVerwG, U.v. 23.9.2020 – 1 C 36.19 – juris), die auf die Prüfung seiner Staatsangehörigkeit zu übertragen ist (OVG Bremen, B.v. 9.2.2024 – 2 LA 51.22 – juris Rn. 11), sind die dem Erfordernis der geklärten Identität u.a. in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG zugrundeliegenden sicherheitsrechtlichen Belange der Bundesrepublik Deutschland und das grundrechtlich geschützte Recht des Einbürgerungsbewerbers, eine Klärung seiner Identität bewirken zu können, im Rahmen einer gestuften Prüfung einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Den Nachweis seiner Identität hat der Einbürgerungsbewerber zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, hilfsweise auch durch einen anerkannten Passersatz oder ein anerkanntes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild (z.B. Personalausweis oder Identitätskarte) zu führen. Ein Übergang von einer Stufe zu einer nachgelagerten Stufe zu berücksichtigender Beweismittel ist nur zulässig, wenn es dem Einbürgerungsbewerber trotz hinreichender Mitwirkung nicht gelingt, den Nachweis seiner Identität zu führen. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO gilt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch in Bezug auf das Erfordernis der Klärung der Identität der Untersuchungsgrundsatz. Dieser wird indes infolge des Umstands, dass die Identität die Sphäre des Einbürgerungsbewerbers unmittelbar berührt, durch dessen verfahrensrechtliche Mitwirkungslast eingeschränkt. Während die Einbürgerungsbehörde insoweit primär eine Hinweis- und Anstoßpflicht trifft, unterliegt der Einbürgerungsbewerber gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die Klärung seiner Identität einer umfassenden, bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit reichenden Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit. Er ist gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen, um seine Identität nachzuweisen, und alles ihm Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um die hierfür erforderlichen Beweismittel beizubringen (BVerwG a.a.O. Rn. 17 ff., 21).
20
Als anerkannter Flüchtling ist es dem Kläger unzumutbar, in jedweder Art mit dem Verfolgerstaat Syrien in Kontakt zu treten, um einen syrischen Reisepass zu beantragen sowie dem Verfolgerstaat Syrien hierzu eine Gebühr zu bezahlen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es deshalb ebenso wenig von Belang, dass es dem Kläger möglich wäre, bei einer syrischen Auslandsvertretung online einen solchen Antrag zu stellen, wie der Umstand, dass die Ausstellung eines solchen syrischen Reisepasses nur gegen eine Gebühr von 250 Euro und nicht, wie vom Kläger angegeben, in Höhe von 750 Euro erfolgen würde. Aus diesem Grund ist im Fall des Klägers ein Übergang von der Stufe des Nachweises seiner Identität durch Vorlage eines Passes zur nachrangigen Stufe der Vorlage eines anderen amtlichen Liquiditätsdokuments mit Lichtbild (hier: die Identitätskarte des Klägers, die in seinem Asylverfahren weder Echtheits- noch Richtigkeitszweifeln unterlegen hatte) zulässig. Hinzu kommt, dass der Kläger im Landratsamt u.a. sein syrisches Abiturzeugnis sowie ein syrisches Hochschulzeugnis vorgelegt hatte, die ebenfalls keinen Zweifeln in Hinblick auf deren Echtheit und Richtigkeit unterliegen. Aufgrund dieser Unterlagen und Dokumente ist das Gericht gemäß § 108 VwGO von der Identität des Klägers ebenso überzeugt wie von seiner syrischen Staatsangehörigkeit.
III.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt hierbei das überwiegende Obsiegen des Klägers.
22
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.