Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 17.06.2024 – 1 U 956/24 e
Titel:

Prozeßvollmacht, Amtspflichtverletzung, Verjährungsfrist, Verjährungshemmung, Verjährung der Ansprüche, Vollstreckungsmaßnahmen, Bevollmächtigung, Schlüssiges Verhalten, Vertretungsberechtigter, Versäumnisurteil, Mahnbescheid, Durchsuchungsbeschluss, Vollstreckungsbescheid, Unwirksame Zustellung, Wirksame Zustellung, Landgerichte, Berufungsverfahren, Vollmachtsurkunde, Nachträgliche Aufhebung, Prozeßvertreter

Schlagworte:
Prozessvollmacht, Verjährung, Amtspflichtverletzung, Durchsuchungsbeschluss, Zustellungsmängel, Berufungsaussicht, Sorgfaltspflichten
Vorinstanzen:
LG München II, Urteil vom 09.02.2024 – 11 O 4278/22 Ent
LG München II, Versäumnisurteil vom 16.02.2023 – 1 O 4278/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 20.08.2024 – 1 U 956/24 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.03.2025 – III ZR 122/24
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.04.2025 – III ZR 122/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 45531

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 09.02.2024, Az. 11 O 4278/22 Ent, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf … Euro festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Landgericht hat das Versäumnisurteil des Landgerichts München II vom 16.02.2023, Az. 1 O 4278/22, zu Recht aufrechterhalten. Der Kläger zeigt in der Berufungsbegründung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Fehler oder Versäumnisse des Landgerichts auf.
2
Der Kläger meint weiterhin, dass der Beklagte nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei; eine entsprechende Vollmacht sei nicht vorgelegt worden. Daher hätte gar nicht durch Sachurteil entschieden werden dürfen. Das am 07.12.2023 vorgelegte Dokument sei erst an diesem Tag erstellt worden, der Beklagtenvertreter habe hingegen bereits am 05.12.2023 seine Bevollmächtigung anwaltlich versichert. Zudem sei die Vollmacht auf den 15.11.2022 zurückdatiert worden. In der Sache habe das Landgericht verkannt, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts … bereits auf den ersten Blick und damit offensichtlich fehlerhaft gewesen sei. Darüber hinaus seien die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt. Es sei falsch, dass die zuständige Vertretungsbehörde keine Kenntnis vom Inhalt der Bescheide gehabt hätte. Dem stehe entgegen, dass spätestens am 15.11.2022 das Landesamt für Finanzen das Az. … vergeben habe. Schließlich seien die Voraussetzungen des § 852 BGB sehr wohl erfüllt.
3
Die klägerischen Rügen greifen nicht durch. Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts, dass das am 16.02.2023 ergangene Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten war.
4
Nach Überzeugung des Senats war der Beklagtenvertreter seit dem 15.11.2022 für diesen Rechtsstreit wirksam bevollmächtigt. Die Vollmachterteilung ist formlos, auch durch schlüssiges Verhalten möglich (vgl. hierzu nur Althammer, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 80 Rn. 5 m. w. N.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat der Beklagtenvertreter die Bevollmächtigung anwaltlich versichert und mit Schriftsatz vom 07.12.2023 eine von … handschriftlich unterzeichnete Prozessvollmacht zur Akte gereicht. Dass im elektronischen System die qualifizierte elektronische Signatur des Prozessvertreters … und nicht von … hinterlegt ist, lässt sich nach Ansicht des Senats zwanglos damit erklären, dass die Vollmachturkunde im Original als Papierdokument vorliegt, welches der Prozessvertreter eingescannt und – ergänzend zur Vorlage des Originals – zur elektronischen Akte gereicht hat. Dieser Medienbruch steht einer wirksamen – wie oben ausgeführt auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten möglichen – Bevollmächtigung nicht entgegen. Ebenso wenig begegnet das auf dem Dokument ersichtliche Datum (15.11.2022) durchgreifenden Bedenken; insoweit ist der Senat der Auffassung, dass die Bevollmächtigung des Prozessvertreters deklaratorisch in der Vollmachtsurkunde abgebildet werden sollte. Schließlich wären etwaige Mängel der Bevollmächtigung, von denen der Senat ohnehin nicht ausgeht, durch die Vorlage der neuen Prozessvollmacht für das Berufungsverfahren mit Blick auf die Entscheidung des BGH vom 29.06.2022, VII ZB 14/19, geheilt. Nach der Entscheidung des BGH kann ein etwaiger Vertretungsmangel in jeder Lage des Verfahrens – insb. auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist – geheilt werden. Aus der Formulierung der unter dem 27.05.2024 ausgestellten Prozessvollmacht (“vor dem Landgericht München II sowie dem OLG München“ und unter Nennung sowohl des erst- als auch des zweitinstanzlichen Aktenzeichens) lässt sich ohne Zweifel – ein weiteres Mal – schließen, dass auch die Prozesshandlungen erster Instanz von der Bevollmächtigung umfasst waren.
5
Der Senat teilt auch im Übrigen die Auffassung des Landgerichts, dass eine schuldhafte Amtspflichtverletzung der Vollziehungsbeamten, die sich zum Zeitpunkt der durchgeführten Maßnahmen auf den gerichtlichen Beschluss als Grundlage verlassen durften, nicht nachweisbar ist. Zwar wurde der Durchsuchungsbeschluss im Nachgang der durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen durch das Landgericht M. II aufgehoben. Und der Bundesfinanzhof erklärte – nachdem die mit drei Berufsrichtern besetzte Kammer des Finanzgerichts M. die Vollstreckungsmaßnahmen zunächst weit überwiegend nicht beanstandet und für rechtmäßig befunden hatte – die Vollstreckungsmaßnahmen im Nachhinein für rechtswidrig. Der Senat teilt insoweit aber die Bewertung des Landgerichts, dass es den Rahmen der an eine ausführende Behörde zu stellenden Sorgfaltspflichten überspannen würde, würden von ihr bessere Rechtskenntnisse erwartet, als sie ein Amtsgericht und ein mit drei Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht besitzt (vgl. hierzu insb. BGH, Urteil vom 02.04.1998, III ZR 111/97).
6
Schließlich begegnen auch die – lediglich hilfsweisen – Ausführungen des Landgerichts zur Verjährung der geltend gemachten Ansprüche keinen Bedenken. Das Landgericht führte rechtlich beanstandungsfrei aus, dass der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2019 zu laufen begann. Die Verjährungsfrist war damit Ende des Jahres 2022 abgelaufen. Der Mahnbescheid sowie die beantragten Vollstreckungsbescheide konnten die Verjährung nicht hemmen, da sie allesamt nicht an die vertretungsberechtigte Behörde, sondern (trotz ausdrücklichen Hinweises) auf die jeweiligen Anträge des Klägers hin an das Finanzamt …, zugestellt wurden. Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.02.2010, V ZR 98/09, entschieden, dass die unwirksame Zustellung eines Mahnbescheids den Eintritt der Verjährungshemmung nicht hindert, wenn der Anspruchsinhaber für die wirksame Zustellung alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der Anspruchsgegner in unverjährter Zeit von dem Erlass des Mahnbescheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirksamkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft wird. Vorliegend fehlt es bereits an der ersten der drei Voraussetzungen. Der Kläger hat nicht alles aus seiner Sicht Erforderliche getan, um eine wirksame Zustellung an die vertretungsberechtigte Behörde zu erreichen. Vielmehr hielt er trotz entsprechenden Hinweises vom 17.08.2022 – mithin in nicht verjährter Zeit – auf die zur Vertretung berechtigte Behörde an der Zustellung an das nicht vertretungsberechtigte Finanzamt … fest. Der Kläger hätte demnach ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt, in unverjährter Zeit eine Zustellung an die richtige Behörde zu erreichen.
II.
7
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. In diesem Fall ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).