Inhalt

OLG München, Endurteil v. 19.12.2024 – 6 U 3363/23 e
Titel:

Anspruch auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten aus Lauterkeitsrecht

Normenketten:
LMIV Art. 30, Art. 34
UWG § 3a, § 5a, § 5b, § 8, § 8b, § 13
Leitsatz:
Der Sinn und Zweck des Art. 30 Abs. 3 LMIV besteht nicht darin zu regeln, welche Informationen wiederholt, also "ein weiteres Mal erscheinen" (vgl. ErwG 41) dürfen. Vielmehr können sämtliche Nährwertangaben iSd Art. 30 Abs. 1 S. 1 LMIV ohne Weiteres auch mehrfach auf der Verpackung erscheinen, wenn die Vorgaben des Art. 34 Abs. 1 LMIV eingehalten werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterlassung, Lebensmittelinformationsverordnung, Nährwertdeklaration, Produktverpackung, Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Lebensmittelinformation, Lauterkeitsrecht, Unterlassen, Abmahnkosten, Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit, Fertigprodukt, Informationen, Nährwertangaben
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 27.07.2023 – 37 O 14809/22
Fundstellen:
WRP 2025, 517
LSK 2024, 45194
BeckRS 2024, 45194

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.07.2023, Az.: 37 O 14809/22, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil des Landgerichts und das vorliegende Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziffer 1 des landgerichtlichen Urteils (Unterlassung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Der Kläger nimmt die Beklagte aus Lauterkeitsrecht auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.
2
Die Beklagte, eine der deutschlandweit führenden M. verarbeitenden Lebensmittelherstellerinnen, vertreibt einen M. als Fertigprodukt. Auf der Deckelfolie der Produktverpackung findet sich unterhalb der Bezeichnung „M...“ die Angabe „H. PROTEIN“ sowie rechts neben der Bezeichnung „M...“ ein sogenannter Werbestörer, der die Angabe „14G PROTEIN“ enthält. Auf dem Seitenetikett des Verpackungsbechers befinden sich ebenfalls die Bezeichnung „M...“ und darunter die Angabe „H. PROTEIN“ sowie rechts neben der Bezeichnung „M...“ ein Werbestörer, der die Angabe „14g PROTEIN pro Becher“ enthält. Weiter findet sich auf dem Seitenetikett des Bechers eine Nährwertdeklaration in tabellarischer Form, aus der unter anderem eine Menge an Eiweiß von 7,7 g je 100 g bzw. von 14 g pro „1 Becher = 1 Portion (180 g)“ hervorgeht. Auf die Abbildungen der Produktverpackung in der Anlage K 2 sowie in den unten wiedergegebenen Klageanträgen wird Bezug genommen.
3
Der Kläger, die Wettbewerbszentrale, ist der Auffassung, die Aufmachung des Produkts verstoße gegen die Lebensmittelinformationsverordnung, weil die Menge an Protein neben der Nährwertdeklaration nicht noch einmal getrennt und isoliert auf der Verpackung angegeben werden dürfe, wie durch die Angaben „14G PROTEIN“ und „14g PROTEIN pro Becher“ in den beiden Werbestörern geschehen.
4
Nach erfolgloser Abmahnung (vgl. Anlagen K 4 bis K 6) hat der Kläger mit seiner vorliegenden Klage in erster Instanz beantragt:
I. Der Beklagten wird verboten,
den Proteingehalt eines Lebensmittels auf der Fertigpackung in Gramm getrennt anzugeben, und zwar wie nachstehend geschehen:
Deckelfolie
Seitenetiketten
II. Der Beklagten wird für jeden Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung gem. oben I. ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,-€, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren (Haft zu vollziehen am jeweiligen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) angedroht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 374,50 € zzgl. 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
5
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
6
Die Beklagte hat sich gegen die Klage insbesondere damit verteidigt, die vom Kläger beanstandete Angabe „14G PROTEIN“ bzw. „14g PROTEIN pro Becher“ könne nicht gegen die Lebensmittelinformationsverordnung verstoßen, da diese nach der Health-Claims-Verordnung erlaubt sei, da die Angabe für den Verkehr erkennbar lediglich den zulässigen Claim „H. PROTEIN“ ergänze und erläutere. Hiervon gehe auch die amtliche Lebensmittelüberwachung deutschlandweit aus, wie sich aus dem als Anlage B 4 vorgelegten Beschluss des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS) aus dem Jahr 2020 ergebe.
7
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 28.07.2023, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, in vollem Umfang stattgegeben (Ersturteil veröffentlicht in: WRP 2023, 1276 = GRUR-RS 2023, 25743).
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Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit welcher sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt.
9
Die Beklagte beantragt,
auf ihre Berufung das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
10
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
11
In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 24.10.2024 hat der Senat die Parteien darauf hingewiesen, dass nicht nur ein Verstoß gegen Art. 30 Abs. 3 LMIV (i.V.m. § 3a UWG), wie vom Landgericht angenommen, sondern auch ein Verstoß gegen Art. 34 Abs. 1 LMIV i.V.m. § 5a, § 5b UWG in Betracht kommen könnte. Hierzu hatten die Parteien Gelegenheit, schriftsätzlich Stellung zu nehmen.
12
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2024 Bezug genommen.
B.
13
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht zur Unterlassung (dazu II) sowie zur Erstattung von Abmahnkosten (dazu III) verurteilt.
14
I. Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 8b UWG zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche befugt, was zwischen den Parteien zu Recht nicht im Streit steht.
15
II. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG zu.
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1. Entgegen der Ansicht des Landgerichts im angefochtenen Urteil sowie des OLG Hamburg (GRUR-RS 2024, 25420 Rn. 22) und des LG Heilbronn (GRUR-RS 2023, 24852 Rn. 38) ist der Senat der Auffassung, dass die Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten vorliegend nicht nach § 3a UWG i.V.m. Art. 30 Abs. 3 der Verordnung (EU) 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV), sondern nach § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG i.V.m. Art. 30 Abs. 1, 3, Art. 34 Abs. 1 LMIV zu beurteilen ist.
17
a) Nach Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV enthält die verpflichtende Nährwertdeklaration die Angabe (a) des Brennwerts und (b) der Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz. Nach Art. 34 Abs. 1 LMIV müssen die vorgenannten Angaben im selben Sichtfeld sowie „als Ganzes“ in einem übersichtlichen Format und gegebenenfalls in der in Anhang XV vorgegebenen Reihenfolge erscheinen.
18
Enthält die Kennzeichnung eines vorverpackten Lebensmittels die verpflichtende Nährwertdeklaration gemäß Art. 30 Abs. 1 LMIV, so können gemäß Art. 30 Abs. 3 LMIV „darauf wiederholt werden“ die Angabe (a) des Brennwerts oder (b) des Brennwerts zusammen mit den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz. Nach Art. 34 Abs. 3 Satz 1 LMIV müssen die vorgenannten Angaben gemäß Art. 30 Abs. 3 LMIV im Hauptsichtfeld und unter Verwendung einer bestimmten (Mindest-)Schriftgröße mit guter Lesbarkeit (Art. 13 Abs. 2 LMIV) dargestellt werden.
19
b) Nach der Systematik der LMIV enthält Art. 30 Abs. 3 LMIV, anders als der Wortlaut der Vorschrift (im Umkehrschluss) womöglich nahelegt, kein generelles Verbot der Wiederholung von Nährstoffangaben auf der Verpackung eines Lebensmittels. Wie sich aus Erwägungsgrund 41 der LMIV ergibt, liegt den vorgenannten Vorschriften vielmehr die Erwägung des Unionsgesetzgebers zugrunde, dass es den Verbraucher verwirren könne, wenn ein Teil der Informationen zum Nährwert im allgemein als Packungsvorderseite bekannten Hauptsichtfeld und ein Teil auf einer anderen Packungsseite, wie z.B. der Packungsrückseite, steht, weshalb alle Bestandteile der Nährwertdeklaration im selben Sichtfeld stehen sollten. Dem tragen die Vorschriften Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 LMIV Rechnung. Weiter heißt es in Erwägungsgrund 41, dass (auf freiwilliger Basis) die wichtigsten Bestandteile der Nährwertdeklaration ein weiteres Mal im Hauptsichtfeld erscheinen könnten, damit die Verbraucher die wesentlichen Informationen zum Nährwert beim Kauf von Lebensmitteln leicht sehen können; da es den Verbraucher verwirren könnte, wenn frei gewählt werden kann, welche Informationen ein weiteres Mal erscheinen, sei es notwendig zu präzisieren, welche Informationen ein weiteres Mal erscheinen dürfen. Dies ist durch Art. 30 Abs. 3 i.V.m. Art. 34 Abs. 3 LMIV umgesetzt worden.
20
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Sinn und Zweck des Art. 30 Abs. 3 LMIV nicht darin besteht zu regeln, welche Informationen wiederholt, also „ein weiteres Mal erscheinen“ (vgl. ErwG 41) dürfen. Vielmehr können sämtliche Nährwertangaben i.S.v. Art. 30 Abs. 1 S. 1 LMIV ohne Weiteres auch mehrfach auf der Verpackung erscheinen, wenn die Vorgaben des Art. 34 Abs. 1 LMIV eingehalten werden (vgl. Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 30 Rn. 44). Denn wenn die Angaben im selben Sichtfeld und „als Ganzes“ erscheinen, ist eine Verwirrung des Verbrauchers nicht gegeben, auch wenn die Angaben (in dieser Form) mehrfach auf der Verpackung vorhanden sind.
21
Vor diesem Hintergrund besteht der eigentliche Regelungsgehalt des Art. 30 Abs. 3 LMIV mithin darin, die „wichtigsten Bestandteile der Nährwertdeklaration“ (vgl. ErwG 41), die neben der vollständigen („als Ganzes“) Nährwertdeklaration im Sinne von Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 LMIV ausnahmsweise und abweichend hiervon zusätzlich in „unvollständiger“ Form im Hauptsichtfeld (Art. 34 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a LMIV) erscheinen dürfen, im Sinne des Erwägungsgrunds 41 zu „präzisieren“ bzw. festzulegen. Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 LMIV, wonach die Angaben im selben Sichtfeld und „als Ganzes“ erscheinen müssen, stellt somit den Grundsatz dar, und Art. 30 Abs. 3 i.V.m. Art. 34 Abs. 3 LMIV lediglich eine Ausnahme hiervon.
22
Wird eine in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV genannte Angabe, die nicht unter Art. 30 Abs. 3 LMIV fällt, zusätzlich in isolierter bzw. „unvollständiger“ Form auf der Verpackung dargestellt, liegt daher ein Verstoß gegen den Grundsatz nach Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 LMIV, wonach die Angaben „als Ganzes“ und im selben Sichtfeld darzustellen sind, und nicht gegen die Ausnahmevorschrift des Art. 30 Abs. 3 LMIV vor. Vielmehr kann sich der Lebensmittelhersteller lediglich nicht zur Rechtfertigung seines Verstoßes (gegen den Grundsatz) auf den Ausnahmetatbestand des Art. 30 Abs. 3 LMIV berufen, weil dieser im genannten Fall nicht einschlägig ist.
23
c) Nachdem das vorwerfbare Verhalten im Fall isolierter bzw. „unvollständiger“ Nährwertangeben, die neben der vollständigen Nährwertdeklaration ein weiteres Mal auf der Verpackung erscheinen, mithin nicht darin liegt, dass eine in Art. 30 Abs. 3 LMIV nicht genannte Angabe wiederholt wird und damit ein „Zuviel“ an Information vorliegt (so aber OLG Hamburg, a.a.O.; LG Heilbronn, a.a.O.), sondern darin, dass die Angabe entgegen Art. 34 Abs. 1 Satz 2 LMIV nicht „als Ganzes“ zusammen mit den weiteren in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV genannten Angaben gemacht wird, werden letztere Angaben an der betreffenden Stelle der Verpackung zu Unrecht weggelassen, dem Verbraucher also vorenthalten. Insofern ist die Konstellation nach Ansicht des Senats vergleichbar mit derjenigen in der Entscheidung „Knuspermüsli II“ des BGH (GRUR 2022, 930).
24
Da es sich bei den von der LMIV vorgeschriebenen Angaben auf der Verpackung von Lebensmitteln um wesentliche Informationen im Rahmen kommerzieller Kommunikation im Sinne von Art. 7 Abs. 5 RL 2005/29/EG bzw. § 5b Abs. 4 UWG handelt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 27 ff.), sind aus den vom BGH in Rn. 16 ff. der Entscheidung „Knuspermüsli II“ angestellten Erwägungen vorliegend (allein) § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG (und nicht § 3a UWG) anzuwenden.
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2. Im Streitfall werden den Verbrauchern durch die Angabe „14G PROTEIN“ auf dem Deckel des Bechers und die Angabe „14g PROTEIN pro Becher“ auf der Becherseite an den betreffenden Stellen der Verpackung in den jeweils konkret verwendeten Werbestörern die weiteren in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV genannten Angaben des Brennwerts und der Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker und Salz und damit wesentliche Informationen im Sinne von § 5b Abs. 4 UWG nach § 5a Abs. 1 Satz 1 UWG vorenthalten.
26
Zur Rechtfertigung, dass die genannten Angaben dort jeweils nicht „als Ganzes“ und im selben Sichtfeld gemäß Art. 34 Abs. 1 LMIV erscheinen, kann sich die Beklagte vorliegend auch nicht auf die Ausnahmevorschrift des Art. 30 Abs. 3 LMIV berufen, da die isolierte Angabe von Eiweiß dort in keinem Fall vorgesehen ist. Dies steht zwischen den Parteien grundsätzlich auch nicht im Streit. Die Beklagte beruft sich vielmehr nur darauf, dass die streitgegenständlichen Angaben der Verordnung (EG) 1924/2006 (Health-Claims-Verordnung – HCVO) gedeckt seien und damit keinen Verstoß gegen die LMIV darstellen könnten.
27
3. Das Vorenthalten der weiteren (Nährwert-)Informationen an den betreffenden Stellen der Verpackung lässt sich jedoch auch nicht damit rechtfertigen, dass es sich bei den konkret verwendeten Angaben „14G PROTEIN“ und „14g PROTEIN pro Becher“ um zulässige Ergänzungen bzw. Erläuterungen der ihrerseits nach der HCVO zulässigen nährwertbezogenen Angabe „H. PROTEIN“ handele, wie die Beklagte meint.
28
a) Die Beklagte ist der Auffassung, vorliegend sei die Regelung des Art. 30 Abs. 3 LMIV nicht einschlägig bzw. werde nach Art. 1 Abs. 4 LMIV von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO verdrängt, weil der Verkehr aufgrund der grafischen Gestaltung die Angabe „14 GRAMM PROTEIN“ als Teil der nährwertbezogenen Angabe „H. PROTEIN“ einstufen werde und nicht von einer bloßen Wiederholung des Proteingehaltes ausgehen werde. Dies entspricht dem rechtlichen Ansatz in der von der Beklagten als Anlage B 4 vorgelegten Stellungnahme des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS), wonach grundsätzlich zwischen „nährwertbezogenen Angaben“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO und „wiederholenden Angaben“ im Sinne von Art. 30 Abs. 3 HCVO zu differenzieren sei, und in dem Fall, dass „ein einzelner Nährstoffgehalt i.V.m. einer zugelassenen nährwertbezogenen Angabe angegeben, oder mit eindeutigen Attributen mit konkretem Bezug zu einer im Anhang der VO (EG) Nr. 1924/2006 gelisteten nährwertbezogenen Angabe versehen“ werde, diese Angabe nicht als Wiederholung eines Nährwertes, sondern als eine Ergänzung der nährwertbezogenen Angabe anzusehen sei.
29
b) Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Hierbei kann unterstellt werden, dass es sich bei der Angabe „H. PROTEIN“ auf dem Deckel des Bechers und auf der Becherseite um eine zulässige nährwertbezogene Angabe nach Art. 8 Abs. 1 HCVO i.V.m. dem Anhang zur HCVO (Claim „Hoher Proteingehalt“) handelt und der Verbraucher die jeweils rechts danebenstehenden Angaben „14G PROTEIN“ und „14g PROTEIN pro Becher“ der Angabe „H. PROTEIN“ zuordnen wird. Denn auch in diesem Fall handelt es sich bei den betreffenden Angaben grundsätzlich um die Angabe eines Nährwerts bzw. die Wiederholung einer Nährwertangabe im Sinne der LMIV. Entscheidend ist daher, ob die HCVO die Vorschriften der LMIV darüber, wie Nährwertangaben zu machen sind – nämlich grundsätzlich im selben Sichtfeld und „als Ganzes“ (Art. 34 Abs. 1 LMIV) -, in der vorliegenden Konstellation nach Art. 1 Abs. 4 LMIV verdrängt. Dies ist zu verneinen.
30
aa) Art. 1 Abs. 4 LMIV bestimmt, dass die LMIV unbeschadet der in speziellen Rechtsvorschriften der Union für bestimmte Lebensmittel enthaltenen Kennzeichnungsvorschriften gilt.
31
Es kann offenbleiben, ob die HCVO bereits deshalb nicht unter die in Art. 1 Abs. 4 LMIV genannten anderweitigen Rechtsvorschriften der Union fällt, weil die HCVO nicht nur „für bestimmte Lebensmittel“, sondern gemäß Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 HCVO grundsätzlich für alle Lebensmittel, die an Endverbraucher abgegeben werden sollen, gilt, und sich aus Art. 1 Abs. 5 HCVO allenfalls ergibt, für welche bestimmten Lebensmittel die HCVO möglicherweise nicht gilt (so OLG Hamburg, GRUR-RS 2024, 25420 Rn. 26). Denn bei den Vorschriften der HCVO über die Zulässigkeit von nährwertbezogenen Angaben handelt es sich jedenfalls nicht um „spezielle Rechtsvorschriften“ – bzw. die spezielleren Rechtsvorschriften – gegenüber Art. 30 ff. LMIV in Bezug auf die Angabe von Nährwerten.
32
bb) Ob bestimmte Kennzeichnungsvorschriften außerhalb der LMIV nach Art. 1 Abs. 4 LMIV aufgrund eines Spezialitätsverhältnisses Vorrang vor den Normen der LMIV genießen, muss in jedem Einzelfall vom Rechtsanwender positiv festgestellt werden (vgl. Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 1 Rn. 67). Von einem solchen Rangverhältnis nach lex specialis-Grundsätzen ist der EUGH etwa in der von der Berufung zitierten Entscheidung „Kulturchampignons“ (GRUR 2019, 1067 – Wettbewerbszentrale/Prime Champ) ausgegangen. Danach ist das – allgemeinere – Irreführungsverbot nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a LMIV nicht auf Ursprungsangaben anzuwenden, die durch andere – speziellere – unionsrechtliche Vorschriften ausdrücklich in einer bestimmten Form erlaubt bzw. vorgeschrieben sind. Von einem solchen Spezialitäts- und Rangverhältnis kann hinsichtlich der hier inmitten stehenden Vorschriften indes nicht ausgegangen werden.
33
cc) Beide Verordnungen haben grundsätzlich unterschiedliche Regelungsgegenstände. Während die HCVO u.a. die Zulässigkeit nährwertbezogener Angaben im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO regelt, wird die Darstellung von Nährwertangaben in Art. 30 ff. LMIV im Einzelnen geregelt.
34
Verdeutlicht wird dies zunächst durch die in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO vorgenommene Differenzierung, wonach eine Angabe im Sinne der HCVO (und damit auch eine nährwertbezogene Angabe im Sinne der HCVO) nur dann vorliegt, wenn es sich um eine Aussage oder Darstellung handelt, die nach dem Unionsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, so dass alle Pflichtangaben, die sich aus unionsrechtlichen und mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Bestimmungen ergeben, vom Begriff der Angabe im Sinne der HCVO ausgenommen sind (vgl. BGH, GRUR 2015, 498, Rn. 64 – Combiotik). Da eine Angabe über die Menge an Nährstoffen, insbesondere auch die Menge an Eiweiß, nach Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b LMIV und damit nach Unionsrecht grundsätzlich obligatorisch ist, stellen Nährwertangaben nach der LMIV grundsätzlich keine Angaben bzw. nährwertbezogenen Angaben im Sinne der HCVO dar. Die Vorschriften über nährwertbezogene Angaben nach der HCVO und über die Nährwertdeklaration nach Art. 30 ff. LMIV erfassen daher unterschiedliche Anwendungsbereiche, sodass für die Frage der Darstellungsform von nach der LMIV verpflichtenden Nährwertangaben ausschließlich auf Vorschriften der LMIV und nicht auf die der HCVO abzustellen ist.
35
Bestätigt wird dieses Verständnis ferner durch die Regelung des Art. 7 HCVO. So ist nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 HCVO, soweit es sich nicht nur um produktübergreifende Werbeaussagen handelt, die Nährwertkennzeichnung von Erzeugnissen, bei denen nährwert- und/oder gesundheitsbezogene Angaben gemacht werden, stets obligatorisch (vgl. zum Anwendungsbereich der Vorschrift: Konnertz-Häußler, in: Holle/Hüttebräuker, HCVO, 1. Aufl., Art. 7 Rn. 8). Dabei sind nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 HCVO die in Art. 30 Abs. 1 LMIV angeführten Angaben zu machen. Hierbei gilt, wenngleich ein ausdrücklicher Verweis auf die Art. 31 bis 34 LMIV nur in Art. 7 Abs. 1 Satz 3 HCVO in Bezug auf Angaben nach Art. 30 Abs. 2 LMIV enthalten ist, auch für Nährwertangaben nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 HCVO i.V.m. Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV hinsichtlich der Form der Darstellung die Vorschrift des Art. 34 Abs. 1 LMIV (vgl. Rathke/Hahn, in: Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 189. EL April 2024, HCVO Art. 7 Rn. 10).
36
Die vorgenannten Regelungen in Art. 7 HCVO zeigen, dass auch der Unionsgesetzgeber zum einen von einem Nebeneinander der hier infrage stehenden Vorschriften der HCVO und der LMIV ausgeht, sowie, dass er zum anderen hinsichtlich der Art und Weise der Darstellung von Nährwertangaben grundsätzlich Art. 30 ff. LMIV als die maßgeblichen – da spezielleren – Regelungen ansieht. Dafür, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers etwas anderes gelten sollte, wenn Nährwertangaben zusätzlich als Teil bzw. im Zusammenhang mit einer nährwertbezogenen Angabe gemäß Art. 8 Abs. 1 HCVO i.V.m. dem Anhang zur HCVO dargestellt werden, ergeben sich weder aus der HCVO noch aus der LMIV irgendwelche Anhaltspunkte. Solche werden auch von der Beklagten und in der Stellungnahme des ALS (Anlage B 4) nicht aufgezeigt.
37
c) Es kann deshalb dahinstehen, ob es grundsätzlich zulässig ist, eine nach Art. 8 Abs. 1 HCVO i.V.m. dem Anhang zur HCVO zulässige nährwertbezogene Angabe, um die Angabe der absoluten Menge eines Nährstoffs in Gramm zu ergänzen, da eine entsprechende Angabe jedenfalls in der nach der LMIV vorgeschrieben Form erfolgen muss, was hier – wie oben dargelegt (vgl. II 2) – nicht der Fall ist.
38
Insbesondere bedarf es aus diesem Grund im Streitfall keiner Entscheidung, ob die als allgemeine Aussagen formulierten nährwertbezogenen Claims (hier: „hoher Proteingehalt“) grundsätzlich um konkrete zahlenmäßige Angaben ergänzt werden dürfen (dies verneinend: LG Heilbronn, GRUR-RS 2023, 24852 Rn. 48) und ob hierbei grundsätzlich auch der Anteil des Nährstoffs an der Gesamtmenge des Lebensmittels in % (vgl. das Beispiel in der Stellungnahme des ALS, Anlage B 4) oder als absolute Gramm-Angabe (wie hier) angegeben werden darf (dies verneinend im Hinblick darauf, dass im Anhang zur HCVO ein „hoher Proteingehalt“ daran geknüpft wird, dass auf den Proteinanteil mindestens 20 % des gesamten Brennwerts des Lebensmittels entfallen: OLG Hamburg, GRUR-RS 2024, 25420 Rn. 28 f.).
39
d) Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 2 AEUV hält der Senat nicht für erforderlich, da das vorgenannte Ergebnis aus Sicht des Senats eindeutig ist. Jedenfalls sieht der Senat im Rahmen des ihm als nicht letztinstanzliches Gericht zustehenden Ermessens von einer Vorlage ab, zumal die Revision zuzulassen war (vgl. unten C).
40
4. Das unter II 2 dargelegte Vorenthalten der wesentlichen Informationen war auch erheblich im Sinne des § 5a Abs. 1 Nr. 1 und 2 UWG.
41
a) Bei den in § 5a Abs. 1 Nr. 1 und 2 UWG genannten Voraussetzungen, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information „nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen“ und „deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“, handelt es sich um selbständig zu prüfende zusätzliche Tatbestandsmerkmale des Unlauterkeitstatbestands nach § 5a Abs. 1 UWG. Allerdings trifft den Unternehmer, der geltend macht, dass – abweichend vom Regelfall – der Verbraucher eine ihm vorenthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, insoweit eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2022, 930 Rn. 51 – Knuspermüsli II, m.w.N.). Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte vorliegend im Ergebnis nicht erfolgreich nachgekommen.
42
b) Die Beklagte hat trotz des Hinweises des Senats im Termin vom 24.10.2024, wonach sich der Anspruch auch aus § 5a Abs. 1 UWG ergeben könnte, nichts zu den vorgenannten Voraussetzungen vorgetragen. Allerdings hat die Beklagte – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – Ausführungen zu dem Merkmal der (aus ihrer Sicht fehlenden) Spürbarkeit der Beeinträchtigung im Sinne von § 3a UWG gemacht, für welches der BGH in seiner früheren Rechtsprechung grundsätzlich auf dieselben Kriterien wie in § 5a Abs. 1 Nr. 1 und 2 UWG abgestellt hat (vgl. BGH, GRUR 2022, 930 Rn. 21 – Knuspermüsli II, m.w.N.).
43
Die Beklagte trägt insoweit vor, zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Verbrauchers könne es durch die streitgegenständlichen Angaben nicht kommen. Es gehe vorliegend nicht darum, ein falsches Bild zu erzeugen und nicht gerechtfertigte Vorteile herauszustellen. Dem Verbraucher werde durch die Angaben deutlich gemacht, dass das Produkt einen hohen Proteingehalt habe. Dies sei nach den gesetzlichen Bestimmungen zutreffend. Bei „Proteinclaims“ sei es für den Durchschnittsverbraucher allerdings schwieriger als bei anderen Nährwertclaims zu erkennen, warum ein hoher Proteingehalt gegeben sei. Daher sei die Erläuterung durch Ergänzung des tatsächlichen Proteingehalts („14 G“) bei der Nährwertangabe eine nicht nur zutreffende, sondern auch sinnvolle Ergänzung für den interessierten Verbraucher. Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Unionsgesetzgeber die allgemeine Referenzmenge an Protein für Erwachsene pro Tag auf 50 g festgelegt habe, so dass gerade der sich für eine ausgewogene Ernährung interessierende Verbraucher sogleich erkennen könne, dass das Produkt der Beklagten 28 % der täglich empfohlenen Referenzmenge an Protein beinhalte.
44
c) Mit diesen Ausführungen lässt sich nicht begründen, dass die vorenthaltenen Nährwertangaben an den betreffenden Stellen der Verpackung vorliegend entgegen den gesetzgeberischen Grundwertungen ausnahmsweise für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht erheblich im Sinne von § 5a Abs. 1 Nr. 1 und 2 UWG sind.
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Gerade der an einer ausgewogenen Ernährung interessierte Verbraucher benötigt für eine informierte Kaufentscheidung nicht nur die Angabe zur Menge des (absoluten) Proteingehalts des Produkts, sondern auch die Angaben zum Brennwert sowie zur Menge der weiteren in dem Produkt enthaltenen Nährstoffe, wie etwa Zucker oder Fett. Deshalb soll nach den Erwägungen des Unionsgesetzgebers der Verbraucher diese Informationen grundsätzlich alle „auf einen Blick“ erhalten, um nicht durch die prominente Herausstellung einzelner Nährwertangaben von den übrigen Angaben abgelenkt zu werden.
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Dieser Grundgedanke greift entgegen der Auffassung der Beklagten auch dann, wenn ein Lebensmittel einen „hohen Proteingehalt“ im Sinne des Anhangs zur HCVO aufweist und deshalb nach Art. 8 Abs. 1 HCVO mit dieser (oder einer gleichbedeutenden) Aussage beworben werden darf und wird. Die HCVO macht einen hohen Proteingehalt davon abhängig, dass auf den Proteinanteil mindestens 20 % des gesamten Brennwerts des Lebensmittels entfallen. Die Angabe des Proteingehalts in Gramm sagt für sich genommen deshalb nichts darüber aus, warum das Produkt einen hohen Proteingehalt aufweist, und vor allem nichts darüber, ob der Proteinanteil „nur“ 20 % oder beispielsweise 30 % oder 40 % des gesamten Brennwerts des Lebensmittels beträgt, was für den Verbraucher indes von erheblicher Bedeutung sein kann. Durch die isolierte Herausstellung der reinen Proteinmenge in Gramm könnte der Verbraucher aber zu der Annahme verleitet werden, das Produkt mit der höchsten ausgezeichneten Menge an Protein weise auch den „höchsten“ Proteingehalt auf, was nach den Maßstäben der HCVO aber nicht zwingend der Fall ist und deshalb zu einer Verwirrung des Verbrauchers führen kann. Die nach Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a LMIV vorgeschriebene Angabe des Brennwerts unmittelbar zusammen mit den Mengen an Nährstoffen, insbesondere Protein, benötigt der Verbraucher daher, um den Proteinanteil im Verhältnis zum Gesamtbrennwert besser einschätzen und die Produkte im Hinblick auf die Aussage „hoher Proteingehalt“ bereits „auf den ersten Blick“ aussagekräftig miteinander vergleichen zu können.
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Ebenso benötigt der Verbraucher für eine informierte Kaufentscheidung neben der Angabe an Eiweiß außer der Brennwertangabe die Angabe der Mengen der weiteren in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b LMIV genannten Nährstoffe. Die Brennwertangabe und weitere Nährwertangaben sind dabei insbesondere auch für den Verbraucher, der sich besonders für die Abdeckung des empfohlenen (oder gewünschten) täglichen Proteinbedarfs (etwa im Sinne der Referenzmenge von 50 g) interessiert, von Relevanz, da dieser ansonsten Gefahr läuft, den Proteinbedarf auf Kosten einer insgesamt zu hohen Brennwertmenge oder einer zu hohen Menge an ggf. unerwünschten Nährstoffen wie Zucker oder Fett abzudecken.
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Gerade in Bezug auf Verbraucher, die sich durch die Aussage „hoher Proteingehalt“ angesprochen fühlen, kommt mithin der oben genannte gesetzgeberische Grundgedanke sogar besonders zum Tragen, weil diese Verbraucher geneigt sein werden, in der Augenblicksentscheidung des Lebensmitteleinkaufs (vgl. LG Heilbronn, GRUR-RS 2023, 24852 Rn. 49) schlicht zu dem Produkt mit der höchsten absoluten – herausgestellt dargestellten – Menge an Protein zu greifen, obwohl es sich hierbei womöglich nicht um das Produkt mit dem „höchsten“ Proteingehalt im Sinne der HCVO oder um ein Produkt mit einer insgesamt „schlechteren“ Nährwertzusammensetzung handelt. Das Vorenthalten der weiteren Angaben nach Art. 30 Abs. 1 Satz 1 LMIV an der betreffenden Stellen der Produktverpackung ist daher im Streitfall auch dazu geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
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5. Die Beklagte hat somit gegen § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG i.V.m. Art. 30 Abs. 1 und 3, Art. 34 Abs. 1 LMIV verstoßen. Die durch diesen Wettbewerbsverstoß begründete tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (st. Rspr., vgl. nur BGH, GRUR 2020, 755 Rn. 80 – WarnWetter-App, m.w.N.) wurde von der Beklagten nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt.
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III. Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkostenpauschale, die der Höhe nach nicht zu beanstanden ist, folgt aus § 13 Abs. 3 UWG. Insbesondere sind die Anforderungen aus § 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG erfüllt, wonach die beanstandete Rechtsverletzung klar und verständlich unter Angabe der tatsächlichen Umstände anzugeben ist. So ergab sich aus der als Anlage K 3 vorgelegten Abmahnung vom 31.10.2022 für die Beklagte klar und verständlich, dass der Kläger in der in tatsächlicher Hinsicht eindeutig umrissenen Wiederholung des Proteingehalts auf dem streitgegenständlichen Produkt einen Verstoß gegen die LMIV sieht, der nicht von Art. 30 Abs. 3 LMIV gedeckt sei. Dass der Kläger dies als einen Verstoß gegen § 3a UWG und nicht als einen solchen gegen § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG angesehen hat, ist demgegenüber unschädlich (vgl. BGH, GRUR 2021, 752, Rn. 26 – Berechtigte Gegenabmahnung; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl., § 13 Rn. 16). Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291, § 288 Abs. 1 BGB.
C.
51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
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Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich noch nicht geklärt und können sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen. Wie sich aus den von der Beklagten vorgelegten Anlagen B 1 bis B 3 ergibt, sind Angaben der streitgegenständlichen Art auf der Verpackung von Lebensmitteln weit verbreitet. Es wurden bzw. werden auch bereits Parallelverfahren beim LG Hamburg (GRUR-RS 2023, 40453) bzw. OLG Hamburg (GRUR-RS 2024, 25420) sowie beim LG Heilbronn (GRUR-RS 2023, 24852) gegen andere Lebensmittelhersteller geführt. Die Instanzgerichte sind dabei bislang zwar zu gleichen Ergebnissen gekommen, im Einzelnen aber mit unterschiedlichen Begründungen. Zudem vertritt der Arbeitskreis Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS) in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2020 (Anlage B 4) offenbar eine andere Rechtsauffassung, so dass im Sinne der Rechtssicherheit grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.