Inhalt

VG München, Urteil v. 16.10.2024 – M 9 K 20.6733
Titel:

Nachbarklage, Baugenehmigung, Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung, Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43545

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines 7-Familien-Wohnhauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. 4886/56 der Gemarkung I. (im Folgenden: Baugrundstück).
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Der Kläger ist Eigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. 4886/59 der Gemarkung I. Dieses ist mit zwei Wohngebäuden bebaut.
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Für den Bereich, in dem das Baugrundstück liegt, gibt es keinen Bebauungsplan.
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Mit angefochtener Baugenehmigung vom … November 2020 wurde dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Neubau eines 7-Familien-Wohnhauses mit Tiefgarage auf dem Baugrundstück erteilt.
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Mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 17. Dezember 2020, bei Gericht am 18. Dezember 2020 eingegangen, ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid vom … November 2020 erheben und beantragt,
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den Bescheid vom … November 2020 aufzuheben.
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Mit Schriftsätzen vom 12. April 2021, 16. Juni 2021, 19. Juli 2021 und 4. Oktober 2021 wird im Wesentlichen klagebegründend ausgeführt, dass das Vorhaben nach § 34 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Das Maß der baulichen Nutzung habe als Einfügungskriterium des § 34 Abs. 1 BauGB auch drittschützende Natur. Das sog. Wannsee-Urteil (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17) erkenne den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung eine nachbarschützende Wirkung zu. Ein entsprechender Planungswille der Beklagten lasse sich durch die in der näheren Umgebung vorherrschende gelockerte Bebauung erkennen. Das Bauvorhaben füge sich nicht nach seiner Eigenart in die nähere Umgebung ein, sondern steche als 7-Familien-Wohnhaus gänzlich aus der näheren Umgebung heraus. Die umliegenden Grundstücke seien mit Einfamilienhäusern bzw. maximal Doppelhäusern bebaut. Ein derart massives Bauobjekt, wie es der Beigeladene plane, existiere in der näheren Umgebung nicht. Die angeführten Bezugsfälle zählten nicht zur näheren Umgebung und seien zudem als Ausreißer anzusehen. Der massive Charakter des Vorhabens schaffe eine erdrückende Wirkung auf die Nachbargrundstücke. Zudem unterscheide sich das Vorhaben von der überwiegend vorherrschenden offenen Bauweise. Der Beigeladene überbaue sein ganzes Grundstück und versiegele damit jegliche Fläche. Das geplante Vorhaben rücke zur klägerischen nördlichen Grundstücksgrenze bis ans Äußerste heran, so dass das Anwesen des Klägers geradezu erdrückt werde und sich das Vorhaben als rücksichtslos darstelle. Aufgrund der Höhe des Vorhabens entstünden Einblicksmöglichkeiten auf darunterliegende Zimmer des Einfamilienhauses des Klägers und in dessen Garten. Auf den Inhalt der Schriftsätze im Übrigen wird Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird mit Schreiben vom 28. Juni 2021 und 5. August 2021 im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Maß der baulichen Nutzung keine drittschützende Funktion zukomme. Die vom Kläger zitierte Wannsee-Entscheidung sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zudem füge sich das Vorhaben mit angemessener Fortentwicklung in die nähere Umgebung nachbarverträglich ein. Die Bezugsobjekte könnten für die Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens herangezogen werden, da das Gebiet eng bebaut sei und sämtliche in dem Gebiet befindlichen Gebäude die umgebenden Grundstücke prägten. Die maßgebliche Umgebung sei nicht allein von klassischen kleinteiligen Wohngebäuden mit Einfamilien- und Doppelhäusern bebaut. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Das Bauvorhaben halte zur Grundstücksgrenze des Klägers die erforderlichen Abstandsflächen bei einem Grenzabstand von 4,21 m nach Norden ein. Eine erdrückende Wirkung durch das Vorhaben sei unter keinem Umstand erkennbar. Die maßgeblichen Wand- und Firsthöhen bewegten sich in keinem überdimensionierten Bereich.
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Der Bevollmächtigte des Beigeladenen beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Bevollmächtigte des Beigeladenen trägt mit Schriftsatz vom 28. Mai 2021 zur Begründung im Wesentlichen vor, dass der Bebauungszusammenhang durch die Abgrenzung des Viertels durch Grünzonen geprägt sei und sich in diesem Bereich eine Vielzahl von unterschiedlichen Häuserarten befänden. Die Bezugsfälle gehörten zum Bebauungszusammenhang und stellten keine Ausreißer dar, sondern eine adäquate zeitgemäße Ausfüllung einer verbliebenen Baulücke. Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens werde nicht erzeugt, da das Gebäude hinsichtlich der Höhe in etwa dem vorhandenen Bestand entspreche. Das Bauvorhaben sei in offener Bauweise und die Abstandsflächen würden eingehalten.
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Am 16. Oktober 2024 fanden Augenschein und mündliche Verhandlung statt; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom … November 2020 verletzt keine Rechte, die dem Schutz des Klägers dienen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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In der hier vorliegenden Konstellation der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn verspricht die Klage nur dann Erfolg, wenn durch die streitgegenständliche Baugenehmigung öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, welche gerade auch dem Schutz des Klägers dienen und Gegenstand des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO sind (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
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Eine Verletzung von drittschützenden Vorschriften liegt nicht vor. Die Baugenehmigung weist keine Fehler auf, die den Kläger in seinen Rechten verletzen könnten. Weder kann sich der Kläger auf ein fehlendes Einfügen des Vorhabens in die nähere Umgebung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung oder der Bauweise berufen (a.), noch ist der sogenannte Gebietserhaltungsanspruch verletzt (b.). Schließlich ist eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zulasten des Klägers ebenfalls nicht gegeben (c.).
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a. Das Vorhaben befindet sich im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das Vorhaben deswegen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bzw. nach § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB in Verbindung mit der einschlägigen Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung. Soweit der Kläger vorträgt, das streitgegenständliche Vorhaben füge sich im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise nicht in die nähere Umgebungsbebauung ein, führt dieser Einwand nicht zu einer Rechtverletzung des Klägers, da weder dem Maß der baulichen Nutzung noch der Bauweise drittschützende Funktion zukommt (vgl. hierzu z.B. BVerwG, B.v. 19.10.1995, – 4 B 215/95 – Rn. 3 – juris; VG München, B.v. 12.7.2010, – M 8 SN 10.2346 – Rn. 53 – juris; VG München, B.v. 1.12.2011 – 8 SN 11.5205 – juris; VG München, U.v. 16.9.2020 – M 9 K 19.4456 – juris Rn. 28). Im unbeplanten Innenbereich besteht mangels Bebauungsplan auch keine Möglichkeit, das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise durch einen im Bebauungsplan erkennbaren Planungswillen ausnahmsweise nachbarschützend „aufzuladen“. Soweit der Klägerbevollmächtigte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der sogenannten „Wannsee-Entscheidung“ (U.v. 9. August 2018 – 4 C 7.17) dem Maß der baulichen Nutzung eine drittschützende Funktion zuweisen will, betrifft die aufgeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine drittschützende Wirkung zu Festsetzungen eines (übergeleiteten) Bebauungsplans. Daraus folgt aber kein genereller Drittschutz hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung. Insoweit ist eine entsprechende Zwecksetzung der Gemeinde erforderlich, die im unbeplanten Innenbereich aber gerade fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2020 – 1 CS 20.1955 – juris Rn. 3). Einen solchen, vom Planungswillen der Gemeinde abhängigen ausnahmsweisen Drittschutz hat der Kläger im Übrigen auch nicht dargelegt. Der bloße Hinweis, der Planungswille lasse sich aus der in der näheren Umgebung vorherrschenden gelockerten Bebauung erkennen, genügt nicht, unabhängig davon, dass es im unbeplanten Innenbereich einen Planungswillen nicht gibt.
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Der Vortrag zum Charakter der näheren Umgebung als Siedlung mit klassischen kleinteiligen Wohngebäuden sowie Einfamilien- und Doppelhäusern, dem Überschreiten des vorgegebenen Rahmens hinsichtlich Höhenentwicklung, Baumasse, Bauweise und Flächenversiegelung ist deswegen in der vorliegenden Nachbarrechtsbehelfssituation nicht entscheidungserheblich und kann keine Nachbarrechtsverletzung begründen.
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b. Das Vorhaben fügt sich als Wohngebäude nach der Art der baulichen Nutzung unproblematisch in die nähere Umgebung ein. Eine Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs scheidet damit aus.
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c. Ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme im Hinblick auf den Kläger ist vorliegend nicht gegeben.
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Unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie des Ergebnisses des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung wird der Kläger durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht über das zumutbare Maß in seinen nachbarlichen Interessen beeinträchtigt. Das Gebot der Rücksichtnahme leitet sich für das streitgegenständliche, sich im unbeplanten Innenbereich befindliche Vorhaben entweder aus dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 HS. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ab; welche Vorschriften zur Anwendung kommen, kann dahinstehen, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Zur Bestimmung dessen, was dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, ist insbesondere auch die nähere Umgebung als (städte-)baulicher Rahmen, in den das Vorhaben- und das Nachbargrundstück eingebettet sind, sowie die jeweilige besondere bauliche Situation der betroffenen Grundstücke in den Blick zu nehmen (vgl. VG München, U.v. 14.6.2021 – M 8 K 19.2266 – juris Rn. 41; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.11.2023 – 2 ZB 21.2099 – BeckRS 2023, 37961 Rn. 11). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
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aa. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots insbesondere dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens aufgrund seiner Höhe bzw. seines Volumens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Für die Annahme einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude. Dies gilt insbesondere, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5). Damit ist eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4).
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Das ist hier nicht der Fall. Unter Berücksichtigung der soeben genannten Kriterien ist hinsichtlich der geplanten Bebauung bereits aufgrund der Höhenverhältnisse und aufgrund der Situierung des Vorhabens und der Grundstücke zueinander eine einmauernde oder erdrückende Wirkung nicht zu befürchten. Vorliegend ist ein Verstoß gegen die landesrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen auf der an das Klägergrundstück angrenzenden Seite des Vorhabens weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies spricht regelmäßig durchgreifend – indiziell bzw. in tatsächlicher Hinsicht – gegen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2018 – 9 CS 17.2597 – juris Rn. 21). Auf dieser Grundlage ist vorliegend keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots erkennbar. Es ist nicht erkennbar, dass von dem Vorhaben hinsichtlich des Klägers und insbesondere seiner Wohngebäude eine erdrückende Wirkung vorläge. Denn der Baukörper führt – so wie beantragt und genehmigt – auch unter Berücksichtigung der abweichenden Größenverhältnisse des Vorhabens und der klägerischen Bebauung nördlich des Vorhabens nicht dazu, dass sich hinsichtlich des Klägers ein Effekt des „Eingemauertseins“, eines „Gefängnishofes“ oder allgemein des „Erdrückens“ einstellen würde. Die abstandsflächenrechtlich maßgebliche Wandhöhe von 8,43 m und die Firsthöhe von in etwa 9,21 m bewegen sich in keinem überdimensionierten Bereich. Auch eine unzumutbare Verschattung ist nicht substantiiert geltend gemacht oder sonst ersichtlich. Die regelmäßig mit einer die Abstandsflächen einhaltenden Nachbarbebauung einhergehende Verschattung ist hinzunehmen. Das Vorhaben weist nach den genehmigten Planvorlagen zum nördlichen Nachbargrundstück an der schmalsten Stelle einen Abstand von etwa 3,30 m, im 2. Obergeschoss bezogen auf die Dachterrasse an der nordöstlichen Gebäudeecke des Vorhabens von etwa 4,21 m und auf den Balkon an der nordwestlichen Gebäudeecke von etwa 6,78 m bei einer Firsthöhe des Vorhabens von in etwa 9,21 m auf. Zu den klägerischen Wohngebäuden weist das Vorhaben an der schmalsten Stelle einen Abstand von etwa 9 m auf. Es verbleibt auch und gerade im Grenzbereich eine ausreichende Freifläche. Eine „erdrückende Wirkung“ ist bei einer Gesamtschau aller Umstände hinsichtlich des klägerischen Grundstücks ausgeschlossen.
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bb. Auch die durch den Kläger vorgetragenen Einsichtnahmemöglichkeiten führen zu keiner Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Zum einen ist der Umstand, dass die Abstandsflächen eingehalten sind, im Regelfall ein Indiz dafür, dass auch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist. Zum anderen vermittelt weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen einen generellen Schutz vor – unerwünschten – Einblicken (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch im Falle einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris; B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 8). Gerade in Wohngebieten entspricht es der Regel, dass der einzelne Grundstückseigentümer nicht für sich alleine, gleichsam in einem von der Außenwelt abgeschotteten Bereich lebt, sondern in eine Nachbarschaft eingebettet ist (VG Ansbach, U. v. 23. Mai 2024 – AN 17 K 23.1291 – juris Rn. 26). Im vorliegenden Einzelfall ist eine Unzumutbarkeit der entstehenden Einsichtsmöglichkeiten durch das Vorhaben schon unter Berücksichtigung der Abstände zur Grundstücksgrenze und der Einhaltung der Abstandsflächen (s.o.) nicht erkennbar. Dies auch vor dem Hintergrund, dass gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten im dicht bebauten Bereich ohnehin unvermeidlich sind und die Zumutbarkeitsschwelle diesbezüglich hoch ist. Die Betroffenen können sich generell durch das Anbringen von Jalousien, Vorhängen oder verspiegelten Fenstern sowie Bepflanzungen behelfen (vgl. hierzu auch ausführlich OVG Münster, U.v. 8.4.2020 – 10 A 352/19 – BeckRS 2020, 10287, Rn. 28 ff.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblicksmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden könnten, sind hier nicht ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass das Bauvorhaben samt den dem klägerischen Grundstück zugewandten Balkonen mit einigem Abstand zum Grundstück des Klägers hin situiert und nicht direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze geplant ist. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der konkreten Abstände der Nutzungen im vorliegenden Einzelfall zueinander ist nicht ersichtlich, inwieweit sich eine das Rücksichtnahmegebot verletzende Unzumutbarkeit mit Blick auf die Einsichtsmöglichkeiten auf das klägerische Grundstück ergeben sollte.
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cc. Der Umstand, dass mit dem Vorhaben ein 7-Familien-Wohnhauses verwirklicht werden soll, vermag keine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens zu begründen. Die Zahl der Wohneinheiten in einem Wohngebiet stellt ohne eine planerische Festsetzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) kein im Rahmen des „Einfügens“ beachtliches Kriterium dar (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77 – juris Rn. 18 f.; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 29.6.1993 – 1 B 11353/93 – juris Rn. 3 m.w.N.). Es besteht auch kein Anspruch, dass die streitgegenständlichen Grundstücke wie das eigene Grundstück genutzt oder bebaut werden (vgl. VG München, B.v. 31.07.2014 – M 8 SN 14.2877 – juris Rn. 65; VG Augsburg, U.v. 14.11.2012 – Au 4 K 11.1678 – juris Rn. 36).
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2. Die Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Es entspricht billigem Ermessen i.S.v. § 162 Abs. 3 VwGO, dem unterliegenden Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser sich durch Stellung eines schriftsätzlich begründeten Sachantrags dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO sowie § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.