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LG München II, Endurteil v. 09.02.2024 – 11 O 4278/22 Ent
Titel:

Vollstreckungsmaßnahmen, Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid, Amtshaftungsansprüche, Erlaß eines Versäumnisurteils, Amtspflichtverletzung, vertretende Behörde, Verjährungsbeginn, Verjährungsfrist, Einrede der Verjährung, Verjährungshemmung, Mahnbescheidsantrag, Doppelte Rechtshängigkeit, Durchsuchungsanordnung, Bundesfinanzhof, Durchsuchungsbeschluss, Finanzamt, Finanzgericht, Prozeßbevollmächtigter, Vollstreckungskosten, Nutzungsausfallentschädigung

Schlagworte:
Versäumnisurteil, Rechtshängigkeitssperre, Amtshaftung, Verjährungseinrede, Zustellungsmangel, Vollstreckungsmaßnahmen, Schadensersatzanspruch
Vorinstanz:
LG München II, Versäumnisurteil vom 16.02.2023 – 1 O 4278/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 17.06.2024 – 1 U 956/24 e
OLG München, Beschluss vom 20.08.2024 – 1 U 956/24 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.03.2025 – III ZR 122/24
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.04.2025 – III ZR 122/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 43508

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts München II vom 16.02.2023, Az. 1 O 4278/22, wird aufrechterhalten.
2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen den beklagten ... Amtshaftungsansprüche wegen Vollstreckungsmaßnahmen geltend, die am 28.01.2016 und am 11.04.2016 erfolgten. Insbesondere begehrt der Kläger Ersatz für die dadurch eingetretenen Schäden an seinem Eigentum sowie Nutzungsersatz für ein gepfändetes Motorrad der Marke ... amtl. Kennzeichen: ... .
2
Am 28.01.2016 nahmen Vollziehungsbeamte des Finanzamts ... wegen Rückständen des Klägers bei der Staatsoberkasse ..., dem Landratsamt ... , dem Landratsamt ... sowie der Zentralen Bußgeldstelle des bayerischen Polizeiverwaltungsamtes über insgesamt 1.664,22 € nebst 24,00 € Vollstreckungskosten Pfändungen auf dem klägerischen Anwesen in der ... in P. vor.
3
Nachdem der Kläger nicht angetroffen wurde, ließen die Vollziehungsbeamten die Hintertüre zu dessen Einzelgarage in Gegenwart der Polizei durch einen Schlüsseldienst öffnen. Die Durchsuchung erfolgte aufgrund Durchsuchungsanordnung für Wohnung und Geschäftsräume des Klägers durch Beschluss des Amtsgerichts ... vom 08.12.2015, Az.: 2 M 5033/15 (Anlage K2).
4
Die leitende Vollziehungsbeamtin pfändete einen PKW ..., amtl. Kennzeichen ..., durch Anbringung von je einem Pfandzeichen an Heckscheibe und Tür und Wegnahme der Kennzeichen sowie ein gleichfalls in der Garage geparktes Motorrad der Marke ... mit dem amtl. Kennzeichen: ... durch Anbringung eines Pfandzeichens auf dem Tacho. Am 28.01.2016 wurde außerdem eine Mitteilung über diese Maßnahmen sowie eine Kopie der Durchsuchungsanordnung mit einer Auflistung aller offenen Forderungen in den Briefkasten des Klägers eingeworfen.
5
Mit Schreiben vom 03.02.2016 kündigte das Finanzamt ... dem Kläger die Abholung der gepfändeten Fahrzeuge zum 02.03.2016 wegen Rückständen in Höhe von nunmehr 1.718,54 € (1.664,22 € + 54,32 € Vollstreckungskosten) an.
6
Im Februar und März 2016 gingen beim Finanzamt ... zwei weitere Vollstreckungsersuchen vom 03.02.2016 und vom 14.03.2016 über insgesamt 596,50 € ein.
7
Als die Vollziehungsbeamten am 11.04.2016 – wegen früheren Widerstands des Klägers gegen Gerichtsvollzieher unter Polizeischutz – den PKW mit Hilfe eines privaten Abschleppdienstes abholen wollten, ließen sie die Hintertüre der Garage erneut durch einen Schlüsseldienst öffnen. PKW und Motorrad standen nicht mehr wie am 28.01.2016 nebeneinander. Vielmehr war der PKW durch Rangieren in der Einzelgarage des Klägers verkeilt worden und blockierte auch das hinter ihm stehende Motorrad. Ohne Autoschlüssel und ohne Beschädigung des mit „Safelock“ zusätzlich gesicherten PKW konnte der Abschleppdienst keines der Fahrzeuge mitnehmen. Die am 28.01.2016 angebrachten Pfandsiegel waren nicht mehr vorhanden. Da auf mehrmaliges Läuten niemand die Haustür öffnete, ließ die leitende Vollziehungsbeamtin die Hauseingangstüre und fünf durch Sicherheitsschlösser besonders gesicherte Zimmertüren von einem Schlüsseldienst gewaltsam öffnen. Schließlich zeigte sich der Kläger im oberen Stockwerk, teilte mit, nach einem Asthmaanfall geschlafen und das Klingeln und den beim Aufbrechen der Türen entstandenen Lärm nicht gehört zu haben. Er gab zudem an, nicht mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gerechnet, keine Schreiben des Finanzamtes erhalten zu haben, nichts von den Pfandsiegeln zu wissen und bestritt, Verbindlichkeiten bei den vier Behörden zu haben, die das Finanzamt um Amtshilfe gebeten hatten. Dem Kläger wurde der Durchsuchungsbeschluss gezeigt, erklärt, PKW und Motorrad seien gepfändet worden, und mitgeteilt, dass er den Abtransport durch Zahlung von 2.400 € abwenden könne. Nachdem der Kläger eine Zahlung auf die von ihm bestrittenen Verbindlichkeiten abgelehnt und erklärte hatte, die Autoschlüssel befänden sich nicht im Haus, wurde die Durchsuchung fortgesetzt und die Schlüssel in einem Safe im Keller gefunden. Anschließend wurde der PKW aus der Garage rangiert und vom Abschleppdienst mitgenommen. Das Motorrad ließen die Beamten nach Erneuerung des Pfandsiegels zurück. Die leitende Vollziehungsbeamtin nahm außerdem zwei Autoschlüssel, einen Motorradschlüssel, den Kraftfahrzeugbrief und eine Zulassungsbescheinigung mit.
8
Ferner nahm sie am 11.04.2016 eine Anschlusspfändung gemäß § 307 der Abgabenordnung (AO) in den PKW und das Motorrad zur Vollstreckung von 596,50 € aus den Vollstreckungsersuchen vom 03.02.2016 und vom 14.03.2016, von 90 € für die Wohnungsöffnung und von 54,32 € Gebühren vor. Insgesamt dauerte der Einsatz am 11.04.2016 etwa 3 1/2 Stunden, verursachte Kosten in Höhe von 1.446,30 € (= 405,05 € Kosten des Schlüsseldienstes und 1.041,25 € Abschleppkosten), Standgebühren für den PKW sowie Schäden an der Haustür und den Zimmertüren des Klägers.
9
Am 09.05.2016 erfüllte der Kläger die vom Finanzamt ... geltend gemachten Forderungen. Daraufhin hob das Finanzamt am 12.05.2016 die Pfändungen auf.
10
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts ... vom 08.12.2015, hob das Landgericht München II mit Beschluss vom 06.06.2016, Az.: 8 T 2385/16, den Beschluss des Amtsgerichts auf, weil die beizutreibenden Beträge in der Durchsuchungsanordnung nicht bezeichnet worden seien.
11
Der Einspruch des Klägers gegen die Sachpfändungen wurde vom Finanzamt ... am 10.02.2017 als unzulässig verworfen.
12
Sodann erhob der Kläger Klage zum Finanzgericht München, um feststellen zu lassen, dass die Vollstreckungsmaßnahmen vom 28.01.2026 und 11.04.2016 rechtswidrig gewesen seien.
13
Das Finanzgericht München, Außensenate A., wies mit Urteil vom 08.12.2017 – Az.: 10 K 712/17 – den Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Vollstreckungsmaßnahmen unzulässig seien, dass eine Überpfändung vorgelegen hätte und dass Auslagen überhöht gewesen seien, überwiegend ab.
14
Es wurde festgestellt, dass die Sachpfändung vom 11. April 2016 rechtswidrig gewesen war, soweit für Vollstreckungsersuchen vom 3. Februar 2016 sowie vom 14. März 2016 in Höhe von 596 € gepfändet worden war, für die kein richterlicher Beschluss vorgelegen hat. Im Übrigen (betreffend die Vollstreckungsmaßnahmen vom 28. Januar 2016 sowie die am 11. April 2016 – abgesehen von der Anschlusspfändung – durchgeführten Pfändungsmaßnahmen) wurde die Klage abgewiesen.
15
Der Bundesfinanzhof stellte in seinem Revisionsurteil vom 15.10.2019 – Az. VII R 6/18 – BFH/NV 2020, 116 – schließlich fest, dass die Sachpfändung vom 28.01.2016 rechtswidrig gewesen sei. Denn die Aufhebung des den Pfändungen zugrunde liegenden Durchsuchungsbeschlusses mache eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig (Urteil des Bundesfinanzhofs, Anlage K4).
16
Der Kläger macht nun unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofes wegen der Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes ... Amtshaftungsansprüche in Höhe von insgesamt 22.579, 62 € geltend.
17
Um seine Forderung durchzusetzen, beantragte der Kläger am 21.07.2022 beim Amtsgericht Coburg gegen den Beklagten zunächst einen Mahnbescheid über 22.579,62 € als Schadensersatzforderung nebst Zinsen seit dem 16.09.2020 sowie Verfahrenskosten. Als Vertretungsbehörde des Beklagten war im Mahnbescheidsantrag das Finanzamt ... angegeben. Der Mahnbescheid wurde am 22.07.2022 erlassen und am 29.07.2022 dem Finanzamt ... zugestellt (AG Coburg 04.08.2022 Aktenvorlage).
18
Mit Schreiben vom 02.08.2022 sendete das Finanzamt ... den Mahnbescheid an das Amtsgericht Coburg mit dem Hinweis zurück, dass das Finanzamt ... nicht die zuständige Vertretungsbehörde sei, sondern das ... .
19
Eine Abschrift dieses Hinweises gab das Amtsgericht Coburg mit Schreiben vom 17.08.2022 an den Kläger weiter mit der Aufforderung, eine ggf. gewünschte Neuzustellung des Mahnbescheides mitzuteilen (AG Coburg 17.08.2022 Schreiben).
20
Am 23.08.2022, 19.09.2022, 16.10.2022 und 31.10.2022 beantragte der Kläger gegen den Beklagten – jeweils unter Angabe des Finanzamtes ... als Vertretungsbehörde – aufgrund des am 29.07.2022 zugestellten Mahnbescheides einen Vollstreckungsbescheid.
21
Am 29.09.2022 wurde der Vollstreckungsbescheid erlassen und am 12.11.2022 dem Finanzamt ... zugestellt (Vollstreckungsbescheid vom 29.09.2022).
22
Am 15.11.2022 legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten gegen den Mahnbescheid vom 29.07.2022 und den Vollstreckungsbescheid vom 29.07.2022 Einspruch ein (BV 15.11.2022).
23
Aufgrund des eingegangenen Einspruches wurde das Verfahren am 24.11.2022 vom Amtsgericht Coburg an das Landgericht München II abgegeben (AG Coburg Schreiben 24.11.2022).
24
Auf Antrag des Beklagten stellte das Landgericht München II mit Beschluss vom 10.01.2023 (1 O 4278/22) die vom Kläger angestrengte Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid vom 29.09.2022 einstweilen ein.
25
Die mündliche Verhandlung über den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid bestimmte das Landgericht München II auf den 16.02.2023.
26
Da der Kläger nicht zum Termin erschien, erging gegen ihn ein Versäumnisurteil (Versäumnisurteil vom 16.02.2023), welches dem Kläger am 01.03.2023 laut Postzustellungsurkunde zugestellt wurde (PZU z. Urteil v. 16.02.2023).
27
Mit Schreiben vom 15.03.2023 (KV 15.03.2023 VA) legte der Kläger Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein und verfolgt seinen Anspruch weiter.
28
Der Kläger behauptet, durch die rechtswidrigen Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes ...,  die dem Beklagten zuzurechnen seien, sei seine Hauseingangstüre derart stark beschädigt worden, dass diese gänzlich ausgetauscht werden musste, wofür Kosten i.H.v. 5.281,22 € angefallen seien.
29
Durch den Austausch der Schließzylinder an den fünf Zimmertüren seien weitere Kosten i.H.v. 2.064,41 € entstanden.
30
Dabei meint der Kläger, es sei nicht unschlüssig, dass die Reparaturrechnungen z.T. aus dem Jahr 2020 stammen. Schließlich habe er vor Auftragsvergabe vernünftigerweise erst die Entscheidung des Bundesfinanzhofes abgewartet, um sich seines Erstattungsanspruches sicher zu sein.
31
Des Weiteren ist der Kläger der Auffassung, ihm stünde infolge der rechtswidrigen Pfändung seines Kraftrades eine Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum 28.01.2026 bis 25.05.2016 zu. Die Entschädigung sei pro Tag mit 56,00 € anzusetzen, betrage also insgesamt 6.608,00 €.
32
Zudem müsse ihm der Beklagte Ersatz für geleistete Einsatzkosten i.H.v. 1.500,62 € zzgl. Gerichtskosten i.H.v. 44,50 €, Rechts- und Beratungskosten i.H.v. 6.839,87 € sowie weitere Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 241,00 € leisten.
33
Der Kläger ist daher der Ansicht, ihm stünde ein Amtshaftungsanspruch in Höhe von insgesamt 22.579,62 € gegen den Beklagten zu.
34
Der Anspruch sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die mit drei Berufsrichtern besetzte Kammer des Finanzgerichts München die Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes ... zunächst bestätigt hatte. Das lasse das Verschulden der Vollstreckungsbehörden nicht entfallen.
35
Entscheidend sei allein das Urteil des Bundesfinanzhofes, der die Vollstreckungsmaßnahmen zu Recht für rechtswidrig erklärt habe, nachdem das Landgericht München II bereits durch die Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts ... den Vollstreckungsmaßnahmen die Grundlage entzogen habe.
36
Schließlich fehle es durchgehend an einer wirksamen Prozessvollmacht des Beklagtenvertreters. Die am 07.12.2023 vorgelegte und auf den 15.11.2022 datierte Vollmachtsurkunde sei formunwirksam und erst nach dem 05.12.2023 erstellt worden. Auch sei eine Bevollmächtigung der die Vollmacht ausstellenden Regierungsdirektorin nicht nachgewiesen. Damit seien alle bisherigen Prozesshandlungen und -anträge des Beklagten unwirksam und eine ordnungsgemäße Vertretung in der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2023 mithin nicht gegeben.
37
Der Kläger beantragte daher zuletzt,
den Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten,
hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Euro 22.579,62 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab dem 16.09.2020 zu zahlen.
38
Der Beklagte beantragte zuletzt,
der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts München II vom 16.02.2023 wird zurückgewiesen.
39
Der Beklagte erhebt zunächst den Einwand der doppelten Rechtshängigkeit und trägt dazu vor, dass insbesondere der geforderte Ersatz der Einsatzkosten i.H.v. 1.500, 62 € – soweit unstreitig – bereits vor dem Finanzgericht München I anhängig ist (vgl. Anlage B1).
40
Hier sei aus Sicht des Klägers schon nicht der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet.
41
Der für die beschädigten Türen geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei zudem völlig unsubstantiiert und unschlüssig. So verwundere es, dass der Kläger Reparaturrechnungen aus dem Jahr 2020 vorlege, wo doch die Beschädigungen im Jahr 2016 erfolgt seien.
42
Unschlüssig sei auch die beantragte Nutzungsausfallentschädigung für das gepfändete Kraftrad. Zum Zeitpunkt der Pfändung sei der Versicherungsschutz bereits erloschen gewesen, weshalb es schon an einem Nutzungswillen des Klägers fehle.
43
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Rechtswidrigkeit der Pfändungsmaßnahmen vom 28.01.2016 stelle eine Änderung der obergerichtlichen Rechtsprechung dar. Dem Finanzamt, das nach der bis dahin geltenden, alten Rechtslage gehandelt habe, sei jedenfalls keine schuldhafte Verkennung der Rechtslage vorzuwerfen, zumal selbst noch das mit drei Berufsrichtern besetzten Finanzgericht die Maßnahmen bestätigt habe.
44
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
45
Er ist der Ansicht, dass sämtliche Ansprüche des Klägers jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2022 verjährt seien. Der beantragte und erlassene Mahnbescheid wie auch der Vollstreckungsbescheid hätten die Verjährung nicht gehemmt, da sie nicht der vertretungsberechtigten Behörde zugestellt worden seien.
46
Die zuständige Behörde habe in unverjährter Zeit nicht vom Inhalt des Mahn- und Vollstreckungsbescheides Kenntnis erlangt, noch sei die Wirksamkeit der Zustellung in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft worden.
47
Der Kläger ist diesbezüglich der Auffassung, dass die von der Beklagtenseite erhobene Einrede der Verjährung nicht durchgreife, da zum einen das gegenständliche Verfahren weit vor dem regelmäßigen Verjährungsbeginn gegen den richtigen Beklagten in die Wege geleitet worden sei. Wie der beklagte ... seine Vertretung regele, sei – auch in Hinblick auf § 12 Abs. 3, 14 AGO – ohne jedweden Belang. Aufgrund der unzweifelhaft durch den Bundesfinanzhof festgestellten Rechtswidrigkeit sei ohnehin § 852 BGB einschlägig.
48
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2023.
49
Hinsichtlich des festgestellten Sachverhaltes betreffend die im Jahr 2016 erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen wird insbesondere auf das Urteil des Bundesfinanzhofes – vorgelegt als Anlage K4 – Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

50
Das Versäumnisurteil des Landgerichts München II vom 16.02.2023, Az. 1 O 4278/22, war aufrechtzuerhalten. Der Einspruch des Klägers ist zulässig, insbesondere fristgerecht, sodass der Prozess in den Stand vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt worden ist (§ 342 ZPO).
51
Die Zuständigkeit des Landgerichts München II ergibt sich sachlich aus §§ 23, 71 GVG und örtlich aus §§ 12, 17, 32 ZPO.
52
Die Klage ist jedoch zum Teil bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
53
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger Ersatz für geleistete Einsatzkosten i.H.v. 1500, 62 € zuzüglich hierfür bereits angefallener Gerichtskosten i.H.v. 44,50 € begehrt. Dieser Klageposten ist seit dem 31.12.2022 bereits bei den Finanzgerichten anhängig. Mit Urteil vom 22.06.2023 (Az.: 10 K 5/23 FG München, Anlage B1) hat das Finanzgericht München die Geltendmachung der Einsatzkosten i.H.v. 1.500, 62 € – abgesehen von einem zugesprochenen Teilbetrag i.H.v. 390 € – abgewiesen. Das Urteil ist wohl noch nicht rechtskräftig. Einer Sachentscheidung im hiesigen Verfahren steht insoweit die doppelte Rechtshängigkeit als negative Prozessvoraussetzung entgegen. Die Rechtshängigkeitssperre greift auch im Verhältnis aller Gerichtszweige zueinander ein (§ 17 Abs. 1 S. 2 GVG). Klagen vor dem Arbeits-, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgericht bewirken eine Sperre für Klagen mit demselben Streitgegenstand vor einem ordentlichen Gericht und umgekehrt (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 261 Rn. 46-49).
54
Soweit die Klage zulässig ist, war über sie durch Sach- und nicht durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Denn der Beklagte war im Termin vom 05.12.2023 nicht säumig, da durch einen zugelassenen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten vertreten. Die Bevollmächtigung wurde im Termin anwaltlich versichert und mit Schriftsatz vom 07.12.2023 (BV 07.12.2023 Vorlage Vollmacht) als Urkunde zur Akte nachgereicht.
II.
55
Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
56
1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG aufgrund eines pflichtwidrigen öffentlich-rechtlichen Handelns der Vollziehungsbeamten des Finanzamtes ... am 28.01.2016 und 11.04.2016 zu.
57
Es liegt keine schuldhafte Amtspflichtverletzung der Vollziehungsbeamten vor.
58
Für das Verschulden im Rahmen der Amtshaftung gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze des § 276 BGB, der eine Haftung für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln vorsieht.
59
Ein vorsätzliches pflichtwidriges Handeln der Vollstreckungsbeamten ist hier nicht ersichtlich. Letztlich scheidet auch eine fahrlässige Amtspflichtverletzung aus.
60
Da der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts ... vom 08.12.2015 keine genaue Auflistung der beizutreibenden Beträge enthielt, war der Beschluss und die daran anknüpfenden Vollstreckungsmaßnahmen zwar rechtswidrig, wie der Bundesfinanzhof mit Revisionsurteil vom 15.10.2019 – Az. VII R 6/18 – BFH/NV 2020, 116 – festgestellt hat.
61
Allerdings erfolgte die Aufhebung des den Pfändungen und Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde liegenden Durchsuchungsbeschlusses erst durch den Beschluss des Landgerichts München II vom 06.06.2016 und damit weit nach den Pfändungsmaßnahmen.
62
Zudem stellte die mit drei Berufsrichtern besetzte Kammer des Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg, im Urteil vom 08.12.207 – 10 K 712/17 – vor der Entscheidung des Bundesfinanzhofes noch fest, dass lediglich die Sachpfändung vom 11. April 2016 rechtswidrig gewesen war, soweit eine Überpfändung für nicht vom Durchsuchungsbeschluss abgedeckte Vollstreckungsersuchen stattgefunden habe, so betreffend die Vollstreckungsersuchen vom 23.02.2016 und vom 14.03.2016 in Höhe von 596 €. Im Übrigen (betreffend die Vollstreckungsmaßnahmen vom 28.01.2016 und die am 11.04.2016 – abgesehen von der Anschlusspfändung – durchgeführten Pfändungsmaßnahmen) wurde die Vollstreckungsmaßnahmen nicht beanstandet und für rechtmäßig befunden.
63
Würde man nun von einer Behörde bessere Rechtskenntnisse erwarten, als sie ein Amtsgericht und ein mit drei Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht besitzen, würden die Sorgfaltspflichten überspannt werden.
64
Von einem Exekutivorgan kann nicht mehr Rechtskenntnis verlangt werden als von einem mit drei Berufsrichtern besetzten Kollegialgericht (vgl. BGH, NVwZ 1998, 878).
65
Den Vollziehungsbeamten des Finanzamtes ... ist deshalb keine schuldhafte Amtspflichtverletzung vorzuwerfen, für die gemäß Art. 34 S. 1 GG der Beklagte haften würde.
66
2. Überdies wäre ein Amtshaftungsanspruch des Klägers gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht mehr durchsetzbar, da Verjährung eingetreten ist.
67
Der Beklagte hat sich in seiner Klageerwiderung vom 26.06.2023 auch auf die Einrede der Verjährung berufen, § 214 Abs. 1 BGB.
68
Gemäß § 199 I BGB beginnt die für einen Amtshaftungsanspruch maßgebliche dreijährige Regelverjährungsfrist des § 195 BGB am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Kläger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangte oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
69
Aufgrund des Vorranges des Primärrechtsschutzes (§ 839 Abs. 3 BGB) war die Verjährung eines möglichen Amtshaftungsanspruches mit Klageeinreichung bei den Finanzgerichten auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen gehemmt gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB analog (MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 204 Rn. 12).
70
Damit begann die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren erst nach der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 15.10.2019 und damit nicht vor Schluss des Jahres 2019.
71
Die Verjährungsfrist war mit Ende des Jahres 2022 abgelaufen, ohne dass eine weitere Hemmung gem. § 204 BGB eingetreten wäre.
72
Der am 21.07.2022 beantragte Mahnbescheid und die am 19.09., 16.10. und am 31.10.2022 beantragten Vollstreckungsbescheide konnten die Verjährung nicht hemmen, da diese an eine nicht vertretungsberechtigte Behörde zugestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2004 – VII ZR 351/02).
73
Auf Antrag des Klägers stellte das Mahngericht am Amtsgericht Coburg sämtliche Bescheide an das Finanzamt ... zu. Zuständige Vertretungsbehörde war und ist aber das Landesamt für Finanzen.
74
Ein dahingehender Hinweis des Finanzamtes ... wurde dem Kläger auch durch das Amtsgericht Coburg mit Schreiben vom 17.08.2022 weitergeleitet, sodass der Kläger Gelegenheit hatte, in unverjährter Zeit eine Neuzustellung des Mahnbescheides an die zuständige Vertretungsbehörde zu bewirken. Dies ließ der Kläger jedoch unberücksichtigt und gab in den folgenden Anträgen auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides wiederum das Finanzamt ... als Vertretungsbehörde an (so in den Anträgen vom 19.09., 16.10., 31.10.2023).
75
Da das Finanzamt ... – wie im Schreiben vom 02.08.2022 (FA FFB 02.08.2022 Schreiben) mitgeteilt – die ihm zugestellten Bescheide wieder an das Amtsgericht Coburg zurücksandte und nicht etwa an die zuständige Vertretungsbehörde weiterleitete, erhielt diese auch nicht vom Inhalt der Bescheide Kenntnis, jedenfalls ist dies nicht schlüssig dargetan.
76
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schreiben vom 15.11.2022 beim Amtsgericht Coburg Einspruch gegen den Mahnbescheid vom 29.07.2022 und gegen den Vollstreckungsbescheid vom 29.09.2022 eingelegt hat. Allein daraus lässt sich nicht ableiten, dass die zuständige Vertretungsbehörde zu diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Inhalt der Bescheide erlangt hatte. Daher scheidet eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO aus.
77
Somit liegen auch die kumulativen Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung trotz unwirksamer Zustellung des Mahnbescheids nicht vor (vgl. dazu BGH Urteil vom 26.02.2010 – Az.: V ZR 98/09). Denn der Kläger hat vorliegend nicht alles aus seiner Sicht Erforderliche getan, um eine wirksame Zustellung zu veranlassen, die Vertretungsbehörde hat nicht in unverjährter Zeit von dem Erlass des Mahnbescheids und seinem Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirksamkeit der Zustellung wurde nicht in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft.
78
3. Ein Anspruch des Klägers aus § 852 BGB ist nicht gegeben.
79
Wie bereits dargelegt, liegt kein Amtshaftungsanspruch vor, der eine Ersatzpflicht des Beklagten i.S.v. § 852 S. 1 BGB begründen könnte. Zudem hat der Beklagte im Hinblick auf die Klagepositionen (Schadensersatzansprüche für beschädigte Türen, Nutzungsausfallentschädigung, Rechtsverfolgungskosten) nichts erlangt, was noch in dessen Vermögen vorhanden ist und über was vorliegend im Rahmen der Begründetheit der Klage zu entscheiden war.
III.
80
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
81
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.