Titel:
Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG, Prüfungstiefe des Gesundheitsamts, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, Anordnung weitergehender Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 ff. statt (erneuter) Anordnung einer Nachweisvorlage
Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1
IfSG § 20 Abs. 12 S. 1 Nr. 1
IfSG § 20 Abs. 12 S. 2
IfSG § 20 Abs. 13 S. 1
Schlagworte:
Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG, Prüfungstiefe des Gesundheitsamts, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, Anordnung weitergehender Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 ff. statt (erneuter) Anordnung einer Nachweisvorlage
Fundstelle:
BeckRS 2024, 42782
Tenor
1. Es wird vorläufig festgestellt, dass von den Antragstellern für ihre Tochter …, geb. …, …, … ein ausreichender Nachweis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG erbracht wurde.
Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Pflicht zum Nachweis eines ausreichenden Masernschutzes für ihre Tochter.
2
Die Antragsteller sind die sorgeberechtigten Eltern von …, geb. am … Mit Schreiben vom 26.04.2023 wandten sich die Antragsteller wegen der beabsichtigten Betreuung ihrer Tochter in einer Kindertagesstätte an das Landratsamt – Gesundheitsamt – … und legten dabei ein „Ärztliches Gutachten zur Impffähigkeit“ von Prof. Dr. med. …, …, …, vom 26.04.2023 vor, wonach die Tochter der Antragsteller bis zum 26.10.2023 vorläufig impfunfähig sei. Im Gutachten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um ein schriftliches Gutachten aufgrund der vorliegenden Aktenlage ohne körperliche Untersuchung handele und dass daher keine abschließende Beurteilung abgegeben werden könne. Die vorläufige Impfunfähigkeit resultiere jedoch daraus, dass bis zum Ausschluss einer möglichen, schwerwiegenden Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der in der EU zugelassenen Impfstoffe durch eine amtsärztlich veranlasste allergologische Abklärung keine Impfung gegen das Masern-Virus erfolgen solle. Die Antragsteller begehrten mit Schreiben vom 26.04.2023 zudem die Ausstellung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung durch das Gesundheitsamt und eine entsprechende Überweisung/Anordnung, mit der eine Untersuchung an einem allergologischen Fachzentrum auf Staatskosten durchgeführt werden könne.
3
Mit E-Mails vom 30.05.2023 bzw. 06.07.2023 teilte das Gesundheitsamt den Antragstellern mit, dass eine medizinische Kontraindikation gegen die Impfung durch ein ärztliches Attest nachgewiesen werden müsse. Aus dem Gutachten vom 26.04.2023 ergebe sich weder der Nachweis einer Masernimmunität, noch eine klare und individuelle Kontraindikation gegen die Masernimpfung. Eine allergologische Abklärung werde weder vom Gesundheitsamt beauftragt, noch übernehme es die hierbei entstehenden Kosten.
4
Mit Schreiben vom 07.07.2023 teilten die Antragsteller dem Gesundheitsamt mit, dass kein Nachweis gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG im Sinne einer Impfbescheinigung erbracht werden könne, da große Bedenken hinsichtlich der Masernschutzimpfung bestünden. Soweit eine Impfung durchgesetzt werden solle, möge das Gesundheitsamt vollumfänglich ausschließen, dass im Rahmen dieser ein Schaden im Sinne einer schwerwiegenden allergischen Reaktion entstehen werde und eine Haftungszusage für den gegenteiligen Fall abgeben. Gleichzeitig wurde seitens der Antragsteller am 07.07.2023 angekündigt, dass eine (neue) Impfunfähigkeitsbescheinigung derzeit in Bearbeitung sei.
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Am 14.07.2023 legten die Antragsteller ein ärztliches Attest von …, Ärztin – Homöopathie, … vom 11.07.2023 vor, wonach die Tochter der Antragsteller untersucht worden sei. Aufgrund der meldepflichtigen Impfreaktion bei der Tochter der Antragsteller (DE-PEI-202300025325 und weitere laufende Meldungen) könne diese derzeit voraussichtlich bis 31.08.2025 nicht geimpft werden.
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Daraufhin teilte das Gesundheitsamt den Antragstellern mit Schreiben vom 03.11.2024 mit, dass hinsichtlich des Attests von Frau … vom 11.07.2023, welches vom Kindergarten in … übermittelt worden sei, Zweifel bestünden. Es wurde gebeten, dem Gesundheitsamt weitere Unterlagen zur Prüfung zukommen zu lassen oder Frau … gegenüber dem Gesundheitsamt von ihrer ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Bis zum Nachweis eines ausreichenden Impfschutzes gegen Masern, einer Immunität gegen Masern oder eines vom Gesundheitsamt … anerkannten ärztlichen Zeugnisses darüber, dass die Tochter der Antragsteller aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne, könne diese nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut werden.
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Nach erfolgter Schweigepflichtsentbindung (Schreiben vom 14.11.2023) wandte sich das Gesundheitsamt mit Schreiben vom 24.11.2023 an die Ärztin … und erbat weitere Auskünfte zur diagnostizierten Kontraindikation, woraufhin diese mit Schreiben vom 01.12.2023 auf die an das P.-E.-I. gemeldete unerwünschte Arzneimittelwirkung (PEI-202300025325) vom 06.07.2023 hinwies und die entsprechende Meldung vorlegte.
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Mit E-Mail vom 06.12.2023 teilte das Gesundheitsamt dem Antragsteller zu 1 mit, die Antworten von Frau … seien leider nicht geeignet, um das von ihr ausgestellte ärztliche Attest auf seine inhaltliche Richtigkeit hin zu überprüfen. Soweit die Impfungen, bei denen es zu Impfreaktionen gekommen sei, nicht bei Frau …, sondern in einer anderen Praxis durchgeführt worden seien, werde um die Übersendung entsprechender aussagekräftiger Unterlagen gebeten, woraufhin die Antragsteller mit E-Mail vom 11.12.2023 gegenüber dem Gesundheitsamt weitere Angaben zu den Impfreaktionen ihrer Tochter machten.
9
Mit E-Mail vom 18.12.2023 teilte das Gesundheitsamt den Antragstellern mit, dass sich aus den übersandten Unterlagen keine Kontraindikation gegen Impfungen an sich und gegen die Masernimpfung im Speziellen ergebe. Falls aus Sicht eines Kinderarztes eine Kontraindikation gegen die Masernimpfung bestehe, könne dieser ein aussagekräftiges Attest ausstellen. Aus einem derartigen Attest müsse nachvollziehbar der Grund für die Kontraindikation und die Dauer der Impfunfähigkeit hervorgehen.
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Der Bevollmächtigte der Antragsteller beantragte daraufhin mit Schreiben vom 04.10.2024 beim Gesundheitsamt die Feststellung, dass die Antragsteller für den Kindergartenbesuch ihrer Tochter keinen Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 8 IfSG vorlegen müssten, da das Gesetz grundgesetz- und EMRKwidrig sei, hilfsweise, dass der Nachweis der medizinischen Kontraindikation im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG ausreichend erbracht sei. Zur Begründung des Antrags erfolgten umfangreiche Ausführungen zur angeblichen Verfassungs- und EMRK-Widrigkeit des sogenannten Masernschutzgesetzes. Insoweit wird auf Blatt 53 bis 102 der Behördenakte verwiesen. Im Übrigen wurde der Auffassung, das Attest der Ärztin … sei nicht ausreichend, entgegengetreten. Unstreitig habe es eine deutliche Impfreaktion mit einem anderen Impfstoff gegeben, nämlich nach Verabreichung des Pneumokokken-Impfstoffs Prevenar 13 sowie nach Verabreichung des Kombi-Impfstoffs Hexyon (Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten). U.a. wurde auf die bereits vorgelegten Bilder der entsprechenden Hautausschläge verwiesen. Das Attest nenne auch eine fachwissenschaftliche Fundstelle, nämlich das Impfkompendium 2012, wonach eine ungeklärte Impfreaktion eine Kontraindikation für weitere Impfungen darstelle. Soweit behördlicherseits eine „klare“ Kontraindikation gefordert werde, lasse sich dies weder dem Gesetz noch den Materialien zur Entstehungsgeschichte zum Gesetz entnehmen. Es reiche aus, dass der massive Verdacht bestehe, dass die bisherigen Impfstoffe, die ähnliche und teilweise identische Stoffe enthalten, wie die derzeitigen Masern-Kombiimpfstoffe, die massiven, bis heute andauernden Impfkomplikationen bei der Tochter der Antragsteller verursacht haben. Daher sei jedenfalls festzustellen, dass ein ausreichender Nachweis erbracht sei, an dessen Richtigkeit kein ernstzunehmender Zweifel bestehe.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.10.2024 (Blatt 125 ff. der Behördenakte) vertieften die Antragsteller nochmals ihre Ausführungen zu Impfkomplikationen.
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Das Gesundheitsamt teilte daraufhin mit Schreiben vom 14.11.2024 mit, die Ausführungen in den Schreiben vom 04.10.2024 und 18.10.2024 seien nicht geeignet, einen Anspruch auf die begehrten Feststellungen zu begründen. Die Regelungen zu den Nachweispflichten in Bezug auf die Impfung oder eine Immunität gegen Masern oder einen hinreichenden Nachweis einer medizinischen Kontraindikation seien verfassungsgemäß. Darüber hinaus sei man als Behörde auch bei gegebener Verfassungswidrigkeit an das geltende Gesetz gebunden. Aufgrund der bisher übermittelten Unterlagen sei eine Kontraindikation nicht hinreichend nachgewiesen. Es sei weder eine Kontraindikation gegen Impfungen an sich, noch eine Kontraindikation gegen die Masernimpfung im Speziellen ersichtlich. Bezüglich der Bedenken wegen einer möglichen, über das übliche Maß hinausgehenden, Reaktion nach einer im Jahr 2020 beim Kinderarzt erfolgten Impfung, werde empfohlen, das Kind erneut in der betreffenden Kinderarztpraxis vorzustellen. Falls aus Sicht des Arztes aktuell eine vorübergehende oder dauerhafte nachvollziehbare Kontraindikation speziell gegen eine Masernimpfung bestehe, werde um Vorlage eines fachärztlichen Attests gebeten. Dieses könne dann entsprechend geprüft werden. Bis zur Vorlage eines prüffähigen ärztlichen Zeugnisses bleibe es beim gesetzlichen Betreuungsverbot nach § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG. Daher bestehe bis zur Vorlage entsprechender prüffähiger Unterlagen seitens des Gesundheitsamtes kein Handlungsbedarf.
13
Mit Schriftsatz vom 16.12.2024 erhob der Bevollmächtigte der Antragsteller Klage und beantragt zugleich:
14
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.11.2024, Az. … …, wird angeordnet.
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Es wird vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festgestellt, dass für die Tochter … der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein ausreichender Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Nr. 2, 2 Alt. IfSG erbracht ist,
hilfsweise, es wird vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festgestellt, dass der Beklagte gar nicht berechtigt ist, von den Klägern einen Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Nrn. 1 bis 3 IfSG zu verlangen.
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Zur Begründung des Eilantrages wurde darauf hingewiesen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Begründung bereits in den Behördenakten enthalten sei. Insbesondere wurde auf die dort angeführten neuen verfassungsrechtlichen Argumente zur Darlegung, warum das sogenannte „Masernschutzgesetz“ verfassungswidrig sei, verwiesen. Die Behörde habe dies nicht prüfen können und auch wollen, weil sie nicht über eine eigenständige Normverwerfungskompetenz bzw. Normnichtanwendungskompetenz verfüge.
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Mit Schriftsatz vom 18.12.2024 beantragt das Landratsamt … für den Antragsgegner,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei nicht statthaft, da ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage voraussetze, dass in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Das angegriffene Schreiben vom 14.11.2024 beinhalte keinen Verwaltungsakt, da mit dem Schreiben keine Regelung im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG getroffen werde. Es werde vielmehr lediglich auf die sich bereits aus § 20 Abs. 9 IfSG ergebende aktuelle Rechtslage in Bezug auf den Besuch einer Kindertagesstätte hingewiesen.
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Der Hauptantrag unter II. sei zulässig, aber unbegründet. Es fehle der für die begehrte Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Anordnungsgrund, da bisher kein Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorgelegt worden sei. Taugliche – vor Beginn der Betreuung vorzulegende – Nachweise seien nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG eine Impfdokumentation oder ein ärztliches Zeugnis darüber, dass ein den Maßgaben des § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG ausreichender Impfschutz gegen Masern bestehe (Nr. 1), ein ärztliches Zeugnis darüber, dass eine Immunität gegen Masern vorliege oder aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne (Nr. 2) oder eine Bestätigung einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer in § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung darüber, dass ein Nachweis nach Nr. 1 oder Nr. 2 bereits vorgelegen habe. Trotz der Vorlage der Bescheinigungen vom 26.04.2023 und 11.07.2023 sei von der Nichtvorlage eines Nachweises im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG auszugehen. Die Vorlage eines offenkundig nicht inhaltlich richtigen Nachweises entspreche in der Sache einer Nichtvorlage des notwendigen Nachweises, wobei ein Nachweis offensichtlich nicht inhaltlich richtig sei, wenn er aus medizinischer Sicht nicht vertretbare Schlussfolgerungen enthalte. Die Vorlage eines solchen Nachweises lasse gerade keine Zweifel im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG entstehen, weshalb in diesem Fall dann auch keine Entscheidung nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG eröffnet sei. Die mit den vorgelegten Bescheinigungen getroffenen Schlussfolgerungen seien aus medizinischer Sicht nicht vertretbar bzw. belegten schon ihrem Inhalt nach keine Kontraindikation gegen eine Masernimpfung der Tochter der Antragsteller. Die Bescheinigung vom 26.04.2023 treffe zur Kontraindikation keine Aussage, sondern verweise lediglich auf eine noch vorzunehmende Abklärung. Das Ergebnis entsprechender Untersuchungen, das dann gegebenenfalls die Feststellung einer Kontraindikation tragen könnte, sei nicht vorgelegt worden. Die Bescheinigung vom 11.07.2023 folgere aus nicht näher spezifizierten Impfreaktionen eine generelle Kontraindikation gegen Impfungen aller Art. Diese Schlussfolgerung sei aus medizinischer Sicht nicht vertretbar. Es sei vielmehr anhand der konkreten Impfreaktion bezüglich der entsprechend verwendeten Impfstoffe zu klären, ob sich aus den Impfreaktionen der Schluss ableiten lasse, dass sämtliche zur Impfung gegen Masern für die Tochter der Antragsteller in Frage kommenden Impfstoffe jeweils nicht konkret eingesetzt werden könnten. Eine solche Bescheinigung sei dann auch im Sinne des § 20 Abs. 12 IfSG prüffähig.
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Der Hilfsantrag unter II. sei zulässig, aber unbegründet. Es fehle ebenfalls der erforderliche Anordnungsgrund. Zwar werde die Tochter der Antragsteller gerade nicht in einer Einrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG betreut, so dass eine Vorlagepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG derzeit nicht bestehe, allerdings beruhe der Schriftwechsel mit dem Gesundheitsamt auf Initiative der Antragsteller, um schlussendlich zur Klärung einer gegebenenfalls bestehenden Kontraindikation zu gelangen. Dieser Schriftwechsel sei jedoch mit streitgegenständlichem Schreiben seitens des Gesundheitsamtes beendet. Nachweise würden momentan nicht gefordert werden. Es obliege den Antragstellern gegenüber einer Einrichtung nach § 33 Nr. 1 IfSG vor Betreuung ihrer Tochter einen hinreichenden Nachweis vorzulegen.
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Letztlich seien die Einlassungen zur angenommenen Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des § 20 IfSG zur Masernschutzimpfung ebenfalls nicht geeignet, die geltend gemachten Anordnungsansprüche zu begründen. Die Regelungen seien verfassungsgemäß. Insoweit wurde behördlicherseits auf die Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Auf- und Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes bei nicht-schulpflichtigen Kindern hingewiesen.
22
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
23
Die Anträge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes haben teilweise Erfolg.
24
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen „den Bescheid des Antragsgegners vom 14.11.2024“ ist bereits unzulässig (dazu 1.) Der auf vorläufige Feststellung gerichtete Antrag, dass für die Tochter der Antragsteller bereits ein ausreichender Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG erbracht wurde, ist hingegen zulässig und begründet (dazu 2.). Der Hilfsantrag (vorläufige Feststellung, dass keine Berechtigung besteht, einen Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 IfSG zu verlangen) bedarf damit keiner Entscheidung (mehr).
25
In Anbetracht dessen, dass das eigentliche Antragsziel (Ermöglichung der Betreuung der Tochter in der Kindertagesstätte) zumindest über den erfolgreichen Antrag unter Ziffer II. des Antragsschriftsatzes erreicht wurde, bedurfte es vor der Entscheidung über den Eilantrag auch keiner Gewährung von Akteneinsicht – diese erfolgt selbstverständlich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens – und keiner Fristverlängerung zur Äußerung bis mindestens 31.01.2025 (vgl. Antrag vom 18.12.2024, 23:51 Uhr). Eine derartige Fristverlängerung würde zum einen den Sinn und Zweck eines Eilverfahrens zuwiderlaufen. Zum anderen wäre dies für die Antragsteller sogar nachtteilig, wenn die gerichtliche Eilentscheidung erst im Februar 2025 ergangen wäre.
26
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen „den Bescheid des Antragsgegners vom 14.11.2024“ ist bereits unstatthaft und damit unzulässig. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Vorliegend ist aber gegen das Schreiben des Gesundheitsamts vom 14.11.2024 ersichtlich keine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da dieses keinen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Abs. 1 BayVwVfG darstellt. Insoweit verweist das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 18.12.2024. Mit dem Schreiben wollte das Gesundheitsamt ersichtlich keine (neue) Regelung erlassen. Vielmehr wurde (nur) die bestehende Rechtslage und Auffassung der Behörde nochmals erläutert. Daneben fehlt es auch an der typischen äußeren Form eines Verwaltungsaktes bzw. Bescheides, beispielsweise am Tenor und an einer Rechtsbehelfsbelehrung, so dass im Ergebnis – vom objektiven Erklärungswert her (vgl. U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 71 ff. m.w.N.) – kein Verwaltungsakt vorliegt.
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Dieser Sichtweise steht auch nicht entgegen, dass der Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schreiben vom 04.10.2024 (Bl. 52 der Behördenakte) beim Gesundheitsamt den Erlass „feststellender Verwaltungsakte“ beantragt hat und das Gesundheitsamt im Schreiben vom 14.11.2024 auf dieses Schreiben Bezug nimmt. Wie bereits vorstehend ausgeführt, hat das Gesundheitsamt auf diesen Antrag jedenfalls nicht mit einer förmlichen Verbescheidung mittels Verwaltungsakt reagiert, sondern nur formlos (nochmals) auf die bestehende Sach- und Rechtslage hingewiesen.
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Im Übrigen wäre ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das Schreiben vom 14.11.2024 auch dann nicht statthaft, wenn man dieses als Verwaltungsakt qualifizieren könnte. Wird nämlich – auf einen Antrag hin – die begehrte Maßnahme/Leistung mittels Verwaltungsakt abgelehnt, ist dagegen schon nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen mit der Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO vorzugehen und ggf. flankierender einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu ersuchen. Einer Umdeutung bzw. Auslegung des unmissverständlich von einem Rechtsanwalt gestellten Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bedarf es vorliegend schon bzw. auch deshalb nicht, weil in zulässigerweise ergänzende Anträge nach § 123 VwGO gestellt wurden, die inhaltlich ebenfalls die Kernthematik des „Anordnungsantrags“, nämlich die Verfassungsmäßigkeit der Auf- und Nachweispflichten und die „Tauglichkeit“ der vorgelegten Atteste zum Gegenstand haben.
29
2. Der zulässige (vgl. VG Regensburg, B.v. 30.8.2024 – RO 5 E 24.1907 – juris Rn. 26 m.w.N.) Antrag auf vorläufige Feststellung, dass für die Tochter der Antragsteller bereits ein ausreichender Nachweis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2 Alt. IfSG erbracht wurde, hat auch in der Sache Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 123, Rn. 26 m.w.N.).
31
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris Rn. 18; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 4 CE 21.1599 – juris Rn. 9).
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Gemessen daran haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
33
a) Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung wurde ein Anordnungsanspruch im vorstehenden Sinne – nämlich, dass eine (Feststellungs-)Klage in der Hauptsache mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sein wird – glaubhaft gemacht.
34
Zwar verfängt der Vortrag, die Regelungen des „Masernschutzgesetzes“ seien verfassungs- und EMRKwidrig nicht (dazu aa). Die Antragsteller haben jedoch mit dem Attest der Ärztin … vom 11.07.2024 – jedenfalls im „Zusammenspiel“ mit den nachgereichten „Unterlagen“ – einen ausreichenden Nachweis einer bestehenden Kontraindikation im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2 Alt. IfSG erbracht (dazu bb).
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aa) Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Auf- und Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes bei Kindern, die in einer Kindertageseinrichtung oder in einer nach § 43 Abs. 1 SGB VIII erlaubnispflichtigen Kindestagespflege betreut werden (vgl. hierzu auch OVG Weimar, B.v. 30.4.2024 – 3 EO 75/24 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – UA Rn. 19 ff.). In der vorliegenden Konstellation bei „nicht-schulpflichtigen“ Kindern hat das BVerfG mit Beschluss vom 21.07.2022 (1 BvR 469/20 u.a. – juris) mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen Bestimmungen richteten, die durch das am 01.03.2020 in Kraft getretene Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10.02.2020 in das IfSG eingefügt wurden. Die Ausführungen der Antragstellerseite im behördlichen Verfahren (vgl. insbesondere Bl. 53 ff. der Behördenakte) vermögen die Auffassung des BVerfG nicht zu erschüttern. Auch einen Verstoß der Regelungen zur Auf- und Nachweispflicht gegen die ERMK vermag das Gericht nicht zu erkennen, zumal der EGMR bereits entscheiden hat, dass sogar eine Impflicht gegen Infektionskrankheiten mit der EMRK vereinbar ist (EMGR, U.v. 8.4.2021 – 47621/13 – NJW 2021, 1657 ff.; vgl. auch VG Berlin, B.v. 11.9.2023 – 14 L 231/23 – juris Rn. 52; BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/24 – juris Rn. 21). Darüber hinaus hat die Kammer – was vorliegend nicht entscheidungserheblich ist – bereits wiederholt entschieden, dass auch keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Auf- und Nachweispflicht bei Schulkindern bestehen (vgl. VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 25 ff.; BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – UA Rn. 19 ff.; BayObLG, B.v. 28.3.2024 – 201 ObOWi 141/04 – juris Rn. 8 ff.; OVG Münster, B.v. 15.8.2024 – 13 B 1280/23 – juris Rn. 18 ff.; BayVGH, B.v. 24.11.2024 – 20 C 24.1999, 20 C 24.1963 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 14.10.2024 – 20 BV 24.1343 – n.v. Rn. 5; VG Regensburg, B.v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196 – juris Rn. 29; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 45 ff. m.w.N.).
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bb) Der vorgelegte Nachweis der Ärztin … genügt den Anforderungen an den Nachweis einer bestehenden Kontraindikation i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG.
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(1) Die Anforderungen an den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses über eine Kontraindikation ergeben sich aus der Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere aus der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck von § 20 IfSG.*Das ärztliche Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG muss daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis (auf Plausibilität hin) zu überprüfen. Nicht ausreichend ist dagegen ein ärztliches Zeugnis, das lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege. Eine Kontraindikation, also eine Gegenanzeige, ist im Fall der Masernimpfung ein Umstand, welcher die Anwendung der Impfung verbietet. Das ärztliche Attest muss also die Kontraindikation wiedergeben und deshalb den die Impfung hindernden Umstand bezeichnen und darlegen, warum dieser einer Masernimpfung entgegensteht. Der Nachweis ist in der Regel unproblematisch, wenn das Zeugnis sich auf die bei den in Deutschland zugelassenen Masernimpfstoffe, die als MMR- oder MMRV-Kombinationsimpfstoffe angeboten werden, aufgeführten Kontraindikationen bezieht. In einem solchen Fall ist die Angabe der konkreten Kontraindikation ausreichend (BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – UA Rn. 44/45; vgl. auch BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 14 f.; SächsOVG, B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.3.2024 – OVG 1 S 94/23 – juris Rn. 7 mit umfassender Begründung; OVG Weimar, B.v. 30.4.2024 – 3 EO 75/24 – juris Rn. 25; VG München, B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 54; VG Regensburg, B.v. 19.7.2023 – RN 5 S 23.1198 – juris Rn. 25 f.; VG Ansbach, B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21.932 – juris Rn. 20 f.; Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 50; vgl. auch BeckOK InSchR/ Aligbe, 22. Ed. 1.10.2024, IfSG § 20 Rn. 222a). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auf die grundsätzliche Integrität ärztlicher Zeugnisse vertrauen wollte und dass es im Rahmen der Frage einer ordnungsgemäßen Nachweisvorlage bei der vorstehenden „Kontrolldichte“ zu verbleiben hat (vgl. VG Regensburg, B.v. 30.8.2024 – RO 5 E 24.1907 – juris Rn. 35 ff. mit ausführlicher Begründung). Soweit sich (hingegen) Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des ärztlichen Zeugnisses ergeben, ist das Gesundheitsamt befugt nach § 20 Abs. 12 Satz 2 ff. IfSG weitere „Ermittlungen“ anzustellen bzw. ggf. weitergehende Maßnahmen, beispielsweise eine amtsärztliche Untersuchung, anzuordnen (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – UA Rn. 45).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser (gesetzlichen) Vorgaben erfüllen die von den Antragstellern vorgelegten Unterlagen die Mindestanforderungen an ein ärztliches Zeugnis über eine bestehende Kontraindikation.
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Dem Gesundheitsamt ist insoweit recht zu geben, dass das „Ärztliches Gutachten zur Impffähigkeit“ von Prof. Dr. med. … vom 26.04.2023 den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG nicht gerecht wird. Dem Gutachten (Bl. 2 ff. der Behördenakte) fehlen bereits die notwendigen Angaben zur Art der konkreten Kontraindikation beim streitgegenständlichen Kind. Vielmehr wird nur pauschal auf wohl vorgefertigten Formularen die Impfunfähigkeit „bescheinigt“. Zwar werden durchaus medizinische Gründe angesprochen, die aus ärztlicher Sicht gegen eine Impfung sprechen. Allerdings handelt es sich nur um pauschale Erwägungen gegen eine Impfung als solche, die keinerlei Bezug zur betroffenen Tochter der Antragsteller aufweisen. Es wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine körperliche Untersuchung erfolgt ist, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der ordnungsgemäße Nachweis einer Kontraindikation auch ohne vorherige körperliche Untersuchung erfolgen kann. Maßgeblich ist jedoch, dass das Gutachten keine einzelfallbezogene Diagnose im Hinblick auf den konkreten Gesundheitszustand bzw. eines etwaigen Krankheitsbildes der Tochter der Antragsteller enthält. Vielmehr wird nur auf die veröffentlichten und allgemeinen Risiken und Nebenwirkungen einer Masernimpfung Bezug genommen. Dies genügt für den Nachweis einer medizinischen Kontraindikation gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG im konkreten Einzelfall nicht (VG Bayreuth, Gb.v. 5.12.2024 – B 7 K 24.78; vgl. auch BayVGH, U.v. 5.12.2024 – 20 BV 24.1343 – UA Rn. 46/47). Denn mit § 20 Abs. 8 – 14 IfSG hat der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass bestimmte Personengruppen einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern auf- und nachweisen müssen. Daraus folgt, dass eine Ausnahme in Gestalt einer medizinischen Kontraindikation auf besonders begründete Einzelfälle beschränkt sein muss. Würde man hingegen Dokumente akzeptieren, die sich nur mit generellen Impfnebenwirkungen beschäftigen, so stünde es jedem frei, sich unter Berufung auf generelle Bedenken gegen die Masernimpfung der Verpflichtung zu entziehen. Damit liefe die grundsätzliche Pflicht, einen ausreichenden Impfschutz aufzuweisen (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG) im Ergebnis leer. Dies ist mit dem gesetzlich intendierten Konzept unvereinbar. Im Übrigen ist/war die Gültigkeit der „Impfunfähigkeitsbescheinigung“ vom 26.04.2023 bis zum 26.10.2023 befristet und daher gegenwärtig längst abgelaufen.
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Das „Ärztliche Attest“ der Ärztin … vom 11.07.2024 genügt dagegen den Anforderungen an den Nachweis einer bestehenden Kontraindikation i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG. Das Attest verweist auf die erfolgte ärztliche Behandlung und Untersuchung sowie auf die bei der Tochter der Antragsteller (bereits) eingetretenen meldepflichtigen Impfreaktionen. Ferner bezieht sich die Ärztin auf das „Impfkompendium 2012, 7. Auflage und weitere Literaturstellen“, wonach eine ungeklärte Impfreaktion eine Kontraindikation für weitere Impfungen darstelle. Auf Nachfrage des Gesundheitsamtes wurden der „Meldebericht“ über unerwünschte Arzneimittelwirkungen vom 06.07.2023 an das P.-E.-I. übermittelt (Bl. 31 ff. der Behördenakte), die Impfreaktionen der Tochter der Antragsteller konkretisiert (bis heute andauernde Hautausschläge, Ohrenentzündung und Sonnenallergie nach Impfungen im Jahr 2020) und teils mit Lichtbildern belegt (vgl. Bl. 32 bis 37 und 41/42 der Behördenakte). Damit ist ein ordnungsgemäßer Nachweis gemäß den vorstehenden Anforderungen im Rahmen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG erbracht (vgl. auch VG Regensburg, B.v. 30.8.2024 – RO 5 E 24.1907 – juris Rn. 44).
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(3) An der Erfüllung der Nachweispflicht i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG ändert sich auch nichts, wenn man die hierfür in der Antragserwiderung vom Antragsgegner angewandten Maßstäbe heranzieht bzw. heranziehen würde. Der Antragsgegner geht – unter Verweis auf Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 58f – u.a. davon aus, dass die Vorlage eines offenkundig nicht inhaltlich richtigen Nachweises in der Sache einer Nichtvorlage entspricht, wobei ein Nachweis offenkundig nicht inhaltlich richtig ist, wenn er aus medizinischer Sicht nicht vertretbare Schlussfolgerungen enthält. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die zitierte Kommentierung aus dem Jahr 2022 mit keinem Wort mit der (aktuellen obergerichtlichen) Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen eines ordnungsgemäßen Nachweises befasst, ist bzw. wäre auch bei Heranziehung dieses Maßstabes vorliegend nicht von einer „Nichtvorlage“ auszugehen. Die Ausführungen der Ärztin … sind nämlich ersichtlich nicht „offenkundig inhaltlich unrichtig“ bzw. enthalten – soweit die Kammer dies beurteilen kann – keine „aus medizinischer Sicht nicht vertretbare[n] Schlussfolgerungen“. Dies wird schon daraus deutlich, dass das Gesundheitsamt in eine vertiefte inhaltliche Prüfung der „Attestgründe“ eingetreten ist, weitere Nachweise angefordert hat und es selbst offenbar auch gegenwärtig immer noch für möglich hält, dass die befristet bescheinigte Kontraindikation bei der Tochter der Antragsteller besteht (vgl. Bl. 41 der Behördenakte, wonach die Vorstellung beim Kinderarzt empfohlen wird, der – sollte (auch) aus dessen Sicht eine Kontraindikation bestehen – ein aussagekräftiges ärztliches Attest ausstellen kann). Die vom Gesetzgeber in diesem Verfahrensstadium nicht vorgesehene „Prüfungstiefe“ des Gesundheitsamts wird auch anhand des Aktenvermerks auf Bl. 14 der Behördenakte deutlich. So hat das Gesundheitsamt beispielsweise am 17.07.2024 Kontakt mit dem PEI aufgenommen und weitere Informationen zu den im Fall der Tochter der Antragsteller gemeldeten Impfreaktionen angefordert. Weiterhin konsultierte das hiesige Gesundheitsamt das Gesundheitsamt Rosenheim, das „viel Erfahrung mit Impfgegnern“ hat, um abzuklären, ob die Bescheinigung anerkannt werden könne. Ferner wird in der „Notiz“ vom 18.10.2023 (Bl. 18 der Behördenakte) davon ausgegangen, dass die Antragsteller die Kontraindikation „beweisen“ müssten (vgl. hierzu VG Regensburg, B.v. 30.8.2024 – RO 5 E 24.1907 – juris Rn. 42). Auch aus der behördeninternen E-Mail vom 05.12.2023 (Bl. 19 der Behördenakte) geht deutlich hervor, dass die Antragsteller „Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Attestes nicht ausgeräumt haben“, mithin das Gesundheitsamt also dessen inhaltliche Richtigkeit als Voraussetzung im Rahmen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. IfSG ansieht, was den Antragstellern zudem so auch mit Schreiben vom 03.11.2023 (Bl. 20/21 der Behördenakte) mitgeteilt wurde.
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(4) Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass das Gesundheitsamt die „Prüfungstiefe“ bei den Anforderungen an einen Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG überspannt hat. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist nämlich (bereits) ein formal ordnungsgemäßer Nachweis der bestehenden Kontraindikation erbracht. Soweit – wie das Gesundheitsamt selbst einräumt – Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises bestehen, stehen dem Antragsgegner weitergehende Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 ff. IfSG offen. Insoweit obliegt es jetzt dem Gesundheitsamt zu prüfen, ob solche weitergehende Maßnahmen – die ja teils schon faktisch ergriffen wurden – ggf. (förmlich) anzuordnen bzw. einzuleiten sind. Obwohl bereits (inzident und verfrüht) eine vorläufige inhaltliche medizinische Bewertung im Rahmen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG angestellt – dessen Ergebnis aber wohl auch nach Ansicht des Gesundheitsamts noch offen sein dürfte – wurde, dürfte dies wohl nicht die formale Anordnung einer ärztlichen Untersuchung im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG, die noch weitergehende Aspekte beinhalten dürfte, ausschließen.
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b) Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund i.S.v. § 123 Abs. 1 VwGO liegt dann vor, wenn es eine besondere Dringlichkeit gibt, die eine umgehende Entscheidung erforderlich macht (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 53 f.). Eine solche ist hier gegeben. Die Eilbedürftigkeit folgt hier daraus, dass – aufgrund des fortschreitenden Alters des Kindes – die Zeit, die möglicherweise im Kindergarten bzw. in der Kindertagesstätte verbracht werden kann, von vornherein begrenzt ist. Ein Betreuungsvertrag wurde bereits gekündigt, weil aufgrund der (fehlerhaften) Auffassung des Gesundheitsamts bislang von einem gesetzlichen Betreuungsverbot nach § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG ausgegangen wurde. Auch die Aufnahme in eine andere Einrichtung ist aufgrund der bisherigen Einschätzung des Gesundheitsamtes nicht möglich. Dagegen dauert es erfahrungsgemäß längere Zeit, bis ein verwaltungsgerichtliches Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Zudem schränkt die fehlende Möglichkeit der Inanspruchnahme einer vorschulischen Betreuung die Gestaltung des täglichen Lebens der Eltern massiv ein. An dieser Stelle ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kindergarten zur Bildung und Erziehung sowie Entwicklung der Kinder beitragen soll (vgl. Art. 10 ff. BayKiBiG), was im Falle der Tochter der Antragsteller derzeit gerade nicht möglich ist (vgl. VG Regensburg, B.v. 30.8.2024 – RO 5 E 24.1907 – juris Rn. 30).
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c) Nach alledem war dem Hauptantrag unter Ziffer II. der Antragsschrift vom 16.12.2024 stattzugeben und die begehrte Feststellung auszusprechen.
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3. Der Ausspruch zu den Kosten ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.1.1, 1.1.2 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.