Titel:
Ausweisung aus generalpräventiven Gründen, Illegaler Aufenthalt, Keine strafgerichtliche Verurteilung;, Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse aufgrund nicht nur vereinzelten und nicht nur geringfügigen Rechtsverstoßes;, Einreise- und Aufenthaltsverbot
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1
AufenthG § 53 Abs. 2
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 10
AufenthV § 17 Abs. 1
AufenthG § 55
AufenthG § 11
Schlagworte:
Ausweisung aus generalpräventiven Gründen, Illegaler Aufenthalt, Keine strafgerichtliche Verurteilung;, Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse aufgrund nicht nur vereinzelten und nicht nur geringfügigen Rechtsverstoßes;, Einreise- und Aufenthaltsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 39896
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der am … … … geborene Kläger, ein bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, wendet sich mit seiner Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben erstmals Anfang 2022 in das Bundesgebiet ein und nahm im Anschluss – ohne im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Beschäftigungserlaubnis zu sein oder eine solche beantragt zu haben – eine Erwerbstätigkeit als Elektriker bei dem Unternehmen H. auf. Alle drei bis vier Wochen reiste der Kläger für einige Tage in sein Heimatland aus und anschließend erneut in das Bundesgebiet zur Ausübung der Erwerbstätigkeit ein.
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Am 31. Januar 2023 wurde der Kläger im Rahmen einer Kontrolle nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz während der Tätigkeit auf einer Baustelle von Zollbeamten kontrolliert. Er legte eine kroatische Aufenthaltserlaubnis („Residence permit“), gültig vom 19. Oktober 2022 bis zum 8. Oktober 2023, vor.
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Im Rahmen einer mündlichen Anhörung zu der beabsichtigten Ausweisung durch das zu diesem Zeitpunkt ausländerbehördlich zuständige Landratsamt … (Landratsamt) erklärte der Kläger, seit ca. einem Jahr für das Unternehmen H. zu arbeiten. Er sei immer für drei bis vier Wochen in Deutschland und fahre dann für ca. sieben bis acht Tage nach Bosnien. Zuletzt sei er am 8. Januar 2023 nach Bosnien gereist. Familienangehörige in Deutschland habe er nicht. Seine Familie, unter anderem seine Ehefrau und seine beiden Kinder, würden in Bosnien leben. Er habe nicht gewusst, dass er in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis bzw. eine Arbeitserlaubnis brauche.
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Ausweislich der entsprechenden Grenzübertrittsbescheinigung reiste der Kläger am 7. Februar 2023 aus dem Bundesgebiet aus.
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Mit Bescheid des Landratsamts vom 28. April 2023, dem Kläger unter einer Adresse in Bosnien-Herzegowina am 5. Mai 2023 durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt, wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. 1) sowie gegen ihn ein auf ein Jahr befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ausweisung des Klägers auf § 53 Abs. 1 AufenthG gestützt werde und überwiegend aus generalpräventiven Gründen ergehe. Zwar sei ein Aufenthalt des Klägers als bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger nach Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang II der VO (EU) Nr. 2018/1806 grundsätzlich für 90 Tage in einem jeweiligen 180-Tageszeitraum als visumsfreier Besuchsaufenthalt möglich gewesen. Aufgrund der unerlaubten Arbeitsaufnahme sei jedoch nach § 17 Abs. 1 AufenthV eine Visumspflicht eingetreten und der Aufenthalt sei unerlaubt geworden. Dies gelte gleichermaßen für die nach Erhalt der kroatischen Aufenthaltserlaubnis erfolgten Einreisen; auch diese Aufenthaltserlaubnis habe den Kläger nicht zu einer Arbeitsaufnahme berechtigt. Durch sein rechtswidriges Verhalten habe er den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG erfüllt. Eine strafgerichtliche Verurteilung sei für die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht Voraussetzung. Der unerlaubte Aufenthalt und die unerlaubte Beschäftigung in einer Vielzahl von Fällen stelle überdies ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (a.F.) dar. Bleibeinteressen des Klägers seien nicht ersichtlich und auch nicht geltend gemacht worden. Schützenswerte Bindungen im Bundesgebiet habe der Kläger nicht; seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder lebten in Bosnien-Herzegowina. Die Befristung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots erfolge nach pflichtgemäßem Ermessen.
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In dem daraufhin wegen unerlaubten Aufenthalts ohne erforderlichen Aufenthaltstitel geführten Ermittlungsverfahren wurde mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 19. Mai 2023 von der Erhebung der öffentlichen Klage entsprechend § 154b Abs. 3 StPO abgesehen.
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Am 25. Mai 2023 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben lassen mit dem sinngemäßen Antrag,
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den Bescheid vom 28. April 2023 aufzuheben.
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Eine Klagebegründung erfolgte zunächst nicht.
11
Das Landratsamt legte erstmals am 23. Juni 2023 Behördenakten vor und beantragte für den Beklagten,
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Am 3. September 2024 legte das Landratsamt weitere Behördenakten vor und verwies auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids.
14
Mit Schriftsatz vom 25. September 2024 erklärte der Klägerbevollmächtigte das Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und beantragte Aufhebung des für den 17. Oktober 2024 bestimmten Termins zur mündlichen Verhandlung.
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Das Landratsamt erklärte für den Beklagten mit Schreiben vom 26. September 2024 ebenfalls das Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Es wurde mitgeteilt, dass der Kläger unter Verstoß gegen das mit dem streitgegenständlichen Bescheid verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot erneut in das Bundegebiet eingereist sei und am 15. Mai 2023 Wohnsitz im ausländerbehördlichen Zuständigkeitsbereich der Stadt … genommen habe. Am 22. August 2023 sei er in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde der Stadt … gezogen. Ausweislich der Angaben im Ausländerzentralregister halte sich der Kläger seit dem 15. Mai 2023 durchgehend unter Missachtung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Bundesgebiet auf.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 27. September 2024 teilte das Landratsamt ergänzend mit, dass ihm nunmehr zur Kenntnis gelangt sei, dass der Kläger am Tag der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids bei der Deutschen Botschaft in Sarajewo einen Antrag auf Erteilung eines langfristigen Visums gestellt habe. Das Visum sei ihm am 9. Mai 2023 mit einer Gültigkeit vom 12. Mai 2023 bis zum 11. November 2023 erteilt worden. Am 17. Oktober 2023 habe der Kläger durch die Ausländerbehörde der Stadt … eine bis zum 15. Oktober 2027 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV erhalten.
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Es wurden weitere Behördenakten vorgelegt, welche dem Klägerbevollmächtigten am 2. Oktober 2024 zur Akteneinsicht übersandt wurden. Aus den Restakten geht hervor, dass das Landratsamt die Eintragung der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung in das Ausländerzentralregister am 26. September 2024 veranlasst und sich am 27. September 2024 an die Ausländerbehörde der Stadt … gewandt und den ausländerrechtlichen Sachverhalt mitgeteilt hat. In dem bei der Stadt … gestellten Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat er sowohl hinsichtlich seiner Ehefrau als auch hinsichtlich seiner in den Jahren 2018 und 2021 geborenen Kinder die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit angegeben.
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Daraufhin teilte das Verwaltungsgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 2. Oktober 2024 mit, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten bleibt.
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Der Klägerbevollmächtigte brachte mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2024 vor, dass der Kläger seit seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehe. Seine Ehefrau und die beiden Kinder seien mit Visa zur Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist und hätten von der Ausländerbehörde der Stadt … Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Es wurde beantragt, die Ausländerbehörde der Stadt … beizuladen.
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In der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2024 verkürzte der Beklagte das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die familiäre Situation des Klägers auf neun Monate. Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom selben Tag verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Ausweisungsverfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides erweist sich als rechtmäßig.
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a) Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (stRspr, vgl. etwa BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 11 m.w.N.). Der Entscheidung sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch G.v. 8. Mai 2024 (BGBl I Nr. 152), zugrunde zu legen.
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b) Im Fall des Klägers liegt jedenfalls aus generalpräventiven Gründen eine noch im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor (nachfolgend aa)) und bei einer Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausreise die Bleibeinteressen des Klägers (nachfolgend bb)).
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aa) Eine Ausweisung kann allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, sofern das generalpräventive Ausweisungsinteresse zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch aktuell vorhanden ist. Dabei erfordert die generalpräventive Ausrichtung einer Ausweisung die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der in § 53 Abs. 1 AufenthG aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Das ist dann der Fall, wenn die Ausweisung nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.
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Dabei bedarf es keiner Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wie etwa Drogendelikten oder Delikten im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder Terrorismus. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten, im Einzelfall so etwa bei Falschangaben zur Erlangung der Duldung, einer Identitätstäuschung gegenüber der Ausländerbehörde, Falschangaben im Visumsverfahren, Verletzung der Passpflicht oder Körperverletzung. Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 12.10.2020 – 10 B 20.1795 – juris Rn. 33 m.w.N.).
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze geht vom Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet jedenfalls in generalpräventiver Hinsicht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus. Der Kläger hat wiederholt Rechtsverstöße begangen, indem er wiederholt eine Erwerbstätigkeit ohne entsprechende Erlaubnis ausgeübt und sich in der Folge wiederholt unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat. Zwar war der Kläger zunächst allein aufgrund seiner bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigkeit nach § 15 AufenthV i.V.m. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang II der Verordnung (EU) Nr. 2018/1806, Art. 20 Abs. 1 SDÜ und ab dem 8. Oktober 2022 zudem als Inhaber einer kroatischen Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AufenthV i.V.m. Art. 21 Abs. 1 SDÜ für die Einreise und den Aufenthalt von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen in Deutschland von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Diese Befreiung gilt gemäß § 17 Abs. 1 AufenthV indes nicht im Fall der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet (BR-Drs. 534/15, S. 15), sodass sich der Kläger mit Beginn seiner Arbeitsaufnahme unerlaubt i.S.d. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. SächsOVG, B.v. 10.12.2019 – 3 B 288/19 – juris Rn. 13).
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Der Ausweisung des Klägers steht nicht entgegen, dass eine strafgerichtliche Verurteilung des Klägers nicht erfolgt ist. Eine Ausweisung setzt nicht voraus, dass der Ausländer wegen des Gesetzesverstoßes, der eine Straftat darstellt, verurteilt worden ist, insbesondere steht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK einer Ausweisung nicht entgegen, weil die Ausweisung eine ordnungsrechtliche und keine strafrechtliche Maßnahme ist (BVerwG, U.v. 17.6.1998 – 1 C 27/96 – BVerwGE 107, 58-75 – juris Rn. 30).
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Ferner steht die mittlerweile erfolgte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger dessen Ausweisung nicht entgegen. Ausweisungsgründe dürfen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer zwar nur dann und so lange entgegengehalten werden, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat. Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten nicht mehr entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 -1 C 3.16 – juris Rn. 39 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.2.2024 – 10 ZB 23.2346 – juris Rn. 15). Ein solcher Vertrauensschutztatbestand wurde vorliegend durch die seitens der Stadt … erfolgte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger bereits deshalb nicht geschaffen, da es sich bei der Stadt … um einen von dem hiesigen Beklagten verschiedenen Hoheitsträger handelt, die Ausweisungsverfügung zum Zeitpunkt der Erteilung noch nicht im Ausländerzentralregister eingetragen war und der Beklagte ersichtlich an der Ausweisungsverfügung festgehalten hat.
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Daran gemessen besteht im Falle des Klägers ein aktuelles generalpräventives Ausweisungsinteresse. Das Gericht sieht insoweit von einer weiteren Darstellung ab und folgt den nicht zu beanstandenden generalpräventiven Erwägungen (S. 3 f. des Bescheids) des Beklagten (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Lediglich ergänzend ist auszuführen: Die ausländerrechtliche Reaktion auf die wiederholten Rechtsverstöße des Klägers ist geeignet, eine Abschreckungswirkung bei anderen Ausländern zu erzeugen. Der Sachverhalt weist auch keine derartigen Besonderheiten auf, dass eine Abschreckungswirkung nicht eintreten kann. Im Übrigen ist das zur Ausweisung führende Verhalten des Klägers nicht derart atypisch oder singulär, dass seine Ausweisung nicht geeignet wäre, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Taten abzuschrecken, und somit keine generalpräventive Wirkung entfalten könne. Der Kläger ist vielmehr über einen Zeitraum von einem Jahr wiederholt zwecks Beschäftigungsaufnahme in das Bundesgebiet eingereist, ohne im Besitz des hierfür erforderlichen Visums bzw. der hierfür erforderlichen Aufenthaltserlaubnis zu sein und hat sich anschließend jeweils ohne entsprechenden Aufenthaltstitel im Bundesgebiet zu Beschäftigungszwecken aufgehalten. Gemessen an diesen Umständen ist die Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gründen auch nicht unverhältnismäßig.
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Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt unter Berücksichtigung der insoweit unter Anwendung der §§ 78 Abs. 3, 78c Abs. 3 Satz 2 StGB zu ermittelnden Grenzen vorliegend zudem noch aktuell (also noch vorhanden – vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21/18 – juris Rn. 18 ff.).
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Ob bei dem Kläger selbst zum Entscheidungszeitpunkt eine konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt, ist weder für die Beurteilung des Bestands noch der Aktualität des generalpräventiven Ausweisungsinteresses von Belang und kann somit dahinstehen.
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bb) Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt auf der Tatbestandsseite einer gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen. Neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen sind weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 23 f.; U.v. 25.7.2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15). Bei der Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nicht als abschließend zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 25).
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Unter Heranziehung dieses Maßstabes ergibt die vorzunehmende Abwägung des Ausreiseinteresses mit dem Bleibeinteresse des Klägers ein Überwiegen des Ausreiseinteresses. Die umfangreiche Abwägung in dem streitgegenständlichen Bescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die Annahme eines nicht mehr nur vereinzelten und geringfügigen Verstoßes im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG (n.F.) nicht zu beanstanden.
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(1) Es liegt im Falle des Klägers ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG vor. Der Kläger hat einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2023 – 19 ZB 22.2431 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 13; B.v. 15.12.2003 – 10 B 03.1725).
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Bei dem unerlaubten Aufenthalt des Klägers handelt es sich um eine vorsätzliche Straftat. Der Vortrag des Klägers, er habe nicht gewusst, dass er in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis bzw. eine Arbeitserlaubnis brauche, stellt sich angesichts der Tatsache, dass er seit Oktober 2022 im Besitz einer kroatischen Aufenthaltserlaubnis ist, als reine Schutzbehauptung dar und wäre im Übrigen als vermeidbarer und damit unbeachtliche Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB zu qualifizieren.
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Für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG muss ferner eine strafgerichtliche Verurteilung nicht vorliegen (der Wortlaut des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG knüpft nicht an eine Verurteilung oder sonstige Sanktionierung an), so dass es nicht notwendig ist, dass der Verstoß tatsächlich geahndet worden ist (BVerwG, U.v. 17.6.1998 – 1 C 27.96 – juris Rn. 30 zu § 46 Nr. 2 AuslG; BayVGH, B.v. 9.10.2024 – 19 ZB 23.1101 – juris Rn. 16). Auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, die etwa wegen Einstellung nach §§ 153 ff. StPO nicht zu einer Verurteilung geführt haben, können einer Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG zugrunde gelegt werden (Nr. 55.2.2.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 – AVwV-AufenthG, zur inhaltsgleichen Vorgängerschrift des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Den Verwaltungsbehörden und den Gerichten ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung zu unterziehen (BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – juris Rn. 21), etwa im Hinblick darauf, ob der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG gefährdet. Insoweit ist festzustellen, dass die strafrechtlichen und die ordnungsrechtlichen Maßstäbe nicht identisch sind. So schließt z.B. eine geringe strafrechtliche Schuld die Ausweisung eines Ausländers nicht ohne weiteres aus, denn einer Straftat kann ordnungsrechtlich größeres Gewicht als in strafrechtlicher Hinsicht zukommen (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1996 – 1 C 12.95 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 17; B.v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 16 f. jeweils zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 a.F.). Dies ist vorliegend in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls anzunehmen. Die strafbewehrten gesetzlichen Anforderungen u.a. an das Visumverfahren sowie an die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts stellen nach der Intention des Gesetzgebers einen wesentlichen Pfeiler zur Verhinderung der unerlaubten Einreise und damit zur Steuerung der Zuwanderung dar und wirken dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 13; OVG Hamburg, U.v. 17.12.2015 – 4 Bf 137/13 – juris Rn. 48 m.w.N.).
40
Die Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach § 154b Abs. 3 StPO steht der Ausweisung daher nicht entgegen. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde vorliegend im Übrigen nicht wegen Geringfügigkeit nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt, sondern es wurde von der Erhebung der öffentlichen Klage entsprechend § 154b Abs. 3 StPO abgesehen. § 154b Abs. 3 StPO knüpft gerade nicht an eine etwaige Geringfügigkeit, sondern an ein Fehlen des innerstaatlichen Strafverfolgungsinteresses an, wenn sich die betreffende Person nicht mehr im Bundesgebiet aufhält (Gercke in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 154b StPO, Rn. 1).
41
(2) Zwar verfügt der Kläger zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – anders als noch zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses – über familiären Bindungen im Bundesgebiet, da sich mittlerweile auch seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder im Bundesgebiet aufhalten, sodass unter Annahme des Bestehens eines Personensorgerechts des Klägers für seine Kinder zu seinen Gunsten von dem Vorliegen eines vertypten Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG auszugehen ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass sowohl die Ehefrau des Klägers als auch seine beiden Kinder bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige sind und es sich bei deren Aufenthaltsrecht unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägerbevollmächtigten um ein von dem Kläger abgeleiteten Aufenthaltsrecht handelt. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann mithin in Bosnien-Herzegowina fortgeführt werden.
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Sonstige relevante Umstände, die nicht berücksichtigt worden oder seit Bescheiderlass neu eingetreten sind und zum Zeitpunkt der Entscheidung ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zusammenfassend erweist sich die Ausweisung daher insgesamt als rechtmäßig.
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2. Ferner sind auch der Erlass und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids gem. § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG rechtlich nicht zu beanstanden. Ermessensfehler im Rahmen der nunmehrigen Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf neun Monate, auf die die gerichtliche Überprüfung insoweit beschränkt ist (§ 114 Satz 1 VwGO), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.