Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 28.10.2024 – 203 StObWs 471/24
Titel:

Fortsetzungsfeststellungsantrag eines Gefangenen bei (angeblichem) Verstoß gegen den Nichtraucherschutz in der Justizvollzugsanstalt

Normenketten:
StVollzG § 109, § 116, § 115 Abs. 3
BayStVollzG Art. 58 Abs. 3
Leitsätze:
1. Beim Übergang vom Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag zum Fortsetzungsfeststellungsantrag ist Letzterer nur zulässig, wenn auch für den zunächst gestellten Antrag alle Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben. (Rn. 10)
2. Ein Verpflichtungsantrag setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller sein Anliegen der Vollzugsbehörde in geeigneter Weise vorgetragen hat, bevor er den Weg zum Gericht beschreitet. (Rn. 10)
3. Macht der Antragsteller im Strafvollzugsverfahren einen Verstoß gegen den Nichtraucherschutz geltend (Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG), hat die Strafvollstreckungskammer dazu die Verhältnisse des Nichtraucherschutzes in der JVA zum Zeitpunkt der Antragstellung und eine vom Antragsteller behauptete dadurch bedingte gesundheitliche Beeinträchtigung aufzuklären. (Rn. 13 – 14)
Schlagworte:
Nichtraucherschutz, Fortsetzungsfeststellungsantrag, Erledigung, Nichtraucherschutz JVA
Vorinstanz:
LG Landshut, Beschluss vom 29.07.2024 – 3 StVK 567/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37982

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut vom 29. Juli 2024 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1000.- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verbüßt eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung befand er sich im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt L.. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2021 hat er bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut beantragt, (1) zu erkennen, dass der Antragsteller wegen der ungenügenden Durchsetzung des Nichtraucherschutzes in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt werde, (2) die Antragsgegnerin zu verpflichten, ein generelles Rauchverbot innerhalb der Anstalt zu erlassen, (3) ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und (4) ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen. Die JVA L. hat sich im Rahmen ihrer Stellungnahme zu den Anträgen auf eine Erledigung der Anträge infolge der Verlegung des Antragstellers in die JVA L.am 6. Oktober 2021 berufen. Unter Bezugnahme auf seine weitere Verlegung in die JVA Straubing hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut den Antragsteller mit Verfügung vom 16. Mai 2024 aufgefordert, sich dazu zu erklären, ob das vorliegende Verfahren fortgeführt werden solle. Aus Sicht der Strafvollstreckungskammer sei Erledigung eingetreten. Daraufhin hat der Antragsteller mit Schreiben vom 27. Mai 2024 die Erledigung erklärt und gleichzeitig einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit im Sinne von § 115 Abs. 3 StVollzG gestellt. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse basiere auf der Absicht, Amtshaftungs- und Schadensersatzprozesse zu bestreiten, auch bestehe eine Wiederholungsgefahr, die bereits eingetreten sei. Soweit weiterer Vortrag erforderlich sei, werde um einen gerichtlichen Hinweis nachgesucht. Mit Beschluss vom 29. Juli 2024 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache für erledigt erklärt und eine Entscheidung über die Kosten als nicht veranlasst erachtet. Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Verlegung des Betroffenen in die JVA L. sei das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Konkrete Gesundheitsschäden habe der Antragsteller nicht vorgetragen. Weder ein Rehabilitationsinteresse noch eine Wiederholungsgefahr sei ersichtlich, auch seien Anhaltspunkte für Amtshaftungsansprüche nicht erkennbar, eine Kostenentscheidung sei entgegen § 121 Abs. 2 S. 2 StVollzG aufgrund der Erledigung nicht veranlasst. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er der Annahme einer Erledigung entgegentritt und eine fehlende Sachaufklärung rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft in München beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrund als unzulässig zu verwerfen.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft. Die Strafvollstreckungskammer hat nicht nur eine isolierte Kostenentscheidung getroffen, sondern sich in den Gründen ihrer Entscheidung jedenfalls rudimentär auch mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit befasst und diesen abgelehnt. Der Beschwerdeführer bestreitet die Erledigung und begehrt eine Sachentscheidung. In einem solchen Fall ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde eröffnet.
3
Die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 StVollzG) zuzulassen, da die Strafvollstreckungskammer zwar zutreffend von einer Erledigung des Verpflichtungsantrags zu (2) infolge der Verlegung des Antragstellers ausgegangen ist, sich jedoch nicht zureichend mit dem Feststellungsanliegen befasst hat.
III.
4
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache (einen vorläufigen) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.
5
1. Bei dem Antrag zu (1), zu erkennen, dass der Antragsteller wegen der ungenügenden Durchsetzung des Nichtraucherschutzes in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt werde, handelt es sich um einen allgemeinen Feststellungsantrag. Dessen Statthaftigkeit ist zur Schließung ansonsten bestehender Rechtsschutzlücken grundsätzlich anerkannt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. September 2024 – 204 StObWs 371/24- juris Rn. 11 m.w.N.), etwa wenn sich eine angeordnete oder beantragte Maßnahme oder deren Ablehnung vor der möglichen Erhebung eines Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags auf gerichtliche Entscheidung bereits erledigt hat. In den Fällen, in denen ein zulässiger Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag erhoben wurde oder hätte erhoben werden können, ist die allgemeine Feststellungsklage hingegen subsidiär (BayObLG a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Nachdem der Antragsteller hier die Feststellung einer Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit aufgrund einer Unterlassung im Strafvollzug begehrt, geht sein Begehren über den Verpflichtungsantrag hinaus, so dass in der Rechtsbeschwerde weder gegen die Eröffnung des Rechtsweges (§ 17a Abs. 5 GVG) noch gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags grundsätzliche Bedenken bestehen. Die Verlegung des Antragstellers hat bezüglich dieses Feststellungsantrags zu (1) auch nicht zu einer Erledigung geführt.
6
2. Nachdem der Antragsteller bezüglich des Antrags zu (2) gleichzeitig mit der Erledigterklärung beantragt hat, über die Rechtswidrigkeit der Unterlassung des Nichtraucherschutzes in der JVA L. zu entscheiden, sind von der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich drei Prüfungsschritte vorzunehmen (st. Rspr., vgl. etwa Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze 8. Aufl., Teil IV § 115 StVollzG Rn. 68).
7
a. Zunächst hat die Strafvollstreckungskammer von Amts wegen zu prüfen, ob eine Erledigung eingetreten ist. Sodann ist zu prüfen, ob vor dem Eintritt der Erledigung die Formalien des Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags gewahrt waren, also ob der ursprüngliche Antrag zulässig war. Schließlich muss gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG ein besonderes Feststellungsinteresse gegeben sein. Dieses kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein. Es kommt nicht nur bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitierungsinteresse aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme oder bei beabsichtigter Geltendmachung von Amtshaftungs-, Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüchen in Betracht (BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2024 – 204 StObWs 278/24 –, juris Rn. 12 m.w.N.; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 115 Rn. 8; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel I § 115 Rn. 18), sondern auch dann, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2021 – 203 StObWs 514/20 –, juris Rn. 11).
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b. Nach diesen Vorgaben gilt:
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aa. Bezüglich des Verpflichtungsantrags zu (2) hat die nicht nur vorübergehende Verlegung des Beschwerdeführers im laufenden Verfahren zu einer Erledigung geführt. Denn die begehrte Maßnahme des Nichtraucherschutzes ist untrennbar mit den besonderen Verhältnissen der abgebenden Vollzugsanstalt verbunden.
10
bb. Die Strafvollstreckungskammer wird zu prüfen haben, ob und mit welchem Begehren sich der Antragsteller – vor dem Antrag an die Strafvollstreckungskammer – an die JVA L. gewandt hatte. Beim Übergang vom Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag zum Fortsetzungsfeststellungsantrag ist Letzterer nur zulässig, wenn auch für den zunächst gestellten Antrag alle Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben (Laubenthal a.a.O. § 115 Rn. 18). Ein Verpflichtungsantrag setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller sein Anliegen der Vollzugsbehörde in geeigneter Weise vorgetragen hat, bevor er den Weg zum Gericht beschreitet (Senat, Beschluss vom 17. April 2023 – 203 StObWs 61/23 –, juris Rn. 8 m.w.N.).
11
cc. Bei Zulässigkeit des ursprünglichen Antrags wird die Strafvollstreckungskammer das Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzinteresses als Zulässigkeitsvoraussetzung eines Fortsetzungsfeststellungsantrages zu klären haben.
12
aaa. Die Beurteilung, ob ein das Feststellungsinteresse begründender Eingriff vorliegt, erfolgt auf der Grundlage des von dem Antragsteller behaupteten Sachverhalts; ob sein Sachvortrag tatsächlich zutrifft, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30. Mai 2022 – 5 Ws 72/22 Vollz –, juris Rn. 6). Ist die Strafvollstreckungskammer der Auffassung, dass die gerichtsbekannten Fakten und die Darlegung des Antragstellers zum Feststellungsinteresse nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 StVollzG genügen, gebietet es die richterliche Fürsorge, den Antragsteller auf die Versäumnisse hinzuweisen (OLG München, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 4 Ws 134/12 (R) –, juris Rn. 18).
13
bbb. Ob ein Feststellungsinteresse vorliegt, ist auch eine Frage der Eingriffsintensität. Nachdem der Antragsteller bereits in der Antragsschrift eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit geltend gemacht und anspruchsbegründend die baulichen Verhältnisse in der Anstalt geschildert hat, durfte die Strafvollstreckungskammer ein Feststellungsinteresse nicht ohne weiteres verwerfen.
14
ccc. Die Strafvollstreckungskammer wird dazu die Verhältnisse des Nichtraucherschutzes in der JVA L. (Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG) zum Zeitpunkt der Antragstellung und die im Antrag zu (1) vom Antragsteller behauptete dadurch bedingte gesundheitliche Beeinträchtigung aufzuklären haben (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 7. Juni 2023 – 12 Qs 40/23 –, juris; BayObLG, Beschlüsse vom 18. November 2020 – 204 StObWs 385/20 –, vom 15. Februar 2023 – 204 StObWs 490/22 – und vom 17. November 2020 – 204 StObWs 277/20 –, jeweils zitiert nach juris).
15
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass sich die Strafvollstreckungskammer bislang mit den Anträgen (3) und (4) noch nicht befasst hat.
IV.
16
Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers bleibt bei einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer dieser vorbehalten.