Titel:
Einstellungsbeschluss nach Hauptsacheerledigung
Normenketten:
VwGO § 75, § 159, § 161 Abs. 2, § 161 Abs. 3
ZPO § 100
StAG § 10 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Zu der Frage, ob ein Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wegen des Grundsatzes der Kosteneinheit kann bei einer Kostenentscheidung nicht nach den Streitgenossen unterschieden werden. Zulässig und erforderlich ist es aber, zwischen den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten in den einzelnen Prozessrechtsverhältnissen nach der sogenannten Baumbach‘schen Formel zu unterscheiden. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine Klage, mit der die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband begehrt wird, ist der doppelte Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Staatsangehörigkeitsrecht, einfache Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite, Untätigkeitsklage, Baumbach'sche Formel
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34863
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1) jeweils zu ¼ und der Beklagte zu 2) zu ½.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1) zu ¼ und die Beklagte zu 2) zu ½. Im Übrigen trägt die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu ½. Im Übrigen trägt die Beklagte zu 1) ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Beklagte zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin begehrte von den Beklagten ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
2
Die Klägerin hat am 30. Januar 2023 online bei der Beklagten zu 1) einen Einbürgerungsantrag gestellt. Die beigefügten Unterlagen konnten zunächst aufgrund eines technischen Fehlers von der Beklagten zu 1) nicht eingelesen werden, wurden von der Klägerin nach Nachforderung vom 31. Januar 2023 (wohl) Anfang Februar 2023 nachgereicht. Am 1. März 2023 hat die Beklagte zu 1) den Einbürgerungsantrag der Klägerin an den Beklagten zu 2) abgegeben, da eine Einbürgerung nach § 10 StAG aufgrund fehlender Aufenthaltszeiten nicht in Betracht komme. Es wurde um Prüfung gebeten, ob eine Einbürgerung nach § 8 StAG erfolgen könne.
3
Am 26. April 2023 zeigte der Bevollmächtigte der Klägerin seine Bevollmächtigung bei der Beklagten zu 1) an. Die Beklagte zu 1) teilte ihm daraufhin mit Schreiben vom 27. April 2023 mit, dass am 1. März 2023 der Vorgang zur Entscheidung nach § 8 StAG an die Regierung von Mittelfranken übersandt worden sei. Ob rechtliche Bedenken hinsichtlich der Erteilung bestünden, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitgeteilt werden. Die Beklagte zu 1) werde den Bevollmächtigten nach Abschluss der Bearbeitung umgehend informieren. Am 13. Juni 2023 hat die Beklagte zu 1) die vom Bevollmächtigten der Klägerin am 26. April 2023 vorgelegten Unterlagen dem Beklagten zu 2) ergänzend vorgelegt.
4
Der Beklagte zu 2) wandte sich mit E-Mail vom 15. August 2023 an die Beklagte zu 1) und teilte mit, dass bei der Bearbeitung des Antrags der Klägerin aufgefallen sei, dass die Ausländerakte noch fehle. Es werde um Übersendung gebeten, außerdem um aktuelle Sicherheitsabfragen. Daneben wurde die Klägerin mit E-Mail vom 17. August 2023 darüber informiert, dass die Ausländerakte gefehlt habe, von der Beklagten zu 1) aber inzwischen angefordert worden sei. Daneben wurde sie darum gebeten, der Regierung die zweite Seite ihres deutschen Reiseausweises zukommen zu lassen. Weiter wurde gefragt, ob die Klägerin einen afghanischen Reisepass habe. Ebenfalls am 17. August 2023 bat der Beklagte zu 2) die Beklagte zu 1) um Übersendung des vollständigen Fragebogens zu extremistischen Gruppen.
5
Die Klägerin antwortete auf die E-Mail des Beklagten zu 2) am 17. August 2023 (13:51 Uhr) dahingehend, dass sie keinen afghanischen Pass besitze. Die zweite Seite des deutschen Reiseausweises wurde vorgelegt.
6
Die Beklagte zu 1) antwortete dem Beklagten zu 2) ebenfalls mit E-Mail vom 17. August 2023, dass der Bevollmächtigte der Klägerin am 11. August 2023 Untätigkeitsklage eingereicht habe. Die Ausländerakte werde in Kürze bereitgestellt. Der vollständige Sicherheitsfragebogen sei nicht vorgelegt worden. Die fehlende Seite werde vom Rechtsanwalt angefordert. Aus den vorgelegten Behördenakten geht nicht hervor, dass sich eine der beiden Beklagten insoweit an den Bevollmächtigten der Klägerin oder an diese selbst gewandt hat.
7
Die Klägerin teilte dem Beklagten zu 2) mit E-Mail vom 17. August (21:44 Uhr) mit, dass sie einen Rechtsanwalt beauftragt habe, Sie bitte, sich an diesen zu wenden.
8
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 10. August 2023 Klage erhoben gegen „Stadt … (Einbürgerungsbehörde); den Freistaat Bayern, vertreten durch Regierung von Mittelfranken“. Auf die Klagebegründung wird Bezug genommen. Da es sich beim Bevollmächtigten der Klägerin um einen nicht in Bayern ansässigen Rechtsanwalt handelt, hat das Gericht zunächst die Klage nur gegen die Beklagte zu 1) geführt. Nachdem sich aus der Durchsicht der vorgelegten Einbürgerungsakte der Beklagten zu 1) ergeben hatte, dass der Einbürgerungsantrag mit der Bitte um Prüfung einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG an die Regierung von Mittelfranken abgegeben wurde, wurde der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 24. August 2023 um umgehende Klarstellung gebeten, ob die Klage auch gegen den Freistaat Bayern gerichtet sein soll. Dies hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 30. August 2023 bejaht. Daneben wurde in diesem Schriftsatz ausgeführt, warum im Falle der Klägerin eine Verkürzung der notwendigen Aufenthaltsdauer von 8 auf 6 Jahren angezeigt sei. Daraufhin wurde das Verfahren auch gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von Mittelfranken, als Beklagten zu 2) geführt.
9
Die Beklagte zu 1) erwiderte mit Schriftsatz vom 18. August 2023 auf die Klage dahingehend, dass diese unbegründet sei, da die Klägerin keinen Anspruch auf Einbürgerung gegenüber der Beklagten zu 1) habe. Für eine Anspruchseinbürgerung fehle es aktuell an der notwendigen Aufenthaltsdauer von 8 Jahren, da die Einreise ins Bundesgebiet am 10. Dezember 2015 erfolgt sei. Dem Bevollmächtigten der Klägerin sei mitgeteilt worden, dass eine Abgabe an die Regierung zur Prüfung einer Ermessenseinbürgerung erfolgt sei.
10
Der Beklagte zu 2) erwiderte auf die Klage mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 dahingehend, dass der Vorgang der Regierung bislang nicht vollständig vorgelegt worden sei, sodass über den Antrag noch nicht entschieden werden konnte. Ferner würden derzeit die Auskünfte der Sicherheitsbehörden aktualisiert, sodass auch dies einer abschließenden Bearbeitung derzeit entgegenstehe. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2023 teilte der Beklagte zu 2) mit, dass ihm mittlerweile die Ausländerakte zur Klägerin vorliege.
11
Auf eine Sachstandsanfrage des Bevollmächtigten der Klägerin forderte das Gericht die beiden Beklagten mit Schreiben vom 13. Februar 2024 auf, sich zum Bearbeitungsstand zu äußern. Die Beklagte zu 1) führte daraufhin mit Schreiben vom 19. Februar 2024 aus, dass sie auf Bitten des Beklagten zu 2) vom 18. Dezember 2023 aktuelle Sicherheitsanfragen zur Klägerin veranlasst habe. Der Beklagte zu 2) benötige zur abschließenden Antragsprüfung zudem noch einen aktuellen Sicherheitsfragebogen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und aktuelle Lohnabrechnungen der Klägerin. Darüber sei der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 16. Februar 2024 auch direkt in Kenntnis gesetzt worden. Der Beklagte zu 2) teilte mit Schreiben vom 11. März 2024 mit, dass er die Beklagte zu 1) inzwischen mehrfach, zuletzt am 16. Januar 2024, zur Vorlage der für die Prüfung des Einbürgerungsantrags fehlenden Unterlagen aufgefordert habe. Die Beklagte zu 1) habe mit Schreiben vom 16. Februar 2024 mitgeteilt, dass eine aktuelle Sicherheitsanfrage veranlasst worden sei und der Bevollmächtigte der Klägerin hierüber und über die weiteren erforderlichen Unterlagen am gleichen Tag informiert worden sei. Die angeforderten Unterlagen seien bislang bei der Regierung nicht eingegangen, eine abschließende Bearbeitung könne daher derzeit noch nicht erfolgen.
12
Am 21. März 2024 teilte der Beklagte zu 2) dem Verwaltungsgericht mit, dass die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 14. März 2024 die für die Prüfung des Einbürgerungsantrags fehlenden Unterlagen vorgelegt habe. Die Einbürgerungsurkunde sei am 15. März 2024 ausgefertigt und am 18. März an die Beklagte zu 1) zur Aushändigung übersendet worden, worüber die Klägerin informiert worden sei. Einer etwaigen Erledigungserklärung durch die Klägerseite werde zugestimmt und eine Kostenaufhebung werde angeregt, da im Zeitpunkt der Klageerhebung aufgrund der fehlenden Unterlagen der Einbürgerungsantrag nicht entscheidungsreif gewesen sei. Die Regierung habe vor Erhebung der Untätigkeitsklage bereits bei der Klägerin selbst wie auch bei der Beklagten zu 1) die fehlenden Unterlagen angefordert. Sie seien trotz mehrfacher Anforderungen erst am 14. März 2024 durch die Beklagte zu 1) vorgelegt worden.
13
Die Beklagte zu 1) teilte am 27. März 2024 mit, dass die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde inzwischen auf den 15. April 2024 terminiert worden sei. Die fehlenden Unterlagen seien von der Beklagten zu 1) unverzüglich nach Erhalt an die Regierung von Mittelfranken weitergeleitet worden. Einer etwaigen Erledigungserklärung der Klägerin werde bereits zugestimmt.
14
Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte mit Schreiben vom 15. April 2024 die Hauptsache unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt. Die Beklagten seien nach Klageerhebung dem klägerischen Begehren nachgekommen. Da der Antrag erst vierzehneinhalb Monate nach Antragstellung beschieden worden sei und die Klägerin vor der Klageerhebung mit der Bescheidung habe rechnen dürfen, hätten die Beklagten die Kostenlast zu tragen. Es müsse bestritten werden, dass die Regierung vor Klageerhebung bei der Klägerin ergänzende Unterlagen nachgefordert habe. Solche Post liege der Klägerin nicht vor. Vor der Klageerhebung sei der Klägerin allein bekannt gewesen, dass ihr Antrag am 1. März 2023 zur Entscheidung an die Regierung von Mittelfranken übersendet worden sei. Von dort sei keine Reaktion zu verzeichnen gewesen.
15
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
16
Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist die Rechtshängigkeit der Verwaltungsstreitsachen rückwirkend entfallen, das Verfahren ist analog § 92 Abs. 3 VwGO deklaratorisch einzustellen.
17
Daneben ist nach § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Da zwischen den Beklagten zu 1) und 2) eine einfache Streitgenossenschaft bestand, ist die Kostenentscheidung nicht einheitlich, sondern für jeden Streitgenossen zunächst separat zu treffen (hierzu 1.). Hinsichtlich der Beklagten zu 1) kommt nicht die Sondervorschrift des § 161 Abs. 3 VwGO zur Anwendung, vielmehr ist die Kostenentscheidung nach der Grundnorm des § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu treffen (hierzu 2.). Demgegenüber ist hinsichtlich des Beklagten zu 2) die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 3 VwGO zu treffen (hierzu 3.). Die gesamte Kostenentscheidung ist nach §§ 155, 159 VwGO, § 100 ZPO sodann einheitlich zusammenzuführen (hierzu 4.).
18
1. Die Klägerin hat vorliegend nebeneinander die für die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG zuständige Beklagte zu 1) und den für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG zuständigen Beklagten zu 2) verklagt.
19
Nach § 64 VwGO sind im Verwaltungsprozess die Vorschriften der §§ 59-63 ZPO über die Streitgenossenschaft entsprechend anzuwenden. Nach § 60 ZPO können mehrere Personen als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden, wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche den Gegenstand des Rechtsstreits bilden (einfache Streitgenossenschaft). Die gegenüber den Streitgenossen geltend gemachten Ansprüche müssen nach ihrem abstrakten Inhalt übereinstimmen, daneben muss ein im Wesentlichen gleich gelagerter Tatsachenstoff und Rechtsgrund hinzutreten. Grundsätzlich ist die Bestimmung weit auszulegen (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 64 VwGO, Rn. 9).
20
Im vorliegenden Fall machte die Klägerin gegenüber den Beklagten die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband gestützt auf die beiden auf die gleiche Rechtsfolge abzielenden Rechtsgrundlagen nach § 10 und § 8 StAG geltend. Beide Ansprüche werden auch auf die im Wesentlichen gleichen tatsächlichen Grundlagen gestützt, sodass eine einfache Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite hier vorliegt (vgl. BayVGH, U.v. 17.2.2005 – 5 B 03.2842 – BeckRS 2005, 15996, Rn. 24 f.). Soweit daneben für die Begründung einer einfachen Streitgenossenschaft auch analog § 44 VwGO ein Zusammenhang und die Zuständigkeit des gleichen Gerichts verlangt wird (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann a.a.O., Rn. 10) liegen auch diese Voraussetzungen hier vor.
21
Die einfache Streitgenossenschaft zwischen der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2) ändert grundsätzlich nichts daran, dass das Verfahren hinsichtlich der beiden Beklagten unabhängig voneinander zu betrachten ist. Auch die Entscheidungen des Gerichts können für jeden Beklagten unterschiedlich ausfallen (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 64 Rn. 12; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 64, Rn. 7). Dementsprechend ist auch die Frage, nach welcher Bestimmung die Kostenentscheidung nach der erfolgten übereinstimmenden Erledigterklärung zu treffen ist, hinsichtlich jedes Beklagten gesondert zu beantworten.
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2. Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestimmt sich die Kostenaufteilung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
23
a) Für die Fälle einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO enthält § 161 Abs. 3 VwGO zwar eine gegenüber der allgemeinen Bestimmung des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO spezielle Sonderregelung. Danach fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn der Beklagte einen objektiv zureichenden Grund hatte, den bei ihm gestellten Antrag nicht vor Klageerhebung zu bescheiden, und der Kläger diesen Verzögerungsgrund kannte oder kennen musste (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1991 – 3 C 56/90 – juris LS 2 und Rn. 9).
24
Im vorliegenden Fall wurde die Klage zwar nach Ablauf der 3-monatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO erhoben, sodass der Anwendungsbereich des § 161 Abs. 3 VwGO eröffnet ist. Jedoch bestand im konkreten Einzelfall ein zureichender Grund für die Beklagte zu 1), nicht über den Einbürgerungsantrag der Klägerin zu entscheiden, sodass diese im Sinne von § 161 Abs. 3 VwGO nicht mit ihrer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Von diesem Grund hatte die Klägerin auch Kenntnis.
25
(1) Die Klage wurde vom Bevollmächtigten der Klägerin am 10. August 2023 und damit mehr als 3 Monate nach der Stellung des Einbürgerungsantrags bei der Beklagten zu 1) erhoben.
26
Der Antrag der Klägerin war jedenfalls Anfang Februar 2023 im Wesentlichen vollständig bei der Beklagten zu 1) eingegangen. Die 3-monatige Frist des § 75 Satz 2 VwGO begann daher damit zu laufen und endete jedenfalls Anfang Mai 2023. Im Zeitpunkt der Klageerhebung war diese Frist daher abgelaufen. Der Anwendungsbereich des § 161 Abs. 3 VwGO war daher hier eröffnet (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1991 – 3 C 56/90 – juris Rn. 7).
27
(2) Allerdings durfte die Klägerin im konkreten Fall nicht von einer Bescheidung durch die Beklagte zu 1) vor Klageerhebung im Sinne von § 161 Abs. 3 VwGO ausgehen.
28
Denn die Beklagte zu 1) hatte aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin im Frühjahr 2023 noch nicht die Einbürgerungsvoraussetzung der 8-jährigen Aufenthaltszeit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG erfüllt hatte, die Möglichkeit einer Anspruchseinbürgerung verneint und am 1. März 2023 das Verfahren an die Regierung von Mittelfranken abgegeben. Hiervon hatte die Klägerin aufgrund der Information ihres Bevollmächtigten durch die Beklagte zu 1) seit dem 27. April 2023 Kenntnis. Daher wusste sie bei Klageerhebung, dass die Beklagte bis auf weiteres nicht über ihren Einbürgerungsantrag entscheiden würde.
29
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat hiergegen argumentiert, dass im Falle der Klägerin eine Verkürzung der notwendigen Aufenthaltszeit nach § 10 Abs. 3 StAG wegen besonderer Integrationsleistungen der Klägerin vorzunehmen sei. Dies vermag jedoch den zureichenden Grund für die Nichtentscheidung über den Einbürgerungsantrag nicht infrage zu stellen. Denn bei § 10 Abs. 3 Satz 2 StAG handelt es sich nach dem Wortlaut der Bestimmung um eine Ermessensregelung (vgl. Hailbronner/Gnatzy in Hailbronner/Kau/Gnatzy/Weber, Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Aufl. 2022, § 10 Rn. 152). Die Entscheidung, ob hier in diesem Sinne herausragende Integrationsleistungen erbracht wurden, ist in hohem Maße von einer wertenden Betrachtung abhängig und lässt sich daher nicht ohne Weiteres beantworten. Daher war auch die Argumentation des Bevollmächtigten der Klägerin mit der normsystematisch bedingten Unsicherheit belegt, ob die Beklagte seiner Argumentation folgen würde. Indem die Beklagte das Verfahren stattdessen an die für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG zuständige Regierung von Mittelfranken weitergab, hat sie zu erkennen gegeben, dass sie der Argumentation des Bevollmächtigten der Klägerin nicht zu folgen gewillt war.
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Daher lag einerseits ein zureichender Grund im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Nichtentscheidung über den Einbürgerungsantrag durch die Beklagte zu 1) vor. Andererseits war dies der Klägerin auch aufgrund des Schreibens vom 27. April 2023 an den Bevollmächtigten der Klägerin bekannt.
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b) Daher bleibt es für die Kostenentscheidung bei der Grundnorm des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
32
Maßgeblich ist daher, inwiefern es billigem Ermessen entspricht, die Kosten des Verfahrens dem einen oder anderen Beteiligten aufzuerlegen. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen.
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Im Rahmen der gegenüber der Beklagten zu 1) geltend gemachten Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG war im Zeitpunkt der Klageerhebung unstreitig eine Verkürzung der notwendigen Aufenthaltszeit nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StAG im Falle der Klägerin nicht möglich, da eine Bescheinigung über einen Integrationskurs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von ihr nicht vorgelegt werden konnte. Für die klägerseits bemühte Ermessensregelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 StAG sind besondere Integrationsleistungen notwendig. Exemplarisch nennt das Gesetz den Nachweis von Sprachkenntnissen, besonders gute schulische, berufsqualifizierende oder berufliche Leistungen oder bürgerschaftliches Engagement. Eine genauere Festlegung hat der Gesetzgeber hier bewusst nicht vorgenommen, um den Behörden Spielraum zu lassen, dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. Hailbronner/Gnatzy, in Hailbronner, Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Aufl. 2022, § 10 Rn. 152 f.).
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Ob diese Anforderungen von der Klägerin erfüllt wurden, kann auf der vorliegenden Informationsgrundlage nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. Während hier positiv anzumerken ist, dass es der Klägerin gelungen ist, nach nur gut 4 Jahren Aufenthalt in Deutschland hier eine Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen, ist negativ zu bemerken, dass die von ihr hier erzielten Noten ihr im unteren Drittel angesiedelt waren. Daher können die Erfolgsaussichten allenfalls als offen angesehen werden.
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Vor diesem Hintergrund entspricht es billigem Ermessen, die Kosten zwischen den Beteiligten hälftig aufzuteilen.
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3. Im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) bestimmt sich die Kostentragung dagegen nach § 161 Abs. 3 VwGO.
37
Die Untätigkeitsklage war auch in Bezug auf den Beklagten zu 2) zulässig, da die Sperrfrist nach § 75 Abs. 2 VwGO vor Klageerhebung abgelaufen war. Die Klage wurde am 10. August 2023 erhoben und damit mehr als 3 Monate nach Abgabe des Verfahrens durch die Beklagte zu 1) an die Regierung von Mittelfranken. Auch wenn man für die Berechnung der Sperrfrist nicht von der Abgabe, sondern von der Mitteilung über die Abgabe an den Bevollmächtigten der Klägerin ausgehen würde, wäre die Frist ausgehend von der Mitteilung am 27. April 2023 bei Klageerhebung am 10. August 2023 abgelaufen gewesen. Der Anwendungsbereich des § 161 Abs. 3 VwGO ist daher eröffnet.
38
Die Klägerin durfte auch im Sinne dieser Bestimmung mit einer Bescheidung durch die Regierung von Mittelfranken vor Klageerhebung rechnen. Denn vor Klageerhebung hat der Beklagte zu 2) einen zureichenden Grund für die Nicht-Entscheidung über den Einbürgerungsantrag gar nicht geltend gemacht. Der Einwand, für die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag fehle es an der Ausländerakte und der zweiten Seite des Reiseausweises der Klägerin, erfolgte erst nach Klageerhebung am 17. August 2023 und kann daher insoweit keine Berücksichtigung finden.
39
Aber auch wenn man dies als zureichenden Grund ausreichen ließe, wurde der Grund für die Nichtentscheidung der Klägerin jedenfalls nicht mitgeteilt, sodass diese davon auch keine Kenntnis haben konnte. Im Ergebnis durfte sie daher mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen. Dementsprechend trägt die Beklagte zu 2) im Verhältnis zur Klägerin nach § 161 Abs. 3 VwGO die Kosten des Verfahrens.
40
4. Die Klägerin hat also im Sinne der Kostenentscheidung teils obsiegt, teils ist sie unterlegen. Von den Streitgenossen auf der Beklagtenseite hat der eine (die Beklagte zu 1)) teils obsiegt, der andere (der Beklagte zu 2)) ist vollständig unterlegen. Daher ist die Kostenentscheidung hier grundsätzlich nach § 155 Abs. 1 VwGO zu treffen (vgl. Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155, Rn. 42). Daneben besteht der kostenpflichtige Teil auf der Beklagtenseite aus mehreren Personen, sodass auch § 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO einschlägig ist.
41
Wegen des Grundsatzes der Kosteneinheit kann bei der Kostenentscheidung jedoch nicht nach den Streitgenossen unterschieden werden, zulässig und erforderlich ist es aber, zwischen den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten in den einzelnen Prozessrechtsverhältnissen nach der sogenannten Baumbach‘schen Formel zu unterscheiden (vgl. Neumann/Schaks a.a.O. Rn. 43).
42
Im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung ist daher zwischen den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten zu differenzieren (vgl. zur Baumbach‘schen Formel allgemein Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO; 6. Aufl. 2020, § 100, Rn. 32 ff.).
43
a) Für die Gerichtskosten ist davon auszugehen, dass die Klägerin gegenüber jedem Streitgenossen eine Verurteilung erstrebt hat und insoweit nach dem oben Dargestellten nicht vollständig erfolgreich war. Die hier angekündigten Klageanträge lassen kein wie auch immer geartetes Stufenverhältnis zwischen der Verpflichtung der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) erkennen, so dass auch im konkreten Fall davon ausgegangen werden muss, dass eine Verurteilung beider Beklagten angestrebt war.
44
Für die Berechnung der Quote ist zunächst das Unterliegen der Klägerin gegenüber jedem Streitgenossen zu ermitteln, anschließend werden die Unterliegensbeträge addiert und die Summe wird sodann ins Verhältnis zu einem fiktiven Gesamtstreitwert gesetzt, der der Summe der angestrebten Verurteilungsbeträge entspricht (vgl. Schulz a.a.O. Rn. 34 und das Beispiel in Rn. 36).
45
Die Klägerin ist nach der oben dargestellten Kostenverteilung im Verhältnis zur Beklagten zu 1) bezogen auf den in diesem Prozessrechtsverhältnis bestehenden Streitwert von 10.000 EUR (vgl. Ziff. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, dem die Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt) zu 50%, mithin also in Höhe von 5000 EUR unterlegen und hat im gleichen Umfang obsiegt. Gleiches gilt für die Beklagte zu 1). Der Beklagte zu 2) ist dagegen im Verhältnis zur Klägerin zu 100%, also in Höhe von 10.000 EUR unterlegen. In Bezug auf einen fiktiven Gesamtstreitwert von 20.000 EUR ist daher die Klägerin zu ¼, die Beklagte zu 1) ebenfalls zu ¼ und der Beklagte zu 2) zu ½ unterlegen. In dieser Höhe tragen die jeweiligen Beteiligten die Gerichtskosten.
46
Im Verhältnis zwischen den Beklagten zu 1) und 2) ist dabei eine Anwendung des § 159 Satz 2 VwGO (Gesamtschuldnerschaft) nicht möglich, da über das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber hier nicht nur einheitlich entschieden werden konnte (siehe oben zu 1.).
47
b) Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten ist allein das Verhältnis des obsiegenden Streitgenossen bzw. Beteiligten zum Gegner maßgeblich (vgl. Schulz a.a.O, Rn. 33).
48
Dies bedeutet, dass die außergerichtlichen Kosten der Klägerin der Beklagte zu 2) zu ½ und der Beklagte zu 1) zu ¼ trägt. Hinsichtlich des übrig bleibenden, letzten Viertels trägt die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
49
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu ½. Der Beklagte zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst (vgl. Schulz a.a.O. Rn. 35).
50
5. Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 Abs. 1 GKG in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen. Die Klage war hier auf die Einbürgerung der Klägerin in den deutschen Staatsverband gerichtet. Hierfür setzt der bereits erwähnte Streitkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Ziffer 42.1 grundsätzlich den doppelten Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG, also 10.000 EUR fest. Dieser Empfehlung folgt die Kammer in ständiger Rechtsprechung.
51
Nach § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.
52
Der Streitgegenstand wird grundsätzlich bestimmt durch Klageanspruch und Klagegrund (sogenannter zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff, vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 121, Rn. 23). Im vorliegenden Fall zielen zwar die Klageanträge gegen beide Beklagten auf das gleiche Ziel, nämlich die Einbürgerung der Klägerin, und stützen sich auf den im wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt. Allerdings richten sie sich gegen zwei verschiedene juristische Personen. Da der Streitgegenstand auch durch subjektive Umstände, hier also die Frage, von wem die Einbürgerung verlangt wird, bestimmt wird (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91, Rn. 20; BayVGH, U.v. 17.2.2005 – 5 B 03.2842 – BeckRS 2005, 15996, Rn. 25), liegen im vorliegenden Fall zwei Streitgegenstände vor, deren Streitwerte von jeweils 10.000 EUR nach § 39 Abs. 1 GKG zu addieren sind.
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Daher ist der Streitwert hier in Höhe von 20.000 EUR festzusetzen.