Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.11.2024 – 8 CS 24.1462
Titel:

Erfolglose Beschwerde gegen befristete Teileinziehung einer Ortsstraße zur Einrichtung einer Fußgängerzone

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5, § 146
BayStrWG Art. 8 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Abs. 3, Art. 17 Abs. 1
BayVwVfG Art. 40
Leitsätze:
1. Das Recht auf Anliegergebrauch berechtigt bei Wohngrundstücken in einer innerstädtischen Fußgängerzone regelmäßig nicht zur Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen. (Rn. 37)
2. Bei innerörtlich gelegenen, gewerblich genutzten Grundstücken erfasst der Anliegergebrauch regelmäßig die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen, die sich in aller Regel aber auf einen zeitlich begrenzten und nicht notwendig unmittelbar bis vor den Betrieb reichenden Lieferverkehr beschränkt. (Rn. 63)
Schlagworte:
Beschwerde (einstweiliger Rechtsschutz), Antragsbefugnis für vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Straßeneinziehung, Zuständigkeit für die Anordnung der sofortigen Vollziehung, Adressaten einer Teileinziehung, Gemeingebrauch, Umfang des Anliegergebrauchs, Lärmimmissionen, Verlagerungseffekte, Ermessen, Selbstbindung der Verwaltung, Einziehung, Straße, Fußgängerzone, Antragsbefugnis, Anliegergebrauch, Wohngrundstück, gewerbliche Nutzung, Zuständigkeit, Lärmimmission
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 19.08.2024 – M 28 S 24.4852
Fundstellen:
BayVBl 2025, 190
BeckRS 2024, 34821
LSK 2024, 34821

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu jeweils einem Viertel.
III. Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine befristete straßenrechtliche Teileinziehung zur probeweisen Einrichtung einer Fußgängerzone in der W. Straße im Teilbereich zwischen dem W. Platz und dem P. Platz.
2
Die Antragstellerin zu 1 ist Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin einer GmbH, die in dem betreffenden Teilbereich der Straße eine Modeboutique betreibt. Der Antragsteller zu 2 wohnt in dem Teilbereich. Die Antragstellerin zu 3 ist Anwohnerin in einer nahegelegenen, vom P. Platz abzweigenden Straße. Die Antragstellerin zu 4 betreibt in dem Teilbereich der W. Straße eine orthopädische Arztpraxis.
3
Mit Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024, bekanntgegeben im Amtsblatt der Antragsgegnerin am 9. August 2024, zog die Antragsgegnerin die bisher als Ortsstraße gewidmete Teilstrecke der W. Straße zwischen dem W. Platz und dem P. Platz (FlNr. … Gemarkung …) befristet bis zum 29. Juli 2025 teilweise ein, indem sie die Widmung in dieser Zeit auf „Fußverkehr, Radverkehr frei, Elektrokleinstfahrzeuge frei, zeitlich begrenzter Lieferverkehr frei, Zufahrt zu den angrenzenden Anwesen für Bewohner gestattet“ beschränkte (Nr. 1 des Tenors). Zudem ordnete sie den Sofortvollzug an (Nr. 2 des Tenors) und setzte die Allgemeinverfügung zum 10. August 2024 in Kraft (Nr. 3 des Tenors).
4
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, die Teileinziehungsverfügung beruhe auf Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG. Sie bezwecke die Prüfung, ob sich die städtebaulichen Belange, insbesondere eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität und eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs, gegenüber den allgemeinen Verkehrs- und Anliegerinteressen am Fortbestand der Widmung als höherwertig erwiesen. Erste Erhebungen hätten ergeben, dass der Fußgängerverkehr knapp um das Fünffache höher ausfalle als der Kfz-Verkehr. Der Straßenabschnitt sei daher vom Fußgängerverkehr geprägt. In Bezug auf die Anliegerinteressen der Antragsteller führte sie weiter aus, für Bewohner bliebe die Zufahrt zu den an die W. Straße grenzenden Grundstücken und zu den privaten Stellplätzen in den Hinterhöfen ganztägig möglich. Auch gewerblicher und privater Liefer- und Ladeverkehr sei zu bestimmten Zeiten möglich. Die mit der Teileinziehung verbundenen Verlagerungseffekte des Verkehrs in die umliegenden Straßen würden als verträglich eingeschätzt. In Bezug auf das Aufsuchen von ärztlichen Praxen durch Personen, die nicht in der Lage seien sich zu Fuß fortzubewegen, verwies sie auf ihr im Internet veröffentlichtes Zufahrtskonzept (vgl. https://m…unterwegs.de/angebote/w…strasse). Soweit Handwerker die Arztpraxen zur Wartung oder Instandsetzung von technischen Apparaturen erreichen müssten, seien sie dem Lieferverkehr zuzuordnen und entsprechend zulässig. Für dringende Fälle sei eine Zufahrtserlaubnis kurzfristig zu erlangen.
5
Die Anordnung des Sofortvollzugs begründete die Antragsgegnerin im Wesentlichen mit dem öffentlichen Interesse, dass das Teilstück der W. Straße schnellstmöglich zur Fußgängerzone werde. Der Straßenabschnitt solle vom Durchgangsverkehr entlastet werden, um die Aufenthaltsqualität für die Anlieger zu erhöhen und die mit dem Straßenverkehr verbundenen Belastungen deutlich zu reduzieren. Zudem solle ein Beitrag zur dringend erforderlichen Verkehrswende geleistet werden. Durch die sofortige Umsetzung der Maßnahme werde auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs verbessert. In diesem Straßenabschnitt überwiege deutlich der Fußgängerverkehr, sodass durch die Reduzierung des Kfz-Verkehrs besonders gefährdete Fußgängergruppen besser geschützt würden. Die Attraktivität des Straßenabschnitts als Einkaufsstraße werde gesteigert. Fußgänger seien nicht mehr auf die zur Aufnahme des Fußgängerverkehrs zu engen Gehwege angewiesen, sondern könnten den gesamten Straßenkörper nutzen. Verkehrsbedingte Risiken würden erheblich reduziert ebenso wie Lärm und Abgase durch Parksuchverkehr. Bei den Anliegern träten durch den Sofortvollzug keine irreparablen Verhältnisse ein, zumal ihre Rechtsposition nur schwach ausgestaltet sei. Für Bewohner und Anlieger seien alle Grundstücke zu Fuß und per Rad weiterhin möglich. Für stark bewegungseingeschränkte Personen gebe es die Möglichkeit, Zufahrtserlaubnisse zu erhalten. Für das ansässige Gewerbe sei weiterhin das Befahren und Halten mit Fahrzeugen, welche dem erforderlichen An- und Ablieferverkehr dienten, in bestimmten Zeiträumen erlaubt.
6
Die Antragsteller haben am 9. August 2024 beim Verwaltungsgericht München gegen die Allgemeinverfügung Klage erhoben und am 12. August 2024 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gestellt.
7
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 19. August 2024 ab. Der Antrag werde im Interesse der Antragsteller an einer zeitnahen Entscheidung als zulässig angesehen, obgleich die Zulässigkeit im Hinblick auf die Antragsteller zu 1, 2 und 3 problematisch sei. Die Antragstellerin zu 1 betreibe die von ihr geführte Modeboutique in der W. Straße in der Rechtsform einer GmbH. Eine Rechtsverletzung komme nur für die GmbH in Betracht. Hinsichtlich der Antragsteller zu 2 und 3 sei zweifelhaft, ob die angeführte Lärmbetroffenheit ausreichend substantiiert geltend gemacht worden sei. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls für die Teileinziehung sprächen. Die befristete Teileinziehungsverfügung sei voraussichtlich formell und materiell rechtmäßig. Eine Um- bzw. Abstufung der W. Straße sei weder kumulativ noch alternativ erforderlich. Ein Verstoß gegen Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG liege nicht vor, weil die Antragsgegnerin nicht nur den Tenor der Allgemeinverfügung, sondern auch die gesamte Begründung einschließlich des Lageplans öffentlich bekanntgemacht habe. Die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG seien aller Voraussicht nach erfüllt. Der Antragsgegnerin sei es nicht verwehrt, die temporäre Teileinziehung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens mit einer Befristung nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG zu erlassen. Sie habe die für und gegen die Teileinziehung sprechenden Belange zutreffend ermittelt und sei nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass diese durch überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sei. Ermessensfehler lägen nicht vor. Das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bestehe gerade in Ansehung des Versuchscharakters der befristeten Teileinziehung. Ohne die Anordnung des Sofortvollzugs würde der von der Antragsgegnerin konsequent und bürgernah verfolgte Planungs- und Dialogprozess, der die Anlieger mit ihren unterschiedlichen Standpunkten und Meinungen einbezogen habe, zum Stillstand kommen und damit das Projekt in der öffentlichen Wahrnehmung gleichsam „auf Null“ setzen. Mit Blick auf die als gering einzustufenden Nachteile des räumlich eng begrenzten Projekts für manche Anlieger würde hieraus eine unangemessene Beschränkung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten resultieren und langfristig verfolgte Ziele, wie den Gesundheitsschutz der Anlieger und des Fußgängerverkehrs, verzögert. Der angeordnete Sofortvollzug erfülle auch die Begründungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Für die Anordnung des Sofortvollzugs sei der Bezirksausschuss des … Stadtbezirks A. zuständig gewesen.
8
Gegen den am 20. August 2024 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 26. August 2024 Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 30. August 2024 begründet haben. Da die Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Verwaltungsgericht bejaht worden sei, könne diese nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sein. Unabhängig davon sei die Antragsbefugnis der Antragsteller nach § 42 Abs. 2 VwGO analog hinreichend substantiiert aufgezeigt worden. Der Antrag sei auch begründet. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei bereits formell rechtswidrig. Der Bezirksausschuss des … Stadtbezirks A. sei zwar für die Entscheidung in der Sache zuständig. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei ihm aber als Aufgabe nicht übertragen worden. In § 9 Abs. 1 der Satzung für die Bezirksausschüsse der Antragsgegnerin heiße es ausdrücklich, dass eine Entscheidungsbefugnis des Bezirksausschusses nur in den in der Anlage 1 der Satzung genannten Aufgaben bestehe. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei dort nicht genannt. Zudem liege ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vor, weil die Antragsgegnerin lediglich die Gründe herangezogen habe, mit der sie auch die Teileinziehung begründet habe. Weiter habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht das besondere Vollzugsinteresse bejaht. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts könne ein „Realversuch“ problemlos auch nach Bestandskraft der Teileinziehungsverfügung vom 26. Juli 2024 erfolgen. Schließlich erweise sich auch die Verfügung selbst als rechtswidrig, weil keine Rechtsgrundlage für die temporäre Teileinziehung zu Versuchszwecken bestehe, weil sie nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei, weil keine Umstufung erfolgt sei und weil die Tatbestandsvoraussetzungen der Teileinziehung nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG nicht vorlägen. Die bloße Erprobung stelle keinen überwiegenden Grund des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG dar. Die entgegenstehenden Belange, insbesondere die privaten Belange der Antragsteller, seien nicht ausreichend ermittelt worden.
9
Die Antragsgegnerin ist diesen Ausführungen im Einzelnen in ihrem Schriftsatz vom 16. September 2024 entgegengetreten.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den erstinstanzlichen Verfahren M 28 S 24.4852 und M 28 K 24.4780 sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
11
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
12
Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Teileinziehungsverfügung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Verwaltungsgerichtshof prüft bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nur die rechtzeitig dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Erweisen sich die Beschwerdegründe als berechtigt, darf sich die angefochtene Entscheidung aber nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen, was aus der entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO folgt (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2003 – 1 CS 03.60 – NVwZ 2004, 251 = juris Leitsatz und Rn. 16; B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – ZfB 2019, 202 = juris Rn. 26 m.w.N.). Die Prüfung ist insoweit nicht auf die vom Beschwerdeführer thematisierten Aspekte beschränkt. Die Beteiligten müssen hinsichtlich aller erstinstanzlich oder im Beschwerdeverfahren erörterten Aspekte mit der Möglichkeit rechnen, dass die Beschwerdeentscheidung auf andere als die vom Verwaltungsgericht tragend zugrunde gelegten Gründe gestützt wird, ohne dass es insoweit eines gesonderten Hinweises bedürfte (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2020 – 14 CE 20.1131 – juris Leitsatz 1 und Rn. 19 m.w.N.). Dies gilt entgegen der Auffassung der Antragsteller auch hinsichtlich ihrer Antragsbefugnis, soweit deren Bestehen vom Verwaltungsgericht offengelassen wurde. Als Sachentscheidungsvoraussetzung ist das Vorliegen der Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO ohnehin unabhängig von den nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO dargelegten Gründen von Amts wegen zu prüfen (vgl. HessVGH, B.v. 7.9.2004 – 10 TG 1498/04 – juris Rn. 10; OVG LSA, B.v. 16.2.2009 – 4 M 463/08 – NVwZ 2009, 855 = juris Rn. 2; OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.4.2021 – 10 S 3/21 – IÖD 2021, 165 = juris Rn. 15; VGH BW, B.v. 23.4.2024 – 12 S 1768/23 – juris Rn. 7; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 27).
13
A. Die Beschwerde der Antragsteller zu 1, zu 2 und zu 3 hat schon deshalb keinen Erfolg, weil ihr Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig ist. Den Antragstellern fehlt die erforderliche Antragsbefugnis.
14
Gem. § 42 Abs. 2 VwGO, der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend anzuwenden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – NVwZ 2018, 1485 = juris Rn. 7), ist der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass die Verletzung eigener Rechte des Antragstellers auf der Grundlage der Antragsbegründung als möglich erscheint, also nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – NVwZ 2018, 1485 = juris Rn. 7; B.v. 10.2.2023 – 4 VR 1.23 – EnWZ 2023, 364 = juris Rn. 9). Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die eine Rechtsverletzung als möglich erscheinen lassen (vgl. NdsOVG, B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – DVBl 2018, 310 = juris Rn. 5).
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Daran fehlt es hinsichtlich der gerügten Rechtsverletzung der Antragsteller zu 1, zu 2 und zu 3.
16
1. Rechte der Antragstellerin zu 1 sind durch die streitgegenständliche Allgemeinverfügung von vornherein nicht verletzt.
17
Die Antragstellerin zu 1 ist geschäftsführende Alleingesellschafterin der A. GmbH, die ein Bekleidungsgeschäft in dem von der Teileinziehung betroffenen Teil der W. Straße betreibt. Sie macht geltend, der Schwerpunkt des Betriebes liege in der individuellen Beratung und Volleinkleidung mit ausgewählten hochwertigen Modemarken. Im Vordergrund stehe der individuelle Kontakt und die individuelle Beratung der Kunden. Der Kundenstamm bestehe vor allem aus modebewussten Frauen aus dem Umland, die mit dem eigenen Pkw anreisten und für die die Erreichbarkeit mittels Kfz ausschlaggebendes Kriterium dafür sei, ob sie das Geschäft aufsuchten. Der Wegfall der Zufahrts- und der Parkmöglichkeiten für Kunden im Innenhof des Anwesens treffe die Antragstellerin zu 1 damit im Kern ihrer gewerblichen Tätigkeit. Es drohe nicht nur ein Umsatzeinbruch, sondern der Wegfall der Stammkundschaft. Anders als gewöhnliche Bekleidungsgeschäfte sei der Fortbestand des Betriebs darauf angewiesen, dass die W. Straße von den Kunden auch künftig mittels Kraftfahrzeugen befahren werden könne. Die Teileinziehung verletze sie in ihrem Recht auf Anliegergebrauch, dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in ihrer Berufsausübungsfreiheit als Modeberaterin und -verkäuferin. Die Teileinziehung habe zumindest objektiv berufsregelnde Tendenz.
18
Mit diesem Vorbringen zeigt die Antragstellerin zu 1 eine mögliche Verletzung ihrer subjektiven Rechte nicht auf.
19
a) Die geltend gemachte Verletzung des Rechts auf Anliegergebrauch und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betrifft nicht die Antragstellerin zu 1 als Geschäftsführerin der A. GmbH, sondern die GmbH selbst. Geschäftsführer einer GmbH handeln nicht in Ausübung einer eigenen gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit, sondern in Ausübung einer angestellten beruflichen Tätigkeit (vgl. BGH, U.v. 15.7.2004 – III ZR 315/03 – NJW 2004, 3039 = juris Rn. 40; U.v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – NJW 2006, 830 = juris Rn. 91). Daran ändert auch der Besitz aller Gesellschaftsanteile durch den Geschäftsführer nichts (vgl. BGH, U.v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – NJW 2006, 830 = juris Rn. 91). Auf eine Verletzung der Rechte auf Anliegergebrauch und am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb könnte sich deshalb allenfalls die GmbH berufen (vgl. BGH, U.v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – NJW 2006, 830 = juris Rn. 91), die jedoch keinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat. Damit kommt es auch auf die Frage der Erreichbarkeit von etwaigen Kundenparkplätzen im Innenhof des Anwesens nicht an.
20
b) Auch soweit sich die Antragstellerin zu 1 in ihrem Geschäftsanteil an der GmbH verletzt sieht, ergibt sich daraus offensichtlich keine Rechtsverletzung. Zwar gehören zu den schutzfähigen Rechtspositionen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die das bürgerliche Recht einem privaten Rechtsträger als Eigentum zuordnet (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2010 – 1 BvL 8/07 – BVerfGE 126, 331 = juris Rn. 84; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 18. Aufl. 2024, Art. 14 Rn. 5). Den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG genießt daher auch das gesellschaftsrechtlich vermittelte Anteilseigentum (vgl. BVerfG, U.v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07 – BVerfGE 132, 99 = juris Rn. 52; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand April 2024, Art. 14 Rn. 310). Mithin unterfällt auch ein Geschäftsanteil an einer GmbH im Sinne des § 5 Abs. 2 GmbHG dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. zur Aktie BVerfG, B.v. 9.1.2014 – 1 BvR 2344/11 – WM 2014, 464 = juris Rn. 18; zum Kommanditanteil vgl. BVerfG, U.v. 19.7.2000 – 1 BvR 539/96 – BVerfGE 102, 197 = juris Rn. A 60). Der Schutzbereich ist jedoch nur betroffen, wenn der Gesellschafter seine im Geschäftsanteil liegende Rechtsposition verliert oder diese in seiner Substanz verändert wird (vgl. BVerfG, U.v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08 – BVerfGE 132, 99 = juris Rn. 52; BVerwG, U.v. 14.3.2023 – 8 A 2.22 – BVerwGE 178, 46 = juris Rn. 15 f.). Dass dies hier der Fall wäre, macht die Antragstellerin zu 1 nicht geltend.
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c) Auch eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 als Modeberaterin und Verkäuferin eines Modegeschäfts, das aufgrund der Erwartungshaltung des Kundenstamms von der Erreichbarkeit mittels Kraftfahrzeugen abhängt, scheidet offensichtlich aus.
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aa) Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab. Dabei schützt das Grundrecht aber lediglich vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Es genügt nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfaltet. Weil nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, droht das Grundrecht sonst konturlos zu werden. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann grundsätzlich auch dann berührt sein, wenn eine Regelung nicht unmittelbar auf die Berufsfreiheit abzielt, sondern nur in ihrer tatsächlichen Auswirkung geeignet ist, diese zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, B.v. 30.6.2022 – 2 BvR 737/20 – BVerfGE 162, 325 = juris Rn. 78 f.). Das Grundrecht entfaltet seine Schutzwirkung aber nur gegenüber solchen Normen oder Akten, die sich entweder unmittelbar auf die Berufstätigkeit beziehen oder zumindest die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und infolge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. BVerfG, B.v. 11.2.2020 – 2 BvR 916/11 – BVerfGE 156, 63 = juris Rn. 224 ff.; BVerfG, B.v. 29.9.2022 – 1 BvR 2380/21 – BVerfGE 163, 107 = juris Rn. 73; B.v. 7.12.2022 – 2 BvR 988/16 – BVerfGE 164, 347 Rn. 185 ff. jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllen nur Regelungen, die in ihrer Wirkung auf die Berufstätigkeit mit Normen mit berufsregelnder Zielrichtung vergleichbar sind (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 4.11.2019 – 1 S 73.19 – NJ 2020, 37 = juris Rn. 11).
23
Ein so enger Zusammenhang ist zwischen der Ausübung des Berufs einer Modeberaterin und -verkäuferin und den mit der streitgegenständlichen straßenrechtlichen (Teil-)Einziehungsverfügung verbundenen verkehrlichen Beschränkungen für den motorisierten Verkehr offensichtlich nicht gegeben. Die Teileinziehung betrifft als Allgemeinverfügung ungeachtet der jeweiligen Art der beruflichen Betätigung einen unspezifischen Adressatenkreis ohne jeden Bezug zu einem Beruf. Sie knüpft weder mittelbar noch unmittelbar an eine berufliche oder wirtschaftliche Tätigkeit an, sondern bezieht sich unterschiedslos auf sämtliche Nutzer der W. Straße in dem betreffenden Teilbereich und regelt für sie lediglich den zulässigen Umfang der Straßenbenutzung (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.10.2022 – 11 ZB 21.2089 – NJW 2023, 169 = juris Rn. 26 zu einer innerstädtischen Bewohnerparkzone; VGH BW, U.v. 8.11.2023 – 13 S 1059/22 – juris Rn. 51 zum Verbot der Benutzung eines Seitenstreifens auf Bundesautobahnen; VGH BW, B.v. 19.12.2023 – 1 S 1365/23 – VBlBW 2024, 195 = juris Rn. 128 zum Verbot des Betriebs von Tonwiedergabegeräten und Musikinstrumenten in einer Parkanlagensatzung). Diese faktische Betroffenheit der Antragstellerin stellt sich insoweit allenfalls als bloßer Rechtsreflex der Teileinziehung ohne berufsregelnde Tendenz dar.
24
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin zu 1 angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Mai 2023 (4 CE 23.854 – GewArch 2023, 328 = juris Rn. 19). Denn anders als in dem dortigen Verfahren wird die Antragstellerin zu 1 durch die Teileinziehung nicht an der beabsichtigten Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit als Modeberaterin und Verkäuferin gehindert.
25
bb) Soweit die Antragstellerin zu 1 mit ihrem Einwand geltend machen wollte, dass durch die mit der Teileinziehung verbundenen Beschränkungen des motorisierten Verkehrs der Kundenstamm der Modeboutique wegfällt, sodass sie aufgrund der drohenden Insolvenz des Betriebs ihre Anstellung als Geschäftsführerin und Modeberaterin verliert, geht es im Kern um den Verlust ihres Arbeitsplatzes bei der GmbH. Ein solcher Arbeitsplatzverlust fällt jedoch nicht in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG.
26
Zwar garantiert Art. 12 Abs. 1 GG neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes (vgl. BVerfG, B.v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09 – BVerfGE 128, 157 = juris Rn. 69). Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betrifft die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken (vgl. BVerfG, B.v. 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 = juris Rn. 43; U.v. 8.7.1997 – 1 BvR 1621/94 – BVerfGE 96, 205 = juris Rn. 20). Es schützt damit die Vertragsfreiheit der Beschäftigten im beruflichen Bereich (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14 u.a.- BVerfGE 149, 126 = juris Rn. 38), also insbesondere die Wahl des Vertragspartners und die vertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen (vgl. Remmert in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand April 2024, Art. 12 Rn. 95; Lakies in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2022, Art. 12 GG Rn. 14). Mit der freien Wahl des Arbeitsplatzes ist aber weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden (vgl. BVerfG, B.v. 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09 – BVerfGE 128, 157 = juris Rn. 69; B.v. 15.11.2018 – 1 BvR 1572/17 – NZA 2019, 302 = juris Rn. 16). Das Grundrecht verleiht keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen. Insoweit obliegt dem Staat lediglich eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsvorschriften Rechnung tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.4.1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerwGE 84, 133 = juris Rn. 60; B.v. 15.1.2015 – 1 BvR 2796/13 – ZIP 2015, 445 = juris Rn. 7).
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Die mit der befristeten (Teil-)Einziehung verbundenen verkehrlichen Beschränkungen für den motorisierten Verkehr greifen offensichtlich nicht in das Recht der Antragstellerin zu 1 auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ein. Insbesondere lässt die Teileinziehungsverfügung die arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen der Antragstellerin zu 1 und der GmbH unberührt. Vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch eine betriebsbedingte Kündigung von Seiten des Arbeitgebers, weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern und sich der Arbeitgeber deshalb für eine Betriebsaufgabe entscheidet, schützt Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Die Betriebsaufgabe steht hier allein zur Disposition des Arbeitgebers und ist keine zwangsläufige Folge der temporären Teileinziehung. Sie ist vielmehr von vielfältigen Faktoren abhängig (z.B. Rentabilität des Geschäftsmodells, Anpassungsmöglichkeiten, Attraktivität des Standortes und des Warenangebots, Preisgestaltung).
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d) Eine Verletzung des Rechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG wegen des infolge der Teileinziehung entfallenen Rechts, die bisher umfassend gewidmete Teilstrecke der W. Straße weiterhin mit allen Verkehrsarten nutzen zu können, scheidet ebenfalls von vornherein aus. Dies gilt im Übrigen auch für die Antragsteller zu 2, 3 und 4.
29
Zwar ist die Benutzung einer als Ortsstraße gewidmeten öffentlichen Straße für den Verkehr grundsätzlich jedermann gestattet (sog. Gemeingebrauch, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG). Das Recht auf Teilhabe am Gemeingebrauch steht als Recht auf Straßenbenutzung jedoch nur soweit und solange unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG, wie der Gemeingebrauch besteht. Es endet dort, wo es um dessen Entzug bzw. Beschränkung geht. Mit dem Wegfall bzw. einer Beschränkung des Gemeingebrauchs durch Einziehung bzw. Teileinziehung entfällt die Grundlage für die Ausübung des Gemeingebrauches. Im Übrigen muss sich der Benutzer, der am Gemeingebrauch teilhat, mit dem abfinden, was und wie lange es geboten wird (vgl. BVerfG, B.v. 10.6.2009 – 1 BvR 198/08 – NVwZ 2009, 1426 = juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 25.6.1969 – IV C 77.67 – BVerwGE 32, 222 = juris Rn. 20; B.v. 4.10.2007 – 4 BN 40.07 – BauR 2008, 483 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 6.10.2011 – 8 CS 11.1220 – BayVBl 2012, 666 = juris Rn. 10, 14; OVG SH, B.v. 1.9.2017 – 1 MB 14/17 – juris Rn. 20). Dies hat der Gesetzgeber ausdrücklich in Art. 14 Abs. 3 BayStrWG geregelt, wonach auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs kein Rechtsanspruch besteht. Rechtsschutz gegen die (Teil-) Einziehung einer Straße unter Berufung auf die allgemeine Handlungsfreiheit ist deshalb nicht möglich (vgl. OVG SH, U.v. 28.4.2016 – 4 LB 9/15 – DÖV 2017, 203 = juris Rn. 61, nachfolgend BVerwG, B.v. 6.4.2017 – 7 B 10.16 – juris insb. Rn. 9).
30
Anderes folgt entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1 nicht aus der sog. Adressatentheorie. Zwar dürften die Antragsteller als Straßenbenutzer und Anlieger neben den Grundstückseigentümern der Straßenfläche und dem Straßenbaulastträger Adressaten der (Teil-)Einziehung sein (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 8 Rn. 9 und Art. 6 Rn. 11 ff. zur Widmung; vgl. auch BVerwG, U.v. 7.9.1984 – 4 C 19.83 – NJW 1985, 281 = juris Rn. 16; a.A. wohl Kodal/Krämer, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, Kapitel 7 Rn. 37). Sie richtet sich in Form einer sachbezogenen Allgemeinverfügung nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG an eine Vielzahl unbestimmter, aber bestimmbarer Adressaten. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Adressaten durch eine (rechtswidrige) Beschränkung des Gemeingebrauchs im Wege der (Teil-) Einziehung immer auch in ihrem Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt sind. Vielmehr setzt die subjektive Rechtsverletzung – auch bei der Adressatenklage – voraus, dass der objektive Rechtsverstoß in ein gerade dem Kläger zugewiesenes Recht eingreift (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Januar 2024, § 113 Rn. 29 f. und 47 m.w.N.; vgl. auch OVG SH, U.v. 28.4.2016 – 4 LB 9/15 – DÖV 2017, 203 = juris Rn. 61 und nachfolgend BVerwG, B.v. 6.4.2017 – 7 B 10.16 – juris Rn. 9). Daran fehlt es hier – wie ausgeführt – in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG, weil das Gesetz mit Art. 14 Abs. 3 BayStrWG für die Antragsteller ein subjektives Recht auf Aufrechterhaltung der bisherigen Benutzung der W. Straße auch für den motorisierten Verkehr gerade ausschließt.
31
2. Eine mögliche Verletzung von Rechten des Antragstellers zu 2 scheidet auf der Grundlage seines Vorbringens ebenfalls von vornherein aus.
32
a) Der Antragsteller zu 2, der in einem Gebäude wohnt, das an das von der Teileinziehung betroffene Teilstück der W. Straße grenzt, macht geltend, seine Wohnung, insbesondere auch seine Schlafräume, seien zur W. Straße hin ausgerichtet. Durch die nachträglichen Widmungsbeschränkungen und die damit bezweckte Belebung der W. Straße sowie die Verlagerung des Lieferverkehrs komme es in den Nacht- und Morgenstunden zu einer die Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründenden gesundheitsschädlichen Lärmbeeinträchtigung, weil künftig durch den nächtlichen Anlieferverkehr sowie durch Schreien und Grölen von verweilenden Passanten und Feiernden mit nächtlichen Geräuschpegeln von weit über 60 dB(A) zu rechnen sei. Dieses Vorbringen vermag die Antragsbefugnis des Antragstellers zu 2 nicht zu begründen.
33
Für Wohnnutzungen ist eine Gesundheitsgefährdung regelmäßig erst bei einer Lärmbelastung von mehr als 70 dB(A) am Tag und 60 dB(A) in der Nacht anzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 – 3 A 5.15 – Buchholz 44209 § 18 AEG Nr. 75 = juris Rn. 54; U.v. 19.12.2017 – 7 A 7.17 – juris Rn. 46; U.v. 12.6.2024 – 11 A 13.23 – juris Rn. 48; BayVGH, B.v. 1.4.2022 – 15 CS 22.642 – juris Rn. 39 m.w.N.; U.v. 20.7.2023 – 8 A 20.40020 – juris Rn. 153). Dass diese Werte nachts erreicht werden könnten, hat der Antragsteller zu 2 nicht substantiiert dargelegt. Denn abgesehen davon, dass sich die Ausführungen auf die bloße Behauptung unter pauschaler Anführung eines unsubstantiierten Beweisangebots für das Hauptsacheverfahren beschränken, ohne Anhaltspunkte dafür vorzutragen, die auf eine erhebliche, gesundheitsschädliche Lärmzunahme schließen lassen, lässt dieser Vortrag außer Acht, dass in der W. Straße auch bisher nächtlicher Lieferverkehr und der Aufenthalt von Personen mit den damit verbundenen Lärmbelastungen möglich war. Zudem bleibt bei diesem Vorbringen die zu erwartende Reduzierung der Lärmbelastung durch den Wegfall des bislang stattfindenden nächtlichen Durchgangsverkehrs auf der W. Straße unberücksichtigt. In Bezug auf die befürchtete übermäßige Lärmbelastung durch nächtliche Ladevorgänge von Lieferverkehr und durch verweilende Passanten bzw. Feiernde ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass diese nicht kausal von der Teileinziehung verursacht, sondern auf einem ordnungswidrigen Verhalten der Verkehrsteilnehmer beruhen würde, das mit den Mitteln des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsrechts zu ahnden und zu unterbinden wäre (vgl. BayVGH, B.v. 29.2.2016 – 10 ZB 15.2168 – juris Rn. 6 f. zu Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. § 117 OWiG).
34
b) Die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten ergibt sich für den Antragsteller zu 2 auch nicht im Hinblick auf das Recht auf Gemein- oder Anliegergebrauch.
35
Im Hinblick auf straßenrechtliche Einziehungsverfügungen nach Art. 8 BayStrWG entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2011 – 8 CS 11.1177 – juris Rn. 10 ff.; B.v. 6.10.2011 – 8 CS 11.1220 – juris Rn. 9 ff.; B.v. 22.10.2015 – 8 ZB 13.647, 8 ZB 15.2320 – juris; B.v. 20.12.2016 – 8 B 15.884 – juris Rn. 32), dass Anlieger und Nutzer einer Straße gegen eine Einziehung nicht in jedem Fall mit Rechtsbehelfen vorgehen können. Für Straßenbenutzer beruht dies auf dem Gedanken, dass nach Art. 14 Abs. 3 BayStrWG auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs an Straßen kein Rechtsanspruch besteht, sodass auch dessen Beseitigung grundsätzlich nicht in Rechte eingreifen kann. Der Benutzer einer Straße muss sich vielmehr mit dem abfinden, was an Verkehrsverbindung dargeboten wird und wie lange dies erfolgt (vgl. BVerfG, B.v. 10.6.2009 – 1 BvR 198/08 – NVwZ 2009, 690 = juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 25.6.1969 – IV C 77.67 – BVerwGE 32, 222 = juris Rn. 20; vgl. auch Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 49 m.w.N.).
36
Dies gilt grundsätzlich auch für Straßenanlieger, weil nach Art. 17 Abs. 1 BayStrWG diesen ebenfalls kein Anspruch darauf zusteht, dass eine Straße nicht geändert oder eingezogen wird. Straßenanlieger, also Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte eines Grundstücks (z.B. dingliche Nutzungsberechtigte, Mieter, Pächter, vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 363), welches an eine Straße grenzt und ausschließlich durch diese erschlossen wird, können sich zwar auf das allgemein anerkannte Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs berufen, weil sie nur so eine Verbindung mit dem Straßennetz haben. Dieses Rechtsinstitut, das nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern aus dem einfachen Recht herzuleiten ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – NVwZ 1999, 1341 = juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 25 ff.), vermittelt dem Anlieger einer öffentlichen Straße über die Regelungen der Art. 14 Abs. 1, Art. 17 BayStrWG hinaus eine besondere Stellung, weil er auf den Gemeingebrauch in einer spezifisch gesteigerten Weise angewiesen ist. Diese Rechtsstellung reicht aber nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist. Der Anliegergebrauch sichert die Erreichbarkeit eines (Innerorts-)Grundstücks nicht uneingeschränkt, sondern nur in seinem Kern. Er erstreckt sich daher innerörtlich in aller Regel nur auf einen notwendigen Zugang des Grundstücks zur Straße und seine Zugänglichkeit von ihr. Vor Einschränkungen oder Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeiten zu Wohngrundstücken schützt der Anliegergebrauch regelmäßig nicht, solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Leitsatz 3 und Rn. 38; B.v. 6.10.2011 – 8 CS 11.1220 – BayVBl. 2012, 666 = juris Rn. 13 f.; vgl. auch BVerwG, U.v. 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 = juris Leitsatz 1 und Rn. 12 f.).
37
Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen gehört bei einem innerörtlichen Wohngrundstück selbst bei vorhandenen Garagen oder Stellplätzen nicht zum geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 38; B.v. 27.5.2021 – 8 CE 21.1289 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 16.5.2023 – 8 ZB 22.2586 – juris Rn. 24). Das Recht auf Anliegergebrauch berechtigt daher gerade auch bei einem Wohngrundstück in einer innerstädtischen Fußgängerzone regelmäßig nicht zur Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen. Denn in einer Fußgängerzone muss vor allem die Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs gewährleistet werden (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 = juris Leitsatz 1 und Rn. 15; OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – LKV 2022, 131 = juris Rn. 60). Werden bestehende Zufahrten auf Dauer oder für längere Zeit durch die Änderung oder die Einziehung von Straßen unterbrochen oder wird ihre Benutzung erheblich erschwert, können daraus (Sekundär-)Ansprüche der Anlieger aus Art. 17 Abs. 2 bzw. Abs. 3 BayStrWG, nicht jedoch Abwehrrechte gegen die (Teil-)Einziehung selbst resultieren.
38
Nach diesen Maßstäben scheidet eine mögliche Rechtsverletzung aus dem Anliegergebrauch des Antragstellers zu 2 von vornherein aus, weil die Erreichbarkeit in Form des durch den Anliegergebrauch garantierten Zugangs und sogar die Zufahrt zu seinem Wohnanwesen auf der Grundlage der Teileinziehungsverfügung erhalten bleibt. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus Nr. 1 Satz 2 des Tenors der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024, wonach die Widmung der W. Straße zwischen dem W. Platz und dem P. Platz in der Zeit der (temporären) Teileinziehung ausdrücklich beschränkt ist auf „Fußgängerverkehr, Radverkehr frei, Elektrokleinstfahrzeuge frei, zeitlich begrenzter Lieferverkehr frei, Zufahrt zu den angrenzenden Anwesen der Bewohner gestattet“. Der Antragsteller zu 2 kann daher auch während der Zeit, in der die Fußgängerzone besteht, sein Wohnanwesen uneingeschränkt sowohl zu Fuß als auch mit Fahrzeugen einschließlich Kraftfahrzeugen erreichen. Weitergehende Rechte des Antragstellers werden durch den Anliegergebrauch nicht gewährleistet. Insbesondere kann aus dem Anliegergebrauch kein Anspruch auf einen nahegelegenen Parkplatz abgeleitet werden, zumal die Benutzung einer öffentlichen Straße zum Zwecke des Parkens lediglich unter den Gemeingebrauch fällt, auf dessen Aufrechterhaltung nach Art. 14 Abs. 3 BayStrWG kein Rechtsanspruch besteht (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58.80 – NJW 1983, 770 = juris Rn. 12; U.v. 27.1.1993 – 11 C 35.92 – BVerwGE 92, 32 = juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 30.8.2006 – 8 CE 06.2109 – juris Rn. 12; B.v. 18.5.2015 – 8 ZB 14.2565 – BayVBl. 2015, 786 = juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 11.11.2024 – 8 B 731/24 – juris Leitsatz 1 und Rn. 7).
39
Soweit der Senats eine mögliche Rechtsverletzung und daraus resultierend die Klage- bzw. Antragsbefugnis gegen eine Einziehungsverfügung anerkannt hat, „wenn es um die Erreichbarkeit des Grundstücks des Anliegers oder Nutzers in der Weise geht, dass diese Erreichbarkeit durch die Einziehung wegfällt oder in schwerwiegender Weise eingeschränkt wird und der Anlieger bzw. Nutzer dadurch auch gravierend betroffen ist“ (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2015 – 8 ZB 13.647, 8 ZB 15.2320 – BayVBl 2017, 235 = juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 15.6.2020 – 8 ZB 19.1426 – juris Rn. 10), wird klargestellt, dass es sich hierbei ausschließlich um Fälle handelt, in denen die Einziehung aus sachfremden Motiven, mithin rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB analog) oder objektiv willkürlich (Art. 3 Abs. 1 GG) zulasten des Betroffenen erfolgt war (vgl. BayVGH, U.v. 20.12.2016 – 8 B 15.884 – BayVBl 2017, 705 = juris Rn. 32; B.v. 22.10.2015 – 8 ZB 15.2320 – BayVBl 2017, 235 = juris Leitsatz 1 und Rn. 12 zur Einziehung eines öffentlichen Feld- und Waldweges zu einer Abfalldeponie; U.v. 31.5.2011 – 8 B 10.1653 – FStBay 2012, Rn. 58 = juris Rn. 15 zur Teileinziehung einer Wohnerschließungsstichstraße; vgl. auch Allesch, BayVBl. 2016, 217/218; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 251; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 51; Edhofer in Edhofer/Willmitzer, BayStrWG, 17. Aufl. 2020, Art. 8 Anm. 2.3). Auch in diesen Fällen ist ein Anlieger aber nur dann klage- bzw. antragsbefugt entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO, wenn er substantiiert eine mögliche Verletzung seines Rechts auf Anliegergebrauch oder eines sonstigen subjektiven Rechts geltend macht. Dem genügt das Vorbringen des Antragstellers zu 2 nicht.
40
3. Ebenso scheidet eine Verletzung subjektiver Rechten der Antragstellerin zu 3 auf der Grundlage ihres Vorbringens offensichtlich aus.
41
Die Antragstellerin zu 3 ist eine Anwohnerin der nahegelegenen S.straße, deren Wohn- und Schlafräume zu dieser Straße hin ausgerichtet sind. Sie beruft sich ebenfalls auf eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufgrund einer gesundheitsschädlichen Lärmbelastung, die durch den nach der Teileinziehung verursachten Verlagerungsverkehr auf der S.straße verursacht werde. Die S.straße biete nach der Sperrung der W. Straße die einzige unmittelbare Durchfahrtsmöglichkeit vom P. Platz zum W. Platz. Die Konzentration des Verkehrs in der S.straße, die in einem durch den Bebauungsplan Nr. … der Antragsgegnerin festgesetzten allgemeinen Wohngebiet liege, führe dazu, dass der dort gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV geltende Immissionsgrenzwert von tagsüber 59 dB(A) und nachts 49 dB(A) überschritten werde, sodass es nachts zu einer auf Dauer gesundheitsschädlichen Lärmimmission komme.
42
a) Eine mögliche Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV scheidet indes schon deswegen aus, weil die Bestimmung vorliegend nicht anwendbar ist. Denn die in der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024 angeordnete Teileinziehung stellt keine wesentliche Änderung der S.straße als öffentlichen Straße im Sinn des § 1 Abs. 1 und 2 der 16. BImSchV dar. Eine „Änderung der Straße“ verlangt zum einen einen baulichen Eingriff in die Substanz des betreffenden Verkehrswegs (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 9 A 28.04 – BVerwGE 124, 334 = juris Rn. 24; Jarass, BImSchG, 15. Aufl. 2024, § 41 Rn. 22 f. m.w.N.), welcher in der S.straße nicht erfolgt ist. Zum anderen setzt die Bestimmung einen inneren Bezug der beabsichtigten Maßnahme zu der bereits vorhandenen Verkehrsfunktion der Straße voraus. Die Leistungsfähigkeit der Straße muss bewusst so erhöht werden, dass sie in vermehrtem Maße Verkehr aufnehmen kann. In der beabsichtigten Steigerung der Leistung der Straße als aufnehmender Verkehrsweg liegt der gesetzgeberische Grund, nunmehr erneut sicherzustellen, dass durch die Änderung keine nach dem Stand der Technik vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden (vgl. BVerwG, U.v. 9.2.1995 – 4 C 26.93 – BVerwGE 97, 367 = juris Rn. 14; B.v. 5.6.2003 – 4 BN 19.03 – BRS 66 Nr. 57 (2003) = juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 9.8.2012 – 8 A 11.40036 – juris Rn. 37). Auch daran fehlt es bei der S.straße. Eine „Umverteilung“ schädlicher Umwelteinwirkungen – ohne dass eine öffentliche Straße gebaut oder wesentlich geändert wird – liegt außerhalb des Regelungsbereichs der 16. BImSchV (vgl. BVerwG, U.v. 9.2.1995 – 4 C 26.93 – BVerwGE 97, 367 = juris Rn. 14; B.v. 5.6.2003 – 4 BN 19.03 – BRS 66 Nr. 57 (2003) = juris Rn. 19 zur „schleichenden“ Verkehrszunahme).
43
b) Im Übrigen hat ein Straßenanlieger verkehrslenkende Maßnahmen, die möglicherweise zu einem Anwachsen des Straßenverkehrs vor seinem Grundstück führen, als situationsbedingte Folge der Wohnlage an einer Straße grundsätzlich hinzunehmen (vgl. BayVGH, U.v. 1.6.1999 – 11 B 93.1721 – juris Rn. 80; NdsOVG, B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – DVBl 2018, 310 = juris Rn. 7 f.; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 293). Eine Verletzung in eigenen Rechten entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO durch von einer Teileinziehung bewirkte Verkehrsverlagerungen käme ausnahmsweise allenfalls dann in Betracht, wenn die durch die Teileinziehung ausgelöste zusätzliche Immissionsbelastung die Gesundheit der Anlieger in den umliegenden Straßen schädigen kann (vgl. NdsOVG, B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – DVBl 2018, 310 = juris Rn. 12; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 279). Die grundrechtlich relevante Schwelle der Gesundheitsgefährdung wird von der Rechtsprechung aber nicht bereits bei einer Überschreitung der in der 16. BImSchV festgelegten Immissionsgrenzwerte gesehen, sondern für Wohnnutzungen erst bei einer Lärmbelastung von mehr als 70 dB(A) am Tag und 60 dB(A) in der Nacht (vgl. oben Rn. 33). Dass diese Grenzwerte in der S.straße, einer Anwohnerstraße, in der angesichts ihrer geringen Breite und der beidseitig parkenden Kraftfahrzeuge schon kein Begegnungsverkehr möglich ist, überschritten werden, wird von der Antragstellerin zu 3 lediglich unter pauschaler Anführung eines unsubstantiierten Beweisangebots für das Hauptsacheverfahren behauptet, ohne dass hierfür irgendwelche Anhaltspunkte vorgetragen sind.
44
Aufgrund der vorgelegten Unterlagen der Antragsgegnerin erscheint eine Überschreitung der Grenzwerte für eine Gesundheitsgefährdung im Gegenteil gänzlich ausgeschlossen, da bereits im Bestand in der S.straße für städtische Verhältnisse geringe Beurteilungspegel durch Verkehrslärm vorliegen (vgl. Stellungnahme des Referats für Klima- und Umweltschutz vom 19.8.2024, Anlage B 6 zur Klageerwiderung vom 28.8.2024 im Verfahren M 28 K 24.4780, S. 2). Auch heißt es dort, dass die Richtwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV (BMVBS, Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm [Lärmschutz-Richtlinien-StV] vom 23.11.2007, VkBl. 767), die den in der Rechtsprechung anerkannten Schwellenwerte von 70 dB(A) tags bzw. 60 dB(A) nachts entsprächen, sehr deutlich (um meist mehr als 10 dB(A)) unterschritten würden. Selbst bei einer Mehrung des Verkehrsaufkommens in einzelnen Straßenabschnitten nach der Teileinziehung der W. Straße ist deshalb nach wie vor von einer für hochverdichtete urbane Bereiche geringen Verkehrslärmbelastung auszugehen. Diese Einschätzung wird durch die Lärmkartierung Bayern 2022 bestätigt. Ausweislich dieser liegt die S.straße in einem Gebiet mit Lärmpegeln bis zu 54 dB(A) am Tag und bis zu 49 dB(A) in der Nacht (abrufbar unter https://www.umweltatlas.bayern.de), die deutlich unterhalb der als gesundheitsgefährdend angesehenen Lärmrichtwerte liegen. Gesundheitswerte würden dementsprechend nicht einmal bei einer Verdoppelung des Verkehrsaufkommens erreicht, die nach den Gesetzen der Lärmphysik zu einer Steigerung des Beurteilungspegels um 3 dB(A) führen würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.2008 – 3 C 18.07 – BVerwGE 130, 383 = juris Rn. 34; U.v. 15.12.2011 – 3 C 40.10 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 8 CE 21.2499 – juris Rn. 24; OVG NW, B.v. 19.1.2024 – 2 A 810/22 – juris Rn. 16; Tegeder, UPR 2000, 99,100).
45
B. Der Antrag der Antragstellerin zu 4 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist zwar zulässig (dazu unten 1.), aber nicht begründet (dazu unten 2.).
46
1. Der Antrag der Antragstellerin zu 4 ist zulässig, insbesondere erscheint eine Rechtsverletzung mit der erforderlichen Gewissheit nicht von vornherein ausgeschlossen, sodass die Antragsbefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO analog zu bejahen ist.
47
Die Antragstellerin zu 4 rügt, dass sie durch den mit der Teileinziehung verbundenen Wegfall der Anfahrts- und Parkmöglichkeiten zu ihrer orthopädischen Praxis, insbesondere für mobilitätseingeschränkte Patienten und für zur Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit ihrer medizinischen Geräte (Wartung und Reparatur) erforderliche Handwerker, existenziell betroffen sei. Hierdurch werde sie in ihrem Recht auf Anliegergebrauch, ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt. Auf der Grundlage dieses Vortrags erscheint eine Verletzung ihres Rechts auf Anliegergebrauch zumindest möglich, zumal nach dem Wortlaut des Tenors Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024 die Zufahrt zu den angrenzenden Anwesen nur „Bewohnern“ gestattet ist. Hierzu gehören weder die Antragstellerin zu 4 als Mieterin der Arztpraxis noch ihre Patienten, da sie in dem Anwesen nicht wohnen (zum Begriff des „Anwohners“ und „Bewohners“ im Straßenverkehrsrecht vgl. BVerwG, U.v. 28.5.1998 – 3 C 11.97 – BVerwGE 107, 38 = juris Rn. 24 ff.; VG Leipzig, U.v. 7.12.2022 – 1 K 1718/20 – juris Rn. 155; BR-Drs. 751/01 S. 13 f.), sodass eine Erreichbarkeit der Praxis der Antragstellerin zu 4 lediglich für Fußgänger, Radfahrer und mit Elektrokleinstfahrzeugen möglich wäre. Es erscheint aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragstellerin zu 4 auf eine Zufahrt zur Praxis zumindest für mobilitätseingeschränkte Patienten angewiesen ist, sodass eine Verletzung ihres Rechts auf Anliegergebrauch denkbar erscheint.
48
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtmäßig (dazu unten a). Auch ergibt die Abwägungsentscheidung des Senats, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu 4 überwiegt (dazu unten b).
49
a) Entgegen der Annahme der Antragstellerin zu 4 liegen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vor.
50
aa) Die Sofortvollzugsanordnung wurde vom zuständigen Organ der Antragsgegnerin erlassen.
51
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird. Die Bestimmung knüpft an die sachliche Behördenzuständigkeit für den Erlass des Verwaltungsakts selbst an, lässt aber die verwaltungsinterne Organkompetenz unberücksichtigt (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Januar 2024, § 80 Rn. 236 f.). Zuständig für die Anordnung des Sofortvollzugs ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die Behörde, die den zu vollziehenden Verwaltungsakt erlassen hat. Das Verwaltungsgericht ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass die Befugnis zur Anordnung des Sofortvollzugs als Annex der Befugnis zur Sachentscheidung folgt (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 236). Eine inzidente Überprüfung, ob die Behörde für den Erlass des Verwaltungsakts selbst zuständig gewesen ist, findet ebenso wenig statt wie eine Überprüfung, ob der dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Beschluss vom zuständigen Organ erlassen wurde. Der abweichenden Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (NdsOVG, B.v. 11.7.2014 – 10 ME 99/13 – NdsVBl 2015, 24 = juris Rn. 33; B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – NVwZ-RR 2018, 472 = juris Rn. 21 ff.) vermag der Senat angesichts des klaren Wortlauts des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht zu folgen (das Gesetz spricht „von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat“ und nicht etwa „von der für den Verwaltungsakt zuständigen Behörde“). Die von der Antragstellerin zu 4 in Bezug genommenen Entscheidungen (vgl. Antragsschriftsatz vom 12.8.2024, S. 34) betreffen nicht die Zuständigkeit für den Sofortvollzug, sondern die Zuständigkeit für den angegriffenen Verwaltungsakt selbst bzw. befassen sich nicht mit dieser Thematik.
52
Soweit die Antragstellerin zu 4 mit der Beschwerde geltend macht, der Bezirksausschuss des ... Stadtbezirks A. sei für den Erlass der Sofortvollzugsanordnung nicht zuständig gewesen, weil er selbst keine „Behörde“ im Sinn des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, sondern lediglich ein Organ der erlassenden Behörde sei, trifft dies auf die Antragsgegnerin als kommunale Gebietskörperschaft zwar zu. Zuständige „Behörde“ der Antragsgegnerin im Sinn des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist weder der Stadtrat noch ein für ihn handelnder beschließender Ausschuss (Art. 30 Abs. 2, Art. 32 GO), sondern der Oberbürgermeister bzw. die Stadtverwaltung als das für den Vollzug von Beschlüssen zuständige Exekutivorgan der Antragsgegnerin (Art. 29, 36 Satz 1, Art. 39 Abs. 2 GO). Diesem Erfordernis hat die Antragsgegnerin bei Erlass der Sofortvollzugsanordnung aber Rechnung getragen. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin zu 4 hat die Sofortvollzugsanordnung ebenso wie die Teileinziehungsverfügung ausweislich der Behördenakte (Blatt 83 ff.) nicht der Bezirksausschuss des ... Stadtbezirks A. am 24. Juli 2024 erlassen, sondern – auf der Grundlage des Beschlusses des Bezirksausschusses – zwei Tage später am 26. Juli 2024 das Baureferat der Antragsgegnerin als die für den Vollzug zuständige Stadtverwaltung. Dies lässt sich unzweifelhaft der Bekanntmachung im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 9. August 2024 entnehmen. Damit ist auch kein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG gegeben, wie die Antragstellerin zu 4 meint.
53
bb) Die Begründung für die Sofortvollzugsanordnung entspricht den gesetzlichen Anforderungen.
54
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinn von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die Begründungspflicht ist auch Ausdruck des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots effektiven Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Es bedarf einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 6; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 54). Ob die Begründung die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch inhaltlich trägt, bedarf im Zusammenhang mit dem formellen Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO keiner Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 4.12.2020 – 4 VR 4.20 – juris Rn. 10).
55
Dem wird die vorliegende Begründung zur besonderen Dringlichkeit der angeordneten Teileinziehung gerecht. Anders als die Antragstellerin zu 4 meint, erschöpft sich die Begründung des Sofortvollzugs nicht in den Gründen, die auch zum Erlass der Teileinziehung geführt haben, bzw. in floskelhaften Erwägungen. Neben den Erwägungen zur baldigen Attraktivitätssteigerung der Straße, die auch das Erlassinteresse für die Teileinziehung begründen, sind in der Vollzugsanordnung eine Reihe weiterer Gründe angeführt, wie z.B. dass die sofortige Teileinziehung einen Beitrag zur dringend erforderlichen Verkehrswende im Stadtgebiet leiste, Lärm und Abgase von Parkplatzsuchern vermeide und die Sicherheit des besonders gefährdeten und in der W. Straße vorherrschenden Fußgängerverkehrs durch eine rasche Verringerung des motorisierten Durchgangsverkehrs besser gewährleistet werden könne. In Bezug auf die Interessen der Betroffenen hat die Antragsgegnerin unter anderem angeführt, dass die Einziehung zeitlich befristet und in ihren Auswirkungen nicht endgültig sei. Entgegen der Auffassung der Antragsteller hat das Verwaltungsgericht die Begründung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 3 VwGO auch nicht durch eigene Erwägungen zum Versuchscharakter der Maßnahme „aufgebessert“ (vgl. Beschwerdebegründung vom 30.8.2024, S. 5). Vielmehr betreffen die diesbezüglichen Ausführungen das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO (vgl. Beschlussabdruck Rn. 74 ff.), das im Rahmen der vom Verwaltungsgericht vorzunehmenden Interessenabwägung infolge der Annahme fehlender Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen war.
56
b) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist auch in der Sache gerechtfertigt. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Nutzungsuntersagung überwiegt das gegenläufige Interesse der Antragstellerin zu 4 am Aufschub der Vollziehung, weil ihre Klage nach summarischer Prüfung voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben wird (dazu unten aa) und eine Aussetzung des Sofortvollzugs aufgrund der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten nicht gerechtfertigt erscheint (dazu unten bb).
57
aa) Die Klage der Antragstellerin zu 4 dürfte nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Erfolg haben.
58
Der Antragstellerin zu 4 steht aller Voraussicht nach kein Anspruch auf Aufhebung der streitgegenständlichen Teileinziehungsverfügung wegen des damit verbundenen Wegfalls von Anfahrts- und Parkmöglichkeiten zu ihrer orthopädischen Praxis zu, da hierdurch voraussichtlich keine subjektiven Rechte der Antragstellerin zu 4 verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auf das Vorbringen der Antragstellerin zu 4 zur objektiven Rechtmäßigkeit der Teileinziehung, insbesondere hinsichtlich des Erfordernisses einer Umstufung nach Art. 7 BayStrWG, der Zulässigkeit der Befristung nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG, der überwiegenden Gemeinwohlbelange und der fehlerhaften Ermittlung der Belange Verkehrssicherheit, Abgase und Lärm, kommt es daher entscheidungserheblich nicht mehr an. Auf Belange anderer Anlieger kann sich die Antragstellerin zu 4 ohnehin nicht berufen (vgl. Beschwerdebegründung vom 30.8.2024, S. 43 f. in Bezug auf einen Tresorladen und einen Getränkemarkt).
59
(1) Eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit der Antragstellerin zu 4 als Ärztin scheidet offensichtlich aus. Die straßenrechtliche (Teil-)Einziehungsverfügung beschränkt weder unmittelbar ihre berufliche Tätigkeit noch hat sie mittelbar zumindest berufsregelnde Tendenz (vgl. oben Rn. 21 f.).
60
(2) Auch eine Verletzung des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb infolge der geltend gemachten Existenzgefährdung scheidet aller Voraussicht nach aus.
61
Zwar steht der Antragstellerin zu 4 als Betreiberin einer orthopädischen Praxis das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zur Seite (zur Anerkennung dieses Rechts vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2019 – 7 C 26.17 – BVerwGE 165, 82 = juris Rn. 48; U.v. 25.5.2023 – 7 A 7.22 – BVerwGE 179, 30 Rn. 80; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 14 Rn. 200, 205 f.; offen BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 = juris Rn. 240; B.v. 23.3.2022 – 1 BvR 1295/21 – NJW 2022, 1672 = juris Rn. 16 m. w. N.). Geschützter Gewerbebetrieb ist auch die eingerichtete und ausgeübte Arztpraxis (vgl. BGH, U.v. 4.6.1981 – III ZR 31/80 – BGHZ 81, 21 = juris Rn. 50; U.v. 14.3.1996 – III ZR 224/94 – BGHZ 132, 181 = juris Rn. 16). Die Garantie des Art. 14 Abs. 1 GG bietet aber keinen Schutz dagegen, dass sich die allgemeinen Verhältnisse und Gegebenheiten, innerhalb derer ein Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, zu seinem Nachteil ändern. Das gilt insbesondere für die Frage einer Änderung der straßenverkehrlichen Verhältnisse (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.1990 – 4 B 21.90 – juris Rn. 6). Die Beibehaltung von Lagevorteilen an einer öffentlichen mit Kraftfahrzeugen befahrbaren Straße sind von Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht geschützt (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.1992 – 4 C 9.89 – NVwZ 1993, 477 = juris Rn. 26; U.v. 9.6.2004 – 9 A 16.03 – juris Rn. 26). Im Übrigen scheidet eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, soweit Anliegerinteressen geltend gemacht werden, auch deshalb aus, weil der einfachrechtliche Anliegergebrauch nicht anders als Art. 17 BayStrWG eine Inhalts- und Schrankenregelung des Eigentumsrechts gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt und als solche den Umfang des Eigentumsrechts bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – NVwZ 1999, 1341 = juris LS 1 und Rn. 5 ff.; BayVGH, B.v. 24.11.2003 – 8 CS 03.2279 – BayVBl 2004, 533 = juris Rn. 7; B.v. 30.8.2006 – 8 CE 06.2109 – juris Rn. 7 f.; B.v. 19.8.2009 – 8 ZB 09.1065 – BayVBl. 2010, 84 = juris Rn. 5 ff. und 10; Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 14 Rn. 225). Jedenfalls aber reicht er nicht weiter als der Anliegergebrauch selbst (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – NVwZ-RR 2022, 15 = juris Rn. 53 m.w.N.; VGH BW, U.v. 26.1.2016 – 5 S 1229/14 – VBlBW 2016, 384 = juris Rn. 20).
62
(3) Eine Verletzung des Rechts auf Anliegergebrauch der Antragstellerin zu 4 scheidet aller Voraussicht nach ebenfalls aus.
63
Auch bei gewerblich genutzten, innerörtlich gelegenen Grundstücken bietet der Anliegergebrauch keine Gewähr dafür, dass ein Grundstück ohne jegliche Einschränkung mit Kraftfahrzeugen angefahren werden kann, sondern nur insoweit, als der betreffende Anlieger im jeweiligen Einzelfall zur angemessenen Nutzung seines Grundstücks unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten darauf angewiesen ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – NVwZ 1999, 1341 = juris Rn. 7 m.w.N. zu § 8 a FStrG zu einer Anwaltskanzlei; BayVGH, B.v. 24.11.2003 – 8 CS 03.2279 – BayVBl 2004, 533 = juris Rn. 7; B.v. 18.6.2018 – 8 ZB 18.734 – NVwZ-RR 2018, 758 = juris Rn. 9). Zwar erfasst der Anliegergebrauch bei gewerblich genutzten Grundstücken regelmäßig die Erreichbarkeit mit dem Kraftfahrzeug (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58.80 – NJW 1983, 770 = juris Rn. 12; U.v. 20.5.1987 – 7 C 60.85 – NJW 1988, 432 = juris Rn. 11). Dieser beschränkt sich aber nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls in aller Regel auf einen zeitlich beschränkten und nicht notwendig unmittelbar bis vor den Betrieb reichenden Lieferverkehr (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – NVwZ-RR 2022, 15 = juris Rn. 50, 53; BVerwG, U.v. 20.5.1987 – 7 C 60.85 – NJW 1988, 432 = juris Rn. 11; B.v. 1.4.1993 – 11 B 92.92 – Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 62 = juris Rn. 2; NdsOVG, B.v. 29.12.2015 – 7 ME 53/15 – NVwZ-RR 2016, 411 = juris Rn. 10 m.w.N.). Denn angemessen ist im Einzelfall nicht jede Nutzung der Straße, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet, sondern – gerade auch in Fußgängerzonen (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 = juris Rn. 12 ff.) – ausschließlich das, was aus dem Grundstück von seiner sowohl der Rechtslage als auch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechenden Nutzung als Bedürfnis hervorgeht (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 14 Rn. 66; VGH BW, U.v. 4.5.2023 – 5 S 1941/22 – juris Rn. 80).
64
Nach diesem Maßstab ist eine Verletzung des Recht auf Anliegergebrauch aller Voraussicht nach nicht gegeben, weil die Antragsgegnerin im Hinblick auf die Antragstellerin zu 4 dem Gebot einer den Bedürfnissen entsprechenden angemessenen Nutzung, insbesondere auch bezüglich der Zufahrt zur Praxis mit Kraftfahrzeugen, hinreichend Rechnung getragen hat sowohl im Hinblick auf in ihrer Mobilität eingeschränkte Patienten als auch im Hinblick auf Handwerker, die die Praxis zur Wartung oder Instandsetzung technischer Apparaturen erreichen müssen.
65
(a) Zwar ist – wie ausgeführt – nach Nr. 1 des Tenors der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024 die Zufahrt zu den angrenzenden Anwesen nur Bewohnern gestattet. In der Begründung der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024 wird jedoch ausdrücklich das Aufsuchen von ärztlichen Praxen durch Personen, die nicht in der Lage sind, sich zu Fuß fortzubewegen, mittels Kfz gestattet, wenn die Einschränkung ärztlich attestiert ist. Zudem wird auf das im Internet unter der Adresse „https://m…unterwegs.de/angebote/w…strasse“ veröffentlichte Zufahrtskonzept der Antragsgegnerin verwiesen, in dem die Benutzung für andere Verkehrsarten als den Fußgängerverkehr geregelt wird und unter anderem für in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen ein detailliertes Zufahrtskonzept mit Fahrzeugen enthalten ist.
66
Nach diesem Konzept dürfen unter anderem Personen, die über einen Parkausweis für Schwerbehinderte verfügen, während der Lieferzeiten in die Fußgängerzone einfahren und dort auch parken. Insofern hat die Antragsgegnerin für diese Personen bereits straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnisse nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG bzw. straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigungen nach Art. 21 Satz 1 BayStrWG i.V. m. § 46 Abs. 1 StVO erteilt. Weiter können nach diesem Konzept unter anderem „Patient*innen, die eine Bestätigung des Arztes vorlegen, dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkung die jeweilige Praxis selbst von der nächstgelegenen Zufahrtsmöglichkeit aus nicht zu Fuß erreichen können“, auf Antrag eine Zufahrtserlaubnis für Termine in der Praxis erhalten. Entgegen der Auffassung der Antragstellerseite handelt es sich hierbei nicht um eine bloße Absicht, die Folgen des Eingriffs auf andere Weise abzuschwächen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin mit dieser Erklärung, die als öffentlich-rechtliche Willenserklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB nach ihrem objektiven Erklärungswert unter Berücksichtigung der Begleitumstände auszulegen ist (vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2022 – 7 B 6.21 – juris Rn. 9), ihr Ermessen (Art. 40 BayVwVfG) im Hinblick auf die Erteilung der erforderlichen straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis bzw. straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigungen im Wege der Selbstbindung gebunden (zur Selbstbindung der Verwaltung vgl. BVerwG, B.v. 25.7.1990 – 7 B 100.90 – NVwZ-RR 1991, 31 = juris Rn. 7; B.v. 17.2.2020 – 2 VR 2.20 – BVerwGE 167, 358 = juris Rn. 24; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 40 Rn. 104, 121, § 35 Rn. 256) und sich zur Erteilung entsprechender Zufahrtserlaubnisse verpflichtet. Ebenfalls ihr Ermessen gebunden hat die Antragsgegnerin hinsichtlich eines Verzichts zur Erteilung einer Verwarnung nach §§ 47, 56 OWiG, wenn ein Taxi außerhalb der Lieferzeiten mit schwerbehinderten Personen, die einen Parkausweis für Schwerbehinderte vorzeigen können, in die Fußgängerzone einfährt, oder in ihrer Fortbewegung eingeschränkte Notfallpatienten mit dem Pkw/Taxi zu einer Praxis gebracht oder geholt werden, soweit sie eine Bestätigung des Arztes mit sich führen bzw. ggf. nachträglich vorlegen können. Der entsprechende Rechtsbindungswille der Antragsgegnerin ergibt sich hier sowohl in der Allgemeinverfügung als auch im Zufahrtskonzept aus dem verwendeten Indikativ wie „ist gestattet“, „dürfen“, „verzichtet“, „erhalten“. Patienten, die in ihrer Mobilität nicht eingeschränkt sind, können die Praxis zu Fuß, mit dem Fahrrad und mittels Elektrokleinstfahrzeug erreichen. Sie können auch bis zum P. Platz, dem Beginn der Fußgängerzone, mit dem Pkw/Taxi gebracht werden. Von dort sind es bis zur Praxis fußläufig rund 80 m, was ohne Weiteres zumutbar erscheint. Ein Anspruch darauf, dass die Praxis uneingeschränkt von Patienten mit Fahrzeugen angefahren werden kann, lässt sich aus dem Anliegergebrauch nicht ableiten. Die Vorlage eines Attests stellt nach Auffassung des Senats keine unzumutbare Einschränkung dar, zumal das Ausstellen von Attesten bei einer ärztlichen Praxis üblich ist (z.B. für die Schule, den Arbeitgeber etc.) und erfahrungsgemäß nicht alle Besucher einer orthopädischen Praxis auf einen Transport mit einem Fahrzeug bis vor das Gebäude der Praxis angewiesen sind.
67
Dass die Möglichkeit des Parkens vor dem Gebäude, in dem sich die Praxis befindet, für Personen ohne Schwerbehindertenparkausweis zukünftig wegfällt, begegnet rechtlich keinen Bedenken, zumal allgemein und damit auch für Arztpraxen ein Anspruch auf einen nahegelegenen Parkplatz nicht hergeleitet werden kann (vgl. oben Rn. 38).
68
(b) Nicht berechtigt ist der Einwand der Antragstellerin zu 4, das Zufahrtskonzept sei wegen des Grundsatzes des sog. Vorbehalts des Straßenrechts gegenüber dem Straßenverkehrsrecht (vgl. OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – LKV 2022, 131 = juris Rn. 40, 63) rechtswidrig, soweit Personen mit Schwerbehindertenausweis zur Einfahrt und zum Parken in der Fußgängerzone berechtigt seien und Patienten mit ärztlichem Attest eine straßenverkehrsrechtliche Zufahrtserlaubnis erhielten. Zwar trifft es zu, dass durch das Straßenverkehrsrecht keine Erweiterung der straßenrechtlich zulässigen Benutzungsarten und -zwecke erfolgen kann (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1974 – IV C 12.72 – NJW 1975, 1528 = juris Rn. 16; U.v. 26.6.1981 – 7 C 27.79 – BVerwGE 62, 376 = juris Leitsatz 1 und Rn. 14 ff.). Ob eine solche unzulässige Erweiterung durch Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO hier anzunehmen wäre, muss aber nicht entschieden werden. Denn abgesehen davon, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Zufahrtserlaubnisse vorliegend auf der Grundlage des Straßenverkehrsrechts im Hinblick auf die fehlende Dauerhaftigkeit der Teileinziehung (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 14 Rn. 24 m.w.N.) und die Personenbezogenheit der Zufahrtserlaubnisse (vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2004 – 5 S 682/03 – VBlBW 2004, 380 = juris Rn. 42; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 39 m.w.N.; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 61) erteilt werden könnten, können Zufahrtserlaubnisse jedenfalls auf Art. 18 BayStrWG gestützt werden.
69
(c) Soweit weiter eingewandt wird, es sei rechtswidrig, Verstöße gegen die Zufahrtsbeschränkung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu tolerieren, weil bei der Ermessensausübung nach § 47 Abs. 1 OWiG stets sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, verfängt dies ebenfalls nicht. Zwar ist das einer Verwaltungsbehörde eingeräumte Ermessen primär am Einzelfall ausgerichtet (vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2024, § 7 Rn. 13). Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass eine Verwaltungsbehörde beispielsweise mittels Verwaltungsvorschriften oder Zusicherungen ihr Ermessen vorab ausüben und sich selbst entsprechend binden kann (vgl. oben Rn. 66)
70
(d) Ebenfalls in ausreichendem Umfang sichergestellt sein dürfte die Erreichbarkeit der Praxis für Handwerker und das von der Antragstellerin erwähnte Sanitätshaus. Die Antragsgegnerin hat hierzu in der Begründung der Allgemeinverfügung vom 26. Juli 2024 angeführt, dass diese dem „Lieferverkehr“ zugeordnet werden können und die Anfahrt entsprechend der straßenverkehrsrechtlich vorzusehenden Zufahrtszeiten zulässig sei. Damit ist täglich eine Zufahrt entsprechend der straßenverkehrsrechtlichen Regelung der Antragsgegnerin bis 12:45 Uhr möglich. Darüber hinaus hat sie sich für dringende Fälle bindend zur kurzfristigen Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1, § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. Anlage 2 Nr. 21 (Zeichen 242.1) verpflichtet (vgl. auch E-Mail der Beklagten vom 5.9.2024, Anlage BG 1 1 zur Beschwerdeerwiderung vom 16.9.2024) und toleriert die Einfahrt in Notfällen auch ohne Ausnahmegenehmigung (vgl. E-Mail der Beklagten vom 5.9.2024, Anlage BG 1 zur Beschwerdeerwiderung vom 16.9.2024), sodass der Einwand der Antragstellerin zu 4 nicht zutrifft, es sei mit einer Bearbeitungszeit von mindestens zehn Arbeitstagen zu rechnen. Warum das beauftragte Sanitätshaus vor den Praxisräumen für seine Anlieferungen längerfristig zwingend parken müsste, wird von der Antragstellerin zu 4 nicht aufgezeigt. Im Übrigen kann aus dem Anliegergebrauch – wie ausgeführt – ein Anspruch auf einen nahegelegenen Parkplatz nicht hergeleitet werden (vgl. oben Rn. 38). Zudem dürfte schon bislang davon auszugehen gewesen sein, dass aufgrund des hohen Parkdrucks eine Parkmöglichkeit unmittelbar vor dem Praxisgebäude in der Regel nicht gegeben war.
71
bb) Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist auch nicht auf Grund einer Abwägung der bei der gerichtlichen Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu berücksichtigenden widerstreitenden Interessen der Beteiligten geboten.
72
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, setzt die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO voraus, dass überwiegende öffentliche Interessen es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Auf dieses besondere öffentliche Vollzugsinteresse kann im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch bei fehlenden Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht verzichtet werden, weil die behördliche Vollzugsanordnung eine Ausnahme vom Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO darstellt und ein Abweichen vom Regelfall nur unter den im Gesetz festgelegten Voraussetzungen erfolgen darf (vgl. BVerfG, B.v. 19.6.1973 – 1 BvL 39/69 – BVerfGE 35, 263 = juris Rn. 32; BVerwG, B.v. 21.9.2020 – 6 VR 1.20 – juris Rn. 42; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 157 m.w.N.). Das besondere öffentliche Interesse muss über das hinausgehen, was den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfG, B.v. 29.1.2020 – 2 BvR 690/19 – AuAS 2020, 77 = juris Rn. 16).
73
Nach diesem Maßstab ergibt die Interessenabwägung vorliegend ein gegenüber den Interessen der Antragstellerin zu 4 überwiegendes, besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, weil das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Einrichtung der temporären Fußgängerzone höher zu gewichten ist als das Interesse der Antragstellerin zu 4 an einer Außervollzugssetzung der temporären Teileinziehung.
74
Zweck der temporären Teileinziehung ist ausweislich der Begründung für die Maßnahme die Prüfung, ob sich die städtebaulichen Belange, insbesondere die Verbesserung der Aufenthaltsqualität und Reduzierung des Verkehrs, gegenüber den allgemeinen Verkehrs- und Anliegerinteressen am Fortbestand der Widmung des Teilabschnitts der W. Straße als höherwertig erweisen (vgl. Amtsblatt Nr. 22/2024 vom 9.8.2024, S. 618). Die zeitlich beschränkte Maßnahme dient mithin der Erprobung zur Ermittlung der allseitigen Interessen, um innerhalb eines Jahres eine fachliche fundierte Entscheidung über den endgültigen widmungsrechtlichen Status des betreffenden Teilabschnitts in der W. Straße herbeiführen zu können. Eine zeitnahe Klärung der Verhältnisse und Entscheidung über eine dauerhafte Einrichtung des Fußgängerbereichs liegt nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern im Interesse aller Beteiligten. Insbesondere kann, wenn die Prüfung ergeben sollte, dass der Beschränkung des motorisierten Verkehrs in dem betreffenden Abschnitt der W. Straße gegenüber den allgemeinen Verkehrs- und Anliegerinteressen der Vorzug zu geben ist, den mit der dauerhaften Einrichtung des Fußgängerbereichs verbundenen positiven Wirkungen (u.a. Verbesserung der Aufenthalts- und Wohnqualität, Verbesserung der Verkehrssicherheit für Fußgänger, Reduktion von Verkehrslärm und Abgase, Leistung eines Beitrages zum Klimaschutz) im Interesse der Allgemeinheit schneller Rechnung getragen werden. Eine zeitliche Verzögerung der probeweisen Einrichtung der Fußgängerzone infolge eines gegebenenfalls mehrjährigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens würde dem besonderen öffentlichen Interesse an einer raschen endgültigen Entscheidung dagegen zuwiderlaufen.
75
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin bereits im Vorfeld des Erlasses der Allgemeinverfügung die maßgeblichen Grundlagen für einen validen Vorher (status quo)-Nachher (temporäre Teileinziehung)-Vergleich ermittelt hat, indem etwa im betroffenen Abschnitt der W. Straße eine Verkehrserhebung durchgeführt (vgl. Anlage B4 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 28.8.2024 im Verfahren M 28 K 24.4780), der Bestand an Ladengeschäften, Ärzten, Parkplätzen auf öffentlichem und privaten Grund, an Fahrradständern und Hofeinfahrten ermittelt (vgl. Behördenakte Bl. 491) sowie die Öffentlichkeit beteiligt wurde (vgl. Behördenakte Bl. 489). Entscheidend für den von der Antragsgegnerin angestrebten aussagekräftigen Vorher-Nachher-Vergleich sind aber gleichbleibende tatsächliche Verhältnisse in dem Abschnitt der W. Straße. Bei einem zu großen zeitlichen Abstand zwischen Bestandserhebung und Testphase besteht die Gefahr, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in der Straße (z.B. Geschäftsstruktur) ändern, sodass ein valider Vergleich auf der veralteten Grundlage nicht mehr möglich ist und die tatsächlichen Verhältnisse neu ermittelt werden müssten.
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Hinter diesen öffentlichen Interessen steht das Interesse der Antragstellerin zu 4, von der Teileinziehung vorübergehend bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, weniger schwer in Gewicht, zumal die Maßnahme von vorherein auf ein Jahr befristet ist und – wie ausgeführt – die Rechtsposition der Antragstellerin zu 4 im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen der Art. 14 Abs. 3 und Art. 17 Abs. 1 BayStrWG gering ausgeprägt ist. Ein Eingriff in den vom Anliegergebrauch geschützten Kernbereich ihres Erschließungsinteresses durch die Teileinziehung liegt aller Voraussicht nach nicht vor. Zudem hat die befristete Teileinziehung einen planungsvorbereitenden, vorübergehenden Charakter und schafft keine vollendeten Tatsachen (vgl. BVerwG, B.v. 21.3.2022 – 7 VR 1.22 – juris Rn. 11 zur Duldungsanordnung für Vorbereitungsarbeiten). Für die einjährige Testphase hat die Antragsgegnerin in bestimmten Ausnahmefällen bereits Sondernutzungserlaubnisse erteilt bzw. ihr Ermessen zur Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen bzw. Ausnahmegenehmigungen gebunden, was unzumutbare Verhältnisse im Jahr der Testphase nicht erwarten lässt. Dass durch die Testphase zulasten der Antragstellerin zu 4 Unabänderliches bewirkt würde, ist daher nicht ersichtlich.
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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D. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 39 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.1.3, Nr. 1.5 und Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben. Der Teilstreitwert für die Antragsteller beträgt jeweils 3.750 EUR.
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E. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).