Inhalt

VG München, Urteil v. 26.08.2024 – M 8 K 22.6303
Titel:

Klagebefugnis von Sondereigentümern einer WEG, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Immissionsrichtwerte, Unbestimmtheit der Baugenehmigung (verneint), Unzuverlässigkeit nach Gaststättengesetz, Wegfall von Stellplätzen

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2
WEG § 9a Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 34 Abs. 2 i.V.m.
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
GastG § 4 Abs. 1 Nr. 1
BayBO Art. 47
BauNVO § 15 Abs. 1
GastG § 4 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Einzelne Sondereigentümer können gemäß § 13 I Hs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung ihres Sondereigentums im Raum steht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft (wie VGH München ZWE 2013, 382 Rn. 5 f.). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der einzelne Sondereigentümer kann baurechtliche Nachbarrechte nur insoweit geltend machen kann, als sein Sondereigentum konkret beeinträchtigt wird. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich Rechte betroffen sind, die gemäß § 9a II WEG einheitlich von der GdWE geltend gemacht werden, weil sie im Gemeinschaftseigentum wurzeln oder eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Dies umfasst die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Nachbaransprüche im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum (wie OVG Berlin-Brandenburg ZWE 2024, 190 Rn. 6). (redaktioneller Leitsatz)
3. Auf den Gebietserhaltungsanspruch kann sich ein Sondereigentümer nicht berufen. Eine Verletzung dieses Anspruchs betrifft das einzelne Sondereigentum nicht stärker als das übrige Sonder- oder das Gemeinschaftseigentum. Der Gebietserhaltungsanspruch und der dadurch vermittelte Nachbarschutz beruhen auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses zwischen den Grundstückseigentümern in einem durch Bebauungsplan überplanten Gebiet oder einem faktischen Plangebiet nach § 34 II BauGB. Jeder Planbetroffene soll das Eindringen gebietsfremder Nutzungen und damit auch die schleichende Umwandlung des Gebiets verhindern können, auch ohne dass eine konkrete Beeinträchtigung besteht. Dieses nachbarliche Austauschverhältnis ist allein bezogen auf das konkrete Grundstück und löst daher eine Betroffenheit der GdWE als solcher aus, nicht aber eine Betroffenheit der einzelnen Sondereigentümer (wie VGH München ZWE 2013, 382 Rn. 7 f.). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagebefugnis von Sondereigentümern einer WEG, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Immissionsrichtwerte, Unbestimmtheit der Baugenehmigung (verneint), Unzuverlässigkeit nach Gaststättengesetz, Wegfall von Stellplätzen, Wohnungseigentum
Fundstellen:
LSK 2024, 34361
ZWE 2025, 58
BeckRS 2024, 34361

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Nutzung eines Innenhofs.
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Die Kläger sind Sondereigentümer zweier Wohnungen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … …, R …straße 1 (im Folgenden: Nachbargrundstück). Dieses grenzt im Westen an das Grundstück FlNr. ... Gemarkung … …, … 6 (im Folgenden: Baugrundstück) an. Das Baugrundstück steht im Eigentum der Beigeladenen.
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Derzeit ist das Baugrundstück ist mit einem in geschlossener Bauweise errichteten Vordergebäude mit vier Geschossen plus Dachgeschoss bebaut. Dort befinden sich im Erdgeschoss die von der Beigeladenen betriebene Galerie sowie ein Stoffladen. Die Obergeschosse dienen der Wohnnutzung. Ferner findet sich auf dem Baugrundstück ein zweigeschossiges Rückgebäude, welches ausweislich einer früheren Baugenehmigung als Laden beziehungsweise Atelier im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss als Wohnung genutzt wird.
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Das Nachbargrundstück ist mit einem sechsgeschossigen Vordergebäude bebaut, in dem sich neben der Wohnnutzung noch eine Praxis für Fahreignungsgutachten und ein Designstudio befinden. Ferner ist dort eine Firma für Kunstprojekte ansässig, die nach Angaben der Kläger von diesen in der selbstgenutzten Wohnung als freiberufliche Tätigkeit betrieben wird. Die Wohnungen der Kläger befinden sich im Erdgeschoss und 2. Obergeschoss des Anwesens und verfügen über Wohnraumfenster zum Innenhof des Nachbargrundstücks.
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Vergleiche zur baulichen Situation folgenden – aufgrund des Einscannens eventuell nicht mehr maßstabsgetreuen – Lageplan im Maßstab 1:1.000:
6
Mit Bescheid vom 18. November 2022 wurde der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Nutzung des Innenhofs des Baugrundstücks erteilt. Von der Baugenehmigung erfasst ist entsprechend der Betriebsbeschreibung eine Nutzung des Innenhofs durch die Mitarbeiter der Galerie und der Ateliers zu Erholungszwecken zwischen 09:00 und 20:00 Uhr, eine Nutzung durch die Beigeladene selbst, ihre Familienangehörigen und die Mieter der Wohnungen auf dem Baugrundstück zu privaten Zwecken zwischen 08:00 Uhr und 22:00 Uhr, sowie eine Nutzung durch die Galerie für Veranstaltungen, wie etwa Vernissagen, an maximal 10 Tagen im Jahr zwischen 18:00 Uhr und 22:00 Uhr mit maximal 60 Gästen. Ferner beinhaltet die Baugenehmigung mehrere Auflagen zum Immissionsschutz. Zum einen wurde die Auflage angeordnet, dass sowohl Ton- und Musikdarbietungen im Freien als auch die Übertragung von selbigen von Innen ins Freie oder im Freien untersagt sind. Ferner ist festgesetzt, dass in dem umliegenden Gebiet, insbesondere u.a. auf dem Nachbargrundstück, ein Immissionsrichtwert von 54 dB(A) tagsüber und 39 dB(A) nachts nicht überschritten werden darf. Außerdem ist die Auflage enthalten, dass Veranstaltungen, Anlieferungen, Entsorgungen, Ausstellungs- und Ladenbetrieb, sowie die zugehörigen Auf- und Abbauarbeiten und Reinigungstätigkeiten nur während der Tageszeit zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr zulässig sind.
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Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 18. Dezember 2022, haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen zuletzt,
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Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2022 (Plan-Nr. ...) wird aufgehoben.
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Die Kläger sind der Ansicht, dass die genehmigte Nutzung des Innenhofs in dem Gebiet gebietsfremd sei. Die nähere Umgebung entspreche stärker einem allgemeinen Wohngebiet als einem Mischgebiet, da sie überwiegend durch Wohngebäude geprägt werde und lediglich in den Erdgeschossen gewerbliche Nutzungen vorhanden seien. Außerdem sei die Nutzung auch rücksichtlos. Die Nutzung des Innenhofs für Vernissagen überschreite die zumutbaren Lärmgrenzwerte. Die Beigeladene nutze den Innenhof bis spät in die Nacht für partyähnliche Veranstaltungen, die einen anderen Charakter hätten als typische Vernissagen. Die Veranstaltungen würden eher gaststättenartigen Charakter aufweisen. Nach Ende der Veranstaltungen würden auch nachts noch Aufräumarbeiten durchgeführt. In der Vergangenheit habe es wegen der Lautstärke der Veranstaltungen auch bereits mehrfach Polizeieinsätze gegeben. Auch die bauliche Gestaltung des Innenhofs würde die Lärmbelästigung verstärken, da die Rückgebäude den Lärm bündeln und trichterförmig nach oben in Richtung der klägerischen Wohnung leiten würden. Überdies sei die mit den Bauantragsunterlagen eingereichte Betriebsbeschreibung für die Nutzung des Innenhofs zu unbestimmt. Ferner sei die Beigeladene unzuverlässig gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Da die Nutzung gaststättenähnlichen Charakter habe, sei das GastG anwendbar. Auch sei § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG verletzt, da die Kläger sowohl durch die Nutzung des Innenhofs als auch durch die Nutzung der Rückgebäude unzumutbaren Immissionen ausgesetzt würden. Darüber hinaus seien aufgrund der Nutzung des Innenhofs durch die Galerie sämtliche einst vorhandenen Stellplätze weggefallen.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Der Gebietserhaltungsanspruch sei nicht verletzt. Es liege weder eine Festsetzung in einem Bebauungsplan noch ein faktisches Plangebiet vor, dem das Vorhaben widerspreche. In der näheren Umgebung seien außerdem gewerbliche Nutzungen vorhanden. Auch sei kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gegeben. Gegenstand der Genehmigung sei eine Nutzung, wie sie aus der hinreichend bestimmten Betriebsbeschreibung hervorgehe. Daraus ließen sich die Nutzungsintensität und die Zeiten der Nutzung zwischen 08:00 und 22:00 Uhr erkennen. Eine Nutzung zur Nachtzeit sei nicht Genehmigungsgegenstand. Außerdem beinhalte die Baugenehmigung eine Beschränkung auf maximal 10 Veranstaltungen pro Jahr mit einer Anzahl von maximal 60 Gästen. Auch seien umfangreiche immissionsschutzrechtliche Auflagen Teil der Baugenehmigung, wie etwa die Festlegung, dass keine Musikdarbietungen im Freien oder Übertragung solcher ins Freie gestattet seien. Ferner belege ein eingereichtes schallschutztechnisches Gutachten die Einhaltung der Grenzwerte. Auch die Immissionsrichtwerte seien rechtmäßig festgesetzt. Bei dem Gebiet handle es sich nicht um ein allgemeines Wohngebiet. Dieser Schluss könne auch nicht daraus gezogen werden, dass das Gebiet im Flächennutzungsplan als besonderes Wohngebiet dargestellt sei. Vielmehr handle es sich um ein Gebiet mit hohem Wohnanteil und einem hohen Anteil an gewerblicher Nutzung.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls
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Klageabweisung.
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Das Grundstück befinde sich nicht im Umgriff eines Bebauungsplans. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches Mischgebiet, ein faktisches Kerngebiet oder eine Gemengelage handle, füge sich das Vorhaben in dem Gebiet ein. Es seien sowohl Wohnnutzung als auch zahlreiche gewerbliche Nutzungen in dem Gebiet vorhanden. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt. Nach dem Schallschutzgutachten würden die Grenzwerte von 60dB(A) um 8 dB(A) unterschritten. Außerdem seien weder Gäste noch Angestellte des Beherbergungsbetriebs der Beigeladenen zur Nutzung des Innenhofs berechtigt, was von ihr auch konsequent umgesetzt werde. Die Kläger hätten das Schallschutzgutachten nicht substantiiert in Frage gestellt. Außerdem seien die in der Baugenehmigung enthaltenen Auflagen leicht einhaltbar. Besonders durch diese Auflagen würde sichergestellt, dass die Immissionsgrenzwerte eingehalten würden. Da eine nächtliche Nutzung weder beantragt noch genehmigt sei, spiele es keine Rolle, ob eine solche Nutzung die Immissionsgrenzwerte überschreiten würde. Selbst wenn genehmigungswidrig eine Nutzung des Innenhofs zur Nachtzeit hypothetisch stattfände, so wäre dies jedenfalls nicht Gegenstand des Klageverfahrens, da sich dieses allein auf die Baugenehmigung beschränke. Darüber hinaus seien aber auch Aufräumarbeiten von maximal 10 Minuten im Nachtzeitraum nach den Veranstaltungen der Galerie zulässig. Es handle sich nämlich um seltene Ereignisse im Sinne der TA-Lärm. Die Kläger seien überdies ohnehin nicht klagebefugt, da sie lediglich Sondereigentümer zweier Wohnungen seien. Auch Abstandsflächenrecht sei nicht verletzt.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Augenschein am 26. August 2024. Die hierbei getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Protokoll, auf das insoweit verwiesen wird. Zum weiteren Vorbringen der Parteien und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig, insbesondere sind die Kläger klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Klagebefugt ist, wer geltend macht in eigenen Rechten verletzt zu sein und eine solche Verletzung zumindest möglich erschient. Zu verneinen ist die Klagebefugnis nur dann, wenn eine Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte durch die angegriffene Behördenentscheidung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2013 – 4 A 1.13 – juris Rn. 18).
19
Die Kläger sind Sondereigentümer zweier Wohnungen auf dem Nachbargrundstück, wovon eine im zweiten Obergeschoss und die andere im Erdgeschoss liegt. Grundsätzlich können einzelne Sondereigentümer gemäß § 13 Abs. 1 Halbs. 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung ihres Sondereigentums im Raum steht (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 7 ff; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 6).
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Die Kläger machen vorliegend unter anderem einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot geltend. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, der konkret das Sondereigentum der Kläger betrifft, ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Die konkrete Betroffenheit des Sondereigentums der Kläger insbesondere durch die von dem Baugrundstück ausgehenden Lärmbelastungen erscheint grundsätzlich möglich. Beide Wohnungen verfügen über Fenster, die zum Innenhof des Nachbargebäudes ausgerichtet sind. Da die Innenhöfe des Nachbargrundstücks und des Baugrundstücks aneinandergrenzen und nur durch eine etwa 2,50 m bis 2,70 m hohe Mauer getrennt werden, ist nicht ausgeschlossen, dass das Sondereigentum der Kläger durch den vom benachbarten Innenhof ausgehenden Lärm konkret beeinträchtigt wird.
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2. Die Klage ist unbegründet, weil die Baugenehmigung keine subjektiv-öffentlichen Rechte der Kläger verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
22
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung von Normen beruht, die im Genehmigungsverfahren zu prüfen waren und zumindest auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4). Es findet damit im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtskontrolle statt. Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung. Der Nachbar ist insoweit darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
23
2.1 Drittschutz vermittelt im unbeplanten Innenbereich zum einen der sog. Gebietserhaltungsanspruch nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO sowie das aus dem Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO abzuleitende Rücksichtnahmegebot. Ob sich das Vorhaben darüber hinaus objektiv in die maßgebliche Umgebung einfügt, können Dritte in der Nachbaranfechtungsklage nicht mit Erfolg geltend machen.
24
2.1.1 Auf den Gebietserhaltungsanspruch können sich die Kläger als Sondereigentümer nicht berufen. Wie bereits dargelegt, können einzelne Sondereigentümer nur insoweit baurechtliche Nachbarrechte geltend machen, als ihr Sondereigentum konkret beeinträchtigt wird (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 7 ff; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5). Das ist nicht der Fall, wenn lediglich Rechte betroffen sind, die gemäß § 9a Abs. 2 WEG einheitlich von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend gemacht werden, weil sie im Gemeinschaftseigentum wurzeln oder eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Dies umfasst die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Nachbaransprüche im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum, die der Eigentümergemeinschaft als „geborene“ Ausübungsbefugnis zusteht (OVG Berlin-Bbg, B.v. 6.10.2023 – 10 S 25/23 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 24.2.2021 – 3 S 2373/20 – juris Rn. 21). Dazu zählt auch der Gebietserhaltungsanspruch. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs betrifft das einzelne Sondereigentum nicht stärker als das Übrige Sondereigentum oder das Gemeinschaftseigentum (BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 3). Der Gebietserhaltungsanspruch und der dadurch vermittelte Nachbarschutz beruhen auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses zwischen den Grundstückseigentümern in einem durch Bebauungsplan überplanten Gebiet oder einem faktischen Plangebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB. Jeder Planbetroffene soll im Rahmen dieses Gemeinschaftsverhältnisses das Eindringen gebietsfremder Nutzungen und damit auch die schleichende Umwandlung des Gebiets verhindern können, auch ohne dass eine konkrete Beeinträchtigung besteht. Dieses nachbarliche Austauschverhältnis ist allein bezogen auf das konkrete Grundstück und löst daher eine Betroffenheit der Wohnungseigentümergemeinschaft als solcher aus, nicht aber eine Betroffenheit der einzelnen Sondereigentümer (BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 7 f).
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2.1.2 Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dabei kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da dies an der inhaltlichen Prüfung nichts ändert.
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, solche Spannungen und Störungen möglichst zu vermeiden, die durch eine unverträgliche Grundstücksnutzung entstehen können. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, auf die Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen desjenigen sind, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger ist Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25. 2. 1977 – 4 C 22/75 – juris Rn. 22). Für eine sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25. 2. 1977 a.a.O.; BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22).
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Die genehmigte Nutzung geht hinsichtlich der Lärmbelastung nicht über das Maß dessen hinaus, was für die Kläger als Nachbarn zumutbar ist. Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Belästigungen kann auf die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zurückgegriffen werden (vgl. BayVGH B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 29; BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22). Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen, die das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, das insoweit keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz vermittelt (BVerwG, U.v. 30.9.1983 – 4 C 74/78 – juris Rn. 11, 14).
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Ebenso ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm als Maßstab die TA Lärm heranzuziehen (BVerwG U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 17). Diese setzt für unterschiedliche Baugebietstypen unterschiedliche Immissionsrichtwerte fest. Die maßgeblichen Immissionsrichtwerte werden danach bestimmt, in welchem der in Nr. 6.1 TA Lärm genannten Baugebietstypen gemäß den Festlegungen in den Bebauungsplänen der Immissionsort liegt. Gebiete, für die – wie im vorliegenden Fall – keine Festsetzungen bestehen, sind entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit zu beurteilen (Nr. 6.6 Satz 2 TA Lärm; OVG RhPf, U.v.16.3.2023 – 1 A 10112/22 – juris Rn. 25).
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Die in der Genehmigung festgesetzten Immissionsrichtwerte stellen sicher, dass die zugelassene Nutzung nicht zu einer Verletzung des durch die genannten Normen konkretisierten Rücksichtnahmegebots führt. Unabhängig davon, ob es sich bei der maßgeblichen näheren Umgebung um ein faktisches Plangebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB oder um eine Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB handelt, können die Kläger in keinem Fall die Einhaltung niedrigerer als der für ein allgemeines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte verlangen.
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Die maßgebliche nähere Umgebung entspricht jedenfalls nicht einem reinen Wohngebiet, für welches nach der TA Lärm strengere Immissionsrichtwerte gelten. Angesichts der im Augenschein festgestellten Anzahl vorhandener gewerblicher Nutzungen ist die Annahme eines reinen Wohngebiets fernliegend. Vielmehr kommen ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO, ein faktisches Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO oder eine Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB in Betracht, wobei, wie dargelegt, nicht entschieden werden muss, um welche dieser Gebietsarten es sich konkret handelt.
31
Das höchste Schutzniveau der in Betracht kommenden Gebietsarten genießt nach der TA Lärm das allgemeine Wohngebiet. Für allgemeine Wohngebiete sieht 6.1 Buchst. e) TA Lärm vor, dass Grenzwerte von tagsüber 55 dB(A) und nachts von 40 dB(A) einzuhalten sind. Für Mischgebiete hingegen gelten gemäß Nr. 6.1 Buchst. d) TA Lärm Grenzwerte von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A). Im Falle einer Gemengelage wären analog Nr. 6.7 TA Lärm Zwischenwerte zu bilden, die zwischen den Werten liegen, welche für die einzelnen Gebietsarten gelten. Die in der angegriffenen Baugenehmigung festgesetzten Grenzwerte von tagsüber 54 dB(A) und nachts 39 dB(A) unterschreiten die Immissionsrichtwerte für das allgemeine Wohngebiet sogar noch um ein 1 dB(A). Damit ist dem Schutz der Nachbarn in jedem Fall ausreichend Rechnung getragen. Ein höheres Schutzniveau als das für das allgemeine Wohngebiet geltende, können die Kläger nicht einfordern.
32
Anhaltspunkte dafür, dass die genehmigte Nutzung regelmäßig die festgesetzten Grenzwerte nicht einzuhalten vermag, gibt es nicht. Aus dem schallschutztechnischen Gutachten, auf das die Baugenehmigung Bezug nimmt, geht hervor, dass die genehmigte Nutzung selbst bei einer Vernissage mit 60 Personen maximal zu einem Beurteilungspegel von etwa 52 dB(A) an dem maßgeblichen Immissionsort auf dem Nachbargrundstück (klägerische Wohnung – IO 4) führt. Damit unterschreitet die prognostizierte Immissionsbelastung die festgesetzten Lärmgrenzwerte um 2 dB(A) und die im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Werte um 3 dB(A). Zudem wurden solche Beurteilungspegel nur für den Fall einer Vernissage prognostiziert, die nach der zum Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung erklärten Betriebsbeschreibung nur zehn Mal im Jahr stattfinden darf. Es ist deshalb für diese Veranstaltungen der erweiterte Rahmen für zulässige Beurteilungspegel für seltene Ereignisse gem. 6.3 und 7.2 TA Lärm in Betracht zu ziehen. Auch wenn ein Rückgriff darauf nicht notwendig ist, führt dies zu einem weiteren Sicherheitsspielraum, der die Annahme eine Überschreitung der für die Kläger zumutbaren Lärmpegel ausschließt.
33
Für Zweifel an der Richtigkeit des zugrunde gelegten Gutachtens sieht das Gericht keinen Anlass, da sich auf die Immissionsprognose deutlich auswirkende Fehler nicht erkennbar sind. Die Richtigkeit des Gutachtens wurde auch nicht durch substantiierten Sachvortrag der Kläger erschüttert. Unschädlich ist insbesondere, dass das Gutachten davon ausgeht, dass aufgrund der Gebietsart höhere Immissionsrichtwerte gelten würden. Die Immissionsrichtwerte haben keinen Einfluss darauf, welche Lärmbelastung für die zugelassene Nutzung prognostiziert wird. Die Belastung bleibt immer gleich, unabhängig davon welche Immissionsrichtwerte für das Gebiet gelten.
34
Auch im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für eine Rücksichtslosigkeit der genehmigten Nutzungen. Insbesondere der klägerische Vortrag, dass tatsächlich regelmäßig eine partyähnliche Nutzung des Innenhofs auch bis spät in die Nacht stattfinde und zum Teil tagsüber in dem Innenhof geruchsintensiv Kunstharze gegossen würden, verfängt ebenso wenig wie der Vortrag der Kläger, dass die Rückgebäude genehmigungswidrig genutzt würden. Die tatsächliche Nutzung des Innenhofs ist nicht Gegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage. Streitgegenstand im Verfahren ist ausschließlich der Inhalt der angefochtenen Baugenehmigung. Eine etwaige genehmigungswidrige Nutzung lässt sich durch die Anfechtung der Baugenehmigung jedoch nicht unterbinden.
35
2.2 Die angefochtene Baugenehmigung ist auch nicht zu unbestimmt. Eine Baugenehmigung kann Rechte des Nachbarn verletzen, wenn sie unter Verstoß gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und / oder der Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 6.12.2021 – 15 ZB 21.2360 – juris Rn. 9).
36
Vorliegend kann das nachbarrelevante Störpotenzial der genehmigten Nutzung ohne Weiteres der Baugenehmigung und den ihr zugrundeliegenden Unterlagen entnommen werden. Die Kläger können daher erkennen, mit welchen Störungen sie durch das Vorhaben zu rechnen haben. Insbesondere die Betriebsbeschreibung ist nicht zu unbestimmt. In der Betriebsbeschreibung werden die geplanten Nutzungen detailliert aufgezählt und beschrieben, wobei neben der Art der Nutzung auch die Personenzahl und die Nutzungszeiten angegeben werden. Es ist für jede der vorgesehenen Nutzungen erkennbar, wie viele Personen in welchem Zeitraum den Innenhof nutzen dürfen. Für die Nutzung für Veranstaltungen der Galerie ist zudem aufgeführt, dass solche Veranstaltungen nur zehnmal im Jahr stattfinden sollen und die Aufräumarbeiten bis 22 Uhr abgeschlossen sind. Darüber hinaus hat die Baugenehmigung das schallschutztechnische Gutachten mit einbezogen, Lärmgrenzwerte von 54 dB(A) tags, sowie 39 dB(A) nachts festgesetzt und weitere Auflagen zum Lärmschutz gemacht.
37
2.3 Verstöße gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 GastG können die Kläger nicht mit Erfolg rügen. Das Gaststättengesetz ist nicht Teil des Prüfungsumfangs des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO, welches vorliegend Anwendung findet, da es sich bei dem Vorhaben nicht um einen Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Darüber hinaus vermittelt § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG, an dessen Anwendbarkeit das Gericht schon Zweifel hat, jedenfalls keinen Drittschutz. Die Vorschrift dient allein öffentlichen Interessen, nicht aber dem Schutz nachbarlicher Individualinteressen (BVerwG, U.v. 4.10.1988 – 1 C 72.86 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 10.3.2022 – 22 B 19.197 – juris Rn. 89).
38
2.4 Soweit die Kläger den Wegfall von Stellplätzen rügen, verfängt ihr Vortrag nicht. Die in Art. 47 BayBO geregelte Pflicht zur Herstellung von Stellplätzen ist grundsätzlich nicht nachbarschützend (vgl. Würfel, in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand 153. EL Januar 2024, Art. 47 Rn. 227; BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 39; VG München, U.v. 5.9.2019 – M 11 K 18.614 – juris Rn. 23). Nachbarliche Rechte werden nur dann verletzt, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderliche Anzahl von Stellplätzen dazu führt, dass für den Nachbarn unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen. Das kann dann etwa der Fall sein, wenn durch den Stellplatzmangel unzumutbarer Park- oder Parksuchverkehr entsteht oder die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist (BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 39; VG München, U.v. 5.9.2019 – M 11 K 18.614 – juris Rn. 23). Eine solche unzumutbare Beeinträchtigung haben die Kläger nicht hinreichend vorgetragen. Eine die Nutzung des Nachbargrundstücks ausschließende Verkehrssituation infolge des behaupteten Wegfalls von „vier bis fünf Stellplätzen“ liegt auch mehr als fern.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.