Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.11.2024 – 6 ZB 24.30940
Titel:

Asyl: Verfahrensmängel im Berufungszulassungsverfahren (verneint)

Normenketten:
AsylG § 77 Abs. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 6
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Urteil ist nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn eine Begründung entweder überhaupt oder zu wesentlichen Streitpunkten unterblieben ist oder wenn die Darlegungen des Gerichts gänzlich unverständlich, verworren oder widersprüchlich sind und damit nicht erkennen lassen, welche Erwägungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die im Gewand einer Verfahrensrüge geltend gemachten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils stellen keinen Grund dar, die Berufung in asylrechtlichen Streitigkeiten zuzulassen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Gewand der Verfahrensrüge, ernstliche Zweifel, Begründungserfordernis, Verfahrensrüge, Sachaufklärung, Nigeria, Asyl, Gehörsverstoß, Aufklärungsrüge
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 13.08.2024 – M 1 K 22.31332
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33490

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. August 2024 – M 1 K 22.31332 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) liegt nicht vor.
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Der Kläger rügt, es fehle an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots, da das Erstgericht unter Absehen einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2022 auch mit Blick auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gefolgt sei, ohne sich mit den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen in Nigeria im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auseinanderzusetzen, obwohl diese sich seit damals erheblich verschlechtert hätten. Damit zeigt die Zulassungsschrift keinen Gehörsverstoß im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO auf.
3
a) Soweit der Kläger daraus ableiten möchte, dass die erstinstanzliche Entscheidung nicht mit (hinreichenden) Gründen im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO versehen sei, dringt er damit nicht durch. Ein Urteil ist nur dann im Sinn des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn eine Begründung entweder überhaupt oder zu wesentlichen Streitpunkten unterblieben ist oder wenn die Darlegungen des Gerichts gänzlich unverständlich, verworren oder widersprüchlich sind und damit nicht erkennen lassen, welche Erwägungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 2 C 25.16 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 17.11.2020 – 9 ZB 20.32164 – juris Rn. 4 m.w.N.; Kraft in Eyermann, 16. Aufl. 2022, § 138 Rn. 56). Derartige Begründungsmängel sind mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt.
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Vielmehr hat das Verwaltungsgericht neben der Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesamts gemäß § 77 Abs. 3 AsylG ausdrücklich unter Berufung auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 24. November 2022 festgestellt, dass es dem gesunden und arbeitsfähigen Kläger, der seit einiger Zeit in verschiedenen Jobs im Bundesgebiet erwerbstätig sei, gelingen werde, den Lebensunterhalt für sich und seine beiden minderjährigen Kinder und gegebenenfalls seiner Mutter zu erwirtschaften. Damit enthält das Urteil eine – eigenständige – Begründung zur Frage des Vorliegens von Abschiebungsverboten. Soweit der Kläger dieses Ergebnis aus dem Grund für unzutreffend hält, weil in Nigeria derzeit eine existenzielle Krise bestehe und nur wenige Menschen sich dort noch genügend Lebensmittel und Medizin leisten könnten, legt er keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO dar; er wendet sich der Sache nach vielmehr lediglich im Gewand einer Verfahrensrüge gegen die Richtigkeit der Entscheidung, was jedoch keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 27; B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 7). Ob die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezogen auf den Einzelfall im Ergebnis richtig ist oder nicht, spielt im Zulassungsverfahren nach dem § 78 AsylG, in dem es anders als in Allgemeinverfahren (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) nicht um Einzelfallgerechtigkeit geht, keine Rolle. Die in dieser Vorschrift gegenüber dem Regelverfahren durch eine abschließende Aufzählung von Gründen für die Zulassung der Berufung in Asylsachen nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AsylG eingeschränkte Rechtsmittelzulässigkeit verdeutlicht, dass der Gesetzgeber den gerichtlichen Rechtsschutz in Asylverfahren in aller Regel auf eine Instanz beschränkt hat (vgl. SaarlOVG, B.v. 11.9.2024 – 2 A 120/24 – juris Rn. 11).
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b) Mit dem Vortrag, das Gericht habe bei seiner Entscheidung nicht auf die aktuellen Entwicklungen im Heimatland des Klägers Rücksicht genommen und sich mit den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen in Nigeria überhaupt nicht auseinandergesetzt, zielt die Zulassungsschrift der Sache nach möglicherweise auch auf den Vorwurf mangelnder Sachaufklärung ab. Auf die Rüge, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, kann der Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylverfahren aber grundsätzlich nicht gestützt werden, weil dieser Zulassungsgrund in § 138 VwGO, auf den § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG abschließend verweist, nicht genannt ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2020 – 4 ZB 20.30870 – juris Rn. 6 m.w.N.). Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinn des genannten Zulassungsgrundes; das gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungsverpflichtung verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2017 – 6 ZB 17.31951 – Rn. 3; B.v. 8.2.2011 – 9 ZB 11.30039 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 17.11.2015 – 4 A 1439/15.A – juris, Rn. 7 f.). Die mit dem Zulassungsvorbringen im Gewand einer Verfahrensrüge geltend gemachten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils stellen keinen Zulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG dar (s.o.).
6
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).