Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.02.2024 – M 18 E 23.5867
Titel:

Akteneinsicht, Anordnungsgrund, Beistandschaft, Unterhaltsverfahren vor dem Familiengericht;, Vorwegnahme der Hauptsache

Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 55
SGB X § 25
BGB § 1714
Schlagworte:
Akteneinsicht, Anordnungsgrund, Beistandschaft, Unterhaltsverfahren vor dem Familiengericht;, Vorwegnahme der Hauptsache
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3223

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtsfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einsichtnahme in die hinsichtlich des Unterhaltsverfahrens des Kindes M. gegen den Antragsteller durch den Antragsgegner geführten Beistandschaftsakten.
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Der Antragsteller ist Vater der minderjährigen M.; das Sorgerecht steht ausschließlich der Kindsmutter zu.
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Der Antragsgegner hat wohl als Beistand am 27. Juni 2023 einen Antrag beim Amtsgericht – Familiengericht gegen den Antragsteller auf Unterhalt gestellt. In dem laufenden Unterhaltsverfahren wird das Kind M. wohl durch den Antragsgegner als Beistand vertreten.
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Mit E-Mail vom 7. November 2023 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner zeitnahe Akteneinsicht in die zum Unterhaltsverfahren bezüglich seines Kindes M. geführte Vorgangsakte.
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Mit Bescheid vom selben Tag teilte der Antragsgegner mit, dass dem Antragsteller als Unterhaltsverpflichteten kein Anspruch auf Akteneinsicht zustehe. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Anspruch aus § 25 SGB X nicht bestehe, da die Beistandschaft kein Sozialverwaltungsverfahren nach § 8 SGB X darstelle. Auf die Beistandschaft seien nach § 56 SGB VIII die Bestimmungen des BGB anzuwenden. Die Beistandschaft sei als bürgerlich-rechtliches Institut in den §§ 1712 ff. BGB geregelt. Die Einsicht des Unterhaltspflichtigen in die Beistandschaftsakte richte sich nach § 810 BGB und begrenzte sich auf die eingebrachten Unterlagen zur Berechnung des Unterhaltsanspruchs. Eine vollständige Akteneinsicht könne dagegen nicht gewährt werden.
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Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2023 ließ der Antragsteller von seinem Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den nachfolgenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen:
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„Der Antragsgegner wird unter Abänderung des Bescheides vom 7.11.2023 zum Akten-/Geschäftszeichen 11-112.9-7487 verpflichtet, dem Antragsteller Einsicht in alle Akten, Unterlagen, Schriftstücke und Daten zu gewähren, die mit den durch den Antragsgegner gegen den Antragsteller geführten Unterhaltsverfahren im Zusammenhang stehen.
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Hilfsweise wird das Gericht gebeten, von seinem Ermessen gemäß der §§ 123 Absatz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 938 Absatz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) Gebrauch zu machen, um eine Regelung zu treffen, die dem Begehren des Antragstellers gerecht wird.“
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Anordnungsanspruch aus § 25 SGB X ergebe. Der Antragsteller sei Beteiligter, da er Antragsgegner im benannten Unterhaltsverfahren sei, d.h. einem Verfahren, in dem in die Rechte des Antragstellers eingegriffen werden solle. § 25 SGB X gehe von einem weiteren Verfahrensbegriff als dem des § 8 SGB X aus. Das Verfahren, wie es zur Beistandschaft komme, sei ein sozialverwaltungsrechtliches Verfahren. Die Ablehnung des Antrags auf Beistandschaft sei ebenso wie deren Begründung als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Darüber hinaus bestehe ein umfassender Auskunftsanspruch nach Art. 29 VwVfG. Nach § 1 IFG habe nach Maßgabe des Gesetzes jeder gegenüber Behörden einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.
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Hinsichtlich des Anordnungsgrunds trug der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor, dass die Intensität der Rechtsgefährdung zulasten des Antragstellers als sehr hoch einzustufen sei. Es liege ein Verstoß gegen das Willkürverbot vor, weil die Behörde keine Erwägungen mitteile, aus denen sich durchgreifende Ablehnungsgründe ergeben würden. Wenn der Antragsteller nicht Akteneinsicht nehmen könnte, stünde zu befürchten, dass das Amtsgericht Laufen über einen unzulässigen Antrag entscheidet.
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Eine Vorwegnahme der Hauptsache stünde dem Antrag nicht entgegen. Bei der begehrten Akteneinsicht handele es sich um eine notwendige Entscheidung vor einem dringenden Termin, nämlich der Entscheidung im anhängigen Unterhaltsverfahren. Es sei wesentlich für den Antragsteller, überprüfen zu können, ob die Beistandschaft wirksam begründet wurde und der Antragsgegner aktiv prozesslegitimiert ist. Weiterhin sei es wesentlich für den Antragsteller, überprüfen zu können, ob der Antragsgegner den Vortrag mit hinreichender Objektivität bearbeitet hat und nicht aufgrund persönlicher Bekanntschaft zwischen der Kindsmutter und der Sachbearbeiterin des Antragsgegners die notwendige Neutralität zum Nachteil des Antragstellers nicht angewandt wurde.
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Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2023 erwiderte der Antragsgegner und beantragte,
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Der Antrag wird abgewiesen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da das Verwaltungsgericht München sachlich nicht zuständig sei. Auf die Führung der Beistandschaft seien nach § 56 SGB VIII die Bestimmungen des BGB anzuwenden. Die Beistandschaft sei in den §§ 1712 ff. BGB geregelt und für die Einsicht in die Beistandschaftsakte der Zivilrechtsweg gegeben.
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Dem Antragsteller stehe auch kein Anspruch auf Akteneinsicht nach § 25 SGB X zu, da es bereits an einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen Antragsteller und Antragsgegner fehle.
16
Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2023 führte der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass es sich bei der Beistandschaft um ein öffentlich-rechtliches Institut handele, das auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften basiere. Gemäß § 1712 BGB werde auf Antrag stets das Jugendamt verpflichtet, d.h. ein Träger öffentlicher Gewalt. Es liege damit eine öffentlich-rechtliche Norm unabhängig davon vor, dass sich die prägenden Vorschriften im BGB befinden. Der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet.
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Nachdem das Jugendamt im Rahmen der Beistandschaft auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird, habe es die Akten, in die Einsicht begehrt werde, zur Erfüllung der ihm obliegenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen angelegt. Es bestehe daher ein Anspruch auf Akteneinsicht.
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Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2024 übersandte der Bevollmächtigte des Antragstellers eine Terminverfügung des Amtsgerichts Laufen, mit der in dem laufenden Unterhaltsverfahren Termin bestimmt wird auf den 13. März 2024, und führte ergänzend aus, dass der Antragsteller zur Vorbereitung dieses Termins im hiesigen Verfahren Akteneinsicht begehre.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, § 40 VwGO.
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Ausreichend für die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ist, dass eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist. Maßgeblich für die Frage des Rechtsweges ist wiederum der Streitgegenstand, also der prozessuale Anspruch, der durch den zur Begründung vorgetragenen tatsächlichen Lebenssachverhalt näher bestimmt wird (BayVGH, B.v. 17.2.2014 – 12 C 13.2646 – juris Rn. 14; Wöckel in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 16. Auflage 2022, § 40 Rn. 31).
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Für die Rechtswegfrage sind die vom Antragsteller aufgestellten tatsächlichen Behauptungen – im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung – als zutreffend zu unterstellen. Unerheblich ist, auf welche Norm der Antragsteller seinen Anspruch selbst stützt und wie er ihn selbst qualifiziert; vielmehr kommt es auf die wahre Rechtsnatur des Anspruchs an (Wöckel in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 15. Auflage 2022, § 40, Rn. 34 m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.2.2014 – 12 ZB 12.715 – juris Rn. 24 m.w.N.).
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Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m § 173 Satz 1 VwGO ist eine Verweisung nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d.h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen. Dabei steht der Umstand, dass sich ein Kläger auf eine materielle Anspruchsgrundlage beruft, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, einer Verweisung dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, sie in die Sachprüfung einzubeziehen (vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 15.12.1992 – 5 B 144/91 – juris m.w.N., VGH BW, B.v. 16.9.2014 – 10 S 1451/14 – juris Rn. 5; OVG SH, B.v. 25.2.2019 – 2 O 1/19 – juris Rn. 3).
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Der Antragsteller stützt seinen Anspruch auf Einsicht in die bei dem Antragsgegner geführte Beistandschaftsakte auf § 25 SGB X bzw. Art. 29 VwVfG bzw. § 1 IFG. Für die Prüfung eines solchen Akteneinsichtsanspruchs ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
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Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von dem Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber vollständig vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache, jedenfalls dem Grunde nach, spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
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Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsteller vorliegend bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn er hat nicht ausreichend dargelegt, dass er ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre und mit seinem Begehren nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden könnte.
29
Der Antragsteller begründet die Dringlichkeit seines umfassenden Antrags auf Einsicht in die Beistandschaftsakten des Antragsgegners zuvorderst damit, dass er diese in Vorbereitung des beim örtlich zuständigen Familiengericht geführten Kindesunterhaltsverfahrens seines Kindes M. benötige, um die Wirksamkeit der Beistandschaft überprüfen zu können. Andernfalls sei zu befürchten, dass das Familiengericht über einen unzulässigen Antrag entscheide.
30
Vertritt der Beistand – wie offenbar im hier laufenden Unterhaltsverfahren – das Kind vor Gericht, so prüft dieses gem. § 9 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 56 ZPO die ordnungsgemäße Vertretung des Kindes von Amts wegen oder auf Antrag (v.SachsenGessaphe in: MüKo BGB, 9. Auflage 2024, § 1714 BGB Rn. 4; Uhl in: BeckOGK, 1.1.2024, BGB § 1714 Rn. 22). Daher fehlt die von der Antragspartei behauptete Gefahr einer auf falschen Prozessvoraussetzungen gründenden Entscheidung im Unterhaltsverfahren und damit insoweit auch das Bedürfnis für den vorliegenden Antrag.
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Das von der Antragspartei im Hinblick auf die Dringlichkeit darüber hinaus vorgetragene Argument, es sei wesentlich für den Antragsteller, überprüfen zu können, ob der Antragsgegner den Vorgang der Beistandschaft mit Objektivität bearbeitet hat, greift schon deshalb nicht durch, da die Beistandschaft gemäß § 1714 BGB ohne jedwedes Zutun des Jugendamts kraft Gesetzes in dem Moment eintritt, in dem der entsprechende Antrag dem Jugendamt zugeht. Da das Jugendamt schon gar keinen Entscheidungsspielraum hat (vgl. Uhl in BeckOGK, 1.1.2024, BGB § 1714 Rn. 15), ihm mithin weder ein Vorprüfungs- noch ein Ablehnungsrecht (vgl. Walther in: Wiesner/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII §§ 55aF, 55 Rn. 34) zukommt, vermag sich ein Mangel an Objektivität unabhängig davon, ob ein solcher vorliegend zu befürchten wäre, schon gar nicht auszuwirken. In diesem Zusammenhang geht auch das Argument, dass die Beistandschaft gegenüber dem Antragsteller nicht nachgewiesen wurde, deshalb ins Leere, weil über die Beistandschaft mangels Bestellung keine Bestallungsurkunde ausgestellt wird, die dem Antragsteller vorgelegt werden könnte (vgl. v.SachsenGessaphe in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, BGB § 1714 Rn. 2).
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Andere Gründe für die Dringlichkeit der Einsicht in die Beistandschaftsakte wurden nicht vorgetragen. Auch ist nicht ersichtlich, welchen schweren Nachteilen der Antragsteller bei Versagung der begehrten Einsicht ausgesetzt sein würde.
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Im Übrigen dürfte der geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht nach § 25 SGB X bzw. Art. 29 VwVfG dem Antragsteller auch in der Sache nicht zu dem begehrten Erfolg verhelfen. Denn der Anspruch des Unterhaltspflichtigen auf Einsicht in die Beistandschaftsakten dürfte sich nach bürgerlichem Recht (§ 810 BGB) richten (vgl. bereits VG München, B.v. 14.10.2013 – M 18 K 13.953 – juris Rn. 4, 6; Dürbeck in: Staudinger, BGB, Stand: 2023, § 1715, Rn. 18; Fröschle in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 56 SGB VIII, Stand: 01.08.2022, Rn. 15) und im Übrigen nur einzelne, konkret benannte Dokumente, nicht jedoch eine umfassende Einsicht beinhalten. Ein öffentlich-rechtliches Verhältnis steht hingegen nicht Rede, da die Beistandschaftsakten das Verhältnis zwischen dem durch den Beistand vertretenen Kind und dem Kläger betreffen, sich mithin auf das unterhaltsrechtliche Verhältnis beziehen (vgl. OVG NRW, B.v. 28. September 2001 – 12 E 489/01 – juris Rn. 11, 13; VG München, B.v. 14.10.2013 – M 18 K 13.953 –, juris Rn. 7).
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.