Inhalt

VG München, Urteil v. 13.06.2024 – M 28 K 21.4505
Titel:

Straßenrecht, Heckenrückschnitt, Überhang, Grünstreifen, abstrakte Gefahr, Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs

Normenketten:
BayStrWG Art. 29
BayStrWG Art. 18b
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 2
Schlagworte:
Straßenrecht, Heckenrückschnitt, Überhang, Grünstreifen, abstrakte Gefahr, Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31527

Tenor

I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung zum Rückschnitt seiner Hecke.
2
Er ist neben seiner Ehefrau Miteigentümer des Grundstücks in der … …, … …, OT …, FlNr. ... (fortan stets: Gemarkung ….), welches im Süden an die …straße angrenzt. Auf der Grundstücksgrenze befindet sich eine – nach klägerischen Angaben – über 80 Jahre alte, ca. 3,00 m hohe Thujenhecke, welche entlang der südlichen Grundstücksgrenze ca. 1,50 m auf den nördlichen Grünstreifen der …straße hinausragt. Bei der …straße handelt es sich um eine ca. 6,00 m breite Gemeindestraße in der Baulast der Beklagten. Ein separater Fußweg besteht nicht. Im Bereich des klägerischen Grundstücks ist die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt und in westlicher Richtung besteht ein absolutes Halteverbot.
3
Mit Bescheid der Beklagten vom 11. August 2021, zugestellt am 14. August 2021, wurde der Kläger – nach Anhörung vom 1. Februar 2021 – verpflichtet, die Überhänge der Hecke, die aus seinem Grundstück in den öffentlichen Verkehrsraum hinauswachsen, bis auf die Grundstücksgrenze (FlNr. ...) zurückzuschneiden (Ziffer 1). Im Falle der Nichterfüllung dieser Verpflichtung bis spätestens zum 10. September 2021 wurde ein Zwangsgeld von 250,00 Euro angedroht und zur Zahlung fällig gestellt (Ziffer 2). Weiter habe der Kläger die Kosten des Verfahrens in Höhe von 50,00 Euro sowie Auslagen in Höhe von 3,45 Euro zu tragen (Ziffer 3). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass bei Ortsbegehungen am 3. März 2021 und am 22. Juli 2021 festgestellt worden sei, dass die Thujenhecke 1,70 m in den öffentlichen Verkehrsraum hineinrage. Hierbei handele es sich um eine unerlaubte Sondernutzung i.S.d. Art. 18, 18b BayStrWG. Überdies beeinträchtige der Überwuchs die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, da aufgrund der auf der gegenüberliegenden Seite parkenden Kraftfahrzeuge eine Restfahrbahnbreite von 3,75 m nicht mehr gewährleistet sei, was insbesondere mit Blick auf Einsatzfahrzeuge und den Winterdienst die Gefahr von Schäden berge. Dies stelle eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 66 Nr. 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dar. Zudem sei die …straße stark von ortsfremden Verkehrsteilnehmern frequentiert. Andere, gleich effektive Mittel seien nicht ersichtlich; die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis komme aufgrund der dargestellten Gefahren nicht in Betracht.
4
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 24. August 2021 Klage erhoben.
5
Nach Erhalt des streitgegenständlichen Bescheides sei die Hecke zuletzt am 27. Februar 2021 zurückgeschnitten worden, sodass die Freihaltung des Lichtraumprofils von mindestens 4,50 m gegeben sei. Ein Rückschnitt der Hecke auf die Grundstücksgrenze sei zudem nicht möglich, ohne die Hecke zu zerstören. Darüber hinaus erscheine die Heranziehung des Klägers willkürlich, da die Hecken benachbarter Grundstücke nicht beanstandet worden seien. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Straße an den benachbarten Grundstücken ohnehin deutlich enger sei, weil die entsprechenden Grundstücke unmittelbar an der geteerten Fläche der …straße angrenzen würden und dort kein Grünstreifen vorhanden sei. Weiter rage die Hecke lediglich auf den ohnehin nicht befahrbaren Grünstreifen. Die Hecke diene im Übrigen auch als Sichtschutz für die im Erdgeschoss befindlichen Kinderzimmer des klägerischen Anwesens. Weiter beruft sich der Kläger auf die Einrede der Verjährung sowie Verwirkung, weil die Beklagte in den letzten 80 Jahren nicht gegen die Hecke vorgegangen sei. Der Überwuchs könne auch nicht als unerlaubte Sondernutzung qualifiziert werden, da der Grünstreifen offensichtlich der Verkehrsnutzung entzogen sei. Zuletzt sei auch die Ermessensausübung der Beklagten fehlerhaft, da es sich um einen enteignungsgleichen Eingriff in das Privateigentum handele.
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In der am 5. Juni 2024 durchgeführten mündlichen Verhandlung hob die Beklagte die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt. Weiter ergänzte die Beklagte die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides wie folgt: „Diese Verpflichtung ist innerhalb von acht Wochen nach Bestandskraft dieses Bescheides zu erfüllen.“
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Der Kläger beantragt zuletzt,
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den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2021 in den Nummern 1 und 3, in der Fassung, die der Bescheid durch die Erklärungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2024 erhalten hat, aufzuheben.
9
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Eine etwaige Bestandsgefährdung der Hecke überwiege nicht die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

A.
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Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf Ziffer 2 des Bescheids vom 11. August 2021 war das Verfahren insoweit in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
B.
14
Soweit noch über die Klage bezüglich der Ziffern 1 und 3 des Bescheids zu entscheiden ist, ist sie zulässig, aber unbegründet.
15
Der Bescheid der Beklagten vom 11. August 2021 in der Fassung, die er durch die Erklärungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2024 erhalten hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
16
Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Anordnung zum Rückschnitt der Hecke auf die Grundstücksgrenze ist rechtmäßig.
17
1. Die Beklagte konnte die Anordnung auf Art. 29 Abs. 2 Satz 3 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) i.d.F. d. Bek. vom 5. Oktober 1981 (BayRS V S. 731, BayRS 91-1-B); zuletzt geändert durch § 1 Abs. 101 der Verordnung vom 4. Juni 2024 (GVBl. S. 98) stützen.
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a) Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG stellt für die streitgegenständliche Anordnung eine taugliche Rechtsgrundlage dar (aa), die sowohl in zeitlicher Hinsicht (bb) als auch mit Blick auf das von der Beklagten verfolgte Regelungsziel (cc) anwendbar ist.
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aa) Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG kann die Straßenbaubehörde die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG Verantwortlichen verpflichten, verbotene Anpflanzungen, die im Sinne des Satzes 1 die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen.
20
Bei der …straße handelt es sich um eine gemeindliche Ortsstraße, sodass das BayStrWG Anwendung findet, Art. 1 BayStrWG, und die Beklagte als örtlich zuständige Straßenbaubehörde tätig werden konnte, Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG, Art. 3 BayVwVfG.
21
bb) Dem steht nicht entgegen, dass der streitgegenständliche Bescheid bereits vor Inkrafttreten des Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG am 1. März 2023 erlassen wurde.
22
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in der hier vorliegenden Anfechtungssituation der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Decker in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2024, § 113 Rn. 22). Dem materiellen Fachrecht ist insoweit auch kein abweichender Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen.
23
Zwar wurde die Befugnisnorm in Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG erst mit Gesetz zur Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes und der Bayerischen Bauordnung vom 10. Februar 2023 (91-1-B, 2132-1-B, GVBl. 2023, S. 22) und damit vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides eingeführt. Die letzte Behördenentscheidung hat die Beklagte jedoch in der mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2024 getroffen, indem sie den streitgegenständlichen Bescheid abänderte.
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cc) Der Anwendbarkeit der Norm steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid primär auf Art. 18b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG gestützt hat.
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Denn insoweit liegen jedenfalls die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts etablierten Voraussetzungen für den Austausch der Rechtsgrundlage vor.
26
Das Gericht ist, wenn es zu der Erkenntnis kommt, dass der Verwaltungsakt zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt ist, im Hinblick auf § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, verpflichtet zu prüfen, ob (und ggf. in welchem Umfang) der Bescheid mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann, sofern der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm nicht in seinem Wesen verändert wird (BVerwG, B.v. 29.7.2019 – 2 B 19.18 – NVwZ-RR 2020, 113 Rn. 24; BayVGH, 23.7.2020 – 14 B 18.1472 – juris). Die Angabe einer unrichtigen Rechtsgrundlage führt als solches nicht zu einem Verstoß gegen Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG, weil aus dieser Vorschrift lediglich eine formelle Begründungspflicht, nicht aber eine Pflicht zur objektiv richtigen Begründung folgt. Solange der Inhalt der Regelung als solcher nicht geändert wird, bedarf es auch keiner Umdeutung nach Art. 47 BayVwVfG (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1980 – 4 B 67.80 – juris Rn. 6; B.v. 29.7.2019 – 2 B 19.18 – NVwZ-RR 2020, 113 Rn. 24 m.w.N.; BayVGH, 23.7.2020 – 14 B 18.1472 – juris).
27
Hinsichtlich des Kriteriums der Wesensveränderung ist zwischen gebunden Verwaltungsakten und Ermessensverwaltungsakten zu unterscheiden. Wohingegen bei gebundenen Verwaltungsakten eine inhaltlich fehlerhafte Begründung (auch) zur zugrundeliegenden Rechtsgrundlage von vornherein grundsätzlich nicht schadet, bestehen bei Ermessensentscheidungen engere Grenzen. Für die Frage einer Wesensänderung durch ein Auswechseln der Rechtsgrundlage durch das Gericht bei Ermessensentscheidungen gelten strengere Anforderungen; insoweit sind die Zielsetzungen und die Voraussetzungen der im Bescheid gewählten und der tatsächlich einschlägigen Norm in den Blick zu nehmen, wobei insoweit die Anforderungen an ein Nachschieben von Gründen entsprechend gelten (NdsOVG, U.v. 1.4.2008 – 4 LC 59.07 – juris Rn. 43; OVG Hamburg, U.v. 11.4.2013 – 4 Bf 141/11 – juris Rn. 92; OVG Saarl, B.v. 7.8.2013 – 3 A 295/13 – juris Rn. 10 f. m.w.N.). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zieht die Grenze der Wesensänderung dort, wo ein Nachschieben von Gründen nicht mehr möglich ist (BVerwG, B.v. 27.1.1982 – 8 C 12/81 – juris Rn. 12 m.w.N.), d.h., wenn dem Bescheid dann eine anderweitige rechtliche Begründung oder andere Tatsachen zugrunde gelegt werden müsste.
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Ausweislich der Bescheidsbegründung, an der die Beklagte auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich festhielt und diese noch weiter vertiefte, dient die Anordnung der Verhinderung von Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch die klägerische Hecke. Dementsprechend zitiert die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid auch die bußgeldbewehrte Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Weiter setzt sich die Beklagte mit den aus der überwuchsbedingten Fahrbahnverengung resultierenden Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auseinander, sodass die Heranziehung des Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG weder zu einer Wesensänderung der streitgegenständlichen Anordnung noch der zu ihrer Begründung angestellten Erwägungen führt.
29
b) Die Voraussetzungen für die Anordnung des Heckenrückschnitts nach Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG lagen vor.
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aa) Bei der Thujenhecke handelt es sich um eine Anpflanzung im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG.
31
Unbeachtlich ist insoweit, ob die Hecke sich tatsächlich – wie vom Kläger behauptet – bereits seit 80 Jahren auf dem klägerischen Grundstück befindet. Das Tatbestandsmerkmal des „Anlegens“ findet auch auf solche Anpflanzungen Anwendung, die erst nach dem Inkrafttreten der Norm, wie hier etwa durch das stetige „Hineinwachsenlassen“ in den öffentlichen Straßengrund, die nach Satz 1 verbotene Wirkung erlangen (Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 29 Rn. 26). Unerheblich ist insoweit auch, ob die Hecke zum Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks bereits über die Grundstücksgrenze hinaus auf den Grünstreifen gewachsen war und ob mit der Anlage der Pflanzung die Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bezweckt war, denn entscheidend ist, dass die Hecke in den öffentlichen Straßengrund hineinragt (BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 20).
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bb) Von der Hecke des Klägers geht auch eine Beeinträchtigung für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aus.
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(1) Das Tatbestandsmerkmal der „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG bedeutet, dass kein Verkehrsteilnehmer (Kraftfahrer, Fußgänger usw.) gefährdet (Aspekt Sicherheit) oder mehr als nach den Umständen unvermeidlich behindert oder belästigt (Aspekt Leichtigkeit) werden soll. Die Sicherheit hat also die Abwendung von Gefahren für den Verkehr und von diesem, die Leichtigkeit den möglichst unbehinderten Verkehrsfluss im Blick (BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 12 m.w.N.). Während der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund von Art. 14 GG, Art. 103 BV eine abstrakte Gefahr für diese Schutzgüter zunächst nicht genügen ließ (vgl. U.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 24), wird die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung mit Blick auf den Wortlaut der Norm („beeinträchtigen kann“) und ihre Entstehungsgeschichte in der jüngeren Rechtsprechung als ausreichend erachtet (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 11.11.2019 – 8 ZB 19.1855 – juris Rn. 10).
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Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter an. Denn das Erfordernis einer konkreten Gefahr würde die Voraussetzungen des Art. 29 BayStrWG mit Blick auf den hiermit verfolgten Schutzzweck der Sicherstellung angemessener Sicherverhältnisse und der Vermeidung von Verkehrsgefährdungen ersichtlich überspannen. Vielmehr ist im Einzelfall auf Grund der gegebenen Umstände festzustellen, ob eine Gefahrenlage besteht, die über das hinausgeht, was der Verkehrsteilnehmer „überall“ hinnehmen muss (Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 29 Rn. 24).
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(2) Unter Anwendung dieses Maßstabs ist davon auszugehen, dass die Überhänge der klägerischen Hecke in den öffentlichen Straßengrund zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs führen.
36
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die klägerische Thujenhecke auf einer Länge von ca. 25,00 m etwa 1,50 m in den Grünstreifen der …straße hineinragt und diesen damit fast gänzlich der Benutzung durch den öffentlichen Straßenverkehr entzieht. Der verbleibende asphaltierte Fahrbahnbereich weist auf Höhe des klägerischen Grundstücks eine Restbreite zwischen 5,80 und 6,00 m auf. Die …straße ist beidseitig befahrbar und dient neben dem Anliegerverkehr auch als Zufahrtsstraße zu einer weiter westlich gelegenen Badestelle am Starnberger See sowie einer Jugendfreizeiteinrichtung.
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Zunächst ist insoweit festzuhalten, dass es sich bei dem Grünstreifen – entgegen der Auffassung des Klägers – gemäß Art. 2 Nr. 1 Buchst. b) BayStrWG um einen Randstreifen und damit um einen Bestandteil der …straße handelt. Randstreifen (Bankette) sind zwar nicht zum regelmäßigen Befahren oder Begehen gedacht, sollen jedoch die volle Ausnutzung der Fahrbahnbreite ermöglichen und abirrende oder langsam ausweichende Fahrzeuge sichern. Sie geben Raum für die Straßenunterhaltung und zur Aufstellung von Leiteinrichtungen und Verkehrszeichen (Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 2 Rn. 36).
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Anhand der von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder, der im „BayernAtlas“ verfügbaren Luftbilder (Stand 2024) sowie der in „Google Street View“ abrufbaren Lichtbildaufnahmen (Stand September 2023) ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass der Grünstreifen, die ihm zugedachte Funktion aufgrund des Überhangs der klägerischen Hecke nicht mehr erfüllen kann und hierdurch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt wird.
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Aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse kommt es dabei – gerade wegen des Fehlens des Grünstreifens als Ausweichfläche – nicht nur zu Gefährdungen im Begegnungsverkehr von Kraftfahrzeugen, sondern auch zu Gefahren für die körperliche Integrität von Fußgängern.
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Dies ergibt sich daraus, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkende Kraftfahrzeuge die für den fließenden Verkehr zur Verfügung stehende Fahrbahn regelmäßig weiter verengen. Hinzu kommt, dass es in dem streitgegenständlichen Bereich keinen von der Fahrbahn abgesetzten Gehweg gibt und Fußgänger, zu denen nach dem Vortrag des Klägers auch Schulkinder zählen, damit in besonderem Maße den Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs ausgesetzt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die …straße aufgrund der westlich gelegenen Badestelle und der Jugendfreizeiteinrichtung – insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig – erheblich stärker als eine gewöhnliche Anliegerstraße frequentiert wird. Dabei handelt es sich häufig auch um ortsunkundige Personen, wie beispielsweise Badegäste oder den Hol- und Bringverkehr zu der Jugendfreizeiteinrichtung. Zuletzt ist auch der Umstand, dass sich das Feuerwehrhaus der freiwilligen Feuerwehr Allmannshausen östlich des klägerischen Grundstücks befindet, insoweit zu berücksichtigen, als die Ausweisung der Badestelle nach dem glaubhaften – und vom Kläger unwidersprochenen – Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu einer erhöhten Zahl erforderlicher Einsatzfahrten von und zum Starnberger See geführt hat, sodass die Freihaltung des Grünstreifens für etwaig erforderliche Ausweichmanöver dringend geboten erscheint.
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c) Die Beklagte hat die Anordnung auch gegen den richtigen Adressaten gerichtet. Der Kläger ist Miteigentümer des Grundstücks FlNr. ..., auf dem sich die Hecke befindet und von dort aus in den öffentlichen Straßengrund auf FlNr. ... hinüberragt. Er ist somit „Verantwortlicher“ i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG.
42
Dem steht nicht entgegen, dass gegenüber der Ehefrau des Klägers und Miteigentümerin des Grundstücks FlNr. ... seitens der Beklagten bislang keine Duldungsverfügung erging. Denn deren Fehlen stellt nach überwiegender Auffassung zwar ein Vollzugshindernis dar, lässt die Rechtmäßigkeit der Rückschnittsanordnung im Übrigen aber unberührt (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.1972 – IV C 42.69 – juris Rn. 31; Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 29 Rn. 34; kritisch zu dem Erfordernis einer Duldungsverfügung Michl in NVwZ 2014, 1206).
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d) Die Beklagte hat von der Befugnisnorm auch ermessensgerecht Gebrauch gemacht, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere ist die Rückschnittsverpflichtung verhältnismäßig.
44
Ausweislich der Bescheidsbegründung hat die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und die öffentlichen Interessen (Verkehrssicherheit) mit den berührten privaten Belangen, insbesondere Art. 14 GG, zutreffend abgewogen.
45
Der geforderte Rückschnitt der Thujenhecke bis auf die Grundstücksgrenze ist geeignet und erforderlich, eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der …straße vor dem Anwesen der Klagepartei zu verhindern und den unmittelbar an das klägerische Grundstück angrenzenden Grünstreifen in seiner vollen und für die Verkehrsteilnehmer erforderlichen Breite wieder zur Verfügung zu stellen.
46
Mildere, gleich geeignete Mittel, um sicherzustellen, dass der Grünstreifen im Bereich des klägerischen Grundstücks den Verkehrsteilnehmern als Ausweichfläche zur Verfügung steht, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um eine Sondernutzung handelt (siehe hierzu B. I. 3.), in Anbetracht der aus den Überhängen resultierenden Beeinträchtigungen für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht möglich.
47
Dass der Kläger durch die Rückschnittsverpflichtung nunmehr willkürlich und in einer gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstoßenden Weise in Anspruch genommen würde, wurde weder substantiiert vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Gerade im Vergleich zu den umgebenden Nachbargrundstücken ist auf Flurkarten und Luftbildern erkennbar, dass die klägerische Hecke den öffentlichen Straßengrund deutlich stärker in Anspruch nimmt als dies bei den übrigen Grundstücken – wenn überhaupt – der Fall ist. Insoweit ist auch festzuhalten, dass es sich bei der Anordnung gegen den Kläger nicht um die einzige Maßnahme der Beklagten handelt, um den Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der …straße zu begegnen. So wurden in der Vergangenheit eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h und ein absolutes Halteverbot entlang der klägerischen Grundstücksgrenze angeordnet.
48
Auch der klägerseits gerügte Eingriff in Art. 14 GG führt ebenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Rückschnittsanordnung. Zwar beeinträchtigt die Anordnung das Miteigentum des Klägers, da die Hecke wesentlicher Bestandteil des klägerischen Grundstücks ist (§ 94 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG) und der über einen bloßen Form- und Pflegeschnitt hinausreichende Rückschnitt einen Substanzverlust, der nach dem klägerischen Vortrag bis zum völligen Absterben der Hecke führen kann, nach sich zieht. Der behördlich angeordnete Eingriff in das Eigentum wird allerdings durch gegenläufige Schutzgüter von Verfassungsrang als Schranken-Schranke gerechtfertigt, zu denen über Art. 2 Abs. 2 GG auch Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG gehören. Zudem stellt die Straße im Sinne des Art. 1, Art. 2 und Art. 6 BayStrWG als dem Gemeingebrauch des Verkehrs gewidmete öffentliche Sache einen wesentlichen Verkehrsmittler und damit ein ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Infrastrukturgut dar. Sie wird von der Allgemeinheit für die Allgemeinheit zum Gemeingebrauch zur Verfügung gestellt. Ihre Funktionstüchtigkeit liegt daher im öffentlichen Interesse (VG Augsburg, B.v. 1.6.2022 – Au 6 22.459 – juris Rn. 41).
49
Vor diesem Hintergrund überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs das private Interesse des Klägers an der Erhaltung der Thujenhecke. Insoweit kommt auch zum Tragen, dass jedenfalls der verbotswidrige Überwuchs im Regelfall keinen Eigentumsschutz erlangt (VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 – juris Rn. 31). Angesichts der überragend wichtigen, konkurrierenden Verfassungsgüter, insbesondere Art. 2 Abs. 2 GG, ist es dem Kläger zumutbar, den von ihm begehrten Lärm- und Sichtschutz im Rahmen der örtlichen Einfriedungssatzung innerhalb der eigenen Grundstücksgrenzen zu verwirklichen.
50
Zuletzt ist auch die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gesetzte Frist von acht Wochen ab Bestandskraft des Bescheides hinreichend lang bemessen, um der der Rückschnittsverpflichtung nachzukommen, sodass die Ziffer 1 auch in zeitlicher Hinsicht verhältnismäßig ist.
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2. Im Übrigen konnte die Beklagte die Ziffer 1 auch auf Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 LStVG stützen.
52
Schon vor der Einführung einer gesonderten Befugnisnorm zugunsten der Straßenbaubehörde, war anerkannt, dass die Sicherheitsbehörden drohenden Verstößen gegen die bußgeldbewehrte Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG durch Anordnungen nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 LStVG begegnen können (vgl. etwa LT-Drs. 18/24629 S. 15), was ausweislich Art. 29 Abs. 2 Satz 4 BayStrWG auch weiterhin möglich bleibt.
53
Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG können die Sicherheitsbehörden (Art. 6 LStVG), hier also die Beklagte, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen für den Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung treffen, um rechtswidrige Taten zu verhüten oder zu unterbinden, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. Da beim kommt es ausschließlich darauf an, ob die zu verhütende oder zu unterbindende Handlung in rechtswidriger Weise den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Die Anordnung setzt kein Verschulden des Handelnden, also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit voraus. Neben dem Zweck des Sicherheitsrechts, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten (Art. 6 LStVG), ergibt sich dies auch daraus, dass ein schuldhaftes Verhalten bei einer zu verhütenden, also noch nicht begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch gar nicht feststehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 22 ff.; BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 11 ZB 16.2376 – juris Rn. 9).
54
Die Zuwiderhandlung gegen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 stellt gem. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG eine Ordnungswidrigkeit dar.
55
Der Kläger ist auch richtiger Adressat der Anordnung, da er hinsichtlich des „Weiterwachsenlassens“ Handlungsstörer und zudem auch Zustandsstörer ist, da die Beeinträchtigung von seinem Grundstück ausgeht (VG Augsburg, B.v. 1.6.2022 – Au 6 22.459 – juris Rn. 37).
56
In der Sache ergeben sich im Vergleich zu Art. 29 BayStrWG darüber hinaus keine strengeren Eingriffsvoraussetzungen (noch zur alten Rechtslage vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2017 – 8 ZB 15.1428 – juris Rn. 14), sodass bezüglich der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auf die vorherigen Ausführungen verwiesen werden kann.
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3. Letztlich muss damit auch nicht mehr entschieden werden, ob die Beklagte die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides darüber hinaus auch auf Art. 18b Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BayStrWG stützen konnte.
58
Ob es sich bei einer von einem Privatgrundstück in den öffentlichen Straßenraum hineinragenden Anpflanzung um eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung i.S.d. Art. 18 BayStrWG handelt, ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bislang noch nicht abschließend geklärt (eine unerlaubte Sondernutzung ablehnend VG Braunschweig, U.v. 18.6.2014 – 6 A 242/13 – juris; VG Koblenz, U.v. 8.8.2008 – 4 K 1831/07.KO – juris; bejahend VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 – Rn. 17 m.w.N; OVG NW, B.v. 21.7.2009 – 11 A 701/07 – juris Rn. 20 und B.v. 10.06.1999 – 23 B 844/99 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 2.12.2010 – 16 K 4495/09 – juris Rn. 41; VG Augsburg, U.v. 21.11.2012 – Au 6 K 12.1168 – juris Rn. 26; offengelassen BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 10).
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Während für das Vorliegen einer Sondernutzung sprechen mag, dass eine „Bagatellgrenze“ hinsichtlich der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs nicht besteht und dass – von Extremfällen abgesehen – bereits ein geringfügiges Hineinragen in den Straßenraum auch ohne konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Erlaubnispflicht auslöst (vgl. hierzu m.w.N. VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 –, juris Rn. 19), so ist mit Blick auf die bayerische Rechtslage zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG nunmehr eine eigenständige und wohl auch speziellere Rechtsgrundlage für eben jene Sachverhaltskonstellationen geschaffen hat. Im Ergebnis würden die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG jedoch nicht unterlaufen, da auch im Rahmen der Anordnung nach Art. 18b BayStrWG die konkreten örtlichen Verhältnisse sowie die Auswirkungen der Sondernutzung auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen wären, was dafür spräche beide Normen nebeneinander zur Anwendung zu bringen.
II.
60
Die Ausübung der dargestellten Befugnisse durch die Beklagte war vorliegend weder verjährt noch verwirkt.
61
Die seitens des Klägers vorgebrachte Einrede der Verjährung kommt vorliegend nicht in Betracht, da es sich bei dem „Hineinwachsenlassen“ von Anpflanzungen in den Straßenbereich um einen Dauervorgang handelt (vgl. Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Januar 2023, Art. 29 Rn. 28), sodass der Anspruch auf Beseitigung wegen der Störung des Verkehrs im Straßenraum immer wieder neu entsteht (VG Augsburg, Urteil vom 30. Juli 2019 – Au 8 K 19.673 – juris Rn. 29; VG Augsburg, B.v. 1.6.2022 – Au 6 22.459 – juris Rn. 38).
62
Ebenso wenig ist die Anordnung des Rückschnitts verwirkt. Der Einwand der Verwirkung ist in der Rechtsprechung seit langem als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung anerkannt. Für die Annahme eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) reicht der bloße Zeitablauf indes nicht aus; hinzukommen muss vielmehr, dass der Schuldner dem Verhalten des Gläubigers, das zur verspäteten Geltendmachung des Anspruchs geführt hat, entnehmen musste, dass dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen wollte, wenn sich also der Schuldner darauf einrichten durfte, dass er mit diesem Anspruch nicht mehr zu rechnen brauche, und sich darauf auch eingerichtet hat (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2018 – 3 B 24.18 – juris Rn. 14; BVerfG, B.v. 26.1.1972 – 2 BvR 255/67 – juris Rn. 18). Die Frage, ob eine Verwirkung vorliegt, ist im Einzelfall auf Grundlage einer Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände zu beantworten (BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – juris Rn. 12; U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 31).
63
Ob ein solcher Vertrauenstatbestand angesichts des natürlichen Wachstums der Hecke und dem danach divergierenden Gefährdungsgrad der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hier überhaupt in Betracht kommt, kann offenbleiben. Denn jedenfalls hat die Beklagte den erforderlichen Vertrauenstatbestand nicht geschaffen. Vielmehr hat sie den Kläger spätestens seit 2019 mehrfach zum Rückschnitt der Hecke aufgefordert.
64
Dem steht auch nicht entgegen, dass es nach dem klägerischen Vortrag 2009 mehrere Ortstermine mit Vertretern der Beklagten sowie im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einen Augenscheinstermin auf seinem Grundstück gegeben habe. Denn weder hat der Kläger dargelegt noch lässt sich der Niederschrift vom 22. Oktober 2009 entnehmen, dass bei diesen Terminen die streitgegenständliche Hecke thematisiert worden wäre. Vielmehr ging es um die Frage, ob sich das auf dem klägerischen Grundstück geplante Gebäude in die nähere Umgebung einfügen würde. Hieraus konnte der Kläger jedoch nicht schutzwürdiger Weise schließen, dass damit gewissermaßen konkludent auch die damals bereits auf dem Grundstück befindliche Hecke abgenommen bzw. geduldet worden wäre.
III.
65
Da sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides als rechtmäßig erwiesen hat, bestehen auch hinsichtlich der Kostenentscheidung in Ziffer 3 keine rechtlichen Bedenken.
C.
66
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; im Hinblick auf die Teileinstellung bezüglich Ziffer 2 des Bescheids entsprach es billigem Ermessen, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die Kosten ebenfalls dem Kläger aufzuerlegen.
67
Zwar hätte der Kläger hinsichtlich der Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides ohne die Aufhebungserklärung und die insoweit daraus resultierende Erledigung des Rechtsstreits aller Voraussicht nach obsiegt, da die Zwangsgeldandrohung aufgrund der fehlenden Duldungsverfügung gegenüber der Ehefrau des Klägers und Miteigentümerin des Grundstücks FlNr. ... rechtswidrig war. Darüber hinaus war der Bescheid bei ursprünglichem Fristablauf auch noch nicht vollziehbar (BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 8 CS 22.1578 – juris Rn. 33).
68
Allerdings handelt es sich bei der Zwangsgeldandrohung lediglich um eine untergeordnete Nebenentscheidung, die im Übrigen aufgrund von Mängeln aufgehoben wurde, die seitens des Klägers nicht gerügt wurden (vgl. VG Bayreuth, B.v. 17.7.2014 – B 1 S 14.412 – juris Rn. 31), sodass es ermessensgerecht erscheint, dem Kläger auch insoweit die Kosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO aufzuerlegen (vgl. zur Frage des Geringfügigkeit BVerwG, U.v. 29.11.1988 – 1 C 75/86 – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 25.10.2017 – 21 CS 17.1077 – juris Rn. 16).
D.
69
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.