Titel:
Einstweilige Anordnung (Stattgabe), Hilfe für junge Volljährige, Stationäre Unterbringung im teilbetreuten Einzelwohnen, Bedarfsermittlung, Hilfeplanverfahren, Vorrang der Jugendhilfe
Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 10
SGB VIII § 34
SGB VIII § 13
SGB VIII § 35a
SGB VIII § 36
SGB VIII § 41
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Stattgabe), Hilfe für junge Volljährige, Stationäre Unterbringung im teilbetreuten Einzelwohnen, Bedarfsermittlung, Hilfeplanverfahren, Vorrang der Jugendhilfe, Jugendhilfe
Fundstellen:
ASR 2024, 228
BeckRS 2024, 24616
LSK 2024, 24616
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, unverzüglich den aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin im Rahmen eines Hilfeplanverfahrens zu ermitteln und gezielte Hilfemaßnahmen festzulegen.
II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 19. August 2024 vorläufig bis zu einer auf der Grundlage des nach vorstehendem Absatz erstellten Hilfeplans ergehenden Entscheidung längstens jedoch bis zum 19. Februar 2025 Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII in Form des teilbetreuten individuellen Wohnens im Marie-Luise-Schattenmann-Haus in München zu bewilligen.
III. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr weiterhin Hilfe für junge Volljährige in Form des teilbetreuten individuellen Wohnens zu gewähren.
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Der am 14. August 2003 geborenen Antragstellerin wurde durch die Antragsgegnerin erstmals mit Bescheid vom 9. Januar 2019 Eingliederungshilfe in Form von stationärer Unterbringung gemäß § 35a SGB VIII ab 2. Januar 2019 gewährt. In unmittelbarem Anschluss daran gewährte die Antragsgegnerin ab 1. September 2020 gemäß § 27 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII der Mutter der Antragstellerin Hilfe zur Erziehung für die Antragstellerin in Form von teilbetreutem individuellem Wohnen in dem Wohnheim S. Mit Bescheid vom 20. August 2021 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Fortsetzung der bisher gewährten Hilfe in gleicher Form als Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII vom 14. August 2021 bis längstens 13. August 2024.
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Die Antragstellerin erreichte im Sommer 2022 ihren mittleren Schulabschluss und besucht seither die Fachoberschule.
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Am 21. März 2023 erfolgte wohl ein Hilfeplangespräch. Hinsichtlich der aktuellen Situation im Hilfeverlauf wird in dem Protokoll der Antragsgegnerin hierzu ausschließlich auf einen Bericht verwiesen, mit welchem wohl ein Hilfeprozessbericht der Einrichtung S. vom 30. November 2022 gemeint ist. Ergänzend wird ausgeführt, dass es im Gespräch um Änderungen und Korrekturen in den Zielformulierungen gegangen sei. Im nächsten Hilfeplan werde besprochen, ob eine Wohnform nach § 13 Abs. 3 SGB VIII nach dem 21. Geburtstag gewünscht werde.
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Ein weiterer Hilfeprozessbericht der Einrichtung S. vom 20. Juli 2023 führt zusammenfassend aus, dass der langfristige Verbleib der Antragstellerin im aktuellen Setting als sehr passend angesehen und befürwortet werde, dass die Antragstellerin den aktuellen Rahmen weiterhin nutze, um ihren Weg schulisch und privat mit passender Unterstützung zu gehen. So könne die junge Frau ihre Fähigkeiten im sozialen Bereich weiter entdecken und ausbauen. Für die weitere innere Nachreifung und eine berufliche Orientierung in die Zukunft sehe man die Antragstellerin noch längerfristig in Betreuung in dem für sie passenden, teilbetreuten Rahmen. Man beobachte immer wieder große Fortschritte bei der jungen Frau.
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Mit E-Mail vom 3. August 2023 wandte sich die Einrichtung S. an die Antragsgegnerin und bat unter rechtlichen Ausführungen zur geänderten Gesetzeslage darum, eine Verlängerung der Hilfe für die Antragstellerin über den 21. Geburtstag hinaus bis zu ihrem Schulabschluss, voraussichtlich im Juli 2025, zu ermöglichen. Die Antragstellerin weise einen vordergründigen und offensichtlichen Bedarf auf, welcher im Rahmen der Jugend- und nicht der Eingliederungshilfe zu decken sei. Dies würden vor allem die vielen positiven Schritte der Antragstellerin in den letzten Jahren und der Punkt in ihrem Leben, an welchem sie nun stehe, zeigen. Es gehe um Nachreifung, Ausgleich von fehlenden Unterstützungsbedarfen in der Familie, das Erreichen eines Schulabschlusses, die Entwicklung von beruflichen Perspektiven und den Ausbau und Festigung von Sozialkontakten.
7
In einer internen E-Mail der Fachkraft der Antragsgegnerin vom 4. August 2023 wird ausgeführt, dass man sich intern einig sei, dass die Hilfe nicht über das 21. Lebensjahr hinaus verlängert werden solle, weil der Schulabschluss erst ca. ein Jahr später sein werde. Die Voraussetzungen für eine Hilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII lägen nicht vor. Ein Eingliederungsbedarf nach § 41 SGB VIII i.V.m. § 35a SGB VIII könne zwar nicht ausgeschlossen werden, aber die Antragstellerin verweigere entsprechende Testungen. Eine Weiterführung der Hilfe durch den Bezirk ab dem 21. Lebensjahr scheide daher aus. Nun habe die Einrichtung eine lange E-Mail gesandt, sodass man das, für den heutigen Tag vereinbarte, Hilfeplangespräch abgesagt habe. Die in der E-Mail erwähnten „Einzelfallprüfungen“ ab dem 21. Lebensjahr seien nicht bekannt.
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Der weitere Verlauf lässt sich den vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen.
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Am 12. März 2024 übersandte die Fachkraft der Antragsgegnerin der Einrichtung S. die Anzeige über einen freien Platz in einem teilbetreuten Wohnen nach § 13 Abs. 3 SGB VIII ab 1. April 2024 und bat darum, dies mit der Antragstellerin zu besprechen. Bei Fragen könne sich die Antragstellerin gerne bei ihr melden.
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Mit E-Mail vom 14. März 2024 teilte die Einrichtung S. mit, dass sich die Antragstellerin und die Einrichtung einen gemeinsamen Termin mit der Fachkraft der Antragsgegnerin wünschen würden, worauf die Fachkraft der Antragsgegnerin darauf hinwies, dass zur Vorbereitung des Gesprächs ein Motivationsschreiben der Antragstellerin erforderlich sei. Dieses übersandte die Einrichtung der Antragsgegnerin mit E-Mail vom 8. April 2024.
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Mit E-Mail vom 9. April 2024 sagte die Fachkraft der Antragsgegnerin den vereinbarten Termin vom 16. April 2024 ab. Man könne persönlich nicht weiterhelfen und habe den Sachverhalt den Führungskräften und der Steuerung der Antragsgegnerin übergeben, hier liege die Entscheidungsbefugnis, wie weiter verfahren werde. Das Angebot, eine betreute Wohnform nach § 13 Abs. 3 SGB VIII unverbindlich anzuschauen, bestehe weiter. Oder die Antragstellerin hole „wie letztes Jahr besprochen ein fachärztliches Gutachten ein“, welches die ADHS und daraus resultierende Problematiken schriftlich bestätigte, sodass möglicherweise über die Finanzierung des Bezirkes ein Verbleib in der Einrichtung S. möglich sei.
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Mit E-Mail vom 16. April 2024 bat die Fachkraft der Antragsgegnerin die Antragstellerin um weitere Informationen als Ergänzung zu dem Motivationsschreiben, worauf die Antragstellerin mit E-Mail vom 23. April 2024 antwortete.
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Am 2. Mai 2024 fand offenbar ein Gespräch ausschließlich zwischen der Fachkraft der Antragsgegnerin und der Antragstellerin statt. Die Antragstellerin übergab hierbei einen ärztlichen Bericht zur Klärung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX für den Träger der Eingliederungshilfe vom 15. Februar 2024, in welchem eine seelische Behinderung bejaht wird, und teilte mit, dass zwischenzeitlich auch ein Antrag beim Bezirk eingereicht worden sei. Entsprechend dem Aktenvermerk der Antragsgegnerin über das Gespräch, sei der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass man weiterhin keine Anhaltspunkte für einen Eingliederungshilfebedarf sehe und das Angebot nach § 13 Abs. 3 SGB VIII weiterbestehe. Des Weiteren wird festgehalten, dass die Antragstellerin mitgeteilt habe, dass ihre Noten sich verschlechtert hätten, sie nicht wisse, wie es nach dem Schulabschluss weitergehe, und auch ihre Wohnsituation und Sicherung ihrer finanziellen Grundlagen noch nicht klar seien.
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Mit E-Mail vom 8. Mai 2024 der Fachkraft der Antragsgegnerin an die Einrichtung S. teilte diese mit, dass die psychiatrische Stellungnahme nunmehr alles ändere. Jugendhilfe nach § 34 SGB VIII werde definitiv ab dem Geburtstag nicht mehr gezahlt. Man bitte um Mitteilung, ob die Antragstellerin in der Einrichtung „im Rahmen der Bezirkszulassung“ bleiben könne und in welcher Maßnahme. Die Unterlagen seien bereits an den Bezirk geschickt. Man habe vielleicht eine Chance, dass es noch klappe.
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Mit Schreiben vom 21. Juni 2024, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 24. Juni 2024, beantragte die Antragstellerin nochmals unter umfangreichen Ausführungen die Verlängerung der Hilfe nach § 34 SGB VIII. Nach ihrem Schulabschluss im Juli 2025 könne sie sich einen Wechsel in eine § 13 Abs. 3 SGB VIII-Maßnahme oder ins einzelbetreute Wohnen vorstellen. Sie bitte schnellstmöglich um eine Hilfeplanung.
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Mit E-Mail vom 8. Juli 2024 teilte der Bezirk der Antragsgegnerin auf Nachfrage mit, dass ein Antrag der Antragstellerin auf Hilfeleistung gestellt worden sei und sich derzeit in der Antragsprüfung befinde.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 12. Juli 2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Hilfe für die Zeit ab 14. August 2024 ab. Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass der Antragstellerin im Gespräch am 2. Mai 2024 dargelegt worden sei, welche Anschlussmaßnahmen im Rahmen der Jugendhilfe aus fachlicher Sicht möglich seien, da die Jugendhilfe nach § 41 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII am 13. August 2024 mit Erreichen des 21. Lebensjahres ende und nur in begründeten Ausnahmefällen für einen geringfügigen Übergangszeitraum möglich sei. Bereits im Hilfeplangespräch im März 2023 habe man darauf hingewiesen, dass eine weitere stationäre Unterbringung nur mit einer Maßnahme nach § 13 Abs. 3 SGB VIII möglich sei. Die Voraussetzungen hierfür seien erfüllt. Von Seiten der Antragstellerin habe es seit einem Jahr keinerlei Kooperation gegeben, überhaupt alternative Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wiederholt sei die Antragstellerin auf eine Antragstellung beim Bezirk hingewiesen worden.
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Am 23. Juli 2024 fand wohl ein Hilfegespräch statt. Entsprechend dem Aktenvermerk der Fachkraft der Antragsgegnerin hierüber, sei die Antragstellerin in den Hilfeplangesprächen 2023 und 2024 informiert worden, dass für eine Übergabe an den Bezirk ein psychiatrisches Gutachten vorliegen müsse. Nach dem aktuell dem Bezirk ein Antrag vorliege, sei eine weitere Leistung im Rahmen der Jugendhilfe nicht mehr zu leisten. Die Angaben der Antragstellerin zu der Frage, welche Ziele sie mit der Verlängerung der Hilfe zu erreichen gedenke, würden sich nach wie vor gleichbleibend darstellen wie schon zu Beginn der Hilfe. Die Einschätzung der Antragstellerin, in kurzer Zeit diesen Entwicklungsprozess zu vollenden, decke sich nicht mit den Einschätzungen der Antragsgegnerin. Damit stehe diese Maßnahme als geeignete Hilfe infrage. Die Jugendhilfe könne nur eine Hilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII anbieten.
19
Mit Schreiben vom 24. Juli 2024, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 30. Juli 2024, legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Juli 2024 ein.
20
Mit Schriftsatz vom 8. August 2024, eingegangen am 19. August 2024, beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München:
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1. Der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juli 2024 wird aufgehoben.
22
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII in Verbindung mit § 34 SGB VIII auch über das 21. Lebensjahr hinaus zu gewähren.
23
3. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird angeordnet.
24
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die Ablehnung der Antragsgegnerin auf einer internen Dienstanweisung beruhe. Diese berücksichtige nicht die rechtlichen Anforderungen und individuellen Umstände, die im SGB VIII geregelt seien. Die Ablehnung berücksichtige nicht hinreichend ihre individuelle Situation und die Notwendigkeit einer fortgesetzten Unterstützung über das 21. Lebensjahr hinaus. Sie befinde sich mitten in vielen Entwicklungsschritten, die eine kontinuierliche Unterstützung erfordern würden. Die Beendigung der Hilfe gefährde die bisherigen Teilerfolge und den anstehenden Schulabschluss erheblich. Die fortgesetzte Unterstützung in dem vertrauten Umfeld sei von zentraler Bedeutung für Ihre persönliche, schulische und psychosoziale Entwicklung.
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Mit Schreiben vom 20. August 2024 teilte das Gericht den Parteien mit, dass der Antrag sachgerecht nach § 88 VwGO ausschließlich als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO ausgelegt werde, mit dem Ziel, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, für einen Übergangszeitraum die begehrte Hilfe weiterhin zu bewilligen.
26
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und beantragte mit Schriftsatz vom 26. August 2024, eingegangen am 27. August 2024,
27
den Antrag abzulehnen.
28
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zweifelhaft sei. Die Antragstellerin sei weiterhin in der Einrichtung untergebracht. Falls ein entsprechendes Übereinkommen zwischen der Antragstellerin und der Einrichtung bestehen solle, dass diese bis zur Entscheidung über den Widerspruch in der Einrichtung verbleiben dürfe, würde der Antrag nach § 123 SGB VIII bereits an einem Anordnungsgrund scheitern. Auch ein Anspruch der Antragstellerin sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden. Es sei unstreitig, dass bei der Antragstellerin ein jugendhilferechtlicher Bedarf bestehe. Allerdings erachte die Antragsgegnerin die weitere Gewährung einer stationären Unterbringung nicht als geeignet und erforderlich, sondern halte die Unterbringung in einer sozialpädagogischen begleiteten Wohnform im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB VIII als passende Maßnahme. Falls die Antragstellerin eine stationäre Unterbringung nach dem 21. Lebensjahr zur psychischen Stabilisierung benötigen sollte, könne dies nicht durch Maßnahmen der Jugendhilfe beantwortet werden, da diese in den Bereich der Eingliederungshilfe aufgrund des Lebensalters zu verorten seien.
29
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
30
Der entsprechend § 88 VwGO ausgelegte Antrag hat Erfolg.
31
Das Begehren der nicht durch einen Bevollmächtigten vertretenen Antragstellerin war entsprechend §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachdienlich auszulegen; das Gericht ist insoweit nicht an die Fassung der Anträge gebunden.
32
Die Antragstellerin will vorliegend erkennbar im Rahmen einer eiligen Entscheidung durch das Gericht die (Weiter-)Bewilligung der von ihr begehrten Hilfe nach § 41 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII in Form des teilbetreuten individuellen Wohnens in der Einrichtung S. erreichen. Dies kann in der vorliegenden Situation ausschließlich durch einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreicht werden. Hingegen können die wörtlich von der Antragstellerin gestellten Anträge nicht zu diesem Erfolg führen. Weder die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Juli 2024 (Antrag 1) noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Antrag 3) – welche im Übrigen bereits von Gesetzes wegen eintritt – können dazu führen, dass die Antragstellerin die begehrte Hilfe erhält. Der Klageantrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Hilfegewährung (Antrag 2) ist aufgrund des noch nicht verbeschiedenen Widerspruchs gegen den streitgegenständlichen Bescheid derzeit bereits unzulässig und führt im Übrigen auch nicht zu einer kurzfristigen Entscheidung.
33
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
34
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 12 CE 11.2215 – juris Rn. 6).
35
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von der Antragstellerin begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest teilweise – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache – jedenfalls dem Grunde nach – spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
36
Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin sowohl einen – in zeitlicher Hinsicht beschränkten – Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
37
Die Antragstellerin hat einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin auf Grundlage eines ordnungsgemäßen Hilfeplanverfahrens den aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin ermittelt und darauf beruhend eine im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit getroffene Hilfemaßnahme festlegt.
38
Bis zu einer solchen Entscheidung, längstens über einen Zeitraum von sechs Monaten, hat die Antragstellerin einen Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII i.V.m. 34 SGB VIII, dem vorliegend allein durch die teilbetreute individuelle Unterbringung in der Einrichtung S. Rechnung getragen werden kann, ausreichend glaubhaft gemacht.
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Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden, § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Abs. 3 und 4 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten, des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt, § 41 Abs. 2 SGB VIII.
40
Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 12 C 16.2159 – juris Rn. 11 m.w.N.).
41
Will ein Betroffener – wie hier die Antragstellerin – die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamts darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 12 C 16.1693 – juris Rn. 8; B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31; B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 30).
42
Ein grundsätzlicher Bedarf der Antragstellerin nach Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenständigen Lebensführung im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB VIII ist vorliegend – auch nach der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 26. August 2024 – unstreitig. Allerdings erachtet die Antragsgegnerin nicht die Weitergewährung der teilbetreuten Unterbringung nach § 34 SGB VIII als erforderlich, sondern hält eine sozialpädagogisch begleitete Wohnform nach § 13 Abs. 3 SGB VIII für ausreichend.
43
Unter Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabs der sozialpädagogischen Fachlichkeit erachtet das Gericht die Entscheidung der Antragsgegnerin als nicht mehr vertretbar. Die Antragstellerin hat vielmehr glaubhaft gemacht, dass der hinsichtlich der Auswahl der konkreten Hilfemaßnahme gegebene Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin sich vorliegend bis zu einer erneuten fachgerechten Überprüfung des Jugendhilfebedarfs allein auf die beantragte weitere Unterbringung in der teilbetreuten individuellen Wohngruppe der Einrichtung S. verengt hat.
44
Denn neben dem von der Antragsgegnerin bereits nicht ordnungsgemäß durchgeführten Verwaltungsverfahren hat diese darüber hinaus die rechtlichen Rahmenbedingungen verkannt.
45
Aus den vorgelegten Behördenakten lässt sich bereits der Bedarf der Antragstellerin nicht hinreichend entnehmen, zudem ist nicht erkennbar, welchem Bedarf die Antragsgegnerin ihre Entscheidung zugrunde legt. Eine aktuelle Bedarfsprüfung durch die Antragsgegnerin ist für das Gericht nicht erkennbar, vielmehr finden sich in den vorgelegten Behördenakten ausschließlich Berichte der die Antragstellerin betreuenden Einrichtung sowie Schreiben der Antragstellerin. Worin die Antragsgegnerin jedoch den aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin sieht, bleibt unklar.
46
Vielmehr widersprechen sich insoweit die von der Antraggegnerin vorgeschlagenen alternativen Hilfen. Denn die Antragsgegnerin verweist zum einen auf die Eingliederungshilfe und zum anderen auf Hilfe nach § 13 Abs. 3 SGB VIII, welchen völlig unterschiedliche Bedarfe und Voraussetzungen zu Grunde liegen. Zudem ist hiervon die Feststellung der Antragsgegnerin, dass „unstreitig ein jugendhilferechtlicher Bedarf“ weiterbestehe, abzugrenzen, welcher gerade eine Hilfe nach § 41 SGB VIII und nicht nach § 13 Abs. 3 SGB VIII (Wiesner/Wapler/Struck/Schön, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 13 Rn. 35, beck-online) begründet.
47
Auch die in dem Vermerk vom 23. Juli 2024 enthaltene Feststellung, dass sich die von der Antragstellerin begehrten Ziele, welche sie mit der Verlängerung der Hilfe zu erreichen versucht, „nach wie vor gleichbleibend darstellen wie schon zu Beginn der Hilfe“, kann zumindest die Ablehnung der bisherigen Hilfe nicht begründen. Sofern die Antragsgegnerin durch diese Formulierung zum Ausdruck bringen möchte, dass die Hilfe seit langem zur Zielerreichung ungeeignet ist, hätte sie seit langem eine andere, geeignetere Hilfeform anbieten müssen. Hingegen kann alleine aus der Tatsache, dass die Antragstellerin konsequent an ihren Zielen festhält und diese weiterhin zu erreichen versucht, weder auf eine Verweigerungshaltung der Antragstellerin noch auf die Ungeeignetheit der bisherigen Hilfe geschlossen werden. Vielmehr ergibt sich aus den Entwicklungsberichten der Einrichtung, dass die Entwicklung der Antragstellerin zwar langsam und auch nicht stetig, aber grundsätzlich positiv verläuft und sie die Unterstützung der Einrichtung annimmt.
48
Soweit die Antragsgegnerin zudem auf die Zuständigkeit des Bezirks verweist, lässt sich den Behördenakten bereits nicht entnehmen, wie dies gegenüber der Antragstellerin rechtzeitig kommuniziert und sie hierbei unterstützt wurde. Entsprechende Aufzeichnungen insbesondere zu Gesprächen im Jahr 2023, wie von der Antragsgegnerin behauptet, finden sich zumindest in den vorgelegten Behördenakten nicht.
49
Zudem verkennt die Antragsgegnerin, dass sie für Eingliederungshilfe bei seelischer Behinderung (welche vorliegend im Arztbericht vom 15. Februar 2024 festgestellt wurde und der Antragsgegnerin seit 2. Mai 2024 bekannt ist) nach § 41 SGB VIII i.V.m. § 35a SGB VIII, vorrangig für Hilfeleistungen zuständig und daher ein Verweis auf die Zuständigkeit des Bezirks rechtswidrig ist. Zwar ist dem Gericht insoweit bekannt, dass die Antragsgegnerin mit dem Bezirk eine Kooperationsvereinbarung getroffen hat, welche insbesondere auch die Zuständigkeit des Bezirks für junge Volljährige mit seelischer Behinderung regelt. Wie das Gericht jedoch bereits mehrfach rechtskräftig entschieden hat, ist diese Kooperationsvereinbarung aufgrund des Verstoßes gegen die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen unwirksam (zuletzt VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 19.931 – juris Rn. 72 m.w.N.; vgl. auch LSG BW, U.v. 14.7.2022 – L 7 SO 2892/20 – juris Rn. 41). Es verbleibt daher bei der nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gesetzlich geregelten vorrangigen Zuständigkeit des Jugendamtes für Eingliederungshilfe nach § 41 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. § 35a SGB VIII für Hilfeempfänger ggf. bis zum Erreichen des 27. Lebensjahres (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII) (Axel Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. Ergänzungslieferung 2024, § 41 SGB VIII, Rn. 41; LPK-SGB VIII/Peter-Christian Kunkel/Jan Kepert/Andreas Dexheimer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 41 Rn. 15, beck-online).
50
Insbesondere aufgrund der bisher unzureichenden Bedarfsermittlung kann auch das Gericht derzeit keine Entscheidung darüber treffen, welche Hilfe vorliegend für die Antragstellerin nach sozialpädagogischen Maßstäben zur weiteren Persönlichkeitsentwicklung erforderlich ist. Das Gericht geht jedoch – wohl in Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin – davon aus, dass die Antragstellerin zumindest einer stationären weiteren Unterbringung bedarf.
51
Die Fortsetzung der Hilfe über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus ist als Ausnahme zur Regel, dass die Hilfe endet, ausgestaltet. Der Gesetzgeber will die Fortsetzung auf Einzelfälle beschränken (BeckOGK/Bohnert, 1.8.2024, SGB VIII § 41 Rn. 59, beck-online). Ein begründeter Einzelfall liegt vor, wenn es aufgrund der individuellen Situation inhaltlich nicht sinnvoll ist, die Hilfe mit dem 21. Lebensjahr zu beenden. Zur Feststellung des begründeten Einzelfalls bedarf es einer am Einzelfall ausgerichteten individuellen Überprüfung und Begründung. Die Beurteilung des begründeten Einzelfalles ist gerichtlich voll nachprüfbar. Ein Beurteilungsspielraum kommt dem Jugendamt hier nicht zu (Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, SGB VIII § 41 Rn. 9, beck-online). Allerdings werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, wie restriktiv die Ausnahmevorschrift auszulegen ist (vgl. hierzu ausführlich: LPK-SGB VIII/Peter-Christian Kunkel/Jan Kepert/Andreas Dexheimer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 41 Rn. 13 f., beck-online). Alleine eine noch nicht abgeschlossene Ausbildungsmaßnahme kann dementsprechend nicht zum einzigen und entscheidenden Kriterium erhoben werden, allerdings bei der Beurteilung, ob ein begründeter Einzelfall vorliegt, ein gewichtiges Indiz dafür sein, dass der junge Mensch auch noch ergänzender sozialpädagogischer Hilfe(stellung) bedarf. Hier sind die Einschätzung des Stands der Persönlichkeitsentwicklung und eine Prognose über die Dauer und den zügigen Abschluss der Jugendhilfemaßnahme grundlegend (LPK-SGB VIII/Peter-Christian Kunkel/Jan Kepert/Andreas Dexheimer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 41 Rn. 14, beck-online).
52
Zudem soll die Hilfe nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nur für einen begrenzten Zeitraum über das 21. Lebensjahr hinaus fortgesetzt werden. Dieser Zeitraum kann aber nicht schematisch, sondern nur im Hinblick auf den konkreten Hilfebedarf im Einzelfall bestimmt werden (vgl. hierzu: Wiesner/Wapler/Gallep, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 41 Rn. 26, beck-online). Die Ansicht der Antragsgegnerin, dass eine weitere Bewilligung ausschließlich für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten möglich wäre, geht daher ebenfalls fehl.
53
Die Antragsgegnerin war daher zu verpflichten, unverzüglich den tatsächlichen aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin im Rahmen eines ordnungsgemäßen Hilfeplanverfahrens nach § 36 SGB VIII (vgl. hierzu ausführlich: VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 20.3029 – juris Rn. 44 ff. m.w.N.) zu ermitteln und gezielt Hilfemaßnahmen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Gegebenheiten für die Antragstellerin festzulegen. Hierfür hat die Antragsgegnerin insbesondere vor ihrer Entscheidung ein Hilfeplangespräch mit der Antragstellerin und den weiteren im Hilfeverfahren beteiligten Personen durchzuführen, sich hierbei ein eigenes Bild von der Antragstellerin zu machen und gemeinsam den weiteren Hilfebedarf und zukünftige Ziele festzulegen. Das bisher erfolgte Vorgehen, Hilfeplangespräche offenbar mangels rechtlichen Wissens der Antragsgegnerin kurzfristig abzusagen und im Folgenden jeden persönlichen Austausch zu unterlassen, entbehrt hingegen jeder Fachlichkeit.
54
Bis zu einer solchen Entscheidung der Antragsgegnerin erachtet es das Gericht zudem vorliegend als notwendig, eine vorläufige Regelung zur Hilfeleistung zu treffen und die Antragsgegnerin dazu zu verpflichten, der Antragstellerin ab dem 19. August 2024 vorläufig Hilfe für junge Volljährige in Form des teilbetreuten individuellen Wohnens in der Einrichtung S., längstens jedoch über einen Zeitraum von sechs Monaten zu bewilligen.
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Sowohl mangels derzeit umgehend vorhandener geeigneter alternativer Unterbringungsmöglichkeiten, als auch um einen mehrfachen Einrichtungswechsel für die Antragstellerin mit Eingewöhnungszeiten zu vermeiden, erachtet das Gericht aktuell ausschließlich die weitere Unterbringung der Antragstellerin in der Einrichtung, in welcher sie sich seit 1. September 2020 befindet, als geeignet.
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Auch insoweit liegt daher – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – unzweifelhaft ein Anordnungsgrund vor. Denn andernfalls würde die Antragstellerin nunmehr in eine akute Notlage ohne Wohnung, Einkommen und familiäre Unterstützung gestürzt werden (vgl. VGH BW, B.v. 23.5.2023 – 12 S 457/23 – juris Rn. 23 ff., 28). Hingegen kann die derzeit wohl erfolgende weitere Betreuung der Antragstellerin durch die Einrichtung S. den Anordnungsgrund keinesfalls entfallen lassen. Denn entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin trägt nicht die Einrichtung, sondern die Antragstellerin das Kostenrisiko dieser weiteren Betreuung. Denn auch wenn die Antragstellerin und die Einrichtung über diese wohl förmlich keinen Vertrag, insbesondere auch mit der Klärung der finanziellen Folgen geschlossen haben, ist zumindest von einem konkludenten Vertragsschluss hinsichtlich einer kostenpflichtigen Leistung durch die Einrichtung auszugehen (vgl. hierzu auch: VG München, U.v. 16.11.2022 – M 18 K 18.3763 – juris Rn. 50, 69 ff.). Nachdem der Antragstellerin jedoch unzweifelhaft die finanziellen Mittel hierfür nicht zur Verfügung stehen dürften, ist die Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit gegeben und kann die Antragsgegnerin als verantwortliche Leistungsträgerin nicht auf das Kostenrisiko des Leistungserbringers verweisen.
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Die Verpflichtung war ab Eingang des Antrags bei Gericht und längstens für den Zeitraum von sechs Monaten zu treffen.
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Zwar kann regelmäßig eine Verpflichtung zur Hilfeleistung nur für die Zukunft erfolgen. Der Antrag der Antragstellerin ging jedoch bereits am 19. August 2024 bei Gericht ein und eine umgehende Entscheidung hierüber wurde durch die erst am 28. August 2024 erfolgte vollständige Vorlage der Behördenakten verhindert. Zudem geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerin derzeit weiterhin von der Einrichtung betreut wird. Daher ist vorliegend eine Übernahme der Kosten durch die Antragsgegnerin ab dem 19. August 2024, folglich dem Tag des Eingangs des Eilantrags beim Verwaltungsgericht, angemessen und sachgerecht (vgl. hierzu auch VG München, B.v. 22.3.2024 – M 18 E 24.719 – juris Rn. 60 m.w.N.).
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Zudem war die Verpflichtung auf längstens sechs Monate zu beschränken, da die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen regelmäßig unter Berücksichtigung des aktuellen Hilfebedarfs zeitabschnittsweise erfolgt. Im Übrigen dürfte auch insoweit das Vorgehen der Antragsgegnerin, die Hilfe mit Bescheid vom 20. August 2021 bis 13. August 2024 zu bewilligen und sich während des gesamten Zeitraums offenbar ausschließlich über Berichte der Einrichtung über die Entwicklung und den Bedarf der Antragstellerin zu informieren, rechtswidrig sein (Wiesner/Wapler/Gallep, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 41 Rn. 26, beck-online).
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Dem Antrag war daher vollumfänglich stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.