Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 07.08.2024 – Au 6 K 24.1284
Titel:

Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 4 S. 4
EMRK Art. 8
Leitsatz:
Die Entscheidung über die Verlängerung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Anlass einer nachträglichen Erfüllung von Ausweisungsinteressen ergehen. Ihr liegen dieselben Maßstäbe wie der Erstentscheidung zugrunde. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bestandskräftige Ausweisung wegen erheblicher Straffälligkeit mit auf acht Jahre befristetem Einreise- und Aufenthaltsverbot, Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zehn Jahre wegen weiterer erheblicher Straffälligkeit, Kein Kontakt zum minderjährigen Kind deutscher Staatsangehörigkeit, kosovarischer Staatsangehöriger, bestandskräftige Ausweisung, weitere erhebliche Straffälligkeit, nachträgliches Ausweisungsinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2024, 22484

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der bestandskräftig ausgewiesene und in Strafhaft befindliche Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von acht auf zehn Jahre wegen weiterer erheblicher Straffälligkeit seit seiner Ausweisung.
2
Zum Lebenslauf des Klägers hat das Verwaltungsgericht im Klageverfahren gegen seine Ausweisung festgestellt (VG Augsburg; U.v. 1.9.2021 – Au 6 K 20.2745 – Rn. 2 ff.):
3
„Der am ... 1996 in ... geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger. In seinen ersten Lebensjahren lebte er bei seinen Eltern mit Unterbrechungen in Deutschland, bis er und seine Familie nach Ablehnung der gestellten Asylanträge am 31. August 2001 von der Stadt ... in den Kosovo abgeschoben wurden. Die Wirkung der Abschiebung des Klägers war bis zum 28. Februar 2007 befristet.
4
Am 26. Februar 2004 wurde die Ehe der Eltern geschieden. Der Vater heiratete am 27. Mai 2004 eine deutsche Staatsangehörige. Am 1. Januar 2006 reiste der Vater des Klägers erneut in das Bundesgebiet ein und hielt sich mit gültigen befristeten Aufenthaltstiteln bis zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis am 16. Februar 2009 im Bundesgebiet auf.
5
Am 23. Oktober 2012 reiste der Kläger aus dem Kosovo in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. Oktober 2012 sowohl einen Asyl- als auch einen Asylfolgeantrag. Der Asylantrag wurde am 12. November 2012 als offensichtlich unbegründet abgelehnt, der Asylfolgeantrag abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint (Behördenakte Bl. 891 ff., 1070 ff.). Der Einreise vorangegangen waren mehrere erfolglose Anträge auf Visumerteilung zum Zweck des Kindernachzugs zum Vater. Nach seiner Einreise war der Kläger am Wohnsitz seines Vaters gemeldet und wurde diesem mit Bescheid vom 13. Dezember 2012 zugewiesen. Am 15. November 2012 stellte der damalige Bevollmächtigte des Klägers einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 teilte die damals zuständige Ausländerbehörde mit, dem Kläger zunächst eine Duldung auszustellen (Behördenakte Bl. 1079); die Duldung wurde mehrfach bis zum 1. Juni 2013 verlängert. Am 2. Mai 2013 wurde dem Kläger zunächst eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bis 21. Januar 2014 und sodann am 22. November 2013 eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Kindernachzugs gem. § 32 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG, befristet bis zum 21. November 2015, erteilt. Nach Beantragung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch den Kläger am 30. November 2015 sowie weiterer Anträge vom 1. September 2017, 20. April 2018 und 2. April 2020 stellte die Stadt ... mehrfache Fiktionsbescheinigungen aus.“
6
Nach den Feststellungen des AG Augsburg (U.v. 2.2.2017, 31 Ls 404 Js 139372/15) besuchte der Kläger die ersten acht Schulklassen im Kosovo, wo er bis zu seiner Ausreise 2012 bei seiner Großmutter aufgewachsen ist. Er beendete die Hauptschule in Deutschland nach der neunten Klasse ohne Abschluss (Behördenakte Bl. 1557). Eine anschließende Ausbildung zum Altenpfleger brach der Kläger ab; seinen Lebensunterhalt sicherte er sich bis zu seiner Inhaftierung am 17. November 2018 im Wesentlichen zeitweise durch Sozialleistungen, eine Beschäftigung als Küchenhilfe vom 5. Januar 2016 bis 30. Juni 2016 sowie finanzielle Unterstützung seines Onkels (Behördenakte Bl. 1489). Nach einem Zerwürfnis mit seinem Vater wurde der Kläger vom SOS Kinderdorf, Kinder-, Jugend- und Familienhilfen im August 2014 in Obhut genommen (vgl. Behördenakte Bl. 1389). Bis zu seiner Inhaftierung am 17. November 2018 wechselte der Kläger mehrfach den Wohnsitz, wohnte zeitweise bei Freunden sowie in Obdachlosenheimen, meldete sich zum Teil nach unbekannt ab oder war wohnsitzlos (vgl. Behördenakte Bl. 1397 ff., 1473 ff., 1480, 1489, 1528). Der Kläger hat eine am 12. Januar 2018 geborene deutsche Tochter.“
7
Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:
8
- Amtsgericht, U.v. 2.2.2017 – ...:
Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten Einheitsjugendstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Erschleichen von Leistungen in 16 Fällen in Tatmehrheit mit Diebstahl in zwei Fällen, davon in einem Fall wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, in Tatmehrheit mit Hausfriedensbruch.
Das Gericht würdigte im Rahmen der Strafzumessung die Vielzahl an Straftaten und die Aggressivität bei den Körperverletzungsdelikten strafschärfend. Auch scheine sich der Kläger bisher einem überaus schlechten Freundeskreis angeschlossen zu haben. Der Kläger habe sich in Untersuchungshaft befunden, die Wirkung gezeigt zu haben scheine.
Am 31. August 2017 wurde der Kläger von der Ausländerbehörde des Landratsamts ... aufgrund des Strafurteils des AG ... vom 2. Februar 2017 (...) ausländerrechtlich belehrt und eindringlich ermahnt, sich in Zukunft straffrei zu verhalten (Behördenakte Bl. 1563 ff.).
Am 26. November 2018 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen (vgl. Behördenakte Bl. 1606).
9
- Amtsgericht, U.v. 8.2.2019 – ...:
Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen Geldwäsche in drei Fällen.
Zu Gunsten des Klägers wertete das Gericht, dass er vollumfänglich geständig war und so den älteren Geschädigten eine Aussage vor Gericht erspart habe; zu seinen Lasten sprach, dass der Kläger unter offener Bewährung gehandelt und einen erheblichen Schaden angerichtet habe.
10
- Amtsgericht, U.v. 27.11.2019 – ...:
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Einbeziehung vorbezeichneter Entscheidung wegen Bedrohung und versuchter Körperverletzung und versuchter Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung. Im Rahmen seiner Strafzumessung würdigte das Gericht das vollumfängliche Geständnis des Klägers zu dessen Gunsten; zu seinen Lasten wertete es die zweifachen einschlägigen Verurteilungen. Eine günstige Sozialprognose wurde aufgrund der Vielzahl an Straftaten während der Bewährungszeit verneint.
11
Zum Verhältnis zu seinem Kind hat das Verwaltungsgericht damals festgestellt (VG Augsburg; U.v. 1.9.2021 – Au 6 K 20.2745 – Rn. 14 f.):
12
„Die Kindesmutter besuchte den Kläger zusammen mit dem Kind laut Besucherliste in der JVA ... am 22. Dezember 2018, 5. Februar 2019 und 9. März 2019. Im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme (Behördenakte Bl. 1720 f.) gegenüber dem Beklagten am 14. Juli 2019 gab sie an, dass sie keine Zukunft mit dem Kläger plane und nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle, da sie sich vom Kläger ausgenutzt fühle. Anfangs habe sie den Kläger öfters in der JVA mit der gemeinsamen Tochter besucht, allerdings sehe sie keine Besserung in dessen Verhalten. Die gemeinsame Tochter würde der Kläger als Mittel zum Zweck vorziehen, um schneller aus dem Gefängnis entlassen zu werden; Kontakt in Form von Briefen oder Telefonaten pflege der Kläger zu seiner Tochter nicht. Bereits vor dem Haftantritt habe er sich für die gemeinsame Tochter nicht interessiert. Er zahle keinen Unterhalt für das gemeinsame Kind; das alleinige Sorgerecht bezüglich des Kindes bestünde bei der Mutter. Das Amt für Jugend und Familie kam nach einem Gespräch mit der ehemaligen Lebensgefährtin des Klägers am 13. November 2020 mit Stellungnahme vom 18. November 2020 zu dem Ergebnis, dass zwischen diesen keine tragfähige Beziehung vorliege (Behördenakte Bl. 1882 f.). Die Kindesmutter sehe die Beziehung zum Kläger als beendet an. Der Kläger sei vor seiner Inhaftierung gegenüber der Kindesmutter bereits während der Schwangerschaft gewalttätig gewesen und habe regelmäßig Ecstasy konsumiert. Zu Beginn der Haftzeit habe die Beziehung noch bestanden, weshalb [ihn] die Kindesmutter mit der gemeinsamen Tochter den Kläger auch in der JVA besucht habe. Nachdem der Kläger die Kindesmutter darum gebeten habe, ihm Ecstasy mittels eines Briefes in die JVA zukommen zu lassen, habe sie die Beziehung beendet. An seiner Tochter sei der Kläger laut Aussage der Kindesmutter vor seiner Inhaftierung schwankend, während der Haftzeit wenig interessiert gewesen. Nach seiner Haftentlassung befürworte das Amt für Jugend und Familie nur begleitete Umgänge des Klägers mit dessen Tochter.“
13
Mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 verfügte der Beklagte die Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland (Ziffer 1), befristete die Wirkung der Ausweisung auf die Dauer von acht Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise bzw. Abschiebung (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung des Klägers aus der Haft in die Republik Kosovo oder einen Staat, in den er erlaubt einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei unter Tragung der Kosten der Abschiebung an (Ziffer 3), forderte den Kläger im Falle einer eventuellen Haftentlassung dazu auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Wochen nach Entlassung aus der Haft zu verlassen und drohte zugleich die Abschiebung bei nicht fristgerechter Erfüllung der Ausreiseverpflichtung an (Ziffer 4) und lehnte die Verlängerung der am 30. November 2015, 1. September 2017 und 20. April 2018 sowie 2. April 2020 beantragten Aufenthaltstitel ab (Ziffer 5).
14
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Augsburg; U.v. 1.9.2021 – Au 6 K 20.2745); ein Antrag auf Zulassung der Berufung wurde zurückgenommen (BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 10 ZB 21.2614).
15
Der Beklagte belehrte den Kläger nach dessen Haftentlassung am 3. Dezember 2021 über seine Pass- und Ausreisepflicht, duldete den Kläger seit 6. Dezember 2021 bis 21. Februar 2022 und forderte ihn zur Ausreise auf. Die Staatsanwaltschaft ... informierte den Beklagten mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 über ein weiteres Ermittlungsverfahren. Der Kläger nahm unentschuldigt vereinbarte Termine beim Beklagten und der Zentralen Rückkehrberatung nicht wahr, legte aber auch einen angeblich neu ausgestellten Reisepass nicht vor, so dass der Beklagte die Abschiebung vorbereitete. Er musste die Abschiebung stornieren, da der Kläger am 12. Mai 2022 unter dem Verdacht weiterer Straftaten vorläufig festgenommen worden war.
16
Der Kläger trat nach seiner o.g. Haftentlassung erneut strafrechtlich in Erscheinung:
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- Amtsgericht, U.v. 25.10.2022 – ... (Behördenakte Teil 3 Bl. 3289 ff.):
Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in Mittäterschaft, Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
Der Kläger sei Teil einer größeren, auch aus der Türkei heraus handelnden Bande, die insbesondere unter der Vorspiegelung, Polizeibeamte zu sein und verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen oder sonst Amtspersonen wie Richter und Staatsanwälte zu sein, durch Telefonanrufe den Geschädigten vorspiegele, dass in ihrer Nähe eine Einbrecherbande festgenommen worden und bei dieser Notizen mit der Adresse des Angerufenen gefunden worden seien. Zur Rettung des Vermögens und Ersparten sollte dieses von der Bank abgehoben und einem vorbeikommenden „Kollegen“ zur Sicherung oder Überprüfung übergeben werden. Die Anrufe seien von offensichtlich besonders geschulten und akzentfrei die deutsche Sprache sprechenden Tätern aus Callcentern in der Türkei heraus getätigt und den Geschädigten mittels manipulierter Rufnummer ein Anruf der örtlichen Polizeidienststelle oder des Landeskriminalamts oder des Bundeskriminalamts vorgespiegelt worden. Neben den Gesprächsführern in den Callcentern, den sogenannten „Keilern“, säßen dort auch Logistiker, welche parallel zur Führung des Telefonats mit dem Geschädigten den Kontakt zu Logistiker in Deutschland hielten und über diese die Abholung und den Tatablauf koordinierten. Während den Geschädigten vorgespiegelt werde, ihr Vermögen sei in Gefahr und müsse durch amtliche Verwahrung geschützt werden, werde ein vor Ort wartender Teil der Bande beauftragt, die Beute zu übernehmen und zu sichern oder in die Türkei zu bringen. Der Kläger habe als Teil der Bande und Logistiker in ... gehandelt, wobei ihm obliegen habe, Abholer zu rekrutieren und diese vor, während und nach der Tat zu betreuen. Am 5. April 2022 sei ein Geschädigter angerufen worden und habe dem Abholer 20 oz. Gold im Wert von mindestens 40.000 Euro übergeben. Der Kläger habe den Kontakt zwischen dem Abholer und einem in der Türkei ansässigen Hintermann hergestellt und mit dem Abholer für die Tatausführung die Einzelheiten geklärt sowie nach der Tat den Abholer in dessen Wohnung aufgesucht, um die Tatbeute zu überprüfen und zu filmen sowie dem in der Türkei ansässigen Hintermann per Video zur eigenen Kontrolle zukommen zu lassen. Der Kläger, der Abholer und die Hintermänner hätten gehandelt, um sich durch die Tat eine nicht unerhebliche Einnahmequelle von gewisser Dauer zu verschaffen.
In der Strafzumessung wurde zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er geständig gewesen sei, aus der Tat wohl nur einen kleinen Geldbetrag erhalten habe und einerseits nicht der Haupttäter, andererseits auch nicht das kleinste Rad innerhalb der kriminellen Organisation gewesen sei, da er neue Mittäter angeworben habe. Weiter sei zu seinen Gunsten berücksichtigt worden, dass er sich in einer finanziellen Notlage befunden habe und drogenabhängig sei sowie deshalb zur Beschaffung der Drogen finanzielle Mittel dringend benötigt habe. Dass sich der Schaden für den Geschädigten nicht verwirklicht habe, habe nicht am Kläger, sondern daran gelegen, dass er bereits bei der Tatbegehung unter Beobachtung durch die Polizei gestanden habe. Zu seinen Lasten seien seine zahlreichen Vorstrafen und seine Unterstützung einer hoch professionell handelnden Bande zu werten, welche sich gezielt ältere, unerfahrene Leute als Opfer herausgesucht und diese mit professionellen, auch technischen Mitteln betrogen habe. Nicht nur habe der Kläger unterstützt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Polizeibeamte gestört werde. Sondern hier sei insbesondere ein altes, krankes, sogar bettlägeriges Opfer ausgesucht und dessen Ersparnis entwendet worden, sodass ihm ein erheblicher Schaden entstanden wäre. Der Kläger sei in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, da er drogen- und alkoholabhängig sei. Er sei für die Therapie motiviert und es bestünden auch Erfolgsaussichten für eine Therapie. Die sei wohl der einzige Weg, den Kläger wieder auf die richtige Bahn zu lenken und ihn von der Begehung weiterer Straftaten auch nach einer Haftentlassung abzuhalten. Das Urteil wurde am 3. November 2022 rechtskräftig.
Der Kläger befand sich vom 12. Mai 2022 bis 2. November 2022 in Untersuchungs- und seit dem 3. November 2022 in Strafhaft, die voraussichtlich am 11. Mai 2025 enden wird (Behördenakte Teil 3 Bl. 3254). Zwischenzeitlich war der Kläger zum 27. Februar 2023 in das Bezirkskrankenhaus ... zwecks Durchführung der stationären Entziehung überstellt worden, doch seine Unterbringung wurde mit Beschluss des Landgerichts ... vom 13. September 2023 für erledigt erklärt, die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, sondern ihr Vollzug angeordnet und der Kläger für weitere fünf Jahre unter Führungsaufsicht gestellt worden (ebenda Teil 4 Bl. 3454 ff.). Das Bezirkskrankenhaus habe gutachterlich mitgeteilt, die Behandlung sei aus in der Person des Klägers liegenden Gründen ohne Aussicht auf Erfolg. Er habe Hausaufgaben mehrfach nur unzureichend bearbeitet, wobei sich hinsichtlich der angeblichen Sprachbarriere ein widersprüchliches Bild ergebe. Teilweise habe er seine mangelnde Mitwirkung und fehlende Fortschritte in der Therapie mit mangelndem Sprachverständnis erklärt, obwohl er umgekehrt Redewendungen nutze, die auf ein höheres Sprachniveau als A2 schließen ließen. Sein Bild sei als manipulativ und vollkommen intransparent zu beurteilen. Auch hinsichtlich seiner biografischen Angaben fehle die Transparenz, insbesondere zu Familienangehörigen im Kosovo und dem Kontakt zu ihnen. Außerdem sei die geäußerte Motivation zur Drogenabstinenz überwiegend extrinsisch motiviert. Das Strafvollstreckungsgericht habe in der Anhörung des Klägers den Eindruck gewonnen, dass er manipulativ handele und versuche, auch dem Gericht etwas vorzumachen. Er sei auch kein Erstverbüßer. Der Vollzug der Restfreiheitsstrafe sei daher anzuordnen.
18
Die Justizvollzugsanstalt ... teilte mit Führungsbericht vom 18. Januar 2024 (ebenda Teil 4 Bl. 3493 ff.) mit, der Kläger werde als undurchsichtiger und gepflegter Gefangener beschrieben, der gute Umgangsformen besitze und einen guten Eindruck hinterlassen wolle. Ein Strafeindruck sei aber nicht erkennbar. Privatbesuch sei nicht erfolgt und die Möglichkeit von Besuchsersatztelefonaten habe er nicht wahrgenommen. Ausweislich der Unterlagen bestehe bei ihm ein massives Alkohol- und Betäubungsmittelproblem. Ausweislich eines Strafurteils habe er seit seinem 19. Lebensjahr regelmäßig Alkohol (am Wochenende täglich zwei Flaschen Wodka und unter der Woche täglich 3-4 Dosen Whisky) getrunken sowie seit seinem 18. Lebensjahr täglich Marihuana sowie am Wochenende zusätzlich Ecstasy und Kokain missbraucht. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände wie der strafrechtlichen Vorbelastung, des Bewährungsversagens, des fehlenden sozialen Empfangsraums und der massiven Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik sollte nach Empfehlung der Justizvollzugsanstalt als einzig zielführende und adäquate Sachbehandlung die Rückführung des Klägers durchgeführt werden und werde dazu ein Absehen von der weiteren Vollstreckung zwecks Abschiebung zum Zweidrittel-Zeitpunkt befürwortet.
19
Die Staatsanwaltschaft sah mit Schreiben vom 5. April 2024 von der weiteren Haftvollstreckung ab dem Zeitpunkt der Abschiebung des Klägers aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ab und ordnete die Nachholung der Vollstreckung für den Fall seiner Rückkehr hierher an.
20
Die vom Beklagten angehörte Mutter des Kindes des Klägers lehnte eine weitere Äußerung ab, weil weder ihre Tochter noch sie selbst zu ihm Kontakt hätten und auch keinen Kontakt wollten (ebenda Teil 4 Bl. 3567).
21
Der Kläger teilte in seiner Anhörung mit, er wolle eine Ausbildung beginnen und man möge ihm eine letzte Chance geben.
22
Der Beklagte verlängerte mit streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Mai 2024 die in seinem Bescheid vom 9. Oktober 2020 enthaltene Befristung des Einreise- und Abschiebungsverbots um weitere zwei Jahre auf insgesamt zehn Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise/Abschiebung.
23
Der Begründung des Bescheids ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen liege. Sie dürfe fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden sei oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. In der Ermessensentscheidung stelle der Beklagte zugunsten des öffentlichen Interesses ein, dass der Kläger trotz der bereits verfügten Ausweisung und einer vorangegangenen Inhaftierung nochmals erheblich straffällig geworden sei. Eine kürzere Frist werde den Zweck der Ausweisung nicht mehr erreichen, da diese schon bisher den Kläger nicht beeindruckt habe. Offenbar habe der Kläger den Ernst der Lage und die aus seinem Verhalten folgenden Konsequenzen nicht verstanden. Die Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von acht auf insgesamt zehn Jahre erscheine daher verhältnismäßig.
24
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit eigenem Schreiben, eingegangen am 28. Mai 2024, Klage. Sein Bevollmächtigter bestellte sich mit Schreiben vom 16. Juni 2024 noch ohne konkrete Antragstellung. Er beantragt,
25
Der Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2024 wird aufgehoben.
26
Zur Begründung führte er aus, er wolle nach der Haft unter Führungsaufsicht in Deutschland entlassen werden. Er sei mit seiner Bewährungshilfe bereits in Kontakt und mit jeder Weisung einverstanden. Er habe eine Tochter im Alter von sechs Jahren und wolle alles dafür tun, um den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten und die Bindung zu ihr zu vertiefen. Er habe telefonischen Kontakt zur Mutter und Briefkontakt zum Kind. Er räumte allerdings in der mündlichen Verhandlung ein, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt wegen einer auf Cannabis positiven Urinprobe disziplinarisch geahndet worden zu sein.
27
Der Beklagte beantragt
28
Klageabweisung.
29
Er verweist darauf, der Kläger habe auch ausweislich seiner Klagebegründung den Ernst der Lage nicht verstanden, wenn er auf eine „letzte Chance“ hoffe, obgleich er der vorbereiteten Abschiebung in Vollzug der bestandskräftigen Ausweisung in den Kosovo lediglich durch die neuerliche Inhaftierung entgangen sei.
30
Mit Beschluss vom 17. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

32
Die Anfechtungsklage gegen die Verlängerung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist unbegründet, weil diese nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wegen der Einzelheiten wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die den Beteiligten bekannte Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen und ergänzt:
33
1. Die nachträgliche Verlängerung der Befristung des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots leidet nicht an Ermessensfehlern (§ 114 VwGO).
34
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Befristungsentscheidung ist wegen Art. 8 EMRK die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18).
35
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Dieses Verbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 AufenthG im Ermessensweg von Amts wegen zu befristen, wobei die ursprünglich bestimmte Frist nach § 11 Abs. 4 Satz 4 AufenthG aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden kann. Seine Dauer soll nach § 11 Abs. 5 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
36
Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 66 m.w.N.).
37
a) Der Beklagte hat in seiner kurzen Ermessensentscheidung die Belange für und gegen die Verlängerung berücksichtigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte nur über die Verlängerung, nicht über die Anordnung und Befristung des ursprünglichen Einreise- und Aufenthaltsverbots entschieden, sondern diese zu Recht als bereits bestandskräftig zu Grunde gelegt hat. So hat er in der Ermessensentscheidung ausschließlich über die Verlängerung entschieden und zugunsten des öffentlichen Interesses eingestellt, dass der Kläger trotz der bereits verfügten Ausweisung und einer vorangegangenen Inhaftierung nochmals erheblich straffällig geworden sei. Eine kürzere Frist werde den Zweck der Ausweisung nicht mehr erreichen, da diese schon bisher den Kläger nicht beeindruckt habe. Offenbar habe der Kläger den Ernst der Lage und die aus seinem Verhalten folgenden Konsequenzen nicht verstanden. Die Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von acht auf insgesamt zehn Jahre erscheine verhältnismäßig. In der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend noch auf die Disziplinarmaßnahme wegen einer auf Cannabis positiven Urinprobe als weiteres Indiz für die untherapierte Drogensucht des Klägers und die Fortdauer der von ihm ausgehenden Gefahr hingewiesen.
38
b) Diese Entscheidung leidet nicht an durchgreifenden Ermessensfehlern. Bereits die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf acht Jahre war aufgrund der mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers ermessensfehlerfrei (VG Augsburg; U.v. 1.9.2021 – Au 6 K 20.2745 – Rn. 83). Der Beklagte hatte in seiner ursprünglichen Entscheidung gewürdigt, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist, zahlreiche Straftaten begangen und keinen Schul- oder Berufsschulabschluss erworben, aber hauptsächlich von Sozialleistungen gelebt und zu seiner leiblichen Tochter keine Vater-Kind-Beziehung unterhalten habe. Die Beziehungen des Klägers zu Personen in Deutschland seien auch nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hinreichend berücksichtigt worden. Hinzu getreten sei nun die neuerliche massive Straffälligkeit des Klägers nur kurz nach der Haftentlassung und die – auch vom Strafvollstreckungsgericht so gesehene – Unbeeindrucktheit des Klägers von der erfolgten Haftverbüßung (vgl. LG, B.v. 13.11.2023).
39
Da der Kläger offenbar erheblich von Alkohol und Drogen abhängig, aber selbst im Bezirkskrankenhaus nicht erfolgreich behandelt worden ist, muss von einer Fortdauer der von ihm ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden. Da sich gegenüber der ursprünglichen Befristung keine neuen oder stärker zu gewichtenden Bleibeinteressen ergeben haben, aber umgekehrt das öffentliche Interesse an der Entfernung des Klägers so groß geworden ist, dass auch nach Einschätzung der Justizvollzugsanstalt ... die Rückführung des Klägers die einzig zielführende und adäquate Sachbehandlung sei, trägt das nochmals erhöhte öffentliche Interesse an seiner längeren Fernhaltung die streitgegenständliche Verlängerung. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände wie der strafrechtlichen Vorbelastung, des Bewährungsversagens, des fehlenden sozialen Empfangsraums und der massiven Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik konnte der Beklagte den Rahmen von zehn Jahren ausschöpfen. Demgegenüber zeigten sich auch in der mündlichen Verhandlung keine gegenläufig stärker zu gewichtenden Belange. Ob der Kläger nun gar keinen Kontakt zur Kindesmutter hat, wie diese mitteilte, oder Telefonkontakt zu ihr sowie Briefkontakt zum Kind, wie er vortrug, ändert nichts an der schon zuvor zu Recht verneinten schützenswerten Vater-Kind-Beziehung zu seiner Tochter. Er hält bisher den Kontakt per Telefon und Briefpost; das kann auch aus dem Ausland nach seiner Abschiebung fortgesetzt werden.
40
c) Die Verlängerung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
41
Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens durch die Ausweisung gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist: Der Schutzbereich ist für den teilweise auch im Bundesgebiet aufgewachsenen Kläger wegen seines hier geführten Privatlebens sowie auch wegen der Beziehung zu seiner Tochter eröffnet. Hierin greift die Verlängerung ein, weil sie den Kläger zu einem längeren Fernbleiben zwingt als zuvor. Die Verlängerung ist geeignet, die vom Kläger ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu mindern, da sie seinem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entgegensteht und ihn an der Begehrung weiterer Straftaten im Bundesgebiet hindert. Sie ist auch erforderlich, da dieser Gefahrenlage ausländerrechtlich nur durch eine auch von der Justizvollzugsanstalt als einzig zielführend eingeschätzten Aufenthaltsbeendigung und Fernhaltung des untherapierten drogensüchtigen Klägers wirksam begegnet werden kann. Sie ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, denn dem Kläger ist unter Würdigung seiner weniger schützenswerten Bindungen im Inland und seiner sachlich und zeitlich beachtlichen Prägung durch das Herkunftsland letztlich eine Rückkehr in den Kosovo zumutbar. Sein Kind ist weder emotional noch sozial oder finanziell auf ihn angewiesen; er hat keine nennenswerten Betreuungs-, Erziehungs- oder gar Unterhaltsleistungen für das Kind erbracht. Er ist daher wie bisher aus der Strafhaft heraus auf Brief- und Telefonkontakte zu verweisen, wie dies menschenrechtlich anerkannt ist (als Kriterium bei EGMR, U.v. 20.12.2018 – 18706/16 – NVwZ 2019, 1425/1426 Rn. 49).
42
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.