Titel:
Verwerfung einer unzulässigen Berufung durch das Revisionsgericht
Normenkette:
StPO § 32a Abs. 3, Abs. 4, § 32d, § 322, § 354 Abs. 1
Leitsatz:
Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses, wozu auch die Zulässigkeit der Berufung (hier: formgerechte Einreichung nach § 32d, § 32a StPO) gehört, ist auf die zulässige Revision des Angeklagten von Amts wegen zu überprüfen. Ist ein Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt, kann das Revisionsgericht selbst in der Sache entscheiden und die Berufung des Angeklagten (mit der entsprechenden Kostenfolge) als unzulässig verwerfen (§ 354 Abs. 1 StPO). (Rn. 4 – 12) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Zulässigkeit der Berufung, qualifizierte elekronische Signatur, sicherer Übermittlungsweg, EGVP, eigene Entscheidung des Revisionsgerichtes, Wiedereinsetzungsantrag
Vorinstanzen:
LG Landshut, Urteil vom 12.04.2024 – 7 NBs 203 Js 16435/22
AG Landshut, Urteil vom 14.12.2023 – 30 Ds 203 Js 16435/22
LG Landshut, Urteil vom 14.12.2023 – 203 Js 16435/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 21331
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 12. April 2024 aufgehoben.
II. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Landshut vom 14. Dezember 2023 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
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Das Amtsgericht Landshut verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 14. Dezember 2023 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, vorsätzlichen Bankrotts und Betruges in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 1 Jahr 3 Monaten. Das Landgericht Landshut verwarf die Berufung des Angeklagten durch Urteil vom 12. April 2024 als unbegründet.
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Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er (jeweils nicht ausgeführt) die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Berufung des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Die Berufung sei unter Verstoß gegen § 32d S. 2 StPO ohne qualifizierte elektronische Signatur und nur per EGVP eingelegt worden und damit unzulässig gewesen.
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Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Verwerfung der Berufung durch den Senat.
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1. Das die Berufung als unbegründet verwerfende Urteil des Landgerichts hätte nicht ergehen dürfen und war daher aufzuheben.
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a) Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses ist auf die zulässige Revision des Angeklagten von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Gericke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., § 344 Rdn. 22). Hierzu gehört auch die Zulässigkeit der Berufung, denn bei unzulässiger, insbesondere verspätet oder formunwirksam eingelegter Berufung wäre das Urteil des Amtsgerichts rechtskräftig geworden mit der Folge, dass die Fortsetzung des (Erkenntnis-)Verfahrens unzulässig wäre (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.06.2016, 1 Ss 381/15, zitiert nach juris, dort Rdn. 11; BayObLG, Beschluss vom 14.10.2022, 207 StRR 287/22, n. v.).
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Die Prüfung erfolgt aufgrund eigener Sachuntersuchung im Freibeweisverfahren (Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 5, 6); der Senat hat also die relevanten Aussagen und Urkunden selbst zu würdigen und auszulegen (Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 9).
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b) Diese anhand des Akteninhalts vorgenommene Überprüfung ergibt, dass der Berufungseinlegungsschriftsatz des Verteidigers vom 18. Dezember 2023 (Bl. 186 d. A.) ohne qualifizierte elektronische Signatur nach ERVB ausschließlich per EGVP einging (Bl. 187 d. A.). Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, muss die Berufungseinlegung durch einen Rechtsanwalt jedoch entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO) oder auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 32 a Abs. 4 S. 1 StPO) erfolgen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 07.02.2023, 2 StR 162/22, und vom 05.06.2024, 4 StR 157/24, jeweils zitiert nach juris). Die Einreichung per EGVP-Nachricht ist kein solcher sicherer Übermittlungsweg (BGH vom 05.06.2024 aaO Rdn. 5ff.). Die Einhaltung der Form des § 32d StPO ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Erklärung (vgl. BGH vom 05.06.2024 aaO Rdn. 4). Die Berufung war somit nicht wirksam eingelegt.
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Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, das Landgericht habe vor Erlass des Sachurteils stillschweigend Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Eine solche Annahme würde voraussetzen, dass es sich der Unzulässigkeit der Berufung bewusst gewesen wäre. Hierfür spricht nichts; im Gegenteil ging das Landgericht (vgl. S. 2 des Berufungsurteils) von einer form- und fristgerechten Berufung aus.
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c) Das Landgericht hätte folglich die Berufung gemäß § 322 StPO als unzulässig verwerfen müssen. Das die Berufung als unbegründet (also nach einer Sachprüfung) verwerfende Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben.
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2. Eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht war nicht veranlasst, weil der Senat selbst in der Sache entscheiden und die Berufung des Angeklagten (mit der entsprechenden Kostenfolge) als unzulässig verwerfen konnte (§ 354 Abs. 1 StPO).
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Zwar ist es in einer Verfahrenskonstellation wie der vorliegenden grundsätzlich sachgerecht, von einer solchen Entscheidung abzusehen, wenn der Angeklagte mittlerweile ein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht hat, weil sich erst nach rechtskräftiger Erledigung desselben endgültig herausstellt, ob die Berufung tatsächlich unzulässig ist. Bei Gewährung von Wiedereinsetzung würde ein die Berufung als unzulässig verwerfender Beschluss des Senats wieder hinfällig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25.10.1995, 2St RR 167/95, zitiert nach juris, dort Rdn. 8; OLG Hamburg, Beschluss vom 16.03.2006, III-23/06-1 §§ 41/06, zitiert nach juris, dort Rdn. 10).
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So liegt der Fall jedoch hier nicht, weil der Angeklagte einen Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt hat und eine Wiedereinsetzung von Amts wegen durch den Senat schon mangels Zuständigkeit (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.06.2016 aaO Rdn. 18ff.) nicht in Betracht kommt. Entsprechend § 354 Abs. 1 StPO hatte der Senat daher in der Sache selbst zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Revision des Angeklagten führt zwar zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, bleibt wegen der gleichzeitigen Verwerfung der Berufung aber im Ergebnis erfolglos (vgl. BGH, Beschluss vom 19.11.1959, 2 StR 357/59, NJW 1960, 109, 110).