Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.04.2024 – 22 C 23.259
Titel:

Streitwertbeschwerde - Verpflichtungsklage auf Bewilligung von Corona-Hilfen

Normenketten:
GKG § 52 Abs. 3, § 68
VwGO § 88
Leitsätze:
Zur Bestimmung des Streitwertes nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG bei einer Verpflichtungsklage auf Neuverbescheidung eines im Verwaltungsverfahren gestellten Antrags auf Bewilligung einer Subvention und gleichzeitigem Antrag auf Festsetzung sowie Auszahlung eines bloßen Teilbetrages. (Rn. 14 – 16)
Bei der Auslegung der Klageanträge anhand der Klagebegründung kommt der Antragsformulierung eine gesteigerte Bedeutung für die Auslegung der Klageanträge zu, wenn ein Rechtsanwalt die Klageschrift unterzeichnet hat. Aber selbst bei anwaltlicher Vertretung darf die Auslegung vom Antragswortlaut abweichen, sofern die Klagebegründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Verpflichtungsklage auf Bewilligung von Corona-Hilfen, Auslegung der Klageanträge, Streitwertbestimmung, Klageantrag
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 07.12.2022 – M 31 K 21.3072
Fundstellen:
BayVBl 2024, 785
BeckRS 2024, 21304
LSK 2024, 21304

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerde der Klägerin richtet sich gegen den Streitwertbeschluss des Einzelrichters am Verwaltungsgericht München vom 7. Dezember 2022. Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht, nachdem die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hatte und das Klageverfahren eingestellt worden war, den Streitwert auf 1.479.496,78 € festgesetzt.
2
Die Klägerin beantragte mit Anträgen vom 29. März 2021 und 28. April 2021 unter Verwendung des vorgesehenen Antragsformulars bei der Beklagten die Bewilligung von November- und Dezemberhilfe für das Jahr 2020 und gab dabei Vergleichsumsätze für November und Dezember 2019 in Höhe von 686.004,31 € und 1.328.201,38 € an. Die voraussichtliche Höhe der November- und Dezemberhilfe wurde mit 494.891,98 € und 984.604,80 €, insgesamt 1.479.496,78 €, beziffert. Die Beklagte gewährte daraufhin mit Bescheiden vom 3. Mai 2021 jeweils eine Abschlagszahlung von 50.000 € auf die November- und Dezemberhilfe. Wohl zu einem späteren Zeitpunkt führte die Klägerin gegenüber der Beklagten aus, sie habe Wirtschaftshilfe für Umsatzausfälle in den Monaten April und Mai 2020 beantragen wollen, was aber technisch in dem Antragsformular nicht habe eingetragen werden können. Die angegebenen Vergleichsumsätze bezögen sich auf die Monate April und Mai 2019.
3
Mit Bescheiden vom 10. Februar 2022 lehnte die Beklagte die Anträge der Klägerin unter Aufhebung der Bescheide vom 3. Mai 2021 endgültig ab und forderte die gewährten Abschlagsbeträge zurück.
4
Die Klägerin erhob am 9. Juni 2021 Klage und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, die Anträge der Klägerin auf Zahlung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe der Bundesregierung in Form der „Novemberhilfe“ und „Dezemberhilfe“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden (Nr. I.) und Teilbeträge von jeweils 500 €, insgesamt 1.000 €, für Umsatzausfälle in den Monaten April und Mai 2020 an die Klägerin festzusetzen und auszuzahlen (Nr. II.). Zur Begründung führte sie an, sie habe im Verwaltungsverfahren ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anträge Umsatzausfälle aus den Monaten April und Mai 2020 beträfen. Bei der Klägerin handele es sich um einen Saisonbetrieb, der seine Umsätze in den Monaten April und Mai generiere und in diesen Monaten im Jahr 2020 coronabedingt habe schließen müssen. Mit am 21. September 2021 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz führte die Klägerin weiter aus, sie mache im Wege der offenen Teilklage einen Betrag von jeweils 500 € für die Umsatzausfälle der Monate April und Mai 2021 (gemeint wohl: 2020) geltend; der Streitwert orientiere sich an der Höhe der begehrten Zahlung.
5
Im Beschwerdeverfahren beantragt die Klägerin sinngemäß,
6
den Streitwertbeschluss vom 7. Dezember 2022 abzuändern und den Streitwert auf 1.000 €, hilfsweise 3.000 €, hilfsweise 5.000 € festzusetzen.
7
Zur Begründung bringt die Klägerin mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 vor, sie habe im Klageantrag Nr. I. lediglich eine Entscheidung über den Subventionsbezug dem Grunde nach beantragt. Der Klageantrag Nr. I. beziehe sich nicht auf November- und Dezemberhilfe, sondern beide Anträge beträfen Leistungen für Umsatzausfälle aus den Monaten April und Mai 2020 entsprechend der November- und Dezemberhilfe. Der Klageantrag Nr. II., der ausdrücklich einen bestimmten Betrag benenne, beziehe sich auf die Förderung der Höhe nach. Es handele sich dabei um die Konkretisierung des Festsetzungsinhalts der Subventionsgewährung und nicht nur um die bloße Festsetzung von Zahlungsmodalitäten. In einer Zusammenschau aus Nr. I. und Nr. II. des Klageantrags sei beantragt worden, die Beklagte zu verpflichten, einen Betrag für Umsatzausfälle im April und Mai 2020 von jeweils 500 € festzusetzen und auszuzahlen. Wäre es zu einer Entscheidung über die Klage gekommen, hätte der Klageantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung angepasst werden können; wegen der Klagerücknahme sei dies nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 21. September 2023 ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen.
8
Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten. Die Auslegung der klägerischen Anträge ergebe, dass das Klageziel darin bestanden habe, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen Subventionsbetrag von 1.479.496,78 € zu bewilligen.
9
Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten verwiesen.
II.
11
Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheidet, ist nicht begründet.
12
Grundsätzlich wird der Streitwert in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen bestimmt (§ 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG). Ist § 52 Abs. 3 GKG einschlägig, besteht aus gesetzessystematischen Gründen kein Raum für eine Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG oder die Festsetzung des Auffangstreitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG (BayVGH, B.v. 9.3.2022 – 22 C 21.3021 u.a. – juris Rn. 12 f.).
13
Vorliegend hat das Verwaltungsgericht den Streitwert zu Recht gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 1.479.496,78 € festgesetzt. Die Auslegung der Klageanträge (§ 88 VwGO) ergibt, dass die Klage auf die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung einer Subvention in Höhe dieses Betrages gerichtet war.
14
1. Der Klageantrag Nr. I. aus der Klageschrift vom 9. Juni 2021 hatte eine neue Entscheidung der Beklagten über die Förderanträge der Klägerin aus dem Verwaltungsverfahren zum Ziel, mit denen sie die Gewährung einer Subvention für Umsatzausfälle in den Monaten April und Mai 2020 entsprechend den Förderbedingungen für die November- und Dezemberhilfe für das Jahr 2020 erstrebt hatte; dabei hatte sie in den Anträgen die gewünschte Höhe der Förderung konkret beziffert. Soweit die Klägerin im Beschwerdeverfahren vorträgt, dass sich der Klageantrag Nr. I. nicht auf die ursprünglich im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Fördersumme beziehe, sondern nur die allgemeine Aufforderung enthalte, die Würdigung des Gerichts an die Stelle der Würdigung der Verwaltungsbehörde zu setzen, überzeugt dies nicht, weil sich die Klägerin sowohl in dem Klageantrag Nr. I. selbst als auch in der Klagebegründung vom 9. Juni 2021 ausdrücklich auf die im Verwaltungsverfahren gestellten Förderanträge bezieht und nochmals klarstellt, dass für die Monate April und Mai 2020 eine Förderung entsprechend der Rechtslage für die November- und Dezemberhilfe beantragt werde. Hinzu tritt, dass eine Klage, die allein auf die Bekanntgabe einer Rechtsauffassung des Gerichts zu der Frage gerichtet wäre, ob eine Förderung der Klägerin für die Monate April und Mai 2020 entsprechend den Grundsätzen zur November- und Dezemberhilfe grundsätzlich in Betracht komme (Bestehen eines Förderanspruchs dem Grunde nach), nach der Verwaltungsgerichtsordnung unzulässig wäre. Eine entsprechend formulierte Feststellungsklage wäre gegenüber der Verpflichtungsklage subsidiär (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
15
2. Den Klageanträgen ist entgegen dem klägerischen Vortrag bei sachgerechter Auslegung auch keine summenmäßige Beschränkung auf 1.000 € zu entnehmen. Der Klageantrag Nr. I. enthält keine derartige Beschränkung; eine solche ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Klageantrag Nr. II., der auf die Festsetzung und Auszahlung von Teilbeträgen von jeweils 500 € für die Umsatzausfälle in den Monaten April und Mai 2020 gerichtet war. Dieser Antrag kann nicht dahin ausgelegt werden, dass die Klägerin damit ihren mit dem Klageantrag Nr. I. geltend gemachten Anspruch auf Bewilligung der im Verwaltungsverfahren beantragten Fördersumme der Höhe nach reduzieren wollte. Denn der Klageantrag Nr. II. kann den unbeschränkten und in sich vollständigen und schlüssigen Klageantrag Nr. I. nicht modifizieren. Ein dahingehender Wille der Klägerin kommt in dem Klageantrag Nr. II. nicht zum Ausdruck, der sich zu dem Klageantrag Nr. I. nicht verhält und nach seinem Wortlaut so verstanden werden muss, dass er neben den Klageantrag Nr. I. tritt. Auch der Klagebegründungsschriftsatz vom 9. Juni 2021 gibt keinen Anlass für die Annahme, dass der Klageantrag Nr. I. durch den Klageantrag Nr. II. modifiziert würde. Die Klägerin äußert sich darin zu dem Klageantrag Nr. II. überhaupt nicht, sondern formuliert ausdrücklich, es werde für die Monate April und Mai 2020 eine Förderung entsprechend der Rechtslage für die November- und Dezemberhilfe beantragt. Die Klägerin mag zwar dem Irrtum unterlegen sein, dass durch die Antragstellung im Klageantrag Nr. I. das Verwaltungsgericht zunächst über die Förderung dem Grunde nach entscheiden werde und sie über den Klageantrag Nr. II. die Höhe der zu bewilligenden Förderung und damit den Streitwert bestimmen könne. Dabei verkennt sie aber, dass ihr Antrag so nicht auszulegen war und im Übrigen bei einem solchen Verständnis unzulässig gewesen wäre (s.o. 1.).
16
Eine summenmäßige Beschränkung der Klageanträge folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens – als Reaktion auf eine Äußerung der Beklagten zum Streitwert, die insoweit von 1.479.496,78 € ausging – vortrug, es handele sich um eine offene Teilklage, mit der ein Betrag von jeweils 500 € für die Umsatzausfälle der Monate April und Mai 2020 geltend gemacht werde. Zwar ist die Klagebegründung bei der Auslegung der Klageanträge zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 3.7.1992 – 8 C 72.90 – juris Rn. 19; B.v. 13.1.2012 – 9 B 56.11 – juris Rn. 7). Vorliegend steht die Aussage, es handele sich um eine auf Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung einer Förderung von 1000 € gerichtete Teilklage, aber im Widerspruch zu dem Klageantrag Nr. I. und der Begründung aus dem Schriftsatz vom 9. Juni 2021. Die Klägerin hat mit dieser Aussage auch nicht deutlich gemacht, dass sie ihren auf Neuverbescheidung ihrer Förderanträge durch die Beklagte gerichteten Klageantrag Nr. I. ändern wolle, ganz unabhängig davon, dass eine solche nachträgliche quantitative Beschränkung des Klagebegehrens möglicherweise als Teilrücknahme der Klage anzusehen gewesen wäre (vgl. hierzu Clausing in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 92 VwGO Rn. 11 m.w.N.), die ihrerseits bei der Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung hätte berücksichtigt werden müssen. Bei der Auslegung der Klageanträge anhand der Klagebegründung ist weiter zu bedenken, dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren durch eine Steuerberatergesellschaft vertreten wurde; Steuerberater sind gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a i.V.m. Abs. 4 Satz 7 VwGO im vorliegenden Verfahren auch vor dem Verwaltungsgerichtshof postulationsfähig. Zudem ist einer der Steuerberater, der die Klageschrift unterzeichnet hat, zugleich Rechtsanwalt, so dass der Antragsformulierung gesteigerte Bedeutung für die Auslegung der Klageanträge zukommt (BVerwG, B.v. 13.1.2012 – 9 B 56.11 – juris Rn. 8). Selbst bei anwaltlicher Vertretung darf die Auslegung zwar vom Antragswortlaut abweichen, sofern die Klagebegründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht (BVerwG, B.v. 13.1.2012 – 9 B 56.11 – juris Rn. 8). Dies ist hier angesichts des Inhaltes des Schriftsatzes vom 9. Juni 2021 jedoch nicht der Fall. Daher ist für die Auslegung der Klageanträge nicht maßgeblich, ob der von der Klägerin im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Subventionsanspruch materiell teilbar ist und eine Teilklage demzufolge in zulässiger Weise hätte erhoben werden können (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 30.7.2010 – 8 B 125.09 – juris Rn. 16). Im Übrigen kann es für einen Kläger in Fällen der Versagungsgegenklage – auch bei unterstellter Teilbarkeit des Streitgegenstandes – durchaus interessengerecht sein, keine Teilklage zu erheben, um einen teilweisen Eintritt der Bestandskraft (vgl. dazu BVerwG, B.v. 2.1.1997 – 8 B 240.96 – juris; B.v. 30.7.2010 – 8 B 125.09 – juris) zu verhindern, ohne dass diese Fragen hier abschließend geklärt werden müssten.
17
Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist es für die Auslegung der Klageanträge auch ohne Belang, dass die Klägerin auf den Einwand der Beklagten, der Klageantrag Nr. II sei unzulässig, im Schriftsatz vom 21. September 2023 weiter ausführt, die selbstständige Bedeutung des Klageantrags Nr. II ergebe sich daraus, dass er im Laufe des Verfahrens bis zum Ende der mündlichen Verhandlung auf die tatsächlich begehrte Fördersumme hätte erweitert werden und damit die Unzulässigkeit des Antrags hätte geheilt werden können. Abgesehen davon hat die Klägerin vor Klagerücknahme ihre Anträge nicht angepasst, was nicht nur in einer mündlichen Verhandlung, sondern auch durch Schriftsatz möglich gewesen wäre. Eine Erhöhung des im Klageantrag Nr. II. genannten Betrags hätte sich im Übrigen nicht streitwertmindernd und damit nicht zu Gunsten der Klägerin ausgewirkt.
18
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG gebührenfrei. Kosten werden gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet. Demnach erübrigt sich auch die Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren.
19
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).