Titel:
Erhebung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag für eine Ortsdurchfahrt
Normenketten:
BayStrWG Art. 42 Abs. 1 S. 1, Art. 48 Abs. 1, Art. 42 Abs. 3
KAG Art. 5 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Zu den beitragsfähigen Einrichtungen im straßenausbaubeitragsrechtlichen Sinn gehören grundsätzlich auch die auf dem Gebiet einer Gemeinde verlaufenden Ortsdurchfahrten einer klassifizierten (hier Staats-) Straße, und zwar unabhängig davon, dass sie straßenrechtlich Teile der entsprechenden klassifizierten Straßen sind. Auch wenn eine Gemeinde die in Art. 42 Abs. 1 S. 1 BayStrWG bestimmte Einwohnerzahl nicht erreicht und deshalb ihre Straßenbaulast auf Gehwege und Parkplätze an der Ortsdurchfahrt der Staatsstraße beschränkt ist, bildet die Ortsdurchfahrt insgesamt die Einrichtung iSv Art. 5 Abs. 1 S. 1 KAG, die freilich nur im Rahmen der gemeindlichen Straßenbaulast beitragsfähig erneuert oder verbessert werden kann. Einrichtung ist mit anderen Worten auch bei geteilter Straßenbaulast die einzelne Ortsdurchfahrt insgesamt und nicht nur zB der an ihr angelegte Gehweg. Maßgebend kommt es demnach auf die Ausdehnung der jeweiligen Ortsdurchfahrt an (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 KAG sind die (allgemeinen) Verwaltungskosten der beitragserhebenden Gemeinden vom umzulegenden Investitionsaufwand ausgeschlossen. Dies gilt im Grundsatz auch für die der Gemeinde in Rechnung gestellten Verwaltungskosten einer anderen staatlichen Behörde. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung muss zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den anderen (minder- oder gar nicht bevorteilten) Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Verhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann. Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kommunalabgabenrecht, Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag, Ortsdurchfahrt einer Staatsstraße, behördliche Festsetzung für räumliche Ausdehnung der Ortsdurchfahrt maßgeblich, „Verwaltungskostenaufschlag“ (hier unzulässig), Mehrfacherschlossenheitsvergünstigungen, für einzelne Grundstücke anzusetzende Fläche, Verwaltungskostenaufschlag, Erschließungsbeitragsrechts, Tiefenbegrenzung, Verwaltungskosten, Mehrfacherschlossenheitsvergünstigung, Ortsdurchfahrt, bauliche Nutzbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 17195
Tenor
I. Der Bescheid der Verwaltungsgemeinschaft, handelnd für die Beklagte, vom 29. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts ... vom 27. Februar 2020 wird aufgehoben, soweit eine Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag von mehr als 13.762,43 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu drei Viertel, die Beklagte zu einem Viertel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag.
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Er ist Eigentümer des 2.801 m² großen, mit einem Wohnhaus bebauten und mit seiner Ostseite an der ... Straße anliegenden Grundstücks Fl.Nr. ... Gemarkung ... . Bei der ... Straße handelt es sich um die auch im Gebiet der Beklagten verlaufende Staats straße ... .
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Der Kläger wurde mit Bescheid der für die Beklagte handelnden Verwaltungsgemeinschaft ... vom 29. September 2016 auf der Grundlage der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen, Grünanlagen und Kinderspielplätzen (Ausbaubeitragssatzung [ABS]), die am 1. April 2011 in Kraft getreten ist, als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... für den Ausbau der ... Straße (Straßenbeleuchtung, Gehweg und Gehwegentwässerung) zu einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 18.975,05 EUR herangezogen.
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Auf den Widerspruch des Klägers reduzierte das Landratsamt ... mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2020 wegen unterbliebener Berücksichtigung von drei weiteren Grundstücken in der Verteilung die festgesetzte Vorauszahlung auf 17.809,52 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
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Am 23. März 2020 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben. Er beantragt,
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den Vorauszahlungsbescheid auf den Straßenausbaubeitrag vom 29. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts ... vom 27. Februar 2020 aufzuheben.
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Das Verfahren ruhte zunächst, um eine Entscheidung der Härtefallkommission abzuwarten. Auf Antrag der Klägerseite mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 wurde das Verfahren unter dem jetzigen Aktenzeichen fortgeführt.
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Der Kläger trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
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Er sei schon dem Grunde nach für den Ausbau der Staats straße nicht beitragspflichtig, da sein Grundstück nach den tatsächlichen Gegebenheiten außerhalb der geschlossenen Ortslage und damit nicht mehr Bereich der Ortsdurchfahrt i.S.d. Art. 4 Abs. 1, Art. 42 BayStrWG liege. Hiervon seien auch das Landratsamt ... und das Straßenbauamt ... in den Jahren 1969 bzw. 1985 ausgegangen. Auf die förmliche Festsetzung der Ortsdurchfahrt gemäß Art. 4 Abs. 2 BayStrWG komme es nicht an.
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Aus § 4 Abs. 4 u. § 5 Abs. 4 der Vereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern (Straßenbauamt ... ) und der Beklagten vom 23./24. Mai 2016 über den gemeinschaftlichen Ausbau der Staats straße ergebe sich ein gegenüber der Beitragserhebung vorrangiger Anspruch der Beklagten gegen den Freistaat Bayern auf vollständige Freistellung von den Kosten der Straßenentwässerungsanlage.
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Die Ausbaukosten enthielten gemäß einer Aufstellung der Beklagten „Verwaltungskostenzuschläge“ des Staatlichen Bauamts, die nicht umlagefähig seien, da nur die Kosten der technischen Herstellung beitragsfähig seien (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 KAG). Dem Freistaat Bayern zu erstattende Verwaltungskosten seien nicht umlagefähige Kosten der allgemeinen Verwaltung, die sich die Beklagte erspart habe.
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Bei der Ermittlung des Nutzungsfaktors für das Grundstück Fl.Nr. ... sei nur von einer eingeschossigen Bebauung ausgegangen worden, obwohl das Grundstück in seinem nördlichen Teil mit einem zweigeschossigen Gebäude auf der (eigentümeridentischen) Fl.Nr. ... überbaut sei. Insoweit liege eine wirtschaftliche Einheit vor. Das Grundstück Fl.Nr. ... sei auch nicht mehrfach erschlossen. Der ... weg, an dem es anliegen solle, sei nicht ordnungsgemäß gewidmet.
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Die von der Beklagten als Außenbereichsfläche mit nur 2% seiner Fläche eingestellte Fl.Nr. ... sei von der Beklagten im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung eines Bauvorbescheids des Eigentümers als planungsrechtlich bebaubar bewertet worden.
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Zahlreiche weitere beitragspflichtige Grundstücke seien von der Beklagten in nicht nachvollziehbarer Weise nur mit einer reduzierten Grundstücksfläche in die Verteilung einbezogen worden. Soweit die Beklagte möglichweise die Tiefenbegrenzung gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS angewendet habe, sei diese unwirksam. Sie beruhe nicht auf einer sorgfältigen Ermittlung der konkreten örtlichen Verhältnisse. Daher seien die entsprechenden Grundstücke mit ihrer vollen Grundstücksfläche zu berücksichtigen. Insbesondere bestehe Beitragspflicht auch für wohnakzessorische Flächen wie die bis zur ... genutzten Hausgärten.
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§ 8 Abs. 13 ABS (Mehrfacherschließungsvergünstigung) könne nur für Grundstücke angewendet werden, die mit einer weiteren Einrichtung erschlossen würden, auf welche bereits Ausbaubeitragspflichten entstanden gewesen seien bzw. dies künftig möglich sei. Ersteres habe die Beklagte nicht nachgewiesen; letzteres sei angesichts der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge nicht mehr möglich.
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Die Beklagte beantragt,
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Maßgeblich für die Ausdehnung der Ortsdurchfahrt sei die nach wie vor gültige formelle Festlegung durch die Regierung von ... gem. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG mit Bescheid vom 17. Oktober 1985; das klägerische Grundstück sei hiervon erfasst.
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Ein vorrangiger Anspruch der Beklagten gegen den Freistaat Bayern betreffend die Gehwegentwässerung (errechneter Betrag: 66.169,51 EUR) aus der Vereinbarung mit dem Straßenbauamt bestehe nicht. Die entsprechenden Vertragsregelungen ließen sich nicht in der vom Kläger befürworteten Weise auslegen. Insbesondere könne nicht unterstellt werden, Beklagte und Straßenbauamt hätten gegen die eindeutigen Bestimmungen zur Aufteilung der Straßenbaulast (Art. 42 Abs. 3 BayStrWG) verstoßen wollen.
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Bei den vom Kläger gerügten Verwaltungskosten handele es sich um von der Straßenbauverwaltung des Freistaats Bayern gegenüber der Beklagten angesetzte beitragsfähige Kosten. Es bestehe – vergleichbar mit der in der Rechtsprechung für zulässig erachteten Einbeziehung des Tiefbauamts eines Landratsamts durch eine Gemeinde – eine Außenrechtsbeziehung zum Straßenbauamt.
21
Die Tiefenbegrenzungsregelung in der ABS sei rechtmäßig. Jedenfalls könnten bei deren Unwirksamkeit die klägerseits genannten, zur ... gelegen Grundstücke nicht mit ihrer vollen Fläche berücksichtigt werden; nur ein angemessener Hausgarten sei einzubeziehen.
22
Der ... weg sei ordnungsgemäß als Orts straße gewidmet und sei auch sonst eine selbstständige Anlage.
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Bezüglich der übrigen von der Klägerseite genannten Grundstücke sei der Flächenansatz ebenfalls zutreffend erfolgt.
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Am 1. März 2023 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins.
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Ein auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2023 mit Beschluss vom 16. Mai 2023 ergangener Vergleichsvorschlag (Reduzierung des Vorauszahlungsbetrags auf 8.904,76 EUR) wurde von der Beklagten nicht angenommen. Ein in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2024 für die Beklagte widerruflich geschlossener Vergleich dahin, dass der streitgegenständliche Straßenausbaubeitrag um 4.000,00 EUR ermäßigt werde, wurde von der Beklagten fristgerecht widerrufen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2024 haben die Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet und die schriftsätzlich angekündigten Anträge gestellt.
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Die Beklagte hat auf gerichtliche Anforderungen und Hinweise Vergleichsberechnungen mit Datum 12. April 2023, 27. April 2023 und 11. Januar 2024 vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die sonstigen Gerichtsakten sowie die Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid über die Erhebung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag vom 29. September 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2020 ist rechtswidrig, soweit vom Kläger ein Vorauszahlungsbetrag von mehr als 13.762,43 EUR verlangt wurde. In diesem Umfang, d.h. in Höhe eines Betrags von 4.047,09 EUR, ist der Bescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag ist Art. 5 Abs. 5, Abs. 1 KAG i.V.m. der ABS der Beklagten (vgl. zu Vorauszahlungen § 10 ABS). Zwar werden gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG u.a. für die Verbesserung oder Erneuerung von in der Baulast der Gemeinden stehenden Teilen von Ortsdurchfahrten und der Straßenbeleuchtung (Straßenausbaubeitragsmaßnahmen) keine Beiträge erhoben; die Vorschrift ist am 1. Januar 2018 und damit vor Erlass des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2020 in Kraft getreten (§ 1 Nr. 2, § 2 des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26.6.2018, GVBl S. 449). Für die Erhebung von Vorauszahlungen, die – wie vorliegend – noch vor dem 31. Dezember 2017 erfolgt sind, trifft Art. 19 Abs. 8 KAG jedoch gesonderte Regelungen; insbesondere hat die Gemeinde bis 31. Dezember 2024 Zeit, eine fiktive Abrechnung des endgültigen Betrags vorzunehmen (Art. 19 Abs. 8 Satz 2 KAG). Daher ist – auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2018 für die Rechtmäßigkeit des vorliegenden Vorauszahlungsbescheids unerheblich (vgl. auch BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 6 ZB 18.2370 – juris Rn. 6).
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2. Vom Kläger wurde dem Grunde nach zu Recht eine Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag erhoben.
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2.1 Das Grundstück Fl.Nr. ... zählt als Anliegergrundstück (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 6 ZB 16.691 – juris Rn. 12 f.) zum Kreis der bevorteilten und damit beitragssowie vorauszahlungspflichtigen Grundstücke (§ 2 ABS; Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG). Das Grundstück liegt an der Ortsdurchfahrt der Staats straße ... und damit der beitragsfähigen Einrichtung im straßenausbaubeitragsrechtlichen Sinn.
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Zu den beitragsfähigen Einrichtungen im straßenausbaubeitragsrechtlichen Sinn gehören grundsätzlich auch die auf dem Gebiet einer Gemeinde verlaufenden Ortsdurchfahrten einer klassifizierten (hier Staats-) Straße, und zwar unabhängig davon, dass sie straßenrechtlich Teile der entsprechenden klassifizierten Straßen sind. Auch wenn die Beklagte die in Art. 42 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG bestimmte Einwohnerzahl nicht erreicht und deshalb ihre Straßenbaulast auf Gehwege und Parkplätze an der Ortsdurchfahrt der Staats straße beschränkt ist (Art. 48 Abs. 1, Art. 42 Abs. 3 BayStrWG), bildet die Ortsdurchfahrt insgesamt die Einrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG, die freilich nur im Rahmen der gemeindlichen Straßenbaulast beitragsfähig erneuert oder verbessert werden kann. Einrichtung ist mit anderen Worten auch bei geteilter Straßenbaulast die einzelne Ortsdurchfahrt insgesamt und nicht nur z.B. der an ihr angelegte Gehweg. Maßgebend kommt es demnach auf die Ausdehnung der jeweiligen Ortsdurchfahrt an (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2014 – 6 CS 14.1470 – juris Rn. 11 m.w.N.).
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Vorliegend liegt das fragliche Grundstück im Bereich der Ortsdurchfahrt. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2023 vorgelegten Bescheid der Regierung von ... vom 17. Oktober 1985 über die Festsetzung der Grenzen der Ortsdurchfahrt ... im Zuge der Staats straße ... sowie dem mit Schriftsatz vom 4. Juli 2023 vorgelegten zugehörigen Lageplan (dort nördliche Grenze beim km 5,638). Die Grenzen der Ortsdurchfahrt setzt gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG die Regierung nach Anhörung der Gemeinde und des Trägers der Straßenbaulast fest. Sie kann dabei zugunsten der Gemeinde von den Vorschriften des Art. 4 Abs. 1 BayStrWG unter bestimmten Voraussetzungen abweichen. Bei der Festsetzung der Grenzen der Ortsdurchfahrt handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit konstitutiver Wirkung, was sich daraus ergibt, dass sie nicht mit der Grenze der geschlossenen Ortslage übereinstimmen muss, sondern auch abweichend erfolgen kann. Die im Jahr 1985 festgesetzte Ortsdurchfahrt – eine spätere Festsetzung ist, wie die Beklagte überzeugend ausgeführt, hat, nicht erfolgt – hat mithin für das vorliegende Verfahren Tatbestandswirkung (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2012 – 6 ZB 11.593 – juris Rn. 6 f. in Bestätigung von VG Augsburg, U.v. 3.2.2011 – Au 2 K 08.922 – juris Rn. 22; vgl. auch Häußler in Zeidler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 4 Rn. 7, Rn. 29). Die klägerseits angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 3.9.1963 – I C 156.60 – BVerwGE 16, 309 – juris Rn. 12) betraf das Anbauverbot nach § 9 FStrG; für die hier in Rede stehende Straßenbaulast hat auch das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) ausgeführt, dass eine behördliche Festsetzung der Ortsdurchfahrt maßgeblich sei.
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Nicht erkennbar ist, weshalb die konstitutive Wirkung der Ortsdurchfahrtsfestsetzung gegenüber dem Kläger nicht gelten sollte. Der soeben aufgeführten Rechtsprechung und Literatur lassen sich insoweit keine Einschränkungen entnehmen. Soweit Bedenken deshalb erwogen werden könnten, weil Dritte an dem Verfahren zur Festsetzung der Grenzen der Ortsdurchfahrt nicht beteiligt sind (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG) und ihnen die Festsetzung (wohl) auch nicht bekannt gegeben wird, greifen diese jedenfalls vorliegend nicht durch. Denn nach den Erkenntnissen des Augenscheinstermins (Protokoll S. 3) sowie nach dem schriftlichen Vortrag des Klägers (Schreiben vom 13.7.2020, Anlage B1) bestand in der Nähe des fraglichen Grundstücks früher ein die Grenzen der Ortsdurchfahrt kennzeichnendes Schild („OD“), so dass die dortige Grenze der Ortsdurchfahrt auch für Dritte erkennbar war (vgl. zur Kennzeichnungspflicht auch Häußler in Zeidler, BayStrWG, Art. 4 Rn. 32 a.E.). Die (rechtliche) Relevanz dieser Kennzeichnung für eine mögliche (spätere) Ausbaubeitragspflichtigkeit mag sich nicht aufgedrängt haben; dies ändert aber nichts daran, dass die Ausdehnung der festgesetzten Ortsdurchfahrt erkennbar war, so dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb diese nicht auch gegenüber Dritten (hier: Straßenausbaubeitragspflichtigen) Tatbestandswirkung beanspruchen sollte. Insofern wurde dem Kläger – mangels Kennen oder Kennenkönnen der Festsetzung – auch kein Rechtsschutz abgeschnitten, zumal von der Festsetzung bis zum Erlass des Vorauszahlungsbescheids über 30 Jahre vergangen waren.
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2.2 Das Grundstück Fl.Nr. ... zählt zum Kreis der bevorteilten und damit beitragspflichtigen Grundstücke. Es verfügt über eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Orts straße (hier Ortsdurchfahrt) Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Das Grundstück wird nach dem Vortrag des Klägers durch eine landwirtschaftliche Hofstelle genutzt. Der Sondervorteil, der die Auferlegung eines Beitrags rechtfertigt, liegt in der qualifizierten Möglichkeit, die Ortsdurchfahrt mit den teils erneuerten, teils verbesserten Gehwegen – etwa bei einem Fußweg in die Ortsmitte – in Anspruch zu nehmen. Ohne Belang ist, ob das Grundstück an die erneuerten oder verbesserten Straßenteile angrenzt; das Abrechnungsgebiet erfasst sämtliche Anliegergrundstücke unabhängig davon, ob diese unmittelbar an die ausgebauten Teile angrenzen oder davon mehr oder weniger weit entfernt liegen (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 6 ZB 16.691 – juris Rn. 12 f. m.w.N).
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3. Der Vorauszahlungsbescheid – in Gestalt des Widerspruchsbescheids – ist der Höhe nach in folgender Hinsicht rechtswidrig:
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3.1 Zu Unrecht hat die Beklagte beim umzulegenden Gesamtaufwand einen „Verwaltungskostenaufschlag“ angesetzt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass es sich dabei nach Angaben der Beklagten nicht um Kosten der Verwaltungstätigkeit von Mitarbeitern der Beklagten oder der Verwaltungsgemeinschaft ... handele (welche wegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 KAG nicht zum Investitionsaufwand gerechnet werden dürften; vgl. schon BayVGH, U.v. 11.11.1998 – 6 B 95.3558 – juris Rn. 210), sondern um Verwaltungskosten, die das Straßenbauamt ... von der Beklagten erhoben habe. Für einen Willen des Gesetzgebers, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 KAG die (allgemeinen) Verwaltungskosten der beitragserhebenden Gemeinden vom umzulegenden Investitionsaufwand auszuschließen, aber die Verwaltungskosten einer staatlichen Behörde dem Investitionsaufwand zuzurechnen, ist nichts ersichtlich. Mit den von der Beklagten angeführten Nachweisen (BayVGH, U.v. 11.11.1998 – 6 B 95.3558 – juris Rn. 21; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Mai 2024, Rn. 195) betreffend das Tätigwerden eines Tiefbauamts eines Landkreises für die Gemeinde lässt sich der Ansatz eines Verwaltungskostenaufschlags in Bezug auf das Straßenbauamt jedenfalls nicht begründen. In dem von den soeben genannten Nachweisen in Bezug genommen Fall (VGH BW, B.v. 17.7.1992 – 2 S 2278/91 – juris Rn. 3) wurden von einer staatlichen Behörde konkrete (Ingenieur-) Leistungen beauftragt und in Anspruch genommen, die gleichsam an Stelle der Beauftragung eines privaten Ingenieurbüros getreten waren. Vorliegend ist jedoch in dem (weiteren) Schriftsatz der Beklagten vom 20. April 2023 sowie der beigefügten E-Mail des Straßenbauamts vom 24. Juni 2019 ganz pauschal von Verwaltungskosten bzw. von Verwaltungsgebühren die Rede. Nähere Erläuterungen, inwieweit es sich konkret um die Inanspruchnahme von Leistungen einer externen Behörde handelt, enthält auch der Schriftsatz der Beklagten vom 20. März 2024 – ergangen auf die entsprechende gerichtliche Aufforderung in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2024 – nicht. Die mit Schriftsatz vom 5. April 2024 vorgelegte Kostenaufstellung des Straßenbauamts hält die Beklagte in Bezug auf den streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheid selbst nicht für maßgeblich. Im Übrigen lassen sich auch dieser Aufstellung lediglich ganz generelle Aufstellungen für „erbrachte Leistungen“ – u.a. für den Gehweg – entnehmen. Zwar werden in diesem Schriftsatz als Verwaltungskosten „jedenfalls“ die in § 14 Abs. 1 der Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Freistaat Bayern (Staatliches Bauamt ... ) vom 23./24. Mai 2016 genannten konkreten Leistungen (Ausschreibung, Bauausführung, Abrechnung, Gewährleistungsüberwachung) bezeichnet. Aber abgesehen davon, dass die Beklagte durch die Formulierung „jedenfalls“ offen lässt, ob die in ihrer Aufstellung (Anlage B12) genannten Verwaltungskosten mit denjenigen für die in § 14 Abs. 1 der Vereinbarung genannten Leistungen übereinstimmen und es insoweit an einer schlüssigen Darlegung mangelt, inwieweit es sich tatsächlich um beitragsfähige Kosten handelt, ändert dies nichts daran, dass es sich nach der eindeutigen Bezeichnung in der Vereinbarung um Kosten der Verwaltung handelt. Soweit für die in § 14 Abs. 1 der Vereinbarung genannte Bauausführung anderes gelten könnte, fehlt es an jedweder schlüssigen Aufgliederung, zumal die Vereinbarung für die Baukosten selbst eigene Regelungen zur Kostenverteilung enthält (vgl. etwa § 4 der Vereinbarung).
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Zudem kann vorliegend nicht von einer „Außenrechtsbeziehung“ der Beklagten im Sinne der klägerseits angeführten Rechtsprechung (BayVGH, U.v. 11.11.1998 – 6 B 95.3558 – juris Rn. 21) zum Staatlichen Bauamt ausgegangen werden. Schon angesichts des Titels und des § 1 Abs. 1 der Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Freistaat Bayern (Staatliches Bauamt ... ) vom 23./24. Mai 2016 handelte es sich um einen „gemeinschaftlichen Ausbau“ bzw. eine „Gemeinschaftsmaßnahme“. Zwar wurde die Vereinbarung zwischen verschiedenen Rechtssubjekten getroffen. Dies reicht aber nicht für die Annahme einer „Außenrechtsbeziehung“ aus (vgl. zu Leistungen einer [ebenfalls rechtlich selbstständigen, vgl. Art. 1 Abs. 2 Satz 1 VGemO] Verwaltungsgemeinschaft gegenüber einer Gemeinde BayVGH, U.v. 11.11.1998 - 6 B 95.3558 – juris). Dass der Ausbau der Ortsdurchfahrt als Gemeinschaftsmaßnahme charakterisiert wurde, verdeutlicht vielmehr, dass eine Situation, die mit einer Beauftragung einer externen Stelle durch die Gemeinde vergleichbar wäre, hier nicht vorlag. Vielmehr führte gem. § 3 Abs. 1 der genannten Vereinbarung – gleichsam umgekehrt – die Straßenbauverwaltung die Gemeinschaftsmaßnahme im Benehmen mit der Beklagten durch. Gerade dies erklärt, weshalb (pauschal) eine „Erstattung“ von – in der vorliegenden Konstellation letztlich nicht quantifizierbaren – Verwaltungskosten der Beklagten gegenüber dem Staatlichen Bauamt vereinbart wurde (§ 14 der genannten Vereinbarung).
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3.2 Rechtsfehlerhaft ist der streitgegenständliche Bescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) auch insoweit, als bei der Berechnung des Vorausleistungsbetrags für zahlreiche Grundstücke die Tiefenbegrenzung nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS zur Anwendung kam (vgl. Kennzeichnung der Grundstücke mit „TB“ in der ursprünglichen Berechnung der Beklagten vom 28.6.2019). Diese Satzungsregelung ist unwirksam.
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Eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung muss zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den anderen (minder- oder gar nicht bevorteilten) Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Verhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann. Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren. Die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS angeordnete generelle Beschränkung der Grundstücksfläche im unbeplanten Innenbereich auf die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 40 m genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte konkrete Feststellungen zu den typischen örtlichen Bebauungsverhältnissen im Gemeindegebiet getroffen hat, welche die Festlegung einer solchen für alle Grundstücke gleichermaßen geltenden Tiefenbegrenzung rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2016 – 6 ZB 16.1476 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Beklagte hat insbesondere auf den gerichtlichen Hinweis vom 20. März 2023 zu diesen Fragen nichts vorgetragen.
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In Folge der Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzung sind auch die westlich der Ortsdurchfahrt gelegenen Grundstücke Fl.Nrn.,,,,,,,, ... mit ihrer gesamten Fläche – also „bis zur ... “ – in die Berechnung einzustellen, wie in der gerichtlich angeforderten Vergleichsberechnung vom 27. April 2023 ausgewiesen. Die von den Beteiligten hinsichtlich dieser Grundstücke erörtere Frage zur Einbeziehung wohnakzessorischer Nutzungen, namentlich eines angemessenen/ortsüblichen Hausgartens, steht letztlich im Zusammenhang mit der Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich (vgl. Formulierungen bei BVerwG, B.v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 9.11.2023 – 6 ZB 23.216 – juris Rn. 17 f.; B.v. 10.11.2021 – 6 CS 21.887- juris Rn. 15). In der Kommentarliteratur zum Straßenausbaubeitragsrecht wird vertreten, dass bei Grundstücken, die sowohl im Innenbereich als auch im Außenbereich liegen, die Abgrenzung entsprechend den Maßstäben des Baugesetzbuches (§§ 34, 35 BauGB) zu erfolgen habe (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 2160a). Dies zusammengenommen, ist vorliegend auf den im Bauplanungsrecht etablierten Gesichtspunkt abzustellen, dass bei der Abgrenzung von Innenzum Außenbereich auch eine sich aus topografischen Verhältnissen – etwa Gräben und Flüssen – ergebende natürliche Situation eine Rolle spielen kann (vgl. etwa BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 15 ZB 18.255 – juris Rn. 7 m.w.N.). Der Verlauf der ... bildet – insbesondere nach dem in den Akten der Beklagten (Abschnitt/Einlegeblätter 1 und 2) enthaltenen Lageplan und Luftbild – eine derartige, erkennbare Zäsur. Zudem ist angesichts des ländlichen Charakters des Ortsteils ... ein großzügiger Maßstab bei der Frage der Ortsüblichkeit der Erstreckung von Hausgärten anzulegen. Die klägerseits angeführte Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 16.2.2021 – 6 CS 20.3153 – juris zu VG Augsburg, B.v. 2.12.2020 – Au 2 S 20.2023) steht dem nicht entgegen. Vielmehr ist auch in jenen Entscheidungen auf die vorgenannten Grundsätze abgestellt worden (vgl. BayVGH, a.a.O., juris Rn. 12; VG Augsburg, a.a.O., Rn. 29 ff.). Dass die Kammer in jener Entscheidung (a.a.O., Rn. 30) eine wohnakzessorische Nutzung nur Richtung Süden angenommen, den Bereich jenseits der westlichen Hauswand – obwohl auch Gartenbereich – aber nicht mehr dem Innenbereich zugeordnet hat, beruht auf der Würdigung der Gegebenheiten des dortigen Einzelfalls. Der Gesichtspunkt jener Entscheidung, wonach durch eine solche Grenzziehung nach Westen keine ungebremste Besiedlung des Außenbereichs herbeigeführt werden könnte, kommt hier im Übrigen nicht zum Tragen, da – wie ausgeführt – die ... eine erkennbare, von den Wohngebäuden nicht allzu weit entfernt liegende Zäsur bildet und auch eine ungebremste bauliche Entwicklung in andere Richtungen angesichts der Situierung der Wohngebäude zueinander auf den in Rede stehenden Grundstücken nicht zu besorgen ist.
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Nicht ersichtlich ist, weshalb die Bedeutung der anzusetzenden Grundstücksfläche, wie die Beklagte (Schriftsatz vom 2.5.2023 unter Nr. 2) meint, vorliegend „nur von untergeordneter Bedeutung“ sein sollte, weil es um die Rechtmäßigkeit eines Vorauszahlungsbescheids geht. Die Vorauszahlung nach Art. 5 Abs. 5 KAG kann bis zur vollen Höhe des voraussichtlichen Beitrags erhoben werden (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 2180). Eine Beschränkung hat auch die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid nicht vorgenommen. Ein Vorauszahlungsbescheid begründet für die Herangezogenen unzweifelhaft trotz möglicher Erstattungsansprüche nach endgültiger bzw. fiktiver Feststellung der Beitragsschuld (vgl. Art. 5 Abs. 5 Satz 2, Art. 19 Abs. 8 Satz 3 KAG) eine eigene Beschwer. Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb bei einer klageweisen Entscheidung über einen Vorauszahlungsbescheid eine bloß summarische oder sonst reduzierte Prüfung von dessen Rechtmäßigkeit erfolgen sollte. Für die gerichtliche Überprüfung eines Vorauszahlungsbescheids kommt es grundsätzlich auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an; durch nachträglich eintretende tatsächliche oder rechtliche Umstände kann er zudem geheilt werden und deshalb im gerichtlichen Verfahren nicht mehr der Aufhebung unterliegen (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2018 – 6 ZB 18.1466 – juris Rn. 13). Eine Grundlage für ein gerichtliches „Offenlassen“ der rechtlichen Bewertung tatsächlicher Umstände ist hingegen nicht erkennbar. Sollte die von der Beklagten angeführte Entscheidung (VG Bayreuth, U.v. 26.6.2019 – B 4 K 17.945 – juris Rn. 43) so zu verstehen sein, wegen möglicher Erstattungsansprüche nach endgültiger bzw. fiktiver Abrechnung (dort Art. 19 Abs. 8 Satz 3 KAG) fehle es an einer Rechtsverletzung des Beitragspflichtigen durch den Vorausleistungsbescheid, wenn dieser einen überhöhen Betrag festsetzen sollte, könnte dem die Kammer aus den vorstehenden Gründen nicht folgen. Im Übrigen war in jener Entscheidung von maßgeblicher Bedeutung, dass ein erheblicher Aufwand der Gemeinde (Grunderwerb) beim Vorauszahlungsbescheid nicht berechnet worden war. Für ein solches „Ausklammern“ einer für die fiktive Abrechnung wesentlichen Kostenposition durch den angegriffenen Vorausleistungsbescheid ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
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3.3 Hinsichtlich der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... hat der Vorauszahlungsbescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) zu Unrecht keine wirtschaftliche Einheit unterstellt, die dazu führen musste, dass für beide Grundstücke in Anwendung von § 8 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 ABS ein Nutzungsfaktor 1,2 anzusetzen war. Wie die Klägerseite nachvollziehbar vorgetragen hat und auch aus dem oben (3.2) genannten Plan/Luftbild erkennbar ist, liegt – bei Eigentümeridentität – mit etwa 30 m2 nicht lediglich ein unbedeutender Überbau des überwiegend auf Fl.Nr. ... stehenden Wohngebäudes auf Fl.Nr. ... (ebenfalls mit einem Wohngebäude bebaut) vor und befinden sich wohnakzessorische Nutzungen des Gebäudes auf Fl.Nr. ... ebenfalls noch auf Fl.Nr. ... . Insofern bilden hier die beiden genannten Grundstücke eine zusammenhängende wirtschaftliche Einheit in der Hand derselben Eigentümerin, so dass ein Festhalten am formellen Grundstücksbegriff gröblich unangemessen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1319 – juris Rn. 18 f.). Die Beklagte hat diese wirtschaftliche Einheit in der gerichtlich angeforderten Vergleichsberechnung vom 27. April 2023 berücksichtigt.
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3.4 In die Berechnung einzubeziehen wäre auch gewesen, dass das – ebenfalls an der Ortsdurchfahrt anliegende – Grundstück Fl.Nr. ... im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bereits erschlossen war; nach dem in den Akten der Beklagten enthaltenen Luftbild mit Datum 21. Januar 2020 (Abschnitt/Einlegeblatt 2), also vor dem Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2020, ist bereits eine Bebauung erkennbar. Die Beklagte hat dies in der gerichtlich angeforderten Vergleichsberechnung vom 27. April 2023 ebenfalls berücksichtigt.
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4. Im Übrigen ist der streitgegenständliche Bescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) rechtmäßig.
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4.1 Nicht durchzudringen vermag der Kläger mit seinem Vorbringen, der Beklagten stünde aus der Vereinbarung mit dem Staatlichen Bauamt ... 23./24. Mai 2016 ein vorrangiger Anspruch auf Kostenerstattung für die Gehwegentwässerung gegen den Freistaat Bayern zu. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei dem Ansatz der Kosten für die Gehwegentwässerung um den Regenwasserkanal handelt, bei dem der Straßenentwässerungsanteil von 50% liege (vgl. BayVGH, U.v. 1.12.2016 – 6 BV 16.85 – juris Rn. 31), wobei hiervon wiederum der auf den Gehweg entfallende Teil herausgerechnet wurde (vgl. im Einzelnen Anlage B7). Der Klägerseite ist zuzugeben, dass § 4 Abs. 4 der genannten Vereinbarung von den Kosten für die Straßenentwässerung, § 5 Abs. 1 Satz 2 der Vereinbarung von den Kosten der Anlagen für die Oberflächenentwässerung spricht, die die Straßenbauverwaltung zu tragen habe. Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass damit die Entwässerung der gesamten Straße/Oberfläche (einschließlich des Gehwegs) gemeint sein könnte, bestehen aber nicht. Die Vereinbarung rechnet (in Einklang mit den Regelungen zur Straßenbaulast in Art. 48 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1, Abs. 3 BayStrWG) ansonsten den Gehweg eindeutig der Beklagten zu (vgl. insbesondere § 3 Abs. 2 Satz 2 Buchst. e, § 4 Abs. 2 Satz 2). In § 16 Abs. 1 der Vereinbarung wird hinsichtlich der Straßenbaulast nach Fertigstellung ebenfalls auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen (Art. 42 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BayStrWG). Soweit in § 5 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 der Vereinbarung von Geh-/Radwegflächen bzw. vom Geh- und Radweg die Rede ist, ist offensichtlich der in § 3 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b eigens genannte gemeinsame Geh- und Radweg gemeint, und gerade nicht die Fläche für die (teilweise beidseitigen) „reinen“ Gehwege. Angesichts der ansonsten durchweg an den gesetzlichen Regelungen zur Straßenbaulast orientierten Aufteilung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vertragsschließenden die Kosten für die Gehwegwegentwässerung dem Freistaat Bayern zuweisen wollten. Die von der Klägerin angeführten Vertragsbestimmungen mögen nicht eindeutig formuliert und deshalb auslegungsbedürftig sein, ein Wille der Vertragsschließenden (Art. 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. §§ 133, 157 BGB; vgl. Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 54 Rn. 29 m.w.N.) für einen vorrangigen Anspruch der Beklagten gegen den Freistaat Bayern hinsichtlich der Gehwegentwässerung ergibt sich aus ihnen aber nicht.
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4.2 Nicht zu beanstanden sind ferner die etlichen von der Beklagten gem. § 8 Abs. 13 ABS gewährten Mehrfacherschlossenheitsvergünstigungen. Danach ist für Grundstücke, die von mehr als einer Einrichtung i.S.d. § 5 ABS erschlossen werden, die Grundstücksfläche bei Abrechnung jeder Einrichtung nur mit zwei Dritteln anzusetzen.
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4.2.1 Die Gewährung einer solchen Vergünstigung ist nicht verpflichtend, sondern steht im Ermessen der Gemeinde und ist damit grundsätzlich zulässig (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2016 – 6 B 16.599 – juris Rn. 12). Voraussetzung ist allerdings, dass die Straße, wegen der die Vergünstigung gewährt wird, bereits endgültig hergestellt ist und damit nicht mehr dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts unterfällt (vgl. BayVGH, a.a.O., juris Rn. 11 f. m.w.N.). Hieran – also aus der Entlassung der die Vergünstigung auslösenden Anlagen aus dem Erschließungsbeitragsrecht – bestehen keine Zweifel (vgl. auch Schriftsatz der Beklagten vom 12.4.2024 S. 2 a.E.). Die von der Klägerin vertretene Ansicht, für die Anwendung der Vergünstigung müsse (gleichsam darüber hinaus) das jeweilige Grundstück von einer weiteren Einrichtung erschlossen werden, auf welche bereits entsprechende Ausbaubeitragspflichten entstanden waren, oder solche müssten künftig möglich seien, findet im Satzungswortlaut und in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine Stütze. Insofern war der Beklagten auch keine weitere Vergleichsberechnung aufzugeben. Richtig ist zwar, dass – im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids – wegen Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die die Vergünstigung auslösenden Einrichtungen keine Ausbaubeiträge mehr erhoben werden konnten. Gleichwohl ist jedenfalls für den streitgegenständlichen Vorauszahlungsbescheid nicht davon auszugehen, dass das seit 1. Januar 2018 geltende Verbot der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen die Gewährung einer Mehrfachvergünstigung nach § 8 Abs. 13 ABS in Frage stellt. Denn nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, bei der bis zu diesem Datum geltenden Rechtslage, die sich aus dem KAG und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 6 ZB 18.2370 – juris Rn. 6).
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4.2.2 Die Gewährung einer Mehrfacherschlossenheitsvergünstigung war in Bezug auf den ... weg auch nicht wegen dessen fehlender Widmung unzulässig. In dem von der Beklagten vorgelegten Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen (Anlage zur Anlage B2) ist am Ende der 2. Spalte insbesondere die zutreffende Grundstücksbezeichnung (Fl.Nr. ... ) angegeben. Der ... weg ist auch nicht als unselbstständige Stichstraße zu qualifizieren. Abgesehen davon, dass die Beklagte ihn – vgl. soeben – als Orts straße gewidmet hat, die ausgebaute Anlage aber eine Staats straße ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 BayStrWG), kommt ihm offenkundig eine von der ausgebauten ... Straße (Hauptverkehrs straße) abweichende, nämlich vollkommen untergeordnete, Verkehrsbedeutung zu, so dass es sich um getrennte Anlagen handelt (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Rn. 2151).
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4.3 Unabhängig von der Frage, ob der klägerseits außer- bzw. nebengerichtlich erhobene Einwand (vgl. Schreiben des Klägeran den Beklagtenbevollmächtigten vom 13.7.2020 S. 2) betreffend das mit der ... -... -Kirche bebaute Grundstück Fl.Nr. ... im gerichtliche Verfahren weiterverfolgt wird, greift dieser jedenfalls nicht durch. Eine gewerbliche Nutzung, die gem. § 8 Abs. 11, Abs. 12 ABS einen Zuschlag bei den Nutzungsfaktoren nach § 8 Abs. 2 ABS rechtfertigen könnte, liegt angesichts der Nutzung zu kirchlichen Zwecken nicht vor. Ebenso wenig ist wegen der (sich im Bereich des Üblichen für derartige ländlich geprägte Ortsteile bewegenden) Höhe des Kirchengebäudes von einer mehrgeschossigen Bebaubarkeit (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ABS) auszugehen.
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4.4 Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das – erstmals im Widerspruchsbescheid berücksichtigte – Grundstück Fl.Nr. ... in Anwendung von § 8 Abs. 4 ABS wegen fehlender baulicher Nutzbarkeit nur mit 50% der Grundstücksfläche in die Verteilung eingestellt wurde. Insoweit wird – auch unter Berücksichtigung des Klägervortrags (Schriftsatz vom 7.6.2022 S. 5) – gem. § 117 Abs. 5 VwGO auf die überzeugende Begründung des Widerspruchsbescheids (S. 6) Bezug genommen. Eine Bebauung dieses Hanggrundstücks mag technisch „irgendwie“ machbar sein; aus dem Blickwinkel eines „vernünftigen Eigentümers“ würde dies jedoch angesichts der im Widerspruchsbescheid schlüssig dargelegten Erfahrungen bei einem Bauversuch aus der Vergangenheit (drohender Hangrutsch mit Gefahr für die Häuser oberhalb; Erfordernis der Wiederverfüllung und der Befestigung mit Steinen und Spundwänden) einen unvertretbaren Aufwand erfordern (vgl. BayVGH, U.v. 29.11.2018 – 6 B 18.248 – juris Rn. 31 m.w.N.).
53
4.5 Zutreffend ist auch das Grundstück Fl.Nr. ... gem. § 8 Abs. 5 ABS mit lediglich 2% der Grundstücksfläche in die Verteilung einbezogen worden. Dieses Grundstück liegt nach dem genannten Luftbild aus der Behördenakte sowie den beim Augenscheinstermin aufgenommenen Fotos eindeutig im Außenbereich. Hiervon ist auch die Beklagte nach der von der Klägerin vorgelegten Unterlage aus dem Gemeinderat vom 28. Oktober 2020 ausgegangen. Zwar hat sie einem Antrag auf Erteilung einer Bauvoranfrage (Vorbescheid, Art. 71 BayBO) betreffend den Neubau von drei Einfamilienhäusern mit Garage zugestimmt, gleichzeitig aber deutlich gemacht, dass dies den Erlass eines Bebauungsplans voraussetzt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein Bebauungsplan bis zum – insoweit maßgeblichen (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2018 – 6 ZB 18.1466 – juris Rn. 13) – Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vorlag.
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5. Unter Berücksichtigung der Ausführungen unter Nr. 3 und Nr. 4 ermittelt sich die zutreffende Höhe der Vorausleistung wie folgt:
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"Der umzulegende Anliegeraufwand am Gesamtaufwand ist der gerichtlich angeforderten Vergleichsberechnung der Beklagten vom 11. Januar 2024 (Anlage B19) zu entnehmen (288.068,23 EUR). Denn in dieser ist – entsprechend der gerichtlichen Aufforderung vom 10. Januar 2024 – der „Verwaltungskostenzuschlag“ nicht enthalten, der nach den Ausführungen unter 3.1 auch nicht angesetzt hätte werden dürfen.“
56
Die Summe der Umlagefläche („bpfl. GGR“) ist hingegen der gerichtlich angeforderten Vergleichsberechnung der Beklagten vom 27. April 2023 (Anlage B 14) zu entnehmen (70.354,93 m2). Denn diese berücksichtigt entsprechend den gerichtlichen Hinweisen vom 20. März 2023 sowie den vorstehenden Ausführungen (3.2 ff.) die Rechtswidrigkeit der Tiefenbegrenzung in § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS – u.a. mit der Folge, dass die unter 3.2 genannten Grundstücke mit ihrer vollen Fläche „bis zur ... “ einzustellen gewesen wären –, die wirtschaftliche Einheit der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... sowie die jedenfalls im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bereits bestehende Erschlossenheit des Grundstücks Fl.Nr. ... .
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Hieraus ergibt sich ein Betrag pro Quadratmeter von 4,09450 EUR, der – multipliziert mit der für das klägerische Grundstück zugrunde zu legenden Fläche (GGR) von 3.361,20 m2 – einen Betrag von 13.762,43 EUR ergibt. Soweit der Vorauszahlungsbescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheids) einen höheren Betrag festgesetzt hat, war er mithin aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.