Inhalt

VGH München, Urteil v. 30.01.2024 – 98 F 23.597
Titel:

Entschädigung des immateriellen Nachteils wegen unangemessen langer gerichtlicher Verfahrensdauer

Normenketten:
BBG § 44 Abs. 1 S. 1
VwGO § 173 S. 2
GVG § 198 Abs. 1 S. 1
EMRK Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens iSv § 198 Abs. 1 S. 1 GVG unangemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfall; maßgeblich zu berücksichtigen sind die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter und die Prozessförderung durch das Gericht (ebenso BVerwG BeckRS 2018, 30198). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind; hierbei besteht die Forderung nach einem zügigen Betreiben des Gerichtsverfahrens unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes einer geordneten Rechtspflege. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Ende des ab Eintritt der Entscheidungsreife zuzugestehenden gerichtlichen Gestaltungszeitraums wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein weiteres Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die weitere Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt; es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem in jedem Fall von einer "optimalen Verfahrensführung" des Gerichts auszugehen ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich nicht dem Gericht anzulasten, umgekehrt kann sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können (ebenso BVerfG BeckRS 2018, 5077), wobei als strukturelle Mängel, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat, in diesem Zusammenhang sowohl eine etwaige Überlastung des betroffenen Spruchkörpers als auch etwa längerfristige Erkrankungen eines Richters außer Betracht zu bleiben haben (ebenso BVerwG BeckRS 2017, 127647). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft; es obliegt den Ländern, in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG genügt (ebenso BVerfG BeckRS 2012, 58227). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens, Klage gegen Ruhestandsversetzung, tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache, Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens, Grenzen des Gestaltungsspielraums des Ausgangsgerichts hinsichtlich der Verfahrensführung, Gesamtgerichtsverfahren als materieller Bezugsrahmen, überlange Verfahrensdauer, Überlastung des betroffenen Spruchkörpers, längerfristige Erkrankungen eines Richters
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1403

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200,- Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 2. Mai 2023 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte und der Kläger tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht München (Az. M 21b K 20.3205).
2
Der am … … 1960 geborene Kläger stand als Posthauptsekretär (Besoldungsgruppe A8) seit dem 1. September 1979 im Dienst der Bundesrepublik Deutschland. Mit Bescheid vom 24. Mai 2019 wurde der Kläger auf der Grundlage mehrerer betriebsärztlicher Gutachten in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er sei dienstunfähig im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG. Eine anderweitige Verwendung sei nicht gefunden worden. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2020 zurückgewiesen.
3
Am 7. Mai 2020 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg auf Aufhebung des Bescheids vom 24. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2020. Nach Anhörung der Parteien erklärte sich das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 8. Juli 2020 für örtlich nicht zuständig und verwies das Verfahren an das Verwaltungsgericht München. Dort ging es am 17. Juli 2020 ein.
4
Die Rechtsvertretung des Klägers begründete die Klage mit Schriftsatz vom 18. August 2020 und bat mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2020 um Mitteilung des Sachstands. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 forderte das Gericht die dortige Beklagte (im Folgenden: Gegenpartei) um Äußerung zur Klage auf. Unter dem 9. Februar 2021 wiederholte der Kläger die Sachstandsanfrage beim Verwaltungsgericht. Mit Schreiben vom 18. Februar 2021 übersandte das Verwaltungsgericht, wie von der Vertreterin der Gegenpartei erbeten, die Behördenakten zurück.
5
Mit Schriftsatz vom 15. März 2021 (eingegangen am 19.3.2021) nahm die Gegenpartei zur Klage Stellung. Das Verwaltungsgericht verfügte die Zustellung des Schriftsatzes an die Klagepartei am 22. März 2021. Auf Akteneinsichtsantrag des Klägers vom 29. März 2021 verwies das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 8. April 2021 auf Akteneinsicht in der Geschäftsstelle eines von der Klägervertretung zu benennenden Gerichts. Die Akten wurden mit Schreiben vom 16. April 2021 dem Verwaltungsgericht Augsburg übermittelt. Mit Schreiben vom 23. April 2021 bat die Klagepartei um Kopien von Aktenteilen, die nicht vor Ort gemacht werden konnten.
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Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 nahm die Rechtsvertretung des Klägers zur Klageerwiderung Stellung. Mit Schreiben vom 8. August 2021 und vom 23. Dezember 2021 bat diese erneut um Mitteilung des Sachstands und Terminierung der mündlichen Verhandlung. Das Verwaltungsgericht verwies daraufhin mehrfach auf den Vorrang älterer anhängiger Verfahren.
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Mit Schriftsatz vom 8. April 2022 erhob die Rechtsvertretung des Klägers Verzögerungsrüge. Die Schwierigkeit des Verfahrens sei durchschnittlich, die Bedeutung aber überdurchschnittlich. Am 29. September 2022 lud das Verwaltungsgericht die Parteien zur mündlichen Verhandlung für den 26. Oktober 2022. Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts nahmen die Parteien darauf hin erneut Stellung, gaben die vom Verwaltungsgericht erbetenen Auskünfte und legten die vom Verwaltungsgericht verlangten weiteren Unterlagen vor.
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Mit Urteil vom 26. Oktober 2022 wies das Verwaltungsgericht im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom selben Tag die Klage ab. Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand sei formell und materiell rechtmäßig erfolgt. Eine generelle Dienstunfähigkeit sei anzunehmen, wenn die Erkrankung des Beamten von solcher Art oder Schwere sei, dass er für sämtliche Dienstposten der betreffenden oder einer anderen Laufbahn, in die er wechseln könne, ersichtlich gesundheitlich ungeeignet sei oder wenn bei dem Beamten keinerlei Restleistungsvermögen mehr festzustellen sei. Nach diesem Maßstab sei der Kläger dienstunfähig im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG; es stünde bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet sei, sodass eine andere Verwendbarkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG ausscheide. Die Gutachten, die diese Tatsachen stützten, seien hinreichend detailliert; die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen könnten diese nicht infrage stellen. Bei der Frage der anderweitigen Verwendbarkeit berücksichtigte das Verwaltungsgericht auch, dass der Kläger seit Zustellung des Widerspruchsbescheids am 11. April 2020 seit zweieinhalb Jahren keinen Dienst mehr verrichtet habe. Das Urteil wurde der Rechtsvertretung des Klägers mit Gründen am 28. November 2022 zugestellt. Den vom Kläger am 27. Dezember 2022 gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung, der mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 begründet wurde, lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Februar 2023 (6 ZB 22.2655), zugestellt am 16. Februar 2023, ab.
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Mit Schriftsatz vom 27. März 2023 (Eingang am 28.3.2023) erhob der Kläger Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Antrag,
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den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 2.400,- Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Dauer des am 7. Mai 2020 vom Kläger eingeleiteten Klageverfahrens M 21b K 20.3205 beim Verwaltungsgericht München sei unangemessen lang gewesen. Die Klagepartei habe mehrfach um Sachstandsmitteilung und Terminierung gebeten und schließlich am 8. April 2022 Verzögerungsrüge erhoben. Außergerichtlich sei eine Entschädigung mit Schreiben des Verwaltungsgerichts München vom 12. Januar 2023 abgelehnt worden. Interne Gründe des Verwaltungsgerichts, wie etwa die Erkrankung eines Richters, stünden einem Entschädigungsanspruch nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht sei immer wieder längere Zeit untätig gewesen. Weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht habe das Verfahren überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufgewiesen. Vom Verwaltungsgericht sei zu keiner Zeit die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht gezogen worden. Es habe sich auch um keinen atypischen Fall gehandelt. Die Berufung sei letztlich auch nicht zugelassen worden. Das Verfahren hätte daher nach der Begründung im August 2020 noch im Jahr 2020 entschieden werden können. Selbst wenn man die für die Sozialgerichtsbarkeit entwickelten Grundsätze zur Verfahrensdauer anwenden würde, indem man eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit vom bis zu 12 Monaten pro Instanz zubillige, bestünden bis zum Verhandlungstermin noch 14 inaktive Monate, die mindestens als Entschädigungsbetrag angesetzt werden müssten.
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Die Klage wurde der Landesanwaltschaft ... nach Einzahlung des Kostenvorschusses am 2. Mai 2023 zugestellt. Diese wies mit Schriftsatz vom 5. Juni 2023 darauf hin, dass die Zeitdauer des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Augsburg auch nach Auffassung der Klagepartei außer Betracht bleiben könne. In Anerkennung der Tatsache, dass beim Verwaltungsgericht München über einen Zeitraum von ca. sechzehneinhalb Monaten keine gerichtliche Sachbehandlung vorliege, müsse über den anzusetzenden Gestaltungsspielraum des Gerichts hinaus auch noch berücksichtigt werden, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Berufungszulassungsverfahren deutlich früher erledigt habe, als es dies bei Berücksichtigung des ihm zu zukommenden Gestaltungsspielraums hätte tun müssen. Das mindere den Zeitraum, für den Entschädigung zu gewähren sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten einschließlich der Akten des Ausgangsverfahrens sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Entschädigungsklage ist zulässig und hat teilweise Erfolg.
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1. Die Klage ist zulässig.
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Der Klageschriftsatz vom 27. März 2023 ist am 28. März 2023 und damit nach Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist seit Erhebung der Verzögerungsrüge vom 8. August 2022 (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG) eingegangen. Die ebenfalls sechsmonatige, durch Ablehnung des Antrags des Klägers auf Zulassung der Berufung mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 8. Februar 2023 in Gang gesetzte Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ab Eintritt der Rechtskraft war im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO) noch nicht verstrichen.
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2. Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.
18
Der Kläger hat für eine unangemessene Verfahrensdauer im Umfang von zwölf Monaten Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils in Höhe von 1.200,- Euro zuzüglich der Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage. Soweit er darüber hinaus eine Entschädigung für zwölf weitere Monate in Höhe von 1.200,- Euro zuzüglich Prozesszinsen begehrt, hat seine Klage keinen Erfolg.
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a) Nach § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
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aa) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich zu berücksichtigen sind die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG) und die Prozessförderung durch das Gericht (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 2 WA 1.17 D – NJW 2019, 320 Rn. 26). Die Verfahrensdauer ist unangemessen, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.
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Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltspunkten auszugehen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 a.a.O. Rn. 26; U.v. 14.9.2017 – 2 WA 2.17 D – BVerwGE 159, 366 Rn. 13). Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen.
22
Für die Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es auch darauf an, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, vor dem Hintergrund des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 – 5 C 1.13 D – NVwZ 2014, 1523 Rn. 18; U.v. 11.7.2013 – 5 C 23.12 D – BVerwGE 147, 146 Rn. 37). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt. Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten – insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens – Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit – deshalb ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 – 2 BvR 1610/03 – NJW 2005, 3488; B.v. 1.10.2012 – 1 BvR 170/06 – NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 – Nr. 29357/95 – NJW 2001, 211 Rn. 75).
23
Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zuzugestehende Gestaltungszeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit – genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände –, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Das Ende des gerichtlichen Gestaltungszeitraums wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem in jedem Fall von einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts auszugehen ist. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 a.a.O. Rn. 39). Auch hier hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich nicht dem Gericht anzulasten. Umgekehrt kann sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können (vgl. BVerfG, B.v. 22.3.2018 – 2 BvR 289/10 – Vz 10/16 – juris Rn. 17; EGMR, U.v. 25.2.2000 a.a.O. Rn. 75). Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Es obliegt den Ländern, in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfG, B.v. 13.8.2012 – 1 BvR 1098/11 – BayVBl 2013, 210 Rn. 19 m.w.N.). Als strukturelle Mängel, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat, haben in diesem Zusammenhang sowohl eine etwaige Überlastung des betroffenen Spruchkörpers als auch etwa längerfristige Erkrankungen eines Richters außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2017 – 5 A 2/17 D – NVwZ 2018, 909 Rn. 34).
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bb) Hiervon ausgehend erweist sich die Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens in einem Umfang von zwölf Monaten als unangemessen.
25
(1) Das Ausgangsverfahren betraf einen Fall aus dem Beamtenrecht, der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mindestens durchschnittliche Schwierigkeiten aufwies. Das Verwaltungsgericht hatte, wie der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils zeigen, eine erhebliche berufliche und gesundheitliche „Vorgeschichte“ des Klägers sowie das Vorliegen der formellen Voraussetzungen für die Ruhestandsversetzung des Klägers (zuständige Behörde, ordnungsgemäße Anhörung, betriebliches Eingliederungsmanagement, Beteiligung höherer Dienststellen, der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats) zu klären und auch umfangreiche ärztliche Gutachten zu prüfen, um die Frage der Dienstfähigkeit des Klägers beurteilen zu können. Nicht nur der Dienstherr, sondern auch das Gericht muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 22 f.; BayVGH, B.v. 2.9.2019 – 6 ZB 19.623 – juris Rn. 6). Diese Prüfung hat das Verwaltungsgericht umfangreich vorgenommen und in seinem Urteil dargelegt (UA S. 14 bis 19). Ferner hatte das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob der Kläger gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG anderweitig verwendbar ist. Auch diese Prüfung hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil umfangreich dokumentiert (UA S. 19 bis 26).
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(2) Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter hat im Berufungszulassungsverfahren nicht zu einer Verzögerung geführt. Dass der Kläger die Verzögerungsrüge erst ca. zwei Jahre nach Klageerhebung erhoben hat, ist nicht zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Von einem „Dulden und Liquidieren“ (vgl. hierzu BFH, U.v. 29.11.2017 – X K 1/16 – BFHE 259, 499, BStBl II 2018, 132, Rn. 43) kann hier nicht gesprochen werden, weil der Kläger mehrmals durch Sachstandsanfragen und der Bitte um Terminierung beim Verwaltungsgericht vorstellig wurde.
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(3) Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger ist als hoch zu bewerten. Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens war die Ruhestandsversetzung des Klägers. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung 59, zum Zeitpunkt der Klageerhebung 60 Jahre alt. Das belegt die besondere Dringlichkeit einer baldigen Klärung der Angelegenheit für den Kläger, wie auch das Verwaltungsgericht erkannte, wenn es in seinem Urteil auf die über zweieinhalb jährige Beschäftigungslosigkeit des Klägers hingewiesen hat. Das Verfahren hätte daher tendenziell älteren Verfahren vorgezogen werden müssen. Dass der Kläger kein einstweiliges Rechtsschutzverfahren angestrengt hat, ist insoweit nicht zu seinen Lasten zu werten, da insoweit keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestanden haben.
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(4) Die Parteien sind sich zu Recht darüber einig, dass die Dauer des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Augsburg außer Betracht zu bleiben hat. Schließlich hat der Kläger das Verfahren beim örtlich unzuständigen Gericht eingeleitet. Auch erfolgte die Verweisung in einem angemessenen Zeitraum.
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Vom Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht München am 17. Juli 2020 bis zum Abschluss des Verfahrens durch Zustellung des Urteils am 28. November 2022 sind 28 Monate und elf Tage vergangen. Hiervon haben jedoch für die Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die Verfahrensdauer unangemessen war, die Zeiträume außer Betracht zu bleiben, in denen das Gericht noch keine Entscheidung treffen konnte und in denen es das Verfahren gefördert hat. Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer (BVerwG, U.v. 11.7.2013 – 5 C 23.12 D – BVerwGE 147, 146 Rn. 44). Vielmehr sind die Zeiträume, in denen das Verwaltungsgericht das Verfahren über den ihm zustehende Gestaltungsspielraum hinaus nicht gefördert hat, obwohl das angemessen gewesen wäre, maßgeblich. Nach Eingang der Klagebegründung am 18. August 2020 hätte das Verwaltungsgericht auf eine zügige Klageerwiderung hinwirken müssen; dies tat es erst nach der zweiten Sachstandsanfrage des Klägers im Februar 2021. Insofern sind fünf Monate anzusetzen, in denen das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht gefördert hat. Der Zeitraum vom Eingang der Klageerwiderung am 19. März 2021 bis zur Replik des Klägers mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 bleibt außer Betracht. Jedenfalls einen Monat nach Eingang der Replik des Klägers Mitte Mai 2021 war das Verfahren terminierungsreif. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgte jedoch erst unter dem 29. September 2022. Das Verwaltungsgericht war insgesamt über einen Zeitraum von ca. 20 Monaten untätig. Nach der Terminierung hat das Verwaltungsgericht das Verfahren wieder gefördert, eine mündliche Verhandlung durchgeführt und alsbald das Urteil abgesetzt und zugestellt.
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(5) Allerdings ist für die Bemessung der dem Kläger zustehenden Entschädigung nicht dieser gesamte Zeitraum von mehr 20 Monaten zugrunde zu legen. Vielmehr ist dem erstinstanzlichen Gericht – wie bereits ausgeführt – ein Gestaltungsspielraum zur Terminierung der mündlichen Verhandlung und für die Absetzung des Urteils einzuräumen. Hätte das Verwaltungsgericht das Verfahren ordnungsgemäß gefördert, hätte es nach Eingang der Klagebegründung am 18. August 2020 auf eine Klageerwiderung binnen Monatsfrist hinwirken müssen und das Verfahren im Rahmen seines Gestaltungsspielraums unter Berücksichtigung der durchschnittlichen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache einerseits und der hohen Bedeutung und Dringlichkeit der Angelegenheit für den Kläger innerhalb von zehn Monaten zum Abschluss bringen müssen, sodass dem Kläger eine Entscheidung im Juli 2021 hätte bekannt gegeben werden können und das Verfahren beim Verwaltungsgericht insgesamt dann von Klageeingang beim Verwaltungsgericht München am 17. Juli 2020 ein Jahr gedauert hätte.
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Für den Zeitraum vom August 2021 bis November 2022 war daher die Verfahrensdauer nicht mehr angemessen, weil sie sich bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Die sich danach errechnende, sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Ausgangsverfahrens beträgt daher 16 Monate.
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cc) Die sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Ausgangsverfahrens im Umfang von 16 Monaten ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das Berufungszulassungsverfahren um vier Monate zu reduzieren. Denn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das Berufungszulassungsverfahren etwa vier Monate früher erledigt, als es dies bei Berücksichtigung des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums hätte tun müssen, um das Verfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.
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Materiellrechtlicher Bezugsrahmen eines Entschädigungsanspruchs, der allein bezüglich der Dauer des Verfahrens in einer von mehreren Instanzen geltend gemacht wird, ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit. Ob sich die Verfahrensdauer in einer von mehreren Instanzen als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist materiellrechtlich unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens von dessen Einleitung in der ersten Instanz, hier durch Klageerhebung am 17. Juli 2020, bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in der letzten Instanz, hier durch Beschluss vom 8. Februar 2023, zugestellt am 16. Februar 2023, zu ermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 a.a.O. Rn. 16 f. und 61). Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiellrechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob – mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer – durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige Überlänge in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann.
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Wie der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Februar 2023 zeigt, konnte über den Antrag auf Zulassung der Berufung alsbald und ohne Einholung einer Stellungnahme der Gegenpartei entschieden werden. Das Berufungszulassungsverfahren, das der Kläger mit seinem Antrag vom 27. Dezember 2022 eingeleitet hatte, wurde bereits mit Beschluss vom 8. Februar 2023, zugestellt am 16. Februar 2023, also nach ca. eineinhalb Monaten erledigt. Für dieses Zulassungsverfahren hätte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seines Gestaltungsspielraums sechs Monate Zeit gehabt, sodass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Verzögerung des Ausgangsverfahrens um ca. vier Monate aufgeholt und die Gesamtdauer des Verfahrens und die überlange Verfahrensdauer reduziert hat. Dies führt insgesamt zu einem Entschädigungsanspruch des Klägers in Höhe von 1.200,- Euro für zwölf Monate.
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b) Durch die überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GVG erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann.
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Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ist nach den Umständen des Einzelfalls keine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend, beträgt die Entschädigung 1.200,- Euro für jedes Jahr bzw. 100,- Euro für jeden Monat der Verzögerung, sofern das Gericht nicht aus Billigkeitsgründen einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzt (§ 198 Abs. 2 Satz 2 bis 4, Abs. 4 GVG).
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Der Kläger hat nach der vorliegend nicht widerlegten Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG einen Nachteil nichtvermögensrechtlicher Art erlitten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise, etwa durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend wäre und eine Entschädigung deshalb nicht oder nur in reduziertem Umfang beansprucht werden könnte (§ 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 GVG). Ob eine solche Feststellung ausreichend ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 – 5 C 1.13 D – NVwZ 2014, 1523 Rn. 34 m.w.N.). Eine schlichte Feststellungsentscheidung erscheint hier jedoch mit Blick auf den Umfang der Verzögerung und die Bedeutung der Sache für den Kläger nicht ausreichend. Es sind auch weder Umstände dargelegt oder angezeigt, die nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG Anlass dafür geben würden, von dem gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG in der Regel für jedes Jahr der Verzögerung anzusetzenden Betrag von 1.200,- Euro bzw. 100,- Euro pro Monat abzuweichen. Die dem Kläger zum Ausgleich des immateriellen Nachteils zuzusprechende Entschädigungssumme für die unangemessene Verfahrensverzögerung von zwölf Monaten beträgt somit insgesamt 1.200,- Euro.
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c) Eine Verzinsung kann der Kläger nur für den ihm zuzusprechenden Entschädigungsanspruch und ab Eintritt der Rechtshängigkeit verlangen.
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Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2, § 247 BGB ab Eintritt der Rechtshängigkeit Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O. Rn. 46; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 90 Rn. 14 ff.). Eine Verzinsung des Entschädigungsbetrags kann im Verwaltungsprozess nur unter dem Gesichtspunkt der Prozesszinsen verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2014 a.a.O. Rn. 44 f.; BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 23 A 14.2252 – juris Rn. 65). Rechtshängigkeit trat hier mit der Zustellung der Klage nach Entrichtung des Kostenvorschusses am 2. Mai 2023 ein (§ 90 Satz 2 VwGO, § 12a Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 GVG und § 709 ZPO.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.