Titel:
Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im Verfahren auf bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich eines an der Grundstücksgrenze errichteten Garten- bzw. Gerätehauses
Normenketten:
BayBO Art. 76 S. 1
VwGO § 124
Leitsatz:
Es genügt die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift und insbesondere des Abstandsflächenrechts allein nicht, damit sich das der Bauaufsichtsbehörde zustehende Ermessen auf bauaufsichtliches Einschreiten – hier gem. Art. 76 S. 1 BayBO – auf Null reduziert. Eine Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, Ermessensreduzierung auf Null (verneint), Baurecht, Abstandsfläche, Gartenhaus, bauaufsichtliches Einschreiten, nachbarschützende Wirkung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 26.07.2022 – M 1 K 19.5645
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1365
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt von dem Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber den Beigeladenen hinsichtlich eines an der Grundstücksgrenze errichteten Garten- bzw. Gerätehauses.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …7, Gemarkung R.; die Beigeladenen sind Miteigentümer des östlich an das Grundstück des Klägers angrenzenden Grundstücks FlNr. …8. Auf dem Grundstück der Beigeladenen befindet sich an der nordwestlichen Grenze zum Grundstück des Klägers eine Grenzgarage mit einer Seitenlänge von 6,50 m und im südwestlichen Bereich ein Gartenhaus mit einer Länge von 5,10 m, einer mittleren Wandhöhe von 2,25 m und einer Firsthöhe von 2,70 m, das von der gemeinsamen Grenze ca. 90 cm entfernt ist. Auf dem Grundstück des Klägers befindet sich im Bereich dieses Gartenhauses ebenfalls ein Gartenhaus mit einer Länge von ca. 3,0 m.
3
Das Landratsamt hat den wegen Überschreitens der zulässigen Länge der Grenzbebauung gestellten Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt. Die hierauf erhobene Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten, hilfsweise erneuter Verbescheidung, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten. Es könne offenbleiben, ob das Gartenhaus der Beigeladenen gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften verstoße, da dies keine Ermessensreduzierung auf Null zur Folge habe. Eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter des Klägers sei auf Grund der Lage der Gartenhütte und des Umstands, dass der Kläger dort selbst ein Gartenhaus errichtet habe, nicht ersichtlich. Weiter bestehe kein Anspruch auf erneute Verbescheidung, da die Ablehnung jedenfalls im Ergebnis ermessensfehlerfrei erfolgt sei.
4
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
5
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist hier nicht der Fall.
6
Das Zulassungsvorbringen zeigt nicht auf, dass dem Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null zusteht.
7
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs genügt die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift und insbesondere des Abstandsflächenrechts allein nicht, damit sich das der Bauaufsichtsbehörde zustehende Ermessen auf bauaufsichtliches Einschreiten – hier gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO – auf Null reduziert. Eine Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt. Ein Rechtsanspruch besteht insbesondere, wenn eine unmittelbar, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. BayVGH, B.v. 29.1.2021 – 1 ZB 20.1887 – Rn 4; siehe auch BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15.95 – BauR 1996, 841). Das Entschließungsermessen ist nicht bereits dann auf eine Pflicht zum Einschreiten reduziert, wenn es sich nicht nur um geringfügige Beeinträchtigungen handelt (vgl. BayVGH, B,v, 14.1.2022 -1 CE 21.2757 – juris Rn. 8).
8
Ausgehend von den genannten Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht – bei unterstelltem Abstandsflächenverstoß – zu Recht einen Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladenen verneint. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Gartenhaus des Klägers mit einer Länge von 3,0 einen ebenfalls nicht unerheblichen Teil an der Grenzbebauung auf dem südöstlichen Teil seines Grundstücks einnehme und somit das Gartenhaus der Beigeladenen nur auf eine Länge von ca. 2,10 m sichtbar sei. Zudem befinde sich das Gartenhaus nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in einem Bereich des Gartens, der ohnehin weniger zur Aufenthalts- oder sonstigen Nutzung geeignet sei, sodass die Schutzwecke des Abstandsflächenrechts – ausreichende Belichtung und Belüftung zu sichern – dort weniger stark ins Gewicht fallen würden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger dort selbst ein Gebäude in Form eines Gartenhauses errichtet habe. Soweit die Zulassungsbegründung moniert, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, wann welche bauliche Anlage errichtet worden sei und der Kläger mit dem Bau seines Gartenhauses nur auf die Grenzbebauung der Beigeladenen reagiert habe, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Das Gartenhaus des Klägers befindet sich dort nach seinem eigenen Vortrag – im Wesentlichen unverändert – seit 15 Jahren. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass im Umgriff der Überlappung der beiden Gartenhäuser eine erhebliche Beeinträchtigung für den Kläger nicht vorliegt, da angesichts dieser Bebauung auf dem Grundstück des Klägers der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts (Gewährleistung der Belichtung und Belüftung) deutlich weniger ins Gewicht fällt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Dachüberstände. Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf den Vortrag im Zulassungsvorbringen, wonach es sich bei der Grenzbebauung der Beigeladenen um ein „bauliches Ensemble“ handle, das insgesamt in den Blick zu nehmen sei. Das Zulassungsvorbringen lässt unberücksichtigt, dass Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO eine Grenzbebauung bis zu 9 m ermöglicht, sodass das Verwaltungsgericht für die Frage der Beeinträchtigung erkennbar auf die über die 9 m hinausgehende Bebauung abgestellt hat. Im Übrigen handelt es sich nach den in den Akten befindlichen Lichtbildern bei der Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht um eine zusammenhängende bauliche Anlage, sondern das Gartenhaus befindet sich in einem deutlichen Abstand zur nördlich gelegenen Grenzgarage. Es geht somit von der Bebauung nicht die gleiche Wirkung aus wie von einem zusammenhängenden Gebäude. Dass durch die Grenzbebauung der Eindruck einer Einmauerung für das Grundstück des Klägers entsteht, ist fernliegend. Die vom Kläger sinngemäß angeführten generalpräventiven Gründe bewirken keine Ermessensreduzierung auf Null. Für die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass durch die Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen keine wesentliche Beeinträchtigung für den Kläger ausgeht, spricht im Übrigen – ohne dass es darauf entscheidungserheblich ankommt – dass die Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen nach den historischen Luftbildern im BayernAtlas Plus im Wesentlichen unverändert jedenfalls bereits seit 2003 besteht und das klägerische Anwesen jedenfalls 2006 errichtet war, der Kläger aber erst im Jahr 2019 Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten erhoben hat, womit er die Grenzbebauung augenscheinlich über einen längeren Zeitraum selbst nicht als wesentlich beeinträchtigend empfunden hat.
9
Das Zulassungsvorbringen zeigt auch keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Abweisung der Klage im Hilfsantrag auf. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers liegt dem Bescheid, mit dem das Landratsamt ein bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt hat, kein Ermessensausfall zu Grunde. Nach den Ausführungen im ablehnenden Bescheid war sich das Landratsamt seines Ermessens bewusst. Ermessensfehler sind nicht dargetan. Es mögen zwar die im Bescheid genannten rechtlichen Erwägungen zur Verrechnung der Grenzbebauung bzw. zur konkludenten Abstandsflächenübernahme unzutreffend sein, dies lässt aber unberührt, dass das Landratsamt die tatsächlichen Umstände im Bereich der Grenzbebauung – die die Ablehnung auch unter Ermessensgesichtspunkten selbständig tragen – zutreffend gewürdigt hat. Es hat zu Recht darauf abgestellt, dass im Rahmen des beiderseitigen Grenzanbaus der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts weniger stark beeinträchtigt wird. Mit diesen tatsächlichen Erwägungen, auf die es maßgeblich bei der Ermessensentscheidung ankommt, hat es sein Ermessen gesetzeskonform ausgeübt.
10
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass der Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) aufweist.
11
3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht dargelegt.
12
Grundsätzliche Bedeutung im Sinn dieser Vorschrift kommt einer Rechtssache zu, wenn eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 – 8 B 38.10 – juris Rn. 8). Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt.
13
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Es werden lediglich mehrere Fragen in den Raum gestellt, ohne einen Klärungsbedarf bzw. die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung darzustellen, unabhängig davon, dass es den ersten beiden Fragen ohnehin an der Entscheidungserheblichkeit fehlt.
14
4. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
15
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 18.5.1993 – 4 B 65.93 – NVwZ 1993, 1101).
16
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Es fehlt sowohl an der Darlegung des Rechtssatzes der in Bezug genommen obergerichtlichen Entscheidungen sowie des hiervon abweichenden Rechtssatzes in der angegriffenen Entscheidung. Im Ergebnis wendet sich der Kläger gegen die Subsumtion im konkreten Einzelfall. Hierauf kann eine Divergenz nicht gestützt werden.
17
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
18
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).