Titel:
Eilrechtsschutz gegen die Aufstockung eines Nachbarhauses
Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, speziell auch die Wandhöhe, vermitteln dem Nachbarn grundsätzlich keine Abwehrposition (vgl. VGH München BeckRS 2021, 36669 Rn. 5). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Drittanfechtung (Eilrechtschutz), Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Befreiung von (nicht drittschützender) Festlegung der Wandhöhe in Bebauungsplan (Hanglage, unterschiedliche Wandhöhen tal- und hangseitig), keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen Einschränkung der Grundstücksbelichtung, Verbauen der Aussicht und neuen Einsichtsmöglichkeiten, Baugenehmigung, Maß der baulichen Nutzung, Wandhöhe, Befreiung, Nachbarschutz, Gebot der Rücksichtnahme, Hanglage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.05.2024 – 9 CS 24.253
Fundstelle:
BeckRS 2024, 12225
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Aufstockung des benachbarten, hangabwärts liegenden Wohnhauses.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 865/25 der Gemarkung … (…), das mit einem vom Antragsteller selbst bewohnten Einfamilienwohnhaus bebaut ist. Dieses wurde den Rechtsvorgängern des Antragstellers 1980 bzw. 1984 (tektur-)genehmigt; es handelt sich um ein Gebäude mit Dachgiebel in Nord-Süd-Ausrichtung und einem Zwerchhaus nach Westen (hangabwärts). 2017 erhielten der Antragsteller und seine Ehefrau eine Tekturgenehmigung zum Ausbau des Dachgeschosses und den Einbau von Dachgauben nach Osten (zur Straße hin und vom Grundstück der Beigeladenen abgewandt); für die Gauben wurde eine Befreiung von den entsprechenden Festsetzungen des Bebauugsplans erteilt. Das Gebäude hat aufgrund der Hanglage des Geländes (abfallendes Gelände von Ost nach West) nach Osten, zur … hin, eine deutlich geringere Höhe; es sind nur das Erdgeschoss und das Dachgeschoss wahrnehmbar; nach Westen hin ist die Wand deutlich höher und das ausgebaute Untergeschoss sichtbar; die Giebelhöhe des Zwerchhauses beträgt 9,75 m.
3
Westlich des klägerischen Grundstücks und deutlich niedriger gelegen befindet sich das nach Westen ebenfalls abfallende Vorhabengrundstück FlNr. 865/16 (…). Auf diesem wurde den Rechtsvorgängern der Beigeladenen 1979 ein Einfamilienwohnhaus, ebenfalls mit Zwerchhaus nach Westen und Wohnräumen im Erdgeschoss und im Kellergeschoss genehmigt.
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Beide Grundstücke liegen im Bebauungsplan Nr. x „…“ vom 13. August 2014 (Marktgemeinderatsbeschluss vom 5.8.2014, Ausfertigung und Bekanntmachung vom 13.8.2014), der in diesem Bereich den Bebauungsplan Nr. x „…“ vom 13. März 1975 ersetzt. Er setzt unter „1 Art und Maß der baulichen Nutzung“ ein Allgemeines Wohngebiet (WA), eine Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 und eine Geschoßflächenzahl (GFZ) von 0,8 fest.
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Für eingeschossige Wohngebäude („I+DG/UG“) ist unter „3 Gestaltung der baulichen Anlagen“ eine hangseitige Traufhöhe von max. 4,20 m (für Typ Fränkisches Haus) bzw. 5,30 m (für Typ Jurahaus) und eine talseitige Traufhöhe von max. 6,50 m festgesetzt, für zweigeschossige Gebäude („II“) eine Wandhöhe von max. 6,50 m. Wo die Festlegung „I+DG/UG“ und wo „II“ gilt, ist durch Eintragung in den zeichnerischen Festsetzungen geregelt. Aus der Begründung zum Bebauungsplan ergibt sich, dass der Bebauungsplan Nr. x im Wesentlichen eine Zusammenfassung von vier alten Bebauungsplänen darstellt, der Anpassung an die Anforderungen von Bauwilligen dient und gestalterischen und städtebaulichen Zielsetzungen Rechnung tragen soll. Die Bebauung „I+DG/UG“ werde – orientiert am Bestand und den bisherigen Bebauungsplänen – im größten Teil des Geltungsbereichs in zwei Haustypen zugelassen, durch die vorhandene Hanglage könnten auch im UG Aufenthaltsräume entstehen. Zwei Vollgeschosse seien auf einen kleinen Teil des Bebauungsplans, nämlich auf den oberen Teil des Hanges mit relativ ebener Fläche an der … beschränkt.
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Im Oktober 2022 beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für die Aufstockung ihres Wohnhauses um ein Stockwerk (hangseitige Traufhöhe des Hauptgebäudes nun 6,02 m, talseitige Traufhöhe 8,27 m, Firsthöhe 8,95 m) und den Anbau eines Treppenhauses nach Süden (Breite 2,48 m, Traufhöhe 4,90 m), um einen getrennten Zugang zum Dachgeschoss zu schaffen. Hierfür versagte der Marktgemeinderat mit Beschluss vom 17. November 2022 das gemeindliche Einvernehmen, weil das Vorhaben weder die in diesem Bereich geltende Festsetzung „I+DG/UG“ noch die zulässigen Wandhöhen einhalte und das Vorhaben die Grundzüge der Planung berühre. Eine Befreiung für die Geschossigkeit – II statt I+DG/UG – sei bisher nur ein einziges Mal im Jahr 2015 für das Grundstück FlNr. 865/29 erteilt worden und auch da nur für eine talseitige Wandhöhe von 7,40 m. Mit Beschluss des Marktgemeinderats vom 14. Februar 2023 stellte der Markt … sein gemeindliches Einvernehmen für eine Umplanung mit talseitiger Wandhöhe von bis zu 7,40 m in Aussicht.
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Im April 2023 legte die Beigeladene insoweit geänderte Pläne vor, als die hangseitige Traufhöhe des Haupthauses nunmehr noch 4,88 m, seine talseitige Wandhöhe 7,38 m, die Firsthöhe 7,82 m und die hangseitige Traufhöhe des Treppenhauses 4,08 m beträgt. Sie beantragte die Baugenehmigung und die Erteilung einer Befreiung für die Wandhöhe und die Unterschreitung des Abstandes vom Frist Zwerchhaus zum Frist Haupthaus (0,45 m statt mind. 0,50 m).
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Mit Bescheid vom 14. Juni 2023 erteilte das Landratsamt … die bauaufsichtliche Genehmigung unter Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Wandhöhe und des Abstandes zwischen Zwerchhaus und First nach Maßgabe der Anträge vom 10. März 2023 und 17. April 2023. Die Befreiungen könnten im Einvernehmen mit der Gemeinde und unter Würdigung nachbarlicher Interessen erteilt werden; für den Bauherrn sei sonst eine nicht beabsichtigte Härte gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023 erhob der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigte hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 23.1427), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2023 wurde zudem gem. § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (Antrag I.)
den Antragsgegner zu verpflichten, der Beigeladenen aufzugeben, die Bauarbeiten sofort einzustellen und alle Maßnahmen zum Ausführen des Bauvorhabens zu unterlassen (Antrag II.).
11
Zur Begründung wurden Fotografien von der aktuellen Situation mit Simulation der genehmigten Bebauung vorgelegt und auf die Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. x verwiesen. Während auf dem Antragstellergrundstück eine zweigeschossige Bebauung realisiert und zulässig sei, gelte für das Vorhabengrundstück die eingeschossige Bebauung mit einer talseitigen Höhe von 6,50 m und einer hangseitigen Wandhöhe von 5,30 m. Dies trage der Hanglage der Grundstücke Rechnung. Die Befreiung verstoße gegen die Grundzüge der Planung und das Gebot der Rücksichtnahme. Durch die gestaffelte Festsetzung der Anzahl der Vollgeschosse werde der planerische Wunsch nach der Schaffung einer lockeren, hochwertigen und durchgrünten Wohnbebauung manifestiert. Zudem sei planerisches Ziel die Sicherung von Belichtung und Belüftung der Nachbargrundstücke trotz der Topografie gewesen. Eine Interessensabwägung mit den Belangen des Antragstellers, insbesondere hinsichtlich einer Verschattung, die erheblich intensiviert werde, habe nicht stattgefunden. Eine Abweichung sei bei Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht rechtmäßig. Es komme zu einer massiven Einschränkung der Sicht des Antragstellers. Die garantierte Aussicht sei einst maßgeblich für die Auswahl des Bauplatzes gewesen. Durch die Erhöhung des Gebäudes sei auch eine volle Einsicht auf den Balkon des Antragstellers im 1. OG möglich. 2018 sei der klägerische Giebel der Westfront voll verglast worden. Auch insoweit sei nunmehr die vollständige Einsicht in die Wohnräume möglich und die Privatsphäre und damit das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Eine Ermessenausübung habe nicht stattgefunden.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 12. Dezember 2023 berief sich die Antragstellerseite auf eine nachbarschützende Wirkung der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung. Der Bebauungsplan Nr. x aus dem Jahr 1972 stamme aus einer Zeit, in der man allgemein an nachbarlichen Drittschutz noch nicht gedacht habe. Dies verbiete es nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen. Die Eigentümer im Bebauungsplangebiet Nr. x seien in Form einer wechselseitigen nachbarlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Außerdem seien die Rechte des Antragstellers auf Gebietserhaltung und Erhaltung der Gebietsprägung verletzt.
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Auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzungen, zum Beispiel zur höchstzulässigen Zahl an Wohnungen könnten eine Unterart der baulichen Nutzung darstellen. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch schütze vor einer schleichenden Veränderung des Gebietscharakters.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023,
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Eine Berücksichtigung von nachbarlichen Interessen und eine Ermessensentscheidung habe stattgefunden. Die Belichtung, Belüftung und Besonnung der umliegenden Gebäude sei weiterhin gewahrt. Vergleichbare Wandhöhen seien im Bebauungsplangebiet bereits vorhanden.
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Die Beigeladene äußerte sich im Verfahren nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten einschließlich der Akten zum Grundstück des Antragstellers und auf die Gerichtsakten im Klage- und Eilverfahren Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80a Abs. 3 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 12. Oktober 2023 ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.) und deshalb abzulehnen. Über den Antrag auf Einstellung der Bauarbeiten in Ziffer II. des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 12. Oktober 2023 war nicht zu entscheiden (3).
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1. Der Antrag ist zulässig. Er ist statthaft, da die Anfechtungsklage auf Grund des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs nach § 212a BauGB abweichend vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, und nur durch gerichtliche Anordnung hergestellt werden kann. Als unmittelbarer Grundstücksnachbar, der die Baupläne zum Vorhaben nicht unterzeichnet hat und die Verletzung von Belangen rügt, die nachbarschützend sein und einen Abwehranspruch begründen können, ist der Antragsteller antragsbefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO analog.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die im Rahmen der Begründetheitsprüfung vom Gericht anzustellende Interessensabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen und des Antragsgegners ergibt ein Überwiegen des Vollzugsinteresses. Für die gerichtliche Abwägungsentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens eine maßgebliche Rolle. Erweist sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit als erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Umgekehrt kommt regelmäßig dem Vollzugsinteresse Vorrang zu, wenn die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Erscheinen die Erfolgsaussichten der Hauptsache bei summarischer Prüfung im Eilverfahren als offen, ist eine von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen (BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 CS 16.2253 – juris).
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Vorliegend erweist sich die Klage aller Voraussicht nach als erfolglos.
22
Eine Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat in der Sache nur dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt – hier die Baugenehmigung vom 14. Juni 2023 – rechtswidrig ist und den Kläger zugleich in seinen Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm alleine genügt für den Erfolg der Nachbarklage somit nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit zum einen gerade aus einer solchen Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Zum anderen ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt, die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (BayVGH a.a.O.).
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a) Zur den derart zu prüfenden nachbarschützenden Normen gehören die Regelungen des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 b) BayBO. Ein Verstoß hiergegen wurde von der Antragstellerseite jedoch weder gerügt noch kommt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein solcher in Betracht. Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO haben Vorhaben in Wohn-, Dorf- und Mischgebieten eine Abstandsfläche von 0,4 H, mindestens 3 m einzuhalten. Die Höhe H bemisst sich dabei nach der Wandhöhe, d.h. dem Maß der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut, Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BayBO. Hinzu kommt für Dächer mit – wie hier – einer Neigung von bis zu 70 Grad ein Drittel der Dachhöhe, Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO, hier 1/3 von 1,98 m = 0,66 m; insgesamt ist der Ausgangspunkt der Abstandsflächenbetrachtung somit 5,54 m (4,88 m + 0,66 m). 0,4 hiervon betragen 2,22 m, so dass der Mindestabstand von 3 m zum Tragen kommt, der nach dem vorgelegten Plan „Erdgeschoss, Stellplatznachweis“, der auch die Abstandsflächen ausweist, auf dem Vorhabengrundstück deutlich eingehalten ist.
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b) Der Antragssteller ist auch nicht in bauplanungsrechtlichen Belangen, die gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, verletzt.
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Es liegt keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs vor, insbesondere ergibt sich dies nicht aus der Errichtung einer zweiten Wohneinheit oder der Aufstockung des Gebäudes. Der Gebietserhaltungsanspruch gewährt den Grundstückseigentümern innerhalb eines Bebauungsplangebietes einen Abwehranspruch gegen im Plangebiet hinzutretende Bauvorhaben, die die zugelassene Art der baulichen Nutzung nicht einhalten (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151; U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364; B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – BayVBl 2008, 765; B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.8.2016 – 9 ZB 16.944 – juris, Rn. 11; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris, Rn. 29; VGH Baden-Württemberg, B.v. 23.6.2016 – 5 S 634/16 – juris; U.v. 26.5.2015 – 5 S 736/13 – juris Rn. 7). Der Anspruch wird allein durch die Zulassung eines mit dem Gebietscharakter unvereinbaren Vorhabens ausgelöst; eine tatsächlich spürbare und nachweisbare Beeinträchtigung des Nachbarn ist dabei nicht zusätzlich erforderlich. Die nachbarschützende Wirkung beruht dabei auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Grundstücke in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris; BayVGH, B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 14). Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris, Rn. 29; B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris, Rn. 6).
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Der Bebauungsplan Nr. x „…“, an dessen Wirksamkeit bei summarischer Prüfung im gerichtlichen Eilverfahren keine Bedenken bestehen – auch die Antragstellerseite hat insoweit nichts gerügt –, legt als Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet (WA) im Sinne von § 4 BauNVO fest. Ein WA dient nach § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen.
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Es sind dort Wohngebäude und zwar Wohngebäude aller Art, allgemein zulässig, § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Darauf, wie viele Wohneinheiten ein Gebäude aufweist, kommt es nicht an. Sowohl Ein-, Zwei- als auch Mehrfamilienhäuser sind im WA möglich und gebietswahrend. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs liegt somit nicht vor.
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Der Bebauungsplan Nr. x „…“ trifft auch an keiner anderen Stelle eine Einschränkung auf die Errichtung nur einer Wohneinheit. Unter 2.1. der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind „Einzelhäuser“ festgelegt. Diese Festsetzung steht aber unter Überschrift „2 Bauweise“. Hierdurch und durch die übrige Formulierung der Regelung wird klar, dass eine offene Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO im Gegensatz zur geschlossenen Bauweise nach § 22 Abs. 3 BauNVO (worunter insbesondere Reihenhäuser fallen) festgelegt wird. Eine Festlegung auf nur eine Wohneinheit pro Haus kann dem hingegen nicht entnommen werden.
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Die Erhöhung des Gebäudes betrifft nicht die Art der baulichen Nutzung, sondern das Maß der baulichen Nutzung nach §§ 16 ff. BauNVO. Der Gebietserhaltungsanspruch greift insoweit nicht ein.
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b) Der Antragsteller dringt auch mit dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht durch.
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Unabhängig von der Frage, ob der Gebietsprägungserhaltungsanspruch als eigenständiger, unmittelbarer drittschützender Anspruch oder als spezielle Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme zu qualifizieren ist (vgl. zum Streitstand BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 9), ist dieser jedenfalls nur einschlägig, wenn ein Vorhaben den §§ 2 bis 14 BauNVO (hier § 4 BauNVO) entspricht, bei typisierender Betrachtung aber gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein (nachbar-)rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3.94 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 5.12.2022 – 9 ZB 22.1076 – juris Rn. 9).
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Dabei muss sich der Widerspruch zur Eigenart der Nutzung aufdrängen; dass ein Bauvorhaben nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 – 8 A 10680/16 – juris Rn. 11 f.).
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Vorliegend ist weder ersichtlich, dass sich das Baugebiet durch Wohnhäuser mit nur einer einzigen Wohneinheit auszeichnet, noch ist erkennbar, dass bzw. wie ein Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten den Rahmen der Prägung derart sprengen könnte, dass dies gebietsunverträglich erscheint. Auch die Tatsache, dass das Vorhabengebäude nunmehr drei Wohnetagen statt bisher zwei bzw. nunmehr ein ausgebautes Dachgeschoss aufweisen wird, stellt keinen – und schon gar keinen offensichtlichen – Widerspruch zur Prägung der Umgebung dar. Auch der Antragsteller verfügt – jedenfalls seit der Änderungsgenehmigung vom 13. Oktober 2017 – über drei Wohngeschosse einschließlich eines ausgebauten Dachgeschosses.
34
Die Aufstockung des Gebäudes spielt für den Gebietsprägungserhaltungsanspruch keine Rolle, da sich auch dieser, wie der Gebietserhaltungsanspruch, nur auf Belange bezieht, die mit der Art der baulichen Nutzung in Zusammenhang stehen, nicht aber auf Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung.
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c) Ein Abwehranspruch des Antragstellers ergibt aber auch aus der Gebäudeaufstockung bzw. der nunmehrigen Höhe des Vorhabengebäudes nicht.
36
Für das als Jura-Haus mit einem Vollgeschoss („I + DG/UG“) geplante Vorhaben ist nach 3.1.1 des Bebauungsplans eine hangseitige Wandhöhe von max. 5,30 m und eine talseitige Wandhöhe von max. 6,50 m vorgeschrieben. Die östliche, hangseitige und zum Antragstellergrundstück gerichtete Hauswand überschreitet mit 4,88 m die Festsetzung des Bebauungsplans damit nicht. Jedoch hält das Vorhaben die Höhen-Festsetzungen in Bezug auf die westliche, talseitige Gebäudewand, die eine (Trauf-)Höhe von 7,38 m erreicht, nicht ein. Insoweit wurde der Beigeladenen jedoch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt.
37
Bei der Befreiung von einer bauplanerischen Festsetzung hängt der Umfang des Nachbarrechtsschutzes maßgeblich davon ab, ob die Festsetzung, von deren Einhaltung dispensiert wird, drittschützend ist oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 13).
38
Bei der Festsetzung der Wandhöhe handelt es sich um eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, speziell auch die Wandhöhe, vermitteln dem Nachbarn aber grundsätzlich keine Abwehrposition (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 151. EL August 2023, Art. 66 Rn. 356; BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris Rn. 5 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5).
39
Sie sind nur ausnahmsweise drittschützend, nämlich nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris Rn. 5). Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16). Weder aus dem Bebauungsplan Nr. x „…“ selbst noch aus seiner Begründung ergeben sich Hinweise auf einen derart beabsichtigten Nachbarschutz. In der Begründung zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. x sind unter 1.1 ausdrücklich und ausschließlich gestalterische und städtebauliche Zielvorstellungen genannt. An anderer Stelle (vgl. 2.3 der Begründung a.E.) ist zur Festlegung der Geschossigkeit und der Haustypen auf die Topografie des Gebietes, also auf die Hanglage des Baugebiets Bezug genommen. Auch dies deutet auf eine Festsetzung aus rein optischen Gründen des Orts- und Landschaftsbildes hin. Eine Erwähnung von Belangen der Nachbarschaft wie Ermöglichung von Aussicht, Verhinderung von Einsichtsmöglichkeiten, Wahrung des sozialen Wohnfriedens, etc. findet sich an keiner Stelle. Auch die antragstellerseits argumentativ herangezogenen Regelungen zur Eingrünung des Gebiets werden allein in den Zusammenhang mit dem Orts- und Landschaftsbild gestellt (vgl. 2.6 und 3.6 der Begründung zum Bebauungsplan) und gerade nicht mit Belangen der Nachbarschaft bzw. der Gebietsbewohner verknüpft. In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans erfolgt die Festlegung der Wandhöhe zudem unter der Überschrift „3 Gestaltung der baulichen Anlage“ und nicht unter „1 Art und Maß der baulichen Nutzung“. Es kann auch generell schwer angenommen werden, dass ein Bebauungsplan die Absicht verfolgt, den höher gelegenen Nachbarn zu schützen, da der Oberlieger regelmäßig schon durch die Topografie begünstigt ist und im Hinblick auf Aussicht und Belichtungseinschränkungen wenig schutzbedürftig ist; dies wäre allenfalls der Unterlieger. Von einem intendierten Nachbarschutz bei der Festsetzung der Wandhöhe kann somit nicht ausgegangen werden.
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Selbst wenn – wofür aber nach Ansicht des Gerichts wie ausgeführt nichts spricht – der festgesetzten Wandhöhe des Bebauungsplans nachbarschützende Wirkung auch für den oberhalb liegenden Nachbarn beizumessen sein sollte, würde dies wohl jedenfalls nur für die dem Nachbarn zugewandte Wandseite gelten, nicht aber für die hier allein in Frage stehende vom Antragsteller abgewandte westliche Wand. Dass die Festlegung einer talseitigen Wandhöhe dem Schutz des hangseitigen Nachbarn dient, ist abwegig. Die Einhaltung der talseitigen Wandhöhe würde zwar faktisch zu einem niedrigeren Gebäude führen und hätte damit mittelbar Auswirkung auf Ausblick, Einblick, Verschattung und Besonnung des Grundstücks des Antragstellers, die Intention einer solchen mittelbaren Wirkung kann einer Festlegung aber nur bei eindeutigen Hinweisen darauf entnommen werden.
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Dadurch, dass der Bebauungsplan Nr. x „…“ von 13. August 2014 den Bebauungsplan Nr. x „…“ vom 13. März 1975 aufgehoben und ersetzt hat, kann auf die Festsetzungen des Alt-Bebauungsplan Nr. x nicht mehr zurückgegriffen werden. Es kann also dahinstehen, ob die Festlegung zur Wandhöhe im Alt-Bebauungsplan nachträglich mit nachbarschützender Wirkung hätte „aufgeladen“ werden können, weil der Plangeber im Zeitpunkt der Aufstellung den Nachbarschutz noch nicht konkret im Blick hatte (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 15 f.). Ein nicht zum Ausdruck gekommener Wille im Alt-Bebauungsplan ist auch für eine Beimessung von Nachbarschutz im aktuellen Bebauungsplan im Wege der Auslegung nicht hilfreich und zielführend.
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Da das Zwerchhaus des Beigeladenen für den Antragsteller nicht wahrnehmbar ist, weil der First des Haupthauses das westlich gelegene Zwerchhaus überragt, kann sich aus der Befreiung für den Abstand First Zwerchhaus zu First Haupthaus für den Antragsteller keine Rechtsverletzung ergeben.
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d) Das Vorhaben der Beigeladenen verletzt schließlich auch nicht das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme unter Nachbarn (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 8.7.1988 – 4 B 64.98 – juris). Bei Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 1 BauGB findet das Rücksichtnahmegebot über § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983 – 4 C 96/79 – juris) bzw. bei der Erteilung von Befreiungen von nicht nachbarschützenden Vorschriften gemäß § 31 Abs. 2 BauGB über das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die Zulässigkeitsprüfung (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris, Rn. 40 m.w.N.). Das Gebot der Rücksichtnahme ist nach gefestigter Rechtsprechung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar bzw. unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich insoweit nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 7 m.w.N., U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden, je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – juris Rn. 22).
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Gemessen hieran ist eine Rücksichtslosigkeit zu Lasten des Antragstellers nicht erkennbar.
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Das Vorhaben liegt aufgrund der Hanglage gegenüber dem Antragstellergrundstück deutlich tiefer. Trotz der Aufstockung des Gebäudes überragt das Haus des Antragstellers das Vorhabengebäude deutlich. Dies ergibt sich klar aus den von der Antragstellerseite vorgelegten Fotografien. Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung hat das Bauvorhaben auf das klägerische Anwesen damit nicht. Eine solche Wirkung nimmt die Rechtsprechung nur in Fällen an, in denen das Vorhaben das nachbarliche Anwesen deutlich überragt und in nur geringem Abstand zu diesem steht (beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in einer Entfernung von 15 m zu einem zweieinhalbgeschossigen Nachbarwohnhaus, BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 ff. oder im Fall einer 11,5 m hohen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen, BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15), nicht aber – wie hier –, wenn die Wand- und Firsthöhen des Vorhabens unterhalb der absoluten Höhe des Nachbaranwesens liegen, wie dies in Hanglagen regelmäßig der Fall ist. Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens scheidet auch grundsätzlich aus, wenn – wie hier – die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eingehalten sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17).
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Hinsichtlich der vom Antragsteller monierten Einschränkung von Belichtung und Besonnung ist anzuführen, dass zum einen grundsätzlich kein Anspruch aus Bauplanungsrecht besteht, von jeder Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung verschont zu bleiben. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung sind vielmehr in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation in bebauten Ortslagen grundsätzlich hinzunehmen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 21, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 31; B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris Rn. 16; B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 15; B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 19; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28; B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn. 23). Zum anderen wiegt die Einschränkung der Belichtung und Besonnung, die die Beigeladene durch das Bestandsgebäude des Antragstellers erfahren, ähnlich schwer: Zwar liegt der Antragseller „nur (nord-)östlich der Beigeladenen, dafür überragt dessen Haus aufgrund der Hanglage dasjenige des Beigeladen deutlich und dürfte die Morgensonne mehr abschneiden als umgekehrt das Beigeladenenanwesen dem Antragsteller die Abendsonne. Da das Vorhaben die gesetzlichen Abstandsflächen, deren Ziel u.a. die Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung ist, einhält, ist eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens jedenfalls nicht zu erkennen.
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Ebenso wenig kann bei summarischer Prüfung eine Rücksichtslosigkeit im Hinblick auf neu geschaffene Einblicke in die Wohnräume des Antragstellers gesehen werden. Das neu errichtete Obergeschoss der Beigeladenen weist in Richtung des Antragstellers lediglich sechs schmale Fenster, im Wesentlichen aus Nebenräumen heraus (Bad, WC, Abstellraum, Ankleide, außerdem Küche und Schlafzimmer) auf, die für die Belichtung dieser Räume notwendig sind. Die eigentlichen Wohnräume mit größeren Fensterfronten sind hingegen nach Westen talseitig ausgerichtet. Zu unzumutbar belastenden Einblicken wird es damit voraussichtlich nicht kommen, eine rücksichtslose Störung des Wohnfriedens ist nicht anzunehmen. Es liegt im Übrigen in der Hand und der Verantwortung jedes Einzelnen, sich gegen unerwünschte Einblicke in das eigene Gebäude durch Vorhänge, Jalousien oder ähnliches zu schützen.
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Es kann davon ausgegangen werden, dass für den Antragsteller durch das Bauvorhaben der Ausblick aus seinem Haus, insbesondere der Weitblick in die Landschaft spürbar eingeschränkt wird. Nicht nur die zusätzliche Höhe des aufgestockten Haupthauses schränkt den Blick ein, auch der Anbau des – wenn auch niedrigeren – Treppenhauses hindert den Blick ins Tal zusätzlich. Die unveränderte Beibehaltung eines faktisch vorhandenen Ausblicks kann ein Grundstückseigentümer gegenüber den Trägern öffentlicher Gewalt und gegenüber seinen Nachbarn jedoch nicht beanspruchen. Mit Veränderungen der Umgebungsbebauung unter Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens (zu dem auch die Erteilung von Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans gehören) muss gerechnet werden, unter Umständen sogar mit einer Änderung der Rechtslage (z.B. Änderung des Bebauungsplans). Eine gegenüber dem Antragsteller in dieser Hinsicht rücksichtslose Veränderung kann aufgrund der moderaten Erhöhung bei gleichzeitig bestehender topografischer Begünstigung des Antragstellers nicht erkannt werden. Auch insofern ist der Antragsteller auf die klare Einhaltung der Abstandsflächen zu verweisen.
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3. Über den Antrag auf Baueinstellung (Ziffer II des Schriftsatzes vom 12.10.2023) war nicht mehr zu entscheiden. Das Gericht wertet den Antrag unter Zugrundelegung des Gemeinten als einen Antrag auf Anordnung von Sicherungsmaßnahmen i.S.d. § 80a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Zugunsten der Antragstellerseite wird der Antrag zudem dahingehend ausgelegt, dass dieser nur als Annexantrag zum Antrag I. anzusehen und so auszulegen ist, dass er unter der Bedingung gestellt ist, dass der Antrag I. Erfolg hat (unechter Hilfsantrag).
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Die Ausführungen am Ende des Schriftsatzes, in welchen das Gericht gebeten wird, der Beigeladenen schnellstmöglich aufzugeben, die Bauarbeiten bis zur Entscheidung über den Eilantrag einzustellen, sind nach verständiger Auslegung nicht als eigenständiger Antrag aufzufassen, wofür sowohl der Wortlaut als auch die Tatsache spricht, dass diese Bitte nicht etwa als III. unter der Antragstellung aufgeführt wurde, sondern nur als Fließtext erst am Ende des Schriftsatzes. Ohnehin hätte sich ein gestellter Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses für die Zeit der Verfahrensdauer des Antrages I. mit dem hier ergehenden Beschluss über diesen Antrag in Ziffer 1 des Tenors erledigt und wäre nicht mehr zu entscheiden.
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4. Die Kostentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladene sich nicht durch eine eigene Antragstellung dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie etwaige außergerichtliche Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 VwGO
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.