Titel:
Pfändbarkeit einer Inflationsausgleichsprämie
Normenkette:
ZPO § 850a Nr. 3, Nr. 4, § 850c Abs. 1, § 850f Abs. 1 Nr. 2, § 851 ZPO, § 899
Leitsätze:
1. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Zahlung des Arbeitgebers zusammen mit dem Dezemberlohn um eine Weihnachtsvergütung iSv § 850a Nr. 4 ZPO handelt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Inflationsausgleichsprämie des Arbeitgebers ist nicht unpfändbar sondern unterliegt lediglich der Pfändungsbeschränkung des § 850c ZPO. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsvollstreckung, Arbeitgeber, Drittschuldner, Pfändungsschutzkonto, Weihnachtsvergütung, Dezemberlohn, Inflationsausgleichsprämie, Pfändungsbeschränkung, pfändbar
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11294
Tenor
1. Die Doppelpfändung wird aufgehoben. Der Sockelbetrag des bei dem Drittschuldner … geführten Pfändungsschutzkontos … entspricht dem jeweiligen pfändungsfreien, durch den Arbeitgeber … monatlich überwiesenen Arbeitseinkommen.
2. Das von dem Arbeitgeber … auszuzahlende Weihnachtsgeld wird in Höhe von 705 € freigegeben.
3. Der Antrag auf Freigabe der Inflationsausgleichsprämie wird zurückgewiesen.
4. Die Beschlüsse auf einstweilige Einstellung der Überweisung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 04.12.2023 und vom 18.01.2024 werden aufgehoben.
5. Der Beschluss wird erst mit Rechtskraft wirksam.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 30.11.2023 und vom 08.12.2023 beantragte der Schuldner die Aufhebung der Doppelpfändung und der Freigabe des Weihnachtsgelds.
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Der zulässigen Anträge sind begründet.
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Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.05.2023 wurden sowohl die Ansprüche des Schuldners gegenüber seinem Arbeitgeber … als auch sein bei dem Drittschuldner … geführtes Pfändungsschutzkonto … gepfändet. Um sicherzustellen, dass der durchaus vom Sockelbetrag des §§ 899 Abs. 1 Satz 1, 850c Absatz 1, Absatz 4 ZPO divergierende unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens nach Gutschrift auf das Pfändungsschutzkonto nicht der Pfändung unterliegt, wird dieser Sockelbetrag durch Bezugnahme auf das vom Arbeitgeber monatlich überwiesene pfändungsfreie Arbeitskommen festgesetzt (vgl. hierzu BGH, VuR 2012, 111 (111)).
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Der in der Lohnabrechnung zum Zeitraum 1/2023 bezeichnete Betrag in Höhe von 1.689,25 € wird als Weihnachtsvergütung i.S.d. § 850 a Nr. 4 ZPO klassifiziert. An der Einstufung einer Geldleistung als Weihnachtgeld sind indes nicht zu hohe Hürden anzusetzen (BeckOK ZPO/Riedel, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 850 a Rn. 18a, Musielak/Voit/Flockenhaus, 20. Aufl. 2023, ZPO § 850 a Rn. 6). Die Zahlung durch den Arbeitgeber sollte mit der Auskehrung des Dezemberlohns stattfinden. Aufgrund dieser zeitlichen Nähe zum Weihnachtsfest und vor allem vor dem Hintergrund, dass in vielen anderen Unternehmen das Weihnachtsgeld in derselben Weise ausbezahlt wird, erscheint die Berücksichtigung dieser separaten Leistung als zusätzliche Weihnachtsvergütung sachgerecht. Insoweit kann dem Sachvortrag der Gegenseite vom 19.12.2023 nicht gefolgt werden. Gemäß § (§ 906 Abs. 2,) 850a Nr. 4 ZPO kann das Weihnachtsgeld lediglich in Höhe von 705 € freigegeben werden. (Berechnung: 1.410 € (s. Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung Stand 01.07.2023)/2 = 705 €)
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Mit Schreiben vom 21.12.2023 beantragte der Schuldner die Freigabe der vom Arbeitgeber auszuzahlenden Inflationsausgleichsprämie (= IAP) in Höhe von 750 €. Als Begründung gab er an, dass diese den Pfändungsschutz des § 850 a Nr. 3 ZPO genieße. Denn die Leistung diene einzig und allein dazu, dass Beschäftigten in einem Arbeitsverhältnis genug finanzielle Mittel zur Bestreitung des Existenzminimums übrig bleiben. Darüber hinaus ist sie dahingehend zweckgebunden, als dass die IAP vor dem Hintergrund steigender allgemeiner Lebenskosten aufgrund der hohen Inflation die Bewältigung des Lebensunterhalts und den Aufbau von Sparvermögen sichern soll.
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Der Antrag wurde in zulässiger Weise eingereicht, ist aber im Ergebnis unbegründet.
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Trotz seines Charakters als eine einmalige Leistung unterliegt die IAP grundsätzlich der Pfändungsbeschränkung des § 850 c ZPO (AG Köln, NZI 2023, 222 (223), AG Norderstedt, VIA 2024, 15 (15)). Nichtsdestotrotz finden keine darüber hinaus gehenden Vorschriften, die zur gänzlichen Unpfändbarkeit der IAP führen könnten, im Konkreten Anwendung.
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Zum einen stellt die IAP keine Aufwandsentschädigung nach § 850 a Nr. 3 ZPO dar. Unter diesem Begriff werden nur Leistungen subsumiert, die zum Ausgleich von tatsächlich dem Schuldner entstandenen Auslagen dienen. (Musielak/Voit/Flockenhaus, 20. Aufl. 2023, ZPO § 850 a Rn. 4). Vor allem muss der Arbeitnehmer hierfür eine Gegenleistung aus seinem Vermögen erbracht haben. (BeckOK ZPO/Riedel, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 850 a Rn. 13a). Die IAP erhält der Schuldner aber nicht als Kompensation für auf seiner Seite entstandene Aufwendungen, sondern sie soll lediglich die finanziellen Belastungen resultierend aus den gestiegenen Verbraucherpreisen lindern, § 3 Nr. 11c ZPO. (so auch Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725 (725))
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Zum anderen handelt es sich bei der IAP um keine Erschwerniszulage im Sinne des § 850 a Nr. 3 ZPO. Diese Zusatzleistungen bilden nämlich nur solche Zahlungen, die insbesondere für gesundheitsgefährdende Verrichtungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitnehmer ausgekehrt werden. (BeckOK ZPO/Riedel, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 850 a Rn. 14). Unter Berücksichtigung des § 3 Nr. 11c EStG bezweckt die IAP gerade nicht den finanziellen Ausgleich einer für die Gesundheit risikobehafteten Tätigkeit, sondern der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise aufgrund der hohen Inflationtsrate. (so auch AG Regensburg, BeckRS 2023, 31604, Rn. 14).
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Des Weiteren kann eine Unpfändbarkeit der IAP mit der Begründung, ihr Zweck besteht darin, das Existenzminimum von Arbeitnehmern vor dem Hintergrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten zu sichern, nicht gerechtfertigt werden. Im Grunde unterliegen zweckgebundene Leistungen wegen ihrer damit verbundenen Unübertragbarkeit gemäß § 851 Abs. 1 ZPO nicht allgemein der Pfändung; sie sind insoweit nur für bestimmte Gläubiger zugänglich (Saenger, ZPO/Kemper, 10. Auflage 2023, § 851 Rn. 7). Auch wenn der IAP dahingehend zumindest eine Zweckerwägung, die unter anderem darin besteht, die Haltung des bisherigen Lebensstandards zu unterstützen, zugesprochen werden kann, fehlt es jedoch an einer ausdrücklich geregelten Zweckbestimmung (Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725 (726)). Ohnehin könne aber eine theoretische Zweckbestimmung der IAP nicht in der Aufrechterhaltung des Existenzminimums gesehen werden. Denn alleine durch die Erhöhung der allgemeinen Pfändungsgrenzen gemäß § 850 c ZPO, die jedes Jahr zum ersten Juli mittels § 850 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung erfolgt, wird der grundrechtlichen Pflicht zur Gewährung einer menschenwürdigen Existenz (u.a. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, Rn. 1) Genüge getan (BeckOK ZPO/Riedel, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 850 c Rn. 2a). Die letzte Erhöhung dieser Pfändungsfreigrenzen fand nämlich zum ersten Juli 2023, als die Inflationsrate bis dahin beinahe kontinuierlich stieg und damit dem Gesetzgeber die damit verbundenen gestiegenen Lebenshaltungskosten sehr wohl bewusst war, statt. Insoweit wird die Bestreitung des Existenzminimums bereits durch diese Freigrenzen geschützt, sodass solch eine Zwecksetzung in die IAP nicht hineingelesen werden kann (so auch AG Regensburg, BeckRS 2023, 31604, Rn. 10).
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Schließlich kommt eine Unpfändbarkeit der IAP auch mit Blick auf § 850 f Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht in Betracht. Die Änderung der allgemeinen Pfändungsfreigrenzen müsste in diesem Zusammenhang mit außerordentlichen, den Schuldner persönlich betreffenden Umständen begründet werden (BeckOK ZPO/Riedel, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 850 f Rn. 20). Jedoch bringt der Schuldner solche Argumente in seinem Antrag nicht vor; die durch die Inflation bedingt angestiegenen Preise des alltäglichen Lebens trafen indes nicht nur den Schuldner alleine, sondern eine Vielzahl von Menschen. Damit liegen keine Gründe i.S.d. § 850 f Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor.
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Dahingehen wird der bisherigen Rechtsprechung zur generellen Pfändbarkeit der IAP gefolgt (AG Köln, NZI 2023, 222, AG Norderstedt, VIA 2024, 15, AG Regensburg, BeckRS 2023, 31604).
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Der Antrag war aus diesen Gründen in diesem Punkt zurückzuweisen.