Titel:
Mangels ausreichender Substanziierung unzulässige Popularklage gegen eine Vielzahl von Vorschriften des Bayerischen Versammlungsgesetzes
Normenketten:
BV Art. 48, Art. 98
VfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Mangels ausreichender Substanziierung unzulässige Popularklage gegen eine Vielzahl von Vorschriften des Bayerischen Versammlungsgesetzes. (Rn. 17 – 34)
2. Art. 98 Sätze 1 bis 3 BV und Art. 48 BV enthalten keine eigenständigen Grundrechtsverbürgungen. (Rn. 23 – 25)
1. Verwaltungsakte können nicht Gegenstand eines Popularklageverfahrens sein (Fortführung von BeckRS 2022, 15307). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Rechtsvorschrift verstößt nicht schon dann gegen eine Norm der Bayerischen Verfassung, wenn (vermeintlich) eine bessere Regelung hätte getroffen werden können (Fortführung von BeckRS 2012, 100004). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch soweit von verfassungsimmanenten Schranken auszugehen ist, muss eine Grundrechtseinschränkung auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen oder auf eine solche mit hinreichender Bestimmtheit rückführbar sein und das Gesetz muss wiederum der Bedeutung des Grundrechts gerecht werden. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Popularklage, Verwaltungsakt, Allgemeinverfügung, Versammlungsgesetz, Versammlungsfreiheit, verfassungsimmanente Schranken
Fundstellen:
BayVBl 2023, 521
LSK 2023, 9174
BeckRS 2023, 9174
Tenor
1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Dem Antragsteller wird eine Gebühr von 1.500 € auferlegt.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand der Popularklage sind verschiedene Regelungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421, BayRS 2180-4-I), zuletzt geändert durch § 4 des Gesetzes vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418).
2
1. Durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034), das nach seinem Art. 2 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft trat, wurde das Versammlungsrecht im Zuge der Föderalismusreform aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG ausgegliedert und in die alleinige Zuständigkeit der Länder überführt, wobei das Versammlungsgesetz des Bundes gemäß Art. 125 a Abs. 1 GG solange fortgilt, wie die Länder von ihrer Kompetenz keinen Gebrauch machen.
3
Mit dem am 1. Oktober 2008 in Kraft getretenen Bayerischen Versammlungsgesetz (BayVersG) vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421, BayRS 2180-4-I) machte der Freistaat Bayern von dieser Gesetzgebungskompetenz als erstes Bundesland Gebrauch. Nach Art. 125 a Abs. 1 Satz 2 GG ersetzte das Bayerische Versammlungsgesetz mit Inkrafttreten das bundesrechtliche Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz). Das Bayerische Versammlungsgesetz wurde in der Folge mehrfach geändert, zuletzt durch § 4 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418) zum 1. August 2021.
4
2. Die im Wege der Popularklage vom Antragsteller im Einzelnen angegriffenen Regelungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes haben folgenden Wortlaut:
(1) Jedermann hat das Recht, sich friedlich und ohne Waffen öffentlich mit anderen zu versammeln.
(2) Dieses Recht hat nicht,
- 1.
-
wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,
- 2.
-
wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer Versammlung die Ziele einer nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will,
- 3.
-
eine Partei, die nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder
- 4.
-
eine Vereinigung, die nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes oder nach dem Vereinsgesetz verboten ist.
Pflichten der teilnehmenden Personen …
(3) Wird eine Versammlung aufgelöst, haben sich alle teilnehmenden Personen unverzüglich zu entfernen.
Waffenverbot Es ist verboten, Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde
1. Versammlungen mit sich zu führen oder
2. auf dem Weg zu Versammlungen mit sich zu führen, zu Versammlungen hinzuschaffen oder sie zur Verwendung bei Versammlungen bereitzuhalten oder zu verteilen.
Uniformierungs- und Militanzverbot Es ist verboten,
- 1.
-
in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen oder
- 2.
-
an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild paramilitärisch geprägt wird, sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht.
Störungsverbot, Aufrufverbot
(1) Störungen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung öffentlicher oder nichtöffentlicher Versammlungen zu verhindern, sind verboten.
(2) Es ist insbesondere verboten,
- 1.
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in der Absicht, nicht verbotene öffentliche oder nichtöffentliche Versammlungen zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder erhebliche Störungen zu verursachen oder
- 2.
-
bei einer öffentlichen Versammlung dem Leiter oder den Ordnern in der rechtmäßigen Erfüllung ihrer Ordnungsaufgaben mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand zu leisten oder sie während der Ausübung ihrer Ordnungsaufgaben tätlich anzugreifen.
(3) Es ist verboten, öffentlich, in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts nach § 11 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) zur Teilnahme an einer Versammlung aufzufordern, deren Durchführung durch ein vollziehbares Verbot untersagt oder deren vollziehbare Auflösung angeordnet worden ist.
Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen
(1) 1Die Polizei darf bei oder im Zusammenhang mit Versammlungen Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Teilnehmern nur offen und nur dann anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. 2Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
(2) 1Die Polizei darf Übersichtsaufnahmen von Versammlungen unter freiem Himmel und ihrem Umfeld zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nur offen und nur dann anfertigen, wenn dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist. 2Übersichtsaufnahmen dürfen aufgezeichnet werden, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von Versammlungen, von Teilen hiervon oder ihrem Umfeld erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. 3Die Identifizierung einer auf den Übersichtsaufnahmen oder -aufzeichnungen abgebildeten Person ist nur zulässig, soweit die Voraussetzungen nach Abs. 1 vorliegen.
(3) 1Die nach Abs. 1 oder 2 angefertigten Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen sind nach Beendigung der Versammlung unverzüglich auszuwerten und spätestens innerhalb von zwei Monaten zu löschen, soweit sie nicht benötigt werden
1. zur Verfolgung von Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung oder
2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtig ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von dieser Person erhebliche Gefahren für künftige Versammlungen ausgehen.
2Soweit die Identifizierung von Personen auf Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen für Zwecke nach Satz 1 Nr. 2 nicht erforderlich ist, ist sie technisch unumkehrbar auszuschließen. 3Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 genannten Gründen nicht gelöscht wurden, sind spätestens nach Ablauf von sechs Monaten seit ihrer Entstehung zu löschen, es sei denn, sie werden inzwischen zur Verfolgung von Straftaten nach Satz 1 Nr. 1 benötigt.
(4) 1Soweit Übersichtsaufzeichnungen nach Abs. 2 Satz 2 zur polizeilichen Aus- und Fortbildung benötigt werden, ist hierzu eine eigene Fassung herzustellen, die eine Identifizierung der darauf abgebildeten Personen unumkehrbar ausschließt. 2Sie darf nicht für andere Zwecke genutzt werden. 3Die Herstellung einer eigenen Fassung für Zwecke der polizeilichen Aus- und Fortbildung ist nur zulässig, solange die Aufzeichnung nicht nach Abs. 3 zu löschen ist.
(5) 1Die Gründe für die Anfertigung von Bild-, Ton- und Übersichtsaufzeichnungen nach Abs. 1 und 2 und für ihre Verwendung nach Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 sind zu dokumentieren. 2Werden von Übersichtsaufzeichnungen eigene Fassungen nach Abs. 4 Satz 1 hergestellt, sind die Notwendigkeit für die polizeiliche Aus- und Fortbildung, die Anzahl der hergestellten Fassungen sowie der Ort der Aufbewahrung zu dokumentieren.
(6) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Daten nach Maßgabe der Strafprozessordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.
Beschränkungen, Verbote, Auflösung
(1) Die zuständige Behörde kann die Durchführung einer Versammlung in geschlossenen Räumen beschränken oder verbieten, wenn
- 1.
-
der Veranstalter eine der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 erfüllt,
- 2.
-
Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder der Leiter Personen Zutritt gewähren wird, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinn des Art. 6 mit sich führen,
- 3.
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Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung anstrebt, oder
- 4.
-
Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
(2) 1Nach Versammlungsbeginn kann die zuständige Behörde die Versammlung unter Angabe des Grundes beschränken oder auflösen, wenn
- 1.
-
der Veranstalter eine der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 erfüllt,
- 2.
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die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nimmt oder eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der teilnehmenden Personen besteht,
- 3.
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der Leiter Personen, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinn des Art. 6 mit sich führen, nicht sofort ausschließt und nicht für die Durchführung des Ausschlusses sorgt, oder
- 4.
-
durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.
2In den Fällen von Satz 1 Nrn. 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere Maßnahmen der zuständigen Behörde, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen.
Anzeige- und Mitteilungspflicht
(1) 1Wer eine Versammlung unter freiem Himmel veranstalten will, hat dies der zuständigen Behörde spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift anzuzeigen. 2Bei der Berechnung der Frist bleiben Samstage, Sonn- und Feiertage außer Betracht. 3Bei einer fernmündlichen Anzeige kann die zuständige Behörde verlangen, die Anzeige schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift unverzüglich nachzuholen. 4Eine Anzeige ist frühestens zwei Jahre vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn möglich. 5Bekanntgabe einer Versammlung ist die Mitteilung des Veranstalters von Ort, Zeit und Thema der Versammlung an einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis.
(2) 1In der Anzeige sind anzugeben
- 1.
-
der Ort der Versammlung,
- 2.
-
der Zeitpunkt des beabsichtigten Beginns und des beabsichtigten Endes der Versammlung,
- 3.
-
das Versammlungsthema,
- 4.
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der Veranstalter und der Leiter mit ihren persönlichen Daten im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 sowie
- 5.
-
bei sich fortbewegenden Versammlungen der beabsichtigte Streckenverlauf.
2Der Veranstalter hat wesentliche Änderungen der Angaben nach Satz 1 der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(3) Entsteht der Anlass für eine geplante Versammlung kurzfristig (Eilversammlung), ist die Versammlung spätestens mit der Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde oder bei der Polizei anzuzeigen.
(4) Die Anzeigepflicht entfällt, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung).
(5) Die zuständige Behörde kann den Leiter ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet.
(6) 1Der Veranstalter hat der zuständigen Behörde auf Anforderung die persönlichen Daten eines Ordners im Sinn des Art. 10 Abs. 3 Satz 1 mitzuteilen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser die Friedlichkeit der Versammlung gefährdet. 2Die zuständige Behörde kann den Ordner ablehnen, wenn die Voraussetzungen nach Satz 1 vorliegen.
(7) Die zuständige Behörde kann dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen, wenn ohne die Erhöhung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist.
Beschränkungen, Verbote, Auflösung
(1) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 vorliegt.
(2) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung insbesondere dann beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
1. die Versammlung an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und durch sie a) eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu besorgen ist, oder b) die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer oder ethischer Anschauungen besteht oder
2. durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird, auch durch das Gedenken an führende Repräsentanten des Nationalsozialismus, und dadurch die unmittelbare Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer besteht.
3. Maßnahmen nach Abs. 1 oder 2 sind rechtzeitig vor Versammlungsbeginn zu treffen.
4. Nach Versammlungsbeginn kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder auflösen, wenn die Voraussetzungen für eine Beschränkung oder ein Verbot nach Abs. 1 oder 2 vorliegen oder gerichtlichen Beschränkungen zuwidergehandelt wird.
5. Die zuständige Behörde kann teilnehmende Personen, die die Ordnung erheblich stören, von der Versammlung ausschließen.
6. Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen.
Schutzwaffen- und Vermummungsverbot
(1) Es ist verboten, bei Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände mit sich zu führen, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren.
(2) Es ist auch verboten,
- 1.
-
an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen,
- 2.
-
bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, oder
- 3.
-
sich im Anschluss an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zu einem gemeinschaftlichen friedensstörenden Handeln zusammenzuschließen und dabei a) Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, mit sich zu führen,
b) Schutzwaffen oder sonstige in Nr. 2 bezeichnete Gegenstände mit sich zu führen oder c) in einer in Nr. 1 bezeichneten Aufmachung aufzutreten.
(3) Die zuständige Behörde kann Ausnahmen von den Verboten nach Abs. 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.
(4) Abs. 1 und 2 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.
(5) Die zuständige Behörde kann Personen, die den Verboten nach Abs. 1 und 2 zuwiderhandeln, von der Versammlung ausschließen.
1Für den Landtag des Freistaates Bayern wird ein befriedeter Bezirk gebildet. 2Der befriedete Bezirk um das Landtagsgebäude umfasst das nachfolgend umgrenzte Gebiet der Landeshauptstadt München: M1.Platz, Innere W1. Straße, W1. Platz, Innere W1. Straße, Am G., L., W., Prinzregentenbrücke, südliches Rondell am Friedensengel, P. straße, I. Straße, M2.2. Platz. 3Die angeführten Straßen und Plätze sind nicht Teil des befriedeten Bezirks.
1Versammlungen unter freiem Himmel sind innerhalb des befriedeten Bezirks verboten. 2Ebenso ist es verboten, zu Versammlungen nach Satz 1 aufzufordern.
Zulassung von Versammlungen
(1) Nicht verbotene Versammlungen unter freiem Himmel können innerhalb des befriedeten Bezirks zugelassen werden.
(2) 1Anträge auf Zulassung von Versammlungen nach Abs. 1 sind spätestens sieben Tage vor der Bekanntgabe schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift beim Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration einzureichen. 2Art. 13 Abs. 2 und 3 gelten entsprechend.
(3) Über Anträge auf Zulassung entscheidet das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Landtags.
(4) Durch die Zulassung werden die übrigen Vorschriften dieses Gesetzes, insbesondere Art. 13 bis 15, nicht berührt.
5
Mit seiner am 2. März 2022 eingegangenen und mit Schreiben vom 15. August 2022 inhaltlich ergänzten Popularklage macht der Antragsteller verfassungsrechtliche Bedenken gegen wesentliche Regelungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes geltend.
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Der Antragsteller ist der Ansicht, dass Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 3, Art. 6, 7, 8, 9, 12, 13, 15, 16, 17, 18 und 19 BayVersG gegen Art. 113 BV verstoßen.
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Neben geschichtlichen Ausführungen und politischen Einschätzungen trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, durch das Bayerische Versammlungsgesetz werde das in Art. 113 BV garantierte Grundrecht der Versammlungsfreiheit in verfassungswidriger Weise verletzt. Nach Art. 113 BV hätten alle Bewohner Bayerns das Recht, sich ohne Anmeldung (A) oder besondere Erlaubnis (B) friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Eine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch ein Gesetz sei nach Art. 98 BV nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt es zwingend erforderten (C). Sonstige Einschränkungen seien nur nach Art. 48 BV – also durch die Staatsregierung für die Dauer einer Woche (Abs. 1) bzw. nach Bestätigung durch den Landtag um einen weiteren Monat (Abs. 2) bei drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (D) – möglich. Eine generelle Pflicht zur Anmeldung (A) einer Versammlung sowie das Erfordernis einer behördlichen Erlaubnis (B) zur Durchführung einer Versammlung, an die wiederum umfangreiche Voraussetzungen, Bedingungen und Auflagen geknüpft würden (C) bzw. von einer nachgeordneten Behörde einseitig geknüpft werden könnten (D), seien im Umkehrschluss unzulässig. Das Bayerische Versammlungsgesetz gebe den Behörden Möglichkeiten an die Hand, die geeignet seien, die Versammlungsfreiheit nahezu beliebig einzuschränken oder sogar vollständig zu unterbinden.
8
Art. 1 Abs. 1 BayVersG gebe das Grundrecht nach Art. 113 BV nicht vollständig wieder; (A) und (B) fehlten. Art. 1 Abs. 2 BayVersG entziehe ohne konkrete Nennung zwingender Gründe gemäß Art. 98 BV (C) Personen und Personengruppen von vornherein das Recht auf öffentliche Versammlung. Art. 5 Abs. 3 BayVersG sei das Gegenteil von Art. 113 BV – (A) und (B). Art. 6, 7, 8, 9 und 16 BayVersG gehörten eher in ein Polizeiaufgabengesetz. Zur Verhinderung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten während und im Umfeld von Versammlungen und Demonstrationen, die in Bayern mit seiner überwiegend friedlichen Bevölkerung ohnehin kaum vorkämen, hätten gut aufgestellte Polizeikräfte auch ohne die restriktiven Bestimmungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes noch genügend Möglichkeiten. Zudem könne bürgerfreundliche und menschlich zugewandte Polizeiarbeit maßgeblich zu einem friedlichen Verlauf von Versammlungen und Demonstrationen beitragen. Art. 13 und 19 BayVersG – Anmeldung als rechtliche Voraussetzung zur Durchführung einer Versammlung – „widersprächen Art. 113 BV (A) und (B)“. Art. 12 und 15 BayVersG – Beschränkungen und Verbote von Versammlungen durch nachgeordnete Behörden – „widersprächen (C) und (D)“. Art. 17 und 18 – befriedete Bezirke – sowie Art. 19 BayVersG „widersprächen (C)“. Mit der Konstruktion befriedeter Bezirke werde unterstellt, dass Versammlungen an sich die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt so stark beeinträchtigten, dass sie in bestimmten Bereichen grundsätzlich verboten werden müssten.
Das Bayerische Versammlungsgesetz verkenne, dass im Freistaat Bayern das Volk Träger der Staatsgewalt sei, dem auch die gesetzgebende Gewalt zustehe. Mit Volksbegehren und Volksentscheid könne sogar der Landtag abberufen oder die Verfassung geändert werden. Art. 113 BV garantiere dem Volk als Träger der Staatsgewalt ein uneingeschränktes Forum der pluralen Meinungsbildung, das die Staatsregierung und ihre nachgeordneten Vollzugsbehörden mit Kräften unterstützen sollten. Das Bayerische Versammlungsgesetz enthalte eigentlich nur in Art. 8 und 13 Abs. 4 Regelungen, die dem Art. 113 BV genügten. Als „Versammlungsverhinderungsgesetz“ sei das Bayerische Versammlungsgesetz sogar im Ganzen als verfassungswidrig anzusehen.
9
Am Beispiel der Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 9. Februar 2022 und von im Einzelnen vom Antragsteller geschilderten Vorkommnissen am Abend desselben Tages in der K1. straße in M. würden in Ansätzen die möglichen polizeistaatlichen Auswüchse eines restriktiven Vollzugs des Bayerischen Versammlungsgesetzes erkennbar. Nach Art. 48 BV habe ausschließlich die Staatsregierung das Recht, bei drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Grundrechte wie Art. 113 BV einzuschränken und dadurch quasi einen Ausnahmezustand zu verhängen. Mit Art. 15 Abs. 1 BayVersG werde diese Kompetenz auf eine Behörde verlagert – im Beispielfall habe ein leitender Verwaltungsdirektor des Kreisverwaltungsreferats der Landeshauptstadt München (nicht etwa der Bayerische Ministerpräsident) legal und zugleich verfassungswidrig für das gesamte Stadtgebiet einen Ausnahmezustand verhängen können.
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Alle Beteiligten und Betroffenen der Vorkommnisse am 9. Februar 2022 in der K1.straße hätten erkennen oder zumindest spüren können, dass zwischen Mariensäule und Bürgersaal in unmittelbarer Nähe der Frauenkirche der substanzielle Kern der Bayerischen Verfassung infrage gestellt worden sei.
11
Der Aufbau einer Demokratie von unten gebiete es, dass der Freistaat Bayern politische Versammlungen als wesentliche Bedingungen für notwendige plurale öffentliche Debatten zur Meinungsbildung in demokratischen Entscheidungsprozessen fördere und schütze. Ein Versammlungsgesetz, das alle Behörden in diesem Sinn in die Pflicht nehme, stünde Bayern wahrlich besser zu Gesicht als das aktuelle Bayerische Versammlungsgesetz.
12
Die Umdeutung eines verfassungsmäßigen Grundrechts in einen mittelbaren Rechtsanspruch, der selbstständig von nachgeordneten Behörden durch Verwaltungsakte auf Antrag gewährt oder sogar allgemein entzogen werden könne, entspringe letztlich der Vorstellung von einer Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und auch ohne Achtung vor der Würde des Menschen und wäre an sich schon undemokratisch und verfassungswidrig. Folge man der Argumentationskette der Stellungnahmen des Landtags und der Staatsregierung, sei die Popularklage (und damit auch jede andere Popularklage) von vornherein unzulässig. Denn kein Gesetz könne für sich genommen ein Grundrecht einschränken. Dadurch bedürfe es immer des konkreten Vollzugs, der aber im Rahmen einer Popularklage nicht zu überprüfen sei. Anscheinend sei die verfassungsmäßige Gewaltenteilung zu einer fragwürdigen Arbeitsteilung von Staatsregierung und Landtag mutiert.
13
Die Bayerische Verfassung sehe als einzige Möglichkeit einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die vollziehende Staatsgewalt das Verfahren nach Art. 48 BV vor. Wenn dagegen das Bayerische Versammlungsgesetz nachgeordneten Behörden die Möglichkeit eröffne, nach eigenem Ermessen Versammlungen zu beschränken, zu erschweren oder auch zu verbieten, werde die Versammlungsfreiheit verfassungswidrig eingeschränkt. Denn es sei offensichtlich, dass Behörden und Polizei von dieser Möglichkeit zunehmend und übermäßig Gebrauch gemacht hätten.
14
1. Der Bayerische Landtag hält die Popularklage für unzulässig. Die Ausführungen des Antragstellers genügten nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG nicht den Anforderungen an die Darlegung einer verfassungswidrigen Grundrechtseinschränkung.
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Den Ausführungen des Antragstellers lasse sich nicht entnehmen, inwieweit eine nicht vollständige Wiedergabe des Wortlauts von Art. 113 BV in Art. 1 Abs. 1 BayVersG ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken sollte. Auch sei nicht ersichtlich, inwiefern die fehlende konkrete Nennung „zwingender Gründe gemäß Art. 98 BV“ im Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 BayVersG den Art. 113 BV verfassungswidrig einschränken sollte. Eine Begründung bleibe der Antragsteller insoweit schuldig. Der Vortrag des Antragstellers zu Art. 5 Abs. 3 BayVersG erschöpfe sich darin, dass behauptet werde, die Norm sei das Gegenteil von Art. 113 BV. Insofern fehle es an einer präzisen Grundrechtsrüge. Die vage Behauptung, Art. 6, 7, 8, 9 und 16 BayVersG gehörten doch eher in ein Polizeiaufgabengesetz, lasse jeglichen Bezug zu einer Grundrechtsverletzung vermissen. Hinsichtlich der angeführten Normen Art. 12, 13, 15, 17, 18 und 19 BayVersG behaupte der Antragsteller lediglich, dass diese Art. 113 BV widersprächen, und stelle Mutmaßungen über eine gesetzgeberische Wertung an. Auch insofern fehle es an einer präzisen Grundrechtsrüge. Die weiteren pauschalen Ausführungen ließen gänzlich einen konkreten Bezug zu Normen der Bayerischen Verfassung oder des Bayerischen Versammlungsgesetzes vermissen. Soweit offenbar ein Rechtsakt der Landeshauptstadt München als angebliches Beispiel eines restriktiven Vollzugs des Bayerischen Versammlungsgesetzes angeführt werde, sei festzustellen, dass ein solcher im Rahmen einer Popularklage nicht überprüft werde.
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2. Die Bayerische Staatsregierung ist aus denselben Erwägungen wie der Bayerische Landtag der Auffassung, die Popularklage sei unzulässig.
17
Die Popularklage ist insgesamt unzulässig. Der Antragsteller hat nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, dass und inwiefern durch die angegriffenen Vorschriften des Bayerischen Versammlungsgesetzes ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt sein könnte.
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1. Nach Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Dazu zählen die angegriffenen Bestimmungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes.
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Demgegenüber können die Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 9. Februar 2022 als Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG sowie die im Einzelnen geschilderten Vorkommnisse am Abend desselben Tages in der K1. straße als Maßnahmen im Verwaltungsvollzug nicht Gegenstand des Popularklageverfahrens sein (VerfGH vom 28.1.2003 VerfGHE 56, 1/4; vom 28.6.2022 BayVBl 2022, 625 Rn. 36 f.).
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2. Soweit die Regelungen in Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 3, Art. 6, 7, 8, 9, 12, 13, 15, 16, 17, 18 und 19 BayVersG angegriffen werden, genügt die Popularklage nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG.
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a) Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Die Popularklage ist unzulässig, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt. Sie ist weiter unzulässig, wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil beispielsweise der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird.
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Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn der Antragsteller nur behauptet, dass die Rechtsvorschrift gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnormen berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.5.2012 VerfGHE 65, 73/81; vom 29.10.2020 BayVBl 2021, 83 Rn. 19; vom 7.12.2021 BayVBl 2022, 152 Rn. 46 f.; BayVBl 2022, 625 Rn. 39 m. w. N.). Greift der Antragsteller mehrere Rechtsvorschriften an, so muss dem Darlegungserfordernis des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG grundsätzlich für jede einzelne Vorschrift Genüge getan werden (VerfGH vom 4.11.1976 VerfGHE 29, 191/201 m. w. N.; BayVBl 2022, 152 Rn. 47). Summarische, nicht präzisierte Grundrechtsrügen sind unzulässig (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 19.4.1985 VerfGHE 38, 43/45; vom 29.10.2018 – Vf. 20-VII-17 – juris Rn. 14; vom 29.3.2022 – Vf. 48-VII-21 – juris Rn. 10).
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b) Soweit der Antragsteller unter Anführung der Großbuchstaben (C) und (D) rügt, Art. 1 Abs. 2, Art. 12, 15, 17, 18 und 19 BayVersG widersprächen Art. 98 BV, Art. 12 und 15 BayVersG zudem Art. 48 BV, liegen keine zulässigen Grundrechtsrügen vor. Auf eine Verletzung beider Vorschriften als solche kann sich der Antragsteller bereits deshalb nicht berufen, weil Art. 98 und 48 BV kein Grundrecht gewähren.
24
aa) Art. 98 BV formuliert in Satz 1 die Regel der grundsätzlichen Nichteinschränkbarkeit der durch die Verfassung gewährleisteten Grundrechte und in den Sätzen 2 und 3 die Ausnahmen der Einschränkbarkeit. Art. 98 BV enthält insoweit keine eigene Grundrechtsverbürgung (vgl. VerfGH vom 22.10.1993 VerfGHE 46, 273/277; vom 14.6.2004 VerfGHE 57, 56/58; Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 1; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 1 bis 3 Rn. 10).
25
bb) Art. 48 BV, auf den Art. 98 Satz 3 BV verweist, betrifft Maßnahmen des Staatsnotstandsrechts und ermächtigt in seinem Absatz 1 die Staatsregierung im Notstandsfall („bei drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“) zur generellen Suspendierung bestimmter, dort genannter Grundrechte, darunter die Versammlungsfreiheit, zunächst auf die Dauer einer Woche (vgl. VerfGH vom 7.10.1954 VerfGHE 7, 83/85; vgl. auch Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 48 Rn. 1; Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 48 Rn. 1). Art. 48 Abs. 2 BV enthält flankierende Verfahrensregelungen mit Möglichkeit der Verlängerung der Maßnahmen um einen Monat, Art. 48 Abs. 3 BV sieht die Beschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen auf dieser Grundlage getroffene Maßnahmen vor. Auch diese Vorschrift, die in der Staatspraxis bislang keine Relevanz erlangt hat und „praktisch bedeutungslos“ ist (vgl. VerfGH vom 29.3.2022 – Vf. 48VII-21 – juris Rn. 21; Lindner, a. a. O., Art. 48 Rn. 1; Brechmann, a. a. O., Art. 48 Rn. 2), enthält keine eigenständige Grundrechtsverbürgung. Eine Entscheidung nach Art. 48 Abs. 3 BV hätte der Verfassungsgerichtshof nur dann zu treffen, wenn Beschwerde gegen eine Maßnahme eingelegt würde, die von der Staatsregierung gemäß Art. 48 Abs. 1 BV getroffen worden ist (VerfGHE 7, 83/85; VerfGH vom 29.3.2022 – Vf. 48-VII-21 – juris Rn. 21). Um eine solche handelt es sich bei den vorliegenden Regelungen durch förmliches Gesetz offensichtlich nicht. Die Behauptung des Antragstellers, das Bayerische Versammlungsrecht gebe den Behörden entgegen Art. 48 BV Möglichkeiten an die Hand, die geeignet seien, die Versammlungsfreiheit nahezu beliebig einzuschränken, zu erschweren oder sogar vollständig zu unterbinden, ist daher unbehelflich.
26
c) An den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG scheitern auch die übrigen vom Antragsteller vorgebrachten Rügen. Mit der Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV) wird zwar ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung als verletzt bezeichnet. Es fehlt aber an der substanziierten und nachvollziehbaren Darlegung der Möglichkeit eines Verstoßes der angegriffenen gesetzlichen Regelungen gegen dieses Grundrecht.
27
aa) Nicht hinreichend dargelegt wird eine Verletzung von Art. 113 BV, soweit das Vorbringen keinen näheren Bezug zu den konkret angegriffenen Normen des Bayerischen Versammlungsgesetzes hat. Insbesondere wird den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG nicht dadurch Genüge getan, dass der Antragsteller historische Fakten benennt oder allgemeinpolitische Ansichten vorbringt, die nach seiner Auffassung eine Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch – nicht näher konkretisierte – Normen des Bayerischen Versammlungsgesetzes belegen.
28
bb) Auf die Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 9. Februar 2022 sowie auf die geschilderten Vorkommnisse am selben Tag kann die Popularklage ebenfalls nicht gestützt werden. Es ist in dieser Verfahrensart nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs zu überprüfen, wie die angegriffenen Rechtsnormen in der Praxis vollzogen werden; Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung gemäß Art. 98 Satz 4 BV ist nur das Gesetz als solches (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 56, 1/4; VerfGH BayVBl 2022, 625 Rn. 36 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 40).
29
cc) Soweit die Verfassungswidrigkeit des Art. 1 Abs. 1 BayVersG gerügt wird, legt der Antragsteller nicht dar, inwieweit eine nicht vollständige Wiedergabe des Wortlauts von Art. 113 BV zu einer Verletzung dieses Grundrechts führen kann.
30
dd) Hinsichtlich der Rüge, Art. 1 Abs. 2 BayVersG entziehe bestimmten Personen und Personengruppen von vornherein das Recht auf öffentliche Versammlung, ist den Ausführungen des Antragstellers nicht zu entnehmen, inwiefern allein die fehlende Nennung „zwingender Gründe gemäß Art. 98 BV“ zu einer verfassungswidrigen Einschränkung von Art. 113 BV führen sollte. Art. 1 Abs. 2 BayVersG nennt konkrete Ausschlussgründe, deren Verwirklichung zum Verlust des subjektiven öffentlichen Rechts aus Art. 1 Abs. 1 BayVersG führt. Die Ausschlussgründe dienen ihrer Intention nach dem Schutz der Verfassungsordnung vor dem Missbrauch der Freiheit kollektiver Meinungsäußerungen (vgl. Enders in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 33). Zum Rechtsverlust führt darum insbesondere die Verwirkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 18 GG durch Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG). Die vom Antragsteller geäußerte Frage, warum zwei Menschen, die sich für ein unabhängiges Bayern einsetzten und damit theoretisch Ziele verfolgten, die gemäß Art. 21 Abs. 2 GG den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährden könnten, ihre Meinung in Bayern nicht öffentlich erörtern dürften, ist offensichtlich nicht geeignet, nachvollziehbar eine Verletzung von Art. 113 BV zu begründen. Dem Vorbringen des Antragstellers ist nicht zu entnehmen, dass Art. 1 Abs. 2 BayVersG der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht gerecht würde.
31
ee) Den Ausführungen des Antragstellers zu Art. 5 Abs. 3 BayVersG sind ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Grundrechtsverletzung zu entnehmen. Die Behauptung, diese Vorschrift sei „das Gegenteil von Art. 113 BV“ enthält selbst unter Berücksichtigung des – mit den Großbuchstaben (A) und (B) zum Ausdruck gebrachten – Hinweises auf die Grundrechtsgewährleistung in Art. 113 BV einer Versammlung „ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis“ keine präzise Grundrechtsrüge. Dem in Art. 113 BV verbürgten Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis zu versammeln, steht nicht entgegen, dass Art. 5 Abs. 3 BayVersG an die Auflösung einer Versammlung die gesetzliche Konsequenz knüpft, dass sich die Teilnehmer unverzüglich zu entfernen haben. Denn mit der Auflösung ist die Versammlung beendet (vgl. Enders in Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, § 13 Rn. 7).
32
ff) Mit der Rüge, Art. 6, 7, 8, 9 und 16 BayVersG gehörten „doch eher in ein Polizeiaufgabengesetz“, wird ein Verstoß gegen Art. 113 BV ohne jegliche Konkretisierung behauptet. Dem weiteren Vorbringen, zur Verhinderung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten während und im Umfeld von Versammlungen und Demonstrationen gebe es ausreichend polizeiliche Möglichkeiten, im Übrigen könne die Polizei durch eine bürgerfreundliche Polizeiarbeit maßgeblich zu einem friedlichen Verlauf von Versammlungen und Demonstrationen beitragen, sind ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Grundrechtsverletzung zu entnehmen. Unabhängig davon verstößt angesichts des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums eine Rechtsvorschrift nicht schon dann gegen eine Norm der Bayerischen Verfassung, wenn (vermeintlich) eine bessere Regelung hätte getroffen werden können (vgl. VerfGH vom 29.9.2005 VerfGHE 58, 212/239; vom 4.10.2013 BayVBl 2013, 140/145; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 40).
33
gg) Auch hinsichtlich der angeführten Normen der Art. 13 und 19 BayVersG fehlt es an der erforderlichen substanziierten und nachvollziehbaren Darlegung, dass die angegriffenen gesetzlichen Regelungen gegen Art. 113 BV verstoßen könnten. Die bloße Behauptung, Art. 13 und 19 BayVersG widersprächen der Grundrechtsverbürgung einer Versammlung „ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis“, ohne sich mit dem konkreten Regelungsgehalt der Vorschriften zu befassen, erfüllt nicht die Anforderungen an eine präzise Grundrechtsrüge. Der Antragsteller setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass die Formulierung „ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis“ in Art. 113 BV von der herrschenden Meinung dahingehend verstanden wird, dass nur Anzeige- und Mitteilungspflichten unzulässig sind, die im Zusammenhang mit einem – für Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 13 BayVersG gerade nicht vorgesehenen – Erlaubnisverfahren stehen (vgl. Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 113 Rn. 22). Auch berücksichtigt der Antragsteller nicht, dass nach Art. 13 Abs. 4 BayVersG die Anzeigepflicht bei Spontanversammlungen entfällt.
34
hh) Darüber hinaus lässt der Antragsteller außer Betracht, dass die Grundrechte der Bayerischen Verfassung nicht schrankenlos verbürgt sind. Obschon die Sätze 1 bis 3 des Art. 98 BV in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kaum eine Rolle spielen (vgl. beispielweise VerfGH vom 13.12.1999 VerfGHE 52, 173/ 185; kritisch hierzu Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, vor Art. 98 Rn. 65; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 1 bis 3 Rn. 36 ff.), unterliegen auch die Grundrechte, die nicht ausdrücklich einschränkbar sind, sondern wie Art. 113 BV vorbehaltlos gewährleistet werden, verfassungsimmanenten Schranken (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 20 m. w. N.). Der Verfassungsgerichtshof hat insbesondere entschieden, dass Art. 98 Satz 2 BV nicht anwendbar ist, wenn der Gesetzgeber aufgrund immanenter Grenzen eines Grundrechts dessen Inhalt bestimmt (vgl. VerfGH vom 1.8.1997 VerfGHE 50, 156/174 und 179 zur Glaubensfreiheit nach Art. 107 Abs. 1, 5 Satz 1 BV). Grundrechtsimmanente Schranken im Sinn von Schutzbereichsgrenzen entfalten etwa der Begriff „gute Sitten“ sowie die Formulierung „was anderen schadet“ in Art. 101 BV, dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. Lindner, a. a. O., Art. 101 Rn. 23 ff.). Verfassungsimmanente Schranken hat der Verfassungsgerichtshof beispielsweise für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 106 Abs. 3 BV (vgl. VerfGH vom 30.1.2006 VerfGHE 59, 23/25) sowie für das elterliche Erziehungsrecht in Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV (vgl. VerfGH vom 2.12.2019 BayVBl 2020, 226 Rn. 175) anerkannt. Bei den Grundrechten nach Art. 110 BV (Meinungsfreiheit), Art. 111 BV (Pressefreiheit), Art. 111 a BV (Rundfunkfreiheit) sowie Art. 112 Abs. 2 BV (Rundfunkempfangsfreiheit) kommt zudem eine Beschränkung durch allgemeine Gesetze aufgrund verfassungsimmanenter Schranken in Betracht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 23.7.1984 VerfGHE 37, 119/124 zu Art. 110 Abs. 1 BV; vom 27.2.1975 VerfGHE 28, 24/41 zu Art. 111 BV; vom 14.6.1994 VerfGHE 47, 157/161 zu Art. 111 a BV; vom 3.2.1994 VerfGHE 47, 36/42 f. zu Art. 112 Abs. 2 BV). Auch soweit von verfassungsimmanenten Schranken auszugehen ist, muss eine Grundrechtseinschränkung – wie vorliegend durch die Regelungen des Bayerischen Versammlungsgesetzes erfolgt – auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen oder auf eine solche mit hinreichender Bestimmtheit rückführbar sein (vgl. Lindner, a. a. O., Rn. 66). Zudem muss das Gesetz wiederum der Bedeutung des Grundrechts gerecht werden (Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 113 Rn. 31). Anhaltspunkte dafür, dass die als verletzt gerügten Normen des Bayerischen Versammlungsgesetzes der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht gerecht würden, ergeben sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht.
35
Es ist angemessen, dem Antragsteller eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).