Titel:
Erfolglose Berufungszulassung für eine Klage auf einen Vorbescheid; Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich; Bebauungszusammenhang
Normenkette:
BauGB § 35 Abs. 2, § 35 Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine unbebaute Fläche ist – als Baulücke – Teil des Bebauungszusammenhangs iSv § 34 BauGB, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob eine Vorhabenfläche nach Verschmelzung noch für eine städtebauliche Entwicklung und Planung in Betracht kommt ist keine Frage des Bebauungszusammenhangs, sondern ob die Bebauung als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung öffentliche Belange beeinträchtigt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinaus ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auf die Frage, ob durch das beantragte Vorhaben die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist, kommt es im Streitfall – unabhängig davon, dass es sich bei dem Vorhabengrundstück nicht um eine Baulücke handelt – nicht entscheidend an. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich, Bebauungszusammenhang, Abgrenzung, Innenbereich, Baurecht, Splittersiedlung, Baulücke, Anschlussbebauung, Siedlung, Siedlungsstruktur, Zersiedelung, Nachfolgebebauung, Vorbescheid
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 25.05.2022 – M 9 K 19.1231
Fundstelle:
BeckRS 2023, 8709
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2022 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf den Grundstücken FlNr. … und …1 (Teilfläche), Gemarkung B., die zu einem Buchgrundstück verschmolzen werden sollen.
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Bereits im Jahr 1994 war ein Vorbescheid für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … erteilt worden, der einmalig bis zum 17. März 1999 verlängert wurde. Den Antrag des Klägers vom 5. September 2018 auf Erteilung eines Vorbescheids, mit dem sinngemäß die Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gestellt wurde, lehnte das Landratsamt ab.
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Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortseinsicht abgewiesen. Das unbebaute und noch nicht verschmolzene Vorhabengrundstück befinde sich im bauplanungsmäßigen Außenbereich. Nach dem im Rahmen der Ortseinsicht gewonnenen Eindruck nehme der Vorhabenstandort am Ortsrand nicht am Bebauungszusammenhang teil. Der Bebauungszusammenhang ende im Süden an der nördlichen Hauswand des Wohnhauses auf dem Grundstück FlNr. …1 und im Osten mit der Bebauung auf den Grundstücken FlNr. …4 und …5, jeweils an der westlichen Hauswand. Im Westen grenze das Vorhabengrundstück an den G.weg, an dessen Westseite eine ca. 2 bis 4 m hohe Böschung anschließe. Die oberhalb dieser Böschung befindliche Wohnbebauung auf dem Grundstück FlNr. …8 nehme aufgrund des topografischen Höhenunterschieds sowie der Entfernung von dem Grundstück FlNr. … und dem G.weg nicht am Bebauungszusammenhang teil. Im Norden gebe es keine Bebauung. Auch wegen der Größe des Grundstücks FlNr. …, seiner Ausdehnung Richtung Ost-West und der Anschließung im Norden an den Außenbereich handle es sich nicht um eine Baulücke. Das am Ortsrand liegende Vorhabengrundstück stelle den Beginn des Außenbereichs dar. Als sonstiges Bauvorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige es öffentliche Belange.
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Mit dem Zulassungsantrag verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Bei den zur Bebauung vorgesehenen Grundstücksflächen handle es sich um eine Baulücke innerhalb der auf den Grundstücken FlNr. …1 und …4 vorhandenen Bebauung. Unabhängig davon bestehe ein Bebauungszusammenhang zwischen der Bebauung auf den Grundstücken FlNr. …1, …4, …5 und der Wohnbebauung westlich des G.wegs oberhalb der Böschung. Der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit stünden im Übrigen keine öffentlichen Belange entgegen.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.
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Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
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1. Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich der Vorhabenstandort im Außenbereich befindet, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit nicht aufgezeigt. Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Graben, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Eine unbebaute Fläche ist – als Baulücke – Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint.
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Gemessen an diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar davon ausgegangen, dass der im Zusammenhang bebaute Ortsteil an der nördlichen Hauswand des Wohnhauses auf dem Grundstück FlNr. …1 und jeweils an der westlichen Hauswand der Bebauung auf den Grundstücken FlNr. …4 und …5 endet und die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt wird. Ohne Erfolg macht der Kläger hiergegen geltend, dass es sich bei dem zur Bebauung vorgesehen Vorhabengrundstück – ebenso wie bei dem (unbebauten) Grundstück FlNr. …3 – um eine Baulücke handle, da ein Bebauungszusammenhang zwischen der nordwestlichen Gebäudeecke auf dem Grundstück FlNr. …1 und der nordöstlichen [richtig: nordwestlichen] Gebäudeecke auf dem Grundstück FlNr. …4 bestehe und diese Bebauung dazu führe, dass das Vorhabengrundstück von drei Seiten umbaut sei. Soweit damit eine imaginäre Abgrenzungslinie zwischen den Gebäuden auf den Grundstücken FlNr. …1 und …4 geltend gemacht wird, lässt der Vortrag unberücksichtigt, dass die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich nicht gradlinig verlaufen muss, sondern grundsätzlich auch vor- und zurückspringen kann (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl 1991, 473). Örtliche Besonderheiten, die ausnahmsweise eine Ausdehnung des Bebauungszusammenhangs nach Norden bzw. Westen rechtfertigen könnten, sind weder substantiiert dargelegt noch sind sie ersichtlich. Es kann daher dahinstehen, ob ein Bebauungszusammenhang zwischen der südlich und östlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Bebauung und der westlich an den G.weg oberhalb der Böschung vorhandenen Bebauung vorliegt. Ebenso kommt es nicht auf eine vermeintliche Innenbereichsqualität von einer an das Vorhabengrundstück angrenzenden (unbebauten) Fläche an, da die Innenbereichsqualität eines Grundstücks nur ein Bebauungszusammenhang, der hier nicht vorliegt, vermitteln kann. Weshalb eine an sein Vorhabengrundstück anschließende Baulücke auch sein Vorhabengrundstück „mitprägen“ könnte, erläutert der Kläger nicht.
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Soweit das Zulassungsvorbringen weiter rügt, dass das Verwaltungsgericht für die Frage des Bebauungszusammenhangs zu Unrecht auf die Größe und Ost-West-Ausdehnung des Grundstücks FlNr. … abgestellt und nicht berücksichtigt habe, dass das Vorhabengrundstück verschmolzen werden solle, lässt es unberücksichtigt, dass die Frage, ob der Vorhabenstandort am Bebauungszusammenhang teilnimmt, eine wertende Gesamtbetrachtung erfordert. Diese hat das Verwaltungsgericht vorgenommen und kam rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung der umliegenden Bebauung und der konkreten örtlichen Verhältnisse zu der Einschätzung einer Außenbereichslage. Ob die Vorhabenfläche nach Verschmelzung noch für eine städtebauliche Entwicklung und Planung in Betracht kommt ist keine Frage des Bebauungszusammenhangs, sondern ob die Bebauung als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung öffentliche Belange beeinträchtigt.
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2. Die Ausweitung des Ortsteils über den Bebauungszusammenhang hinaus in den Außenbereich beeinträchtigt hier als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) öffentliche Belange. Es ist Aufgabe der Bauleitplanung oder einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen und zu lenken (vgl. BVerwG, B.v. 11.10.1999 – 4 B 77.99 – BauR 2000, 1175; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – NVwZ 1985, 747; BayVGH, U.v. 16.5.2021 – 1 B 19.221 – juris Rn. 18).
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Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinaus ist in der Regel ein Vorgang der – siedlungsstrukturell unerwünschten – Zersiedelung, wenn das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten (BVerwG, B.v. 11.10.1999 a.a.O). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Bebauung auf dem Vorhabengrundstück Vorbildwirkung für weitere Bauwünsche auf dem Grundstück FlNr. … hätte. Auch nach dem Zulassungsvorbringen drängt sich eine weitere Bebauung zumindest bis auf Höhe des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. …5 auf. Soweit in dem Zulassungsvorbringen ein Abgrenzungskriterium darin gesehen wird, dass der Flächennutzungsplan den südlichen Teilbereich des Grundstücks FlNr. … als Wohngebiet darstellt, kommt es nicht darauf an, ob als Folge der Zulassung des Vorhabens ein Genehmigungsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben besteht oder weiteren Vorhaben ein zusätzlicher öffentlicher Belang entgegengehalten werden könnte (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2019 – 1 B 17.2077 – juris Rn. 22). Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 8.10.2020 – 1 ZB 17.2319 – juris Rn 14). Insofern ist die Gefahr einer weiteren Zersiedlung hier hinreichend konkret zu befürchten (BayVGH, B.v. 12.5.2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 39). Auf die Frage, ob durch das beantragte Vorhaben die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist, kommt es daher – unabhängig davon, dass es sich bei dem Vorhabengrundstück nicht um eine Baulücke handelt – nicht entscheidend an.
15
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kann dahinstehen, ob das Vorhaben auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.2 und 9.1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Gegenstand des Vorbescheids ist die Klärung wesentlicher bauplanungsrechtlicher Fragen zur Zulässigkeit des Bauvorhabens, so dass eine Reduzierung des Streitwerts nach Nr. 9.2 des Streitwertkatalogs auf einen Bruchteil des sich aus Nr. 9.1.1.2 ergebenden Streitwerts nicht angezeigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 1 ZB 18.538 – juris Rn. 8). Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).