Titel:
Vorbescheid für Doppelhaushälften - Abgrenzung von Innen- und Außenbereich
Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Bebauungszusammenhang iSv § 34 BauGB ist anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bebauung iSv § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung von Innen- und Außenbereich, Bebauungszusammenhang, Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit, Ortsteil, ständiger Aufenthalt von Menschen, Nebenanlagen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 19.10.2021 – M 1 K 19.2537
Fundstelle:
BeckRS 2023, 7287
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2021 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung von zwei Doppelhaushälften mit Garagen und Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. …10, Gemarkung A* …
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Das Vorhabengrundstück grenzt westlich an das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück FlNr. …7 an, östlich an das unbebaute Grundstück FlNr. …11. Nördlich ist das Grundstück FlNr. … gelegen, das – abgesehen von einem landwirtschaftlichen Unterstellplatz im nordwestlichen Bereich – unbebaut ist. Die Beigeladene hat ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben versagt. Das Landratsamt lehnte die Erteilung des Vorbescheids ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortseinsicht abgewiesen. Das nichtprivilegierte Vorhaben sei bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Das Vorhabengrundstück befinde sich im Außenbereich. Die Bebauung würde sich nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung darstellen. Nach dem im Rahmen der Ortseinsicht gewonnenen Eindruck trete das Vorhabengrundstück zusammen mit den Grundstücken FlNr. … und …11 als einheitliche Freifläche in Erscheinung. Diese rund 9.112 m² große Fläche wirke auf Grund der sie umgebenden Straßen bzw. Gehwege als große, abgesetzte Freifläche. Dem nichtprivilegierten Vorhaben stünden die Darstellungen des Flächennutzungsplans entgegen, der dort eine Fläche für die Landwirtschaft bzw. eine sonstige Grünfläche vorsehe.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
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Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich der Standort im Außenbereich befindet, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit nicht aufgezeigt. Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Grundlage und Ausgangspunkt einer solchen wertenden und bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie außerdem auch topografische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse u. dgl.) – (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein) gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, B.v. 13.5.2020 – 1 ZB 19.1663 – juris Rn. 4; B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 5).
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Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Fläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt wird. Ohne Erfolg macht die Klägerin hiergegen geltend, dass die annähernd gleich großen Grundstücke FlNr. …7, …10 und …11 die gleiche Grundstückstiefe aufweisen würden, die durch den bereits vorhandenen Zaun auf den Grundstücken FlNr. …7 und …10 verdeutlicht werde, und deshalb eine Baulücke anzunehmen sei. Für die Abgrenzung des Innenzum Außenbereichs kommt den Grundstücksgrenzen und dem Grundstückszuschnitt keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2022 – 1 ZB 20.596 – juris Rn. 10). Hieran ändert auch der Maschendrahtzaun nichts, der kein städtebauliches Gewicht hat. Auch die Anbindung des Grundstücks an den Wendehammer der J* …straße vermag den Eindruck einer einheitlichen Freifläche nicht zu erschüttern, zumal das Gelände nördlich des Wendehammers deutlich ansteigt. Ebenso wenig führt der Umstand, dass die östlich gelegene Bebauung in nördlicher Richtung weiter reicht als die Grundstückstiefe der FlNr. …10 und …11, zu einer anderen Beurteilung. Das Verwaltungsgericht hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Bebauung nach dem Eindruck der Ortseinsicht auf Grund der Entfernung sowie des nach Osten hin deutlich abfallenden Geländes keinen Bebauungszusammenhang für das Vorhabengrundstück begründet. Ohne Erfolg zieht das Zulassungsvorbringen zur Stützung seiner Auffassung Fallbeispiele nebst Faustformeln aus der Kommentarliteratur heran. Maßgeblich für die Bewertung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Im Übrigen ist das Vorhabengrundstück auch nicht auf drei Seiten von Bebauung umschlossen, da – wie dargestellt – kein Bebauungszusammenhang zur östlich gelegenen Bebauung besteht. Soweit das Zulassungsvorbringen weiter rügt, dass das Verwaltungsgericht für die Frage des Bebauungszusammenhangs zu Unrecht auf die gesamte Freifläche und nicht nur auf den Vorhabenstandort abgestellt hat, lässt es unberücksichtigt, dass die Frage, ob der Vorhabenstandort am Bebauungszusammenhang teilnimmt, eine wertende Gesamtbetrachtung erfordert. Diese hat das Verwaltungsgericht vorgenommen und kam rechtsfehlerfrei unter Berücksichtigung der umliegenden Bebauung und der konkreten örtlichen Verhältnisse zu der Einschätzung einer Außenbereichslage.
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2. Die Berufung ist nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden.
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Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Es fehlt bereits an der Herausarbeitung und Gegenüberstellung von abstrakten Rechtssätzen sowohl im Hinblick auf das angegriffene Urteil als auch in Bezug auf die zur Stützung der Divergenz herangezogenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 18.5.1993 – 4 B 65.93 – NVwZ 1993, 1101). Der Senat hat den Vortrag zur Divergenzrüge dabei auch dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet (vgl. BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – BayVBl 2011, 338). Die geltend gemachte fehlerhafte Bewertung der unbebauten Fläche liegt – wie oben ausgeführt – aber nicht vor.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.2 und 9.1.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Gegenstand des Vorbescheids ist die Klärung wesentlicher bauplanungsrechtlicher Fragen zur Zulässigkeit des Bauvorhabens, so dass eine Reduzierung des Streitwerts nach Nr. 9.2 des Streitwertkatalogs auf einen Bruchteil des sich aus Nr. 9.1.1.2 ergebenden Streitwerts nicht angezeigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 1 ZB 18.538 – juris Rn. 8). Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).